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GOETHES
SÄMTLICHE WERKE
BAND XIV
g,^C)C^G.»2.
GOETHES
LYRISCHE UND
EPISCHE
DICHTUNGEN
BANDI
LEIPZIG
IM INSELVERIAG
LYRISCHE
DICHTUNGEN
1756-1765 FRANKFURT
[An die Grofidtera Textor]
Bei dem erfraäUhm Anbruche
Des 1757. Jahres
wollte
Semen
Hochgeehrtesten und Herzüchgeüebten
Groß-EÜem
Die Gesinnungen Kindlicher Hoch-
achtung und Liebe
durch
Folgende Segens- Wunsche
XU erkennen geben
Deroselben
Treugehorsamster Enkel
Johann Wolfgang Goethe.
ERHABNER Groß-Papa! Em Neues Jahr erscheint,
Dmin muß ich meine Pflicht und Schuldigkeit entrichten,
Die ESirftircht heißt mich hier aus reinem Herzen dichten,
So schlecht es aber ist, so gut ist es gemeint.
Gott, der die Zeit erneut, emenre auch Ihr Glfick,
Und kröne Sie dies Jahr mit stetem Wohlergehen;
Ihr Wohlsein müsse lang so fest wie Zedern stehen,
Ihr Tun b^leite stets ein günstiges Geschick;
Ihr Haus sei wie bisher des Segens Sammelplatz,
Und lasse Sie noch spät Möninens Ruder fuhren,
Gesundheit müsse Sie bis an Ihr Ende zieren,
Dann diese ist gewiß der allergrößte Schatz.
Erhabne Groß-Mama! Des Jahres erster Tag
Erweckt in meiner Brust ein zärtliches Empfinden,
Und heißt mich ebenfialls Sie jetzo anzubinden
Mit Versen, die vielleicht kein Kenner lesen mag;
Indessen hören .S^ die schlechte Zeilen an,
Indem sie wie mein Wunsch aus wahrer Liebe fließen.
Der Segen müsse sich heut über Sie ergießen.
Der Höchste schütze Sie, wie Er bisher getan.
Ejt wolle Ihnen stets, was Sie sich wünschen, geben.
Und lasse Sie noch oft ein Neues Jahr erleben.
Dies sind die Erstlinge, die Sie andient empfangen,
Die Feder wird hinfort mehr Fertigkeit erlangen.
12 LYRISCHE DICHTUNGEN
(An die Großeltern Textor]
Bei
diesem neuen Jahres Wechsel
überreichet
Seinen
Verehrungswürdigen
Groß-Eltern
dieses Opfer
aus kindlicher Hochachtung
Joh. Wolfg. Goethe
den I. Jenner 1^62.
GRO SS-Eltern, da dies Jahr heut seinen Anfang nimmt,
So nehmt auch dieses an, das ich vor Euch bestimmt,
Und ob Apollo schon mir nicht geneigt gewesen,
So würdiget es doch nur einmal durchzulesen.
Ich wünsch aus kindlichem gehorsamen Gemüte
Euch alles Glück und Heil von Gottes Hand und Güte,
Sein guter Engel sei bei Euch in aller Zeit.
Er geb Euch das Geleit in Widerwärtigkeit,
Sowohl als in dem Glück, tmd laß Euch lang noch leben,
Daß Ihr Urenklen noch den Segen könnet geben.
Dies schreibt der älteste von Eurer Töchter Söhnen,
Um sich auch nach und nach zu denken angewöhnen,
Und zeigt ingleichen hier mit diesen Zeilen an.
Was er dies Jahr hindurch im Schreiben hat getan.
Wenn mich bis übers Jahr die Parzen schonen täten.
Wie gerne wollt ich denn mit fremder Zunge reden.
1756/65 FRANKFURT 13
POETISCHE GEDANKEN
ÜBER DIE
HÖLLENFAHRT JESU CHRISTL
AUF VERLANGEN ENTWORFEN
VON
J.W. G.
WELCH ungewöhnliches Getümmel!
Ein Jauchzen tönet durch die Himmel.
Ein großes Heer zieht herrlich fort.
Gefolgt von tausend Millionen,
Steigt Gottes Sohn von seinen Thronen
Und eilt an jenen finstern Ort.
Er eilt, umgeben von Gewittern;
Als Richter kommt Er und als Held.
Er geht, und alle Sterne zittern.
Die Sonne bebt. Es bebt die Welt.
Ich seh Ihn auf dem Siegeswagen,
Von Feuerrädern fortgetragen,
Den, der für uns am Kreuze starb.
Er zeigt den Sieg auch jenen Fernen,
Weit von der Welt, weit von den Sternen,
Den Sieg, den Er für uns erwarb.
Er kommt, die Hölle zu zerstören.
Die schon Sein Tod darniederschlug;
Sie soll von Ihm ihr Urteil hören.
Hört! Jetzt erfüllet sich der Fluch.
Die Hölle sieht den Sieger kommen,
Sie fühlt sich ihre Macht genommen.
Sie bebt und scheut Sein Angesicht.
Sie kennet Seines Donners Schrecken.
Sie sucht umsonst sich zu verstecken.
Sie sucht zu niehn und kann es nicht.
Sie eilt vergebens, sich zu retten
Und sich dem Richter zu entziehn.
Der Zorn des Herrn, gleich ehmen Ketten,
Hält ihren Fuß, sie kann nicht fliehn.
14 LYRISCHE DICHTUNGEN
Hier lieget der zertretne Drache,
Er liegt und fühlt des Höchsten Rache,
Er fühlet sie und knirscht vor Wut.
Er fühlt der ganzen Hölle Qualen,
Er ächzt und heult bei tausend Malen:
Vernichte mich, o heiße Glut!
Da liegt er in dem Flammen -Meere,
Ihn foltern ewig Angst und Pein.
Er flucht, daß ihn die Qual verzehre.
Und hört, die Qual soll ewig sein.
Auch hier sind jene große Scharen,
Die mit ihm gleichen Lasters waren,
Doch lange nicht so bös als er.
Hier liegt die imgezählte Menge,
In schwarzem, schröcklichen Gedränge,
Im Feuer-Orkan um ihn her.
Er sieht, wie sie den Richter scheuen,
Er sieht, wie sie der Sturm zerfrißt.
Er siehts und kann sich doch nicht freuen.
Weil seine Pein noch größer ist.
Des Menschen Sohn steigt im Triumphe
Hinab zum schwarzen Höllen -Sumpfe
Und zeigt dort Seine Herrlichkeit.
Die Hölle kann den Glanz nicht tragen,
Seit ihren ersten Schöpfungs- Tagen
Beherrschte sie die Dunkelheit.
Sie lag entfernt von allem Lichte,
Erfüllt von Qual im Chaos hier.
Den Strahl von Seinem Angesichte
Verwandte Gott auf stets von ihr.
Jetzt siebet sie in ihren Grenzen
Die Herrlichkeit des Sohnes glänzen.
Die fürchterliche Majestät.
Sie sieht mit Donnern Ihn umgeben,
Sie sieht, daß alle Felsen beben.
Wie Gott im Grimme vor ihr steht.
1756/65 FRANKFURT
Sie siehts: Er kommet, sie zu richten,
Sie fiihlt den Schmerzen, der sie plagt;
Sie wünscht umsonst, sich zu vernichten.
Auch dieser Trost bleibt ihr versagt.
Nun denkt sie an ihr altes Glücke,
Voll Pein an jene Zeit zurücke,
Da dieser Glanz ihr Lust gebar;
Da noch ihr Herz im Stand der Tugend,
Ihr froher Geist in frischer Jugend
Und stets voll neuer Wonne war.
Sie denkt mit Wut an ihr Verbrechen,
Wie sie die Menschen kühn betrog.
Sie dachte sich an Gott zu rächen,
Jetzt fühlt sie, was es nach sich zog.
Gott ward ein Mensch. Er kam auf Erden.
Auch Dieser soll mein Opfer werden,
Sprach Satanas imd freute sich.
Er suchte Christum zu verderben,
Der Welten Schöpfer sollte sterben.
Doch weh dir, Satan, ewiglich!
Du glaubtest. Ihn zu überwinden,
Du freutest dich bei Seiner Not.
Doch siegreich kommt Er, dich zu binden.
Wo ist dein Stachel hin, o! Tod?
Sprich, Hölle! Sprich, wo ist dein Siegen?
Sieh nur, wie deine Mächte liegen.
Erkennst du bald des Höchsten Macht?
Sieh, Satan! Sieh dein Reich zerstöret.
Von tausendfacher Qual beschweret,
Liegst du in ewig finstrer Nacht.
Da liegst du wie vom Blitz getroffen.
Kein Schein vom Glück erfreuet dich.
Es ist umsonst. Du darfst nichts hoffen,
Messias starb allein für mich!
Es steigt ein Hexilen diu-ch die Lüfte,
Schnell wanken jene schwarze Grüfte,
15
i6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Als Christus Sich der Hölle zeigt.
Sie knirscht aus Wut; doch ihrem Wüten
Kann unser großer Held gebieten;
Er winkt, die ganze Hölle schweigt.
Der Donner rollt vor Seiner Stimme.
Die hohe Siegesfahne weht.
Selbst Engel zittern vor dem Grimme,
Wann Christus zum Gerichte geht.
Jetzt spricht Er; Donner ist Sein Sprechen,
Er spricht, und alle Felsen brechen.
Sein Atem ist dem Feuer gleich.
So spricht Er: Zittert, ihr Verruchte!
Der, der in Eden euch verfluchte,
Kommt und zerstöret euer Reich.
Seht auf! Ihr wäret Meine Kinder,
Ihr habt euch wider Mich empört.
Ihr fielt und wurdet freche Sünder,
Ihr habt den Lohn, der euch gehört.
Ihr wurdet Meine größten Feinde,
Verführtet Meine liebsten Freunde.
Die Menschen fielen so wie ihr.
Ihr wolltet ewig sie verderben,
Des Todes sollten alle sterben,
Doch, heulet! Ich erwarb sie Mir.
Für sie bin Ich herabgegangen,
Ich litt, Ich bat. Ich starb für sie.
Ihr sollt nicht euren Zweck erlangen.
Wer an Mich glaubt, der stirbet nie.
Hier lieget ihr in ewgen Ketten,
Nichts kann euch aus dem Pfuhl erretten.
Nicht Reue, nicht Verwegenheit.
Da liegt, krümmt euch in Schwefel-Flammen!
Ihr eiltet, euch selbst zu verdammen.
Da liegt und klagt in Ewigkeit!
Auch ihr, so Ich Mir auserkoren.
Auch ihr verscherztet Meine Huld;
1756/65 FRANKFURT 17
Auch ihr seid ewiglich verloren.
Ihr murret? Gebt Mir keine Schuld.
Ihr solltet ewig mit Mir leben,
Euch ward hierzu Mein Wort gegeben,
Dir sündigtet und folgtet nicht.
Ihr lebtet in dem Sünden- Schlafe.
Nun quält euch die gerechte Strafe,
Ihr fühlt Mein schreckliches Gericht. —
So sprach Er, und ein furchtbar Wetter
Geht von Ihm aus. Die Blitze glühn.
Der Donner faßt die Übertreter
Und stürzt sie in den Abgrund hin.
Der Gott- Mensch schHeßt der Höllen Pforten,
Er schwingt Sich aus den dunklen Orten
In Seine Herrlichkeit zurück.
Er sitzet an des Vaters Seiten,
Er will noch immer für uns streiten.
Er wills! O, Freunde! Welches Glück?
Der Engel feierliche Chöre,
Die jauchzen vor dem großen Gott,
Daß es die ganze Schöpfung höre:
Groß ist der Herr Gott Zebaothl
[\'^on Goethe?]
ICH möcht mich, könnt ich nur, zu einem Stutzer machen,
Denn man gefällt sonst nicht. Es ist nun so die Zeit.
Doch fehlet mir noch viel, ein bißch ön Artigkeit,
Ein feiner Witz, ein Scherz imd tausend andre Sachen.
Ich kann das Tändeln nicht, nicht scherzen und nichtlachen.
Da sieh nur meinen Rock, ach! der ist viel zu weit,
Die Weste gar zu lang, mein Hut erschrecklich breit,
Ich kann kein Pharao, nicht damen und nicht schachen.
Das Frauenzimmer, Freund, weiß ich nicht recht zu führen.
Nimmt man den Handschuh denn, wie sonst noch in die
Hand?
Mir fehlt ein kleiner Hut, mir fehlt ein Degenband,
GOETHE XIV a.
i8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Es mangelt mir sogar an Flüchen und an Schwüren.
Wie lern ich alles dies? Ist es dir nicht bekannt?
Ein süßer Herr zu sein, verlier nur den Verstand.
— e.
DER AUTOR
[Von Goethe?]
WENN in den ersten Augenblicken,
Da kaum ein Jüngling schreibt, Kritiken
Den nahen Fall ihm prophezein,
Da mag ich nicht ein Autor sein.
Doch, lobt man ihn nach seinen Jahren,
Und spornt ihn an so fortzufahren,
Mischt man auch gleichwohl Tadel ein,
Dann möcht ich gern ein Autor sein.
Wenn mich ein dummer Mensch erhöhet.
Der nichts von meiner Schrift verstehet.
Und spricht: ich schreibe witzig, fein,
Da mag ich nicht ein Autor sein.
Wenn aber Kluge sich verbinden.
Die Fehler meines Werks zu finden.
Und macht mich auch ihr Tadel klein,
Da möcht ich doch ein Autor sein.
Wenn unsre schlechte teutsche Bühnen
Sich noch des Lipperleins bedienen,
Ist Buffon, Harlekin darein,
Da mag ich nicht ein Autor sein.
Doch wenn in echten Trauerspielen
Wir nachgeahmte Schmerzen fühlen,
Nimmt uns die Sara Samson ein,
Da möcht ich so ein Autor sein.
Wenn S. stolz Epopeen machet,
Daß jeder, statt zu weinen, lachet,
Rühmt ihn gleich G. als schön, als rein,
Da mag ich nicht ein Autor sein.
1756/65 FRANKFURT
Doch wenn ich im Virgil gelesen,
Und sehe, daß er groß gewesen.
Dann denkt mein Geist voll Gram und Pein:
Ach! so kein Autor kannst du sein.
19
Wenn junge Herren, die nichts denken,
Mir ihren ganzen Beifall schenken.
Und immer "Artig, artig" schrein,
Da mag ich doch kein Autor sein.
Doch wenn mich kluge Mädchen preisen
Und meine Schriften rührend heißen,
Da nimmt mich schnell die Schreibsucht ein.
Da möcht ich gleich ein Autor sein.
e.
[In das Stammbuch von Friedrich Maximilian Moors]
DIESES ist das Bild der Welt,
Die man für die beste hält:
Fast wie eine Mördergrube,
Fast wie eines Bmschen Stube,
Fast so wie ein Opernhaus,
Fast wie ein Magisterschmaus,
Fast wie Köpfe von Poeten,
Fast wie schöne Raritäten,
Fast wie abgesetztes Geld
Sieht sie aus, die beste Welt.
(Risum teneatis amicil Horatius.)
Es hat der Autor, wenn er schreibt,
So was Gewisses, das ihn treibt.
Der Trieb zog auch den Alexander
Und alle Helden miteinander.
Drum schreib ich auch allhier mich ein:
Ich möcht nicht gern vergessen sein.
Frankfurt am Main Goethe
den 28. August 1765. d. s. W. Liebhaber.
Di
LYRISCHE DICHTUNGEN
[In das güldne Schatzkästlein der Mutter]
|AS ist mein Leib, nehmt hin und esset.
Das ist mein Blut, nehmt hin und trinkt.
Auf daß ihr meiner nicht vergesset,
Auf daß nicht euer Glaube sinkt.
Bei diesem Wein, bei diesem Brot
Erinnert euch an meinen Tod.
Zum Zeichen der Hochachtung
und Ehrfurcht setzte dieses
seiner gehebtesten Mutter
Frankfurt
den 30. September 1765. J. W. Goethe.
1765-1768 LEIPZIG
[Aus einem Briefe an Riese]
Ich lebe hier wie — wie — ich weiß selbst nicht recht wie. Doch so
ohn gefähr
SO wie ein Vogel, der auf einem Ast
Im schönsten Wald sich, Freiheit atmend, wiegt,
Der ungestört die sanfte Lust genießt,
Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum,
Von Busch auf Busch sich singend hinzuschwingen.
[Aus einem Briefe an Riese]
DIE Versart, die dem Mädchen wohl gefiel.
Der ich allein, Freund! zu gefallen wünschte,
Die Versart, die der große Schlegel selbst
Und meist die Kritiker fürs Trauerspiel
Die schicklichste und die bequemste halten,
Die Versart, die den meisten nicht gefällt,
Den meisten, deren Ohr sechsfüßige
Alexandriner noch gewohnt, Freund! die,
Die ists, die ich erwählt, mein Trauerspiel
Zu enden. Doch was schreib ich viel davon!
Die Ohren gellten dir gar manchesmal
Von meinen Versen wider; drum, mein Freund,
Erzähl ich dir was Angenehmeres.
Ich schaute Gelierten, Gottscheden auch,
Und eile jetzt sie treu dir zu beschreiben.
Gottsched, ein Mann, so groß, als war er vom alten Ge-
schlechte
Jenes, der, zu Gad im Land der Philister geboren.
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja, so sieht er aus, und seines Körperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schuhe.
Wollt ich recht ihn beschreiben, so müßt ich mit einem
Exempel
Seine Gestalt dir vergleichen; doch dieses wäre vergebens.
Wandeltest du, Geliebter, auch gleich durch Länder und
Länder,
Von dem Aufgang herauf bis zu dem Untergang nieder,
2 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
Würdest du dennoch nicht einen, der Gottscheden ähn-
lichte, finden.
Lange hab ich gedacht und endlich Mittel gefunden,
Dir ihn zu beschreiben; doch lache nicht meiner, Geliebter.
Humano capiti cervicem jungens equinam
Derisus a Flacco non sine jure ßiit.
Hinc ego Koelbeliis imponens pedibus magnis,
Itnmane corpus crassasque scapulas Augsti
Et magna magni brachiaque manusque Rolandi,
Addensque tumidum morosi Rostii Caput.
Ridebor forsan? Ne rideatis amici.
Dies ist das wahre Bild von diesem großen Mann,
So gut, als ich es nur durchs Beispiel geben kann.
Nun nimm, geliebter Freund, die jetzt beschri ebnen Stücke,
So zeiget, glaub es mir, sich Gottsched deinem Blicke.
Ich sah den großen Mann auf dem Katheder stehn,
Ich hörte, was er sprach, und muß es dir gestehn.
Es ist sein Fürtrag gut, imd seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich den Riesen
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht.
So wüßte man es gleich, weil er stets prahlend spricht.
Genug, er sagte viel von seinem Kabinette,
Wie vieles Geld ihn das imd Jens gekostet hätte.
Und andre Dinge mehr, genug mein Freund —
*
Apropos. Hast Du nicht gehört? Der Hofrat [Ludwig Moors] be-
klagt sich über den Mangel der Mädchen zu Göttingen.
Zu was will er ein Mädchen?
Um die rhetorischen Figuren auszuüben
Und nach der neusten Art recht Hübnerisch zu lieben,
Zu sehn, ob die Protase ein hartes Herz erweicht,
Zu sehn, ob man durch Regien der Liebe Zweck erreicht.
Zu sehn, ob Mimesis, die Ploke, die Sarkasmen
So voller Reizung sind wie Neukirchs Pleonasmen,
Und ob er in dem Tone, wie er den Ulfo singt,
Mit des Corvinus Versen das Herz der Schönen zwingt.
Und ob — mein Blatt ist voll, ich werde schließen müssen.
Die Mädchen eurer Stadt und Kehren sollt ihr grüßen.
¥
W!
1765/8 LEIPZIG 25
[Ans eineni foiefe an seine Schwester]
ENN man sie in ein Kloster steckte
Und ihr Gesicht mit einem ScUeier deckte.
Dies könnte wohl zu ihrem Vorteil sein.
Den Reiz, der ihr jetzt fehlt, kann neue Tracht ihr geben.
Da kann sie immer einsam leben,
Sie ist ja gern allein.
*
Das Ende krönt jetzt die vergangne Zeiten,
Wer einmal glitt, wird leichte zweimal Reiten.
Kind, die Exeqmen, die waren würklich schön,
Wer wird nicht den Verstand der klugen Domherrn sehn:
Er, der ans Sparsamkeit <^ was er war, vergaß,
Der Wasser trank und harte Eier aß,
Der, dessen Lehre
Wan daß der Fürsten Ehre
AUein im vollen Beutel wäre.
Er, der gesparet statt gekriegt,
Ei, den kein leerer Pracht vergnügt.
Der würde sich im Grabe wenden,
WoUt man nach seinem Tod so ohne Not verschwenden.
*
Ich schreibe jetzt ygh meinem Belsazer.
Fast ist der letzte Aufzug auch so weit,
Als wie die andern sind. Doch wiss du das:
In Versen, wie hier die, verfertigt ich
Die fünfte Handlung. Dieses, Schwester, ist
Das Versmaß, das der Brite braucht, wenn er
Auf dem Kothurn im Trauerspiele geht.
Jetzt steh ich still und denk den Fehlem nach,
Den Fehlem, die so häufig sind, wie hier
Studenten sind. Da denk ich nach, und die
Verbeßr ich. Dir schick ich vielleicht einmal
Etwas davon, wie auch von dem, was idi
Sonst noch in Versen schrieb. Jetzt lebe wohl.
Grüß mir die Mutter, sprich, sie soll verzeihn.
Daß ich sie niemals grüßen ließ, sag ihr
Das, was sie weiß, — daß ich sie ehre. Sags,
2 6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Daß nie mein kindlich Herz, von Liebe voll,
Die Schuldigkeit vergißt. Und ehe soll
Die Liebe nicht erkalten, eh ich selbst
Erkalte.
[Aus einem Briefe an Riese]
ES ist mein einziges Vergnügen,
Wenn ich, entfernt von jedermann,
Am Bache, bei den Büschen liegen,
An meine Lieben denken kann.
So vergnügt ich aber auch da bin, . .ich seufze nach meinen Freunden
undmeinemMädchen, und wenn ich fühle, daß ich vergebens seufze,
Da wird mein Herz von Jammer voll.
Mein Aug wird trüber,
Der Bach rauscht jetzt im Stimn vorüber,
Der mir vorher so sanft erscholl.
Kein Vogel singt in den Gebüschen,
Der grüne Baum verdorrt.
Der Zephir, der, mich zu erfrischen,
Sonst wehte, stürmt und wird zum Nord
Und trägt entrißne Blüten fort.
Voll Zittern flieh ich dann den Ort,
Ich flieh xmd such in öden Mauern
Einsames Trauern.
. . . Hom . . . wundert sich, daß ich so verändert bin.
Er sucht die Ursach zu ergründen.
Denkt lächlend nach und sieht mir ins Gesicht.
Doch wie kann er die Ursach finden,
Ich weiß sie Selbsten nicht.
*
Ganz andre Wünsche steigen jetzt als sonst,
Geliebter Freund, in meiner Brust herauf.
Du weißt, wie sehr ich mich zur Dichtkunst neigte,
Wie großer Haß in meinem Busen schlug.
Mit dem ich die verfolgte, die sich nur
Dem Recht und seinem Heiligtume weihten
Und nicht der Musen sanften Lockungen
1765/8 LEIPZIG 27
Ein ofißaes Ohr und ausgestreckte Hände
Voll Sehnsucht reichten. Ach du weißt, mein Freund,
Wie sehr ich (und gewiß mit Unrecht) glaubte,
Die Muse liebte mich und gab mir oft
Ein Lied. Es klang von meiner Leier zwar
Manch stolzes Lied, das aber nicht die Musen
Und nicht Apollo reihten. Zwar mein Stolz,
Der glaubt' es, daß so tief zu mir herab
Sich Götter niederließen, glaubte, daß
Aus Meisterhänden nichts VoUkommners käme,
Als es aus meiner Hand gekommen war.
Ich fühlte nicht, daß keine Schwingen mir
Gegeben waren, um emporzurudern,
Und auch vielleicht mir von der Götter Hand
Niemals gegeben werden würden. Doch
Glaubt ich, ich hab sie schon und könnte fliegen.
Allein kaum kam ich her, als schnell der Nebel
Von meinen Augen sank, als ich den Ruhm
Der großen Männer sah und erst vernahm,
Wie viel dazu gehörte, Ruhm verdienen.
Da sah ich erst, daß mein erhabner Flug,
Wie er mir schien, nichts war als das Bemühn
Des Wurms im Staube, der den Adler sieht
Zur Sonn sich schwingen und wie der hinauf
Sich sehnt. Er sträubt empor und windet sich,
Und ängstlich spannt er aÜe Nerven an
Und bleibt am Staub. Doch schnell entsteht ein Wind,
Der hebt den Staub in Wirbeln auf, den Wurm
Erhebt er in den Wirbeln auch. Der glaubt
Sich groß, dem Adler gleich, und jauchzet schon
Im Taumel. Doch auf einmal zieht der Wind
Den Odem ein. Es sinkt der Staub hinab,
Mit ihm der Wurm. Jetzt kriecht er wie zuvor.
28 LYRISCHE DICHTUNGEN
ASONG
OVER
THE UNCONFIDENCE
TOWARD MYSELF
TO Dr. SCHLOSSER
THOU knowst how happily thy friend
Walks upon florid ways;
Thou knowst how heavens bounteous band
Leads him to golden days.
But hah! a cruel enemy
Destroies all that bless;
In moments of melancholy
Flies all my happiness.
Then fogs of doubt do fill my mind
With deep obscurity;
I search my seif, and cannot find
A spark of worth in me.
When tender friends, to tender kiss,
Run up with open arms,
I think I merit not that bliss,
That like a kiss me warmeth.
Hah! when my child "I love thee" sayd
And gave the kiss I sought,
Then I — forgive me, tender maid —
She is a false one, thought.
She cannot love a peevish boy,
She with her godlike face.
0 could I, friend, that thought destroy,
It leads the golden days.
And other thought is misfortune,
Is death and night to me:
1 hum no supportable tune,
I can no poet be.
1765/8 LEIPZIG
When to the Altar of the Niae
A triste incense I bring,
I beg let poetry be mine,
0 sistres, let me sing.
But when they then my prayer not heai,
1 break my whispring lyre,
TTien firom my eycs rans down a tear,
Extinguish th' incensed fire.
Then curse I, friend, the fated sky,
And from th' Altar I fly;
And to my friends alond I cry:
Be happier than I.
*9
[Ans einem Briefe an Trapp]
MULLER! je suis fäch^ de ce malicieux.
Ce n'est pltis cet ami si tendre en ses adieox,
Qui m'aimant autrefois, relevoit ma foiblesse,
Se joignit ä ma joie et chassa ma tristesse.
Aujourd'hui tont changd, 11 rit de mes sonpirs,
Et dans un noir chagrin fait cfaanger mes plaisirs.
Jamais il ne m'^crit des nonvelles agrdables,
Sans qu'il y fasse entrer an r^it qui m'accable,
Et qui d'un coup m^chant, adroitement port6,
N'e m'öte le bonhetir que lui-m^me a donnd.
Le cruel! H connoit mon coeur sensible et tendre,
H connoit le repos qu'il y pourroit rdpandre,
II scait bien qu'un ami s'il ne peut nous aider.
Devroit en nous plaignant pourtant nous soulager.
Le fait-il? Oh que non! ma douleur est extreme;
Je suis faible, il est vrai. Est-on fort quand on aime:
Mais il ne cherche rien que de combler mes maus,
Et me dit en riant: Ha, tu as des rivaux.
Je ne le scais que trop, sans qu'il le dise encore.
Tout qui la vit l'admire, qui la connoit l'adore.
Mais faut-il ^veiller l'idee pleine d'eflBroi,
Un rival est plus digne de cet enfant que moir
Soit! Si je ne le suis, je vais chercher de l'^tre.
30 LYRISCHE DICHTUNGEN
Chassons le vil honneur! Que l'amour soit mon maitre!
J'dcouterai lui seul, lui seul doit me guider,
Au sommet du bonheur par lui je vais monter.
Au sommet de la science montd par l'industrie,
Je reviens, eher ami, pour revoir ma patrie,
Et viens voir, en ddpit de tout altier censeur,
Si eile est en ^tat d'achever mon bonheur. —
Mais il faut jusque-lä que votre main m'assiste.
Laissez parier toujours ce docte moraliste.
Ecrivez-moi! Que fait l'enfant autant aim^?
Se souvient-il de moi? ou m'a-t-il oubli^?
Ah, ne me cachez rien, qu'il m'^l^ve ou m'accable.
Un poignard de sa main me seroit agröable.
Ecrivez, c'est alors que de mon coeur ch^ri,
Comme eile est mon amante, vous serez mon ami.
ANNETTE AN IHREN GELIEBTEN
ICH sah, wie Doris bei Damöten stand,
Er nahm sie zärtlich bei der Hand;
Lang sahen sie einander an.
Und sahn sich um, ob nicht die Eltern wachen.
Und da sie niemand sahn.
Geschwind — Genug, sie machtens, wie wirs machen.
VAUDEVILLE A MR. PFEIL
OTEZ-moi la grammaire!
Dit autrefois Monsieur le Set.
Si le Poitevin et son fr^re
Le Peplier veulent me plaire,
II faut qu'ils me laissent en repos.
Les r^gles de ces dröles
Si sottement barbouilldes
Sont bonnes dans les dcoles,
Pour exercer les dpaules
Et la t^te des pauvres dcoliers.
I
1765/8 LEIPZIG
Madame Deesse grammaire
En entendant ces discours,
Me dicta dans sa colere
L'arret, l'arrSt si sdvdre,
Que j'aurai ä pleurer toujours:
Que ta prose de fautes fertile,
Que Sans attraits soient tes vers
Et que ton maigre style
Te rende ridicule
A la belle ä laquelle tu sers.
Grandpr€tre de cette Deesse,
Pfeil! viens me pr^ter ton secours,
Afin que ma msdtresse
En vengeant ta Ddesse
Ne me fasse finir mes jours.
Va t'en porter ä la Dame
Avec des dus encens
Le repentir de mon äme.
Dis-lui que je me bläme
De l'avoir haie ceans.
Et lorsqu'elle me pardonne,
Va demander en mon nom,
Qu'elle soit la fa^on la plus bonne,
De firmer de ma personne
Avec eile la plus forte union.
3»
L^
A MONSIEUR LE MAJOR GfiNfiRAL DE HOFFMANN
Au sojet de la mort de Madame son epoose
A mort, en sortant du Tartare,
Voulant que l'univers sentit
La pesanteur de son courroux barbare,
Se mit
A ddpeupler du fldau de la guerre
La terre,
Et Vit
32 LYRISCHE DICHTUNGEN
Avec plaisir tous les champs inondds
De sang, et dans le sang baignes
Les malheureux,
Frondes par le tonnerre
Dans la poussiere.
Les feux
Du meurtre et du camage
Eteints enfin,
La mort frdmit de rage,
Voyant le genre humain
En süretö
De n'etre pas fauchd
Comme autrefois par millions.
Otons,
Dit-elle, ötons leur
Ce bonheur.
Si autrefois je frappois mille,
Frappons ä l'avenir un seul qui vaudra mille.
Elle le dit,
On Vit
Bientöt familles d^sol^es
Pleurer autour d'un mausolde
D'un p^re vertueux,
D'un fils l'espoir de sa patrie
Et d'autres dont la vie
Ne dut que tard etre finie.
Combien vit-on de malheureux!
Et ce spectre hideux,
Tout content de sa proie,
Va dedans les enfers
Aux ennemis de l'univers
Porter sa joie.
D'un tel coup ton Epouse tomba,
Et ce trepas
Ddsola Sa famille.
Mais Elle n'en eut point d'effroi:
Car en perdant ici le monde et toi
Elle trouve lä-haut et le Ciel et Sa Fille.
1765/8 LEIPZIG 33
[Ans einem Briefe an Bchiisch]
A 'Y'/HAT pleasme, God! of like a flamc to bom,
W A viiteons fire, Üiat ne'er to vice kan tanu
What volapty! when trembliiig in mj anns,
The bosom of vaj maid, saj bosom wanneth!
Perpetua! kisses of her Ups o'eiflow,
Ib holy embrace mig^ty viitae shew.
When l then, rapt. in never feit extase,
My maid! I say, and she, my deaiest! says.
When then, my heart, of love and viitae hot,
Cries: come ye angels! Come! See and cnvy me not.
COKTHS XIV
AN DEN SCHLAF
DER du mit deinem M<^me
Selbst Götteiangen zwingst.
Und Beider <rft zum Throne,
Zum Mädchen Schäfer bringst.
Vernimm: Kein Tranmgespinste
Verlang ich hent von dir,
Den graten deiner Dienste,
Geliebter, leiste mir.
An meines Mädchens Seite
Sitz ich, ihr Ang s{»icht Lost,
Und miter neidsdier Seide
Steigt fahlbar ihre Brost;
Oft hatte meinen Küssen
Sie Amor zogebracht,
Dies Glöck nrafi ich vermissen.
Die strenge Mtitter wadit.
Am Abend tn&t da wieder
Mich dort,.o tritt herein,
Sprah Mohn von dem Gefieder,
Da schlaf die Matter ein:
Bei blassem Lichterscheinen
V<m Lieb Annette wann
Sinlt, wie Mama in deinen,
In meinen giergen Aim.
k
34 LYRISCHE DICHTUNGEN
DIE LIEBHABER
MEIN Mädchen im Schatten der Laube,
Umhangen von purpurner Traube,
Bekränzte mit Rebenlaub sich
Und wartete schmachtend auf mich.
Da wallte der Herrscher der Träume
Durch zitternde Wipfel der Bäume,
Erblickte das liebliche Kind,
Sank nieder, umarmt es geschwind.
Sie schlummert, er küßte die Wangen,
Sie glühten von heißem Verlangen,
Erhitzet, o Gottheit, von dir.
Nach sterblichen Küssen von mir.
Da saugte mit atmenden Zügen
Annette das größte Vergnügen
Der Träume, die Mädchen erfreun,
Vom Munde des Göttlichen ein.
Schnell war sie von Leuten umgeben.
Die schmachteten seufzend nach Leben,
Und harreten zitternd aufs Glück
Von einem beseelenden Blick.
Da lag nun auf Knien die Menge,
Mein Mädchen erblickt das Gedränge,
Und hörte der bittenden Schrein,
Und dünkte sich Venus zu sein.
Erst sah sie den schrecklichen Sieger,
Da lag er gebückt, wie ein Krieger,
Den stärkerer Streitenden Macht
In schimpfliche Fesseln gebracht.
So sprach er: "Die mächtigen Waffen,
Den Ruhm zu erobern geschaflfen,
Erheben, erwählest du mich.
Auf deine Befehle nur sich.
Da furcht ich nicht Wäll nicht Kanonen,
Nicht Tonnen, die Minen bewohnen.
Nicht Feinde, die scharenweis ziehn,
1765/8 LEIPZIG
Du sprichst niir: Entflieht! — sie entfliehn.
Doch mußt du für Eisen nicht beben,
Mein Arm, den jetzt Waffen umgeben,
Schließt sich in entwaSheter Ruh
Auch sanften Umarmungen zu."
Der Kaufmann mit Putzwerk und Stoflfen,
Was eitele Mädchen nur hoffen.
Trat näher und beugte sein Knie,
Verbreitet es hoffend vor sie; —
"Erhöre mich, werde die Meine",
So sprach er, "dies alles ist deine.
Dich kleid ich in herrlicher Pracht
Dann, wenn du mich glücklich gemacht."
Der Stutzer im scheckigen Kleide
Von Samt imd von Gold imd von Seide
Kam summend, wie Käfer im Mai,
Mit künstlichen Sprüngen herbei —
"Du glänzest bei Ball und Konzerten,
Du herrschest beim Spiel imd in Gärten,
Mein Dressenrock schimmert auf dich,
Geliebteste, wähle du mich."
Noch andere kamen. Geschwinde
Wies da mich dem göttlichen Kinde
Der Traumgott, Sie schaute mich kaum:
"Den lieb ich" — so rief sie im Traum,
"Komm, eile! o komm mich zu küssen" —
Ich eilte sie fest zu umschließen;
Denn ich war ihr wachend schon nah,
Und küssend erwachte sie da.
Kein Pinsel malt unser Entzücken,
Da sank sie mit sterbenden Blicken,
O welche unsterbliche Lust!
An meine hochfliegende Brust.
So lag einst Vertumn und Pomone.
Als er auf dem grünenden Throne
Das sprödeste Mädchen bekehrt.
Zuerst sie die Liebe gelehrt.
35
36 LYRISCHE DICHTUNGEN
ZIBLIS,
EINE ERZÄHLUNG
MÄDCHEN, setzt euch zu mir niedet,
Niemand stört hier unsre Ruh,
Seht, es kommt der Frühling wieder,
Weckt die Blumen und die Lieder,
Ihn zu ehren, hört mir zu.
Weise, strenge Mütter lehren:
Mädchen, flieht der Männer List.
Und doch laßt ihr euch betören!
Hört, ihr sollt ein Beispiel hören,
Wer am meisten furchtbar ist.
Ziblis jung und schön, zur Liebe,
Zu der Zärtlichkeit gemacht.
Floh aus rauhem wilden Triebe.
Nicht aus Tugend alle Liebe,
Ihre Freude war die Jagd.
Als sie einst tief im Gesträuche
Sorglos froh ein Liedchen sang,
Ward sie blaß wie eine Leiche, •
Da aus einer alten Eiche
Ein gehörnter Waldgott sprang.
Zärtlich lacht das Ungeheuer,
Ziblis wendet ihr Gesicht,
Läuft, doch der gehörnte Freier
Springt ihr wie ein hüpfend Feuer
Nach, und ruft: O flieh mich nicht.
Schrein kann niemals überwinden.
Sie lief schneller, er ihr nach.
Endlich kam sie zu den Gründen,
Da, wo unter jungen Linden
Emiren am Wasser lag.
Hilf mir! rief sie. Er voll Freude,
Daß er so die Nymphe sah.
1765/8 LEIPZIG 37
Stand bewafiöiet zu dem Streite
Mit dem Ast der nächsten Weide,
Als der Waldgott kam, schon da.
Der trat näher, ihn zu höhnen,
Und ging schnell den Zweikampf ein.
Sie erbebt für Emirenen.
Immer wird das Herz der Schönen
Auf des Schönen Seite sein.
Seinen Feind im Sand zu höhnen,
Regt sich Fuß, und Arm, und Hand,
Bald mit Stoßen, bald mit Dehnen.
Liebe stärkt die Kraft der Sehnen,
Beide waren gleich entbrannt.
Endlich sinkt der Faun zur Erden,
Denn ihn traf ein harter Streich.
Gräßlich zerrt er die Gebärden;
Emiren, ihn los zu werden.
Wirft ihn in den nächsten Teich.
Ziblis lag mit matten Blicken,
Da der Sieger kam, im Gras.
Wirds ihm ihr zu helfen glücken?
Leicht sind Mädchen zu erquicken,
Oft ist ihre Krankheit Spaß.
Sie erhebt sich. Neues Leben
Gibt ein heißer Kuß ihr gleich.
Doch, der einen schon gegeben,
Sollte nicht nach mehrern streben?
Das sieht einem Märchen gleich.
Wartet niu-. Es folgten Küsse
Himdertweis; sie schmeckten ihr.
Ja die Mäulchen schmecken süße.
Und bei Ziblis waren diese
Gar die ersten. Glaubt es mir.
38 LYRISCHE DICHTUNGEN
Darum sog mit langen Zügen
Sie begierig immer mehr.
Endlich trunken von Vergnügen,
Ward dem Emiren das Siegen,
Wie ihr denken könnt, nicht schwer,
Mädchen, fürchtet rauher Leute
Buhlerische Wollust nie.
Die im ehrfurchtsvollen Kleide
Viel von imschuldsvoller Freude
Reden, Mädchen, fürchtet die.
Wacht, denn da ist nichts zu scherzen.
Seid viel lieber klug als kalt.
Zittert stets für eure Herzen.
Hat man einmal diese Herzen,
Ha! Das andre hat man bald.
LYDE
EINE ERZÄHLUNG
EUER Beifall macht mich freier,
Mädchen, hört ein neues Lied.
Doch verzeiht, wenn meine Leier
Nicht. von jenem heiigen Feuer
Der geweihten Dichter glüht.
Hört von mir, was wenig wissen,
Horts, und denket nach dabei:
Daß, wenn zwei sich zärtlich küssen,
Gern sich sehn, imd ungern missen,
Es nicht stets aus Liebe sei.
Lyde brannt von einem Blicke
Für Aminen, er für sie;
Doch ein widriges Geschicke
Hinderte noch beider Glücke,
Ihre Eltern schliefen nie.
1765/8 LEIPZIG
Wachsamkeit wird euch nichts taugen,
Wenn die Töchter unser sind;
Eltern, habet hundert Augen,
Mädchen, wenn sie List gebrauchen,
Machen hundert Augen blind.
Listig hofft sie, eine Stunde
Ihre Wächter los zu sein.
Endlich kommt die Schäferstunde^
Und von ihrem heißen Munde
Saugt Amin die Wollust ein.
So genoß entfernt vom Neide
Er noch manchen süßen Kuß.
Doch er ward so vieler Beute
Überdrüssig. Jede Freude
Endigt sich mit dem Genuß.
Ist wohl bei des Blutes Wallen,
Denkt er, immer Liebe da?
Liebt sie mich denn wohl vor allen?
Oder hab ich ihr gefallen,
Weil sie mich am ersten sah?
Einst spricht er, dies auszuspüren:
Ach, wie quält mein Vater mich!
Fem soll ich die Herde fuhren —
Himmel! Dich soll ich verlieren!
Ha! Das Leben ehr als dich.
Liebste, nein, ich konune wieder,
Doch, der beste Freund von mir
(Hier sah sie zur Erde nieder)
Singet angenehme Lieder,
Diesen Freund, den laß ich dir.
Lyde denkt an keine Tücke,
Weint, und geht es weinend ein.
Ungern flieht Amin sein Glücke,
Listig bleibt der Freund zurücke.
Oft ist er mit ihr allein.
39
40 LYRISCHE DICHTUNGEN
Viel singt er von Glut und Liebe,
Sie wird feurig, er wird kühn.
Sie empfindet neue Triebe,
Und Gelegenheit macht Diebe.
Endlich— Gute Nacht, Amin.
Kinder, seht, da müßt ihr wachen.
Euch vom Irrtum zu befrein.
Glaubet nie den Schein der Sachen,
Sucht euch ja gewiß zu machen,
Eh ihr glaubt geliebt zu sein.
PYGMALION
EINE ROMANZE
ES war einmal ein Hagenstolz,
Der hieß Pygmalion;
Er machte manches Bild von Holz,
Von Marmor und von Ton.
Und dieses war sein Zeitvertreib
Und alle seine Lust.
Kein junges, schönes, sanftes Weib
Erwärmte seine Brust.
Denn er war klug und furchte sehr
Der Hörner schwer Gewicht;
Denn schon seit vielen Jahren her
Traut man den Weibern nicht.
Doch es sei einer noch so wild,
Gern wird er Mädchen sehn.
Drum macht' er sich gar manches Bild
Von Mädchen jung und schön.
Einst hatt er sich ein Bild gemacht,
Es staunte, wer es sah;
Es stand in aller Schönheit Pracht
Ein junges Mädchen da.
1765/8 LEIPZIG 41
Sie schien belebt, und weich, und warm,
War nur von kaltem Stein;
Die hohe Brust, der weiße Arm
Lud zur Umarmung ein.
Das Auge war emporgewandt,
Halb auf zum Kuß der Mund.
Er sah das Werk von seiner Hand,
Und Amor schoß ihn wund.
Er war von Liebe ganz erfüllt,
Und was die Liebe tut!
Er geht, umarmt das kalte Bild,
Umarmet es mit Glut.
Da trat ein guter Freund herein.
Und sah dem Narren zu,
Sprach: Du umarmest harten Stein,
O welch ein Tor bist du!
Ich kauft ein schönes Mädchen mir
Willst du, ich geb dir sie?
Und sie gefällt gewißlich dir
Weit besser, als wie die.
Sag, ob du es zufrieden bist —
Er sah es nvm wohl ein.
Ein Mädchen, das lebendig ist.
Sei besser als von Stein.
Er spricht zu seinem Freunde: Ja.
Der geht tmd holt sie her.
Er glühte schon, eh er sie sah.
Jetzt glüht er zweimal mehr.
Er atmet tief, sein Herze schlug
Er eilt, und ohne Trau
Nimmt er — man ist nicht immer klug-
Nimmt er sie sich zur Frau.
4a LYRISCHE DICHTUNGEN
Flieht, Freunde, ja die Liebe nicht,
Denn niemand flieht ihr Reich:
Und wenn euch Amor einmal kriegt,
Dann ist es aus mit euch.
Wer wild ist, alle Mädchen flieht.
Sich unempfindlich glaubt.
Dem ist, wenn er ein Mädchen sieht.
Das Herze gleich geraubt.
Drum seht oft Mädchen, küsset sie,
Und liebt sie auch wohl gar.
Gewöhnt euch dran, und werdet nie
Ein Tor, wie jener war.
Nun, lieben Freunde, merkt euch dies,
Und folget mir genau;
Sonst straft euch Amor ganz gewiß,
Und gibt euch eine Frau.
V
KUNST, DIE SPRÖDEN ZU FANGEN
Erste Erzählung
ERZWEIFELT nicht, ihr Jünglinge, wenn eure Mäd-
chen spröde sind. Niemals hat noch die Kälte der
mütterlichen Lehren ein weibliches Herze so zu Eise ge-
härtet, daß es der alles erwärmende Hauch der Liebe nicht
hätte zerschmelzen sollen.
Hört, was mir mein Freund erzählte, dem ich sonst viel
glaube.
Ich liebte ein Mädchen recht feurig, recht zärtlich; aber
sie floh die Jünglinge und die Liebe, weil ihr die Mutter
die Jünglinge und die Liebe sehr fürchterlich gemalt hatte.
Das schreckte mich nicht ab, es machte mich nur behutsam.
Ich sehs, du kennst sie nicht, die Liebe,
dacht ich,
Denn wer sie kennt, der flieht sie nicht.
Wie leicht wirds sein, dich zu entzünden,
1765/8 LEIPZIG 43
Da du so unerfahren bist?
Die Liebe sollst du bald empfinden,
Und sollst nicht wissen, daß sies ist.
Wenn ich sie im Haine antraf, redete ich sie ganz trocken
an. Meine Kälte betrog sie, daß sie nicht floh und mit
sich reden ließ. Ich sagte ihr viel von erhabnen Empfin-
dungen, die ich Freundschaft nannte; leicht gewann ich
da ihre Vertraulichkeit.
Dem Mädchen ward nebst andern Gaben
Viel feuriges Gefühl geschenkt.
Da meints, es denke gleich erhaben.
Da es doch nichts als feurig denkt.
Ich ward ihr Freund, sie meine Freundin. Mein Umgang
fing an ihr täglich weniger gleichgültig zu werden. Sie
freuete sich, wenn ich kam, und betrübte sich, wenn ich
ging-
Was bei des Jünglings Blicken
Ein jedes Mädchen fühlt,
War das, was mit Entzücken
Sie nur für Freundschaft hielt.
Ich war oft mit ihr alleine gewesen, doch hatte ich es
nicht wagen dürfen, die Lehren der Mutter mit Gewalt
anzugreifen. Nach imd nach suchte ich sie mit List zu
untergraben. Seit einiger Zeit war ich ihr Lehrer gewor-
den, hatte sie viel Gutes gelehrt; imd dem Liebhaber glaubt
ein Mädchen immer mehr, als der Mutter. Da fing sie an
zu zweifeln, ob auch die Mutter immer möchte wahr ge-
redet haben. Das merkte ich, imd wußte ihre Zweifel zu
nähren.
Einst saß sie meinen Lehren
Aufmerksam zuzuhören;
Da sprach ich: Du mußt wissen,
Daß auch die Freunde küssen,
Die Freunde so wie ich und du—
Ich wagt es — und sie ließ es zu.
Da ich den ersten so leicht erhalten hatte, konnte ich noch
eher auf den zweeten hofifen.
44 LYRISCHE DICHTUNGEN
Nie schmeckt ein Mädchen einen Kuß,
Die sich nicht nach dem zweeten sehnte.
Oft wiederholt ich meinen Kuß,
Daß sie sich bald daran gewöhnte.
Wenn ich sie sah und sie nicht küßte,
Sprach gleich ihr Blick, daß sie etwas vermißte.
Der glückliche Fortgang meiner Eroberungen machte mich
stolz, und wer stolz ist, ist kühn.
So schwer ists nicht, wie ich geglaubt,
Dem Mädchen eine Gunst zu rauben;
Hat sie uns nur erst eins erlaubt.
Das andre wird sie schon erlauben.
Sobald ich sie wiedersah, redete ich feuriger, küßte ich
sie feuriger als sonst. Ich sah, daß sie bewegt ward.
Da wagt's mein Arm, sie zu umschließen.
Sie ließ es zu.
Da wagt's mein Mund, die weiße Brust zu küssen.
• Sie ließ es zu.
Doch eilends sprang sie auf. Dich werd ich fliehen
müssen,
Gefährlicher! rief sie, und ließ nichts weiter zu,
Und floh. So weit gelang mir mein Bemühen.
Ich folg ihr langsam, da sie flieht;
Denn eher wird sie bei dem Fliehen,
Als ich bei dem Verfolgen müd.
Zwote Erzählung
ES ist kein Mädchen so listig, so vorsichtig, das nicht von
einem listigen Jünglinge könnte gefangen werden. Hört,
wie es Charlotten erging. Charlotte, ein weises Mädchen,
die wohl wußte, warum die Jünglinge zu fürchten waren,
liebte mich recht zärtlich, aber mehr noch sich selbst.
Drum war sie immer zurückhaltend, immer streng gegen
mich, wie es meine Annette jetzt ist, wenn sie ihre Mutter
beobachtet. Wäre sie ganz klug gewesen, so hätte sie
mich ganz gemieden; doch sie war zu dieser Tat zu sehr
Mädchen.
1765/8 LEIPZIG 45
Oft fuhrt ich sie zum Haine,
Und war mit ihr alleine,
O wie war ich erfreut!
Ist je ein Paar alleine,
Ist Amor niemals weit.
Einst saßen wir unter dem Schatten einer überhangenden
Myrte, ein Becher mit Weine und ein Körbchen mit
Obst stand vor uns; wir redeten von Freundschaft. Schnell
flog Amor aus einer jungen Rose heraus, die, halb auf-
geblüht, wie ein Mädchen von fünfzehn Jahren, sich die
Myrte hinau^eschlungen hatte. Ich sah ihn, das Mäd-
chen nicht. Wie freuete ich mich, da ich seinen Bogen
gespannt und seinen Köcher gefüllt sah. Nun wird er mir
helfen und einen Pfeil auf ihre Brust schicken; er wird
nicht abspringen, der spitzige Pfeil!
Du brauchst nicht scharf zu zielen,
Die Brust ist ohnbewehrt.
Ich hab ihr, wie im Spielen,
Gar manches schon gelehrt,
Was, ohne sich zu fühlen,
Kein junges Mädchen hört.
Aber er bleibt doch immer ein Kind, Amor. Kaum sah
er die Trauben, als er schnell hinflog, eine Beerenach
der andern mit einem Pfeile aufstach und aussog, wie die
Bienen ihren Stachel in die Blumen stechen und Honig
saugen. Da er sich satt gesogen hatte, ward er mutwillig,
flog auf den Becher und schaukelte auf dem Rande. Aber
einmal versah ers, der gute Amor, und fiel mit einem lau-
ten Schrei in den Wein. Possierlich schwamm er auf dem
goldnen Meere, plätscherte mit den Flügeln, ruderte mit
Händen imd Füßen, und schrie inuner. Da jammerte er
mich, daß ich ihn heraushub. Was machst du, ftagte das
Mädchen — Eine Biene war in den Wein gefallen, sagt ich.
Freudig dankte mir Amor, und hüpfte in den Sonnenschein,
da schüttelte er seine Flügel und trocknete sich. Ich sah
ihm zu, und bemerkte, daß sein Köcher von Pfeilen leer
war. Wo sind sie? dacht ich — Indem fielen meine Blicke
46 LYRISCHE DICHTUNGEN
auf den Becher; da zogen sich Bläschen vom Boden her-
auf, wie sie der Wein aus dem Zucker zieht. Amor hatte
die Pfeile im Schwimmen verloren, und nun sog der Wein
das Gift aus den Spitzen. Ich habe deiner Hülfe nicht mehr
nötig, Amor! — ^jauchzete ich, und reichte ihr den Becher,
und sah starr auf sie. Sie trank, und sah mich an, und
trank mit starken Zügen. Wie süße! seufzete sie tief, da
sie den Becher niedersetzte. Ich beobachtete sie genau; eine
sanfte Mattigkeit schlich durch alle ihre Glieder.
Und kraftlos sank ihr Haupt zurücke.
Erst irrten unbestimmt die Blicke
Umher, und fielen dann auf mich,
Und eilten weg, und kamen wieder.
Sie lächelte und schlug die Augen nieder^
Ihr fühlbar Herz empörte sich,
Und schickte brennendes Verlangen
In ihren Busen, auf die Wangen,
Die Wangen glühten, und der Busen stieg.
Da rief ich: Sieg! Sieg, Amor, Sieg!
Und der kleine getrocknete Prahler, als wenn er noch so
viel bei der Sache getan hätte,
Rief, als er in die Lüfte stieg:
Sieg! Sieg!
TRIUMPH DER TUGEND
Erste Erzählung
VON stiller Wollust eingeladen
Drang in den Tempel der Dryaden
Mit seinem Mädchen Daphnis ein,
Um zärtlich ohnbemerkt zu sein.
Des Taxus Nacht umgab den Fuß der Eichen,
Nur Vögel hüpften auf den Zweigen,
Rings um sie her lag feierliches Schweigen,
Als wären sie auf dieser Welt allein.
Sie saßen tändelnd in dem Kühlen.
Allein, dem Herzen nah, das uns so zärtlich liebt —
1765/8 LEIPZIG 47
Wem Amor solch ein Glücke gibt,
Wird der nicht mehr als sonsten fühlen?
Und unser Paar fing bald an mehr zu fühlen.
Des Mädchens zärtlich Herz lag ganz in ihrem Blicke,
Halblächelnd nennt sie ihn ihr bestes größtes Glücke.
Sein Herz, von heißem Blut erfüllt,
Drückt sich an ihrs, läßt nach, drückt wieder;
Und wenn das Blut einmal von Liebe schwillt,
Reißt es gar leicht der Ehrfurcht Grenzen nieder.
Könnt Daphnis wohl dem Reiz des Busens widerstehn?
Bei jedem Kuß durchglüht ihn neues Feuer,
Bei jedem Kusse ward er fi-eier.
Und sie — und sie — ließ es geschehn.
Der Schäfer fühlt ein taumelndes Elntzücken,
Und da sie schweigt, da jetzt in ihren Blicken
Anstatt der Munterkeit ein sanfter Kummer liegt,
Glaubt er sie auf dem Grad von feurigem Entzücken,
Wo man die Mädchen leicht besiegt.
Sie war an seine Brust gesunken,
Und er, zuletzt von WoUust trunken,
Erbat sich, Amor, Sieg von dir.
Doch schnell entriß sie sich den Armen,
Die sie umfaßten: Aus Erbarmen,
Rief sie, komm, eile weg von hier.
Bestürzt und zitternd folgt er ihr.
Da sprach sie zärtlich: Laß nicht mehr
Dich die Gelegenheit verfuhren;
O Freund, ich liebe dich zu sehr,
Um dich unwürdig zu verlieren.
Zwott Erzählung
ICH fand mein Mädchen einst allein
Am Abend so, wie ich sie selten finde.
Entkleidet sah ich sie; dem guten Kinde
Fiel es nicht ein,
48 LYRISCHE DICHTUNGEN
Daß ich so nahe bei ihr sein,
Neugierig sie betrachten könnte.
Was sie mir nie zu sehn vergönnte,
Des Busens volle Blüten wies
Sie dem verschwiegnen kalten Spiegel, ließ
Das Haar geteilt von ihrem Scheitel fallen,
Wie Rosenzweig' um Klnospen, um den Busen wallen.
Ganz außer mir vom niegefundnen Glück
Sprang ich hervor. Jedoch wie schmollte
Sie, da ich sie umarmen wollte.
Zorn sprach ihr furchtsam wilder Blick,
Die eine Hand stieß mich zurück,
Die andre deckte das, was ich nicht sehen sollte.
Geh, rief sie, soll ich deine Kühnheit dir
Verzeihen; eile weg von hier.
Ich, fliehn? Von heißer Glut durchdrungen—
Ohnmöglich — Diese schöne Zeit
Von sich zu stoßen! Die Gelegenheit
Kömmt nicht so leicht zurück. Voll Zärtlichkeit
Den Arm vmi ihren Hals gezwungen, stand
Ich neben ihrem Sessel, meine warme Hand
Auf ihrem heißen Busen, den zuvor
Sie nie berühret. Hoch empor
Stieg er und trug die Hand mit sich empor.
Dann sank mit einem tiefen Atemzug er wieder,
Und zog die Hand mit sich hernieder.
So stand Dianens Jäger mutig da,
Triumph gen Himmel hauchend, als er sah,
Was ungestraft kein Sterblicher noch sah.
Mein Mädchen schwieg, tmd sah mich an; ein Zeichen,
Die Grausamkeit fing' an sich zu erweichen.
Geschmolzen durch die Fühlbarkeit.
O Mädchen, soll mit listgen Streichen
Kein Jüngling seinen Zweck erreichen.
So müßt ihr niemals ruhig schweigen.
Wenn ihr mit ihm alleine seid.
1765/8 LEIPZIG 49
Mein Arm umschlang mit angestrengten Sehnen
Die weiche Hüfte. Fast — fast — doch des Sieges Lauf
Hielt schnell ein glühnder Strom von Tränen
Unwiderstehlich auf.
Sie stürzt mir um den Hals, rief schluchzend: Rette
Mich Unglückselige, die niemand retten kann
Als du, Geliebter. Gott! ach hätte
Dir nie dies Herz gebrannt! Ich sah dich, da begann
Mein Elend; bald, bald ists vollendet.
O Mutter, welchen Lohn
Gab ich den treuen Lehren, die du mir verschwendet,
Dies Herz zu bilden! Miißte sich dein Drohn
So fürchterlich erfüllen:
Würd ich eine Tat
Vor dir verhüllen,
Deinen Rat
Verachten, selbst mich weise dünken,
Würd ich versinken.
Ich sinke schon; o rette mich! —
Sei stark^mein Freund, o rette dich!
Wir beide sind verloren — Freund, Erbarmenl
Noch hielt ich sie in meinen Armen.
Sie sah voll Angst rings um sich her.
Wie Wellen auf dem Meer,
Dess Grund erbebte, schlug die Brust, dem Mimde
Entrauscht' ein Sturm. Sie seufzte: Unschuld— ach wie klang
Dies Wort so lieblich, wenn in mittemächtger Stunde
An meinem Haupt es mir mein Engel sang.
Jetzt rauschts wie ein Gewitterton vorüber,
Sie riefs. Es ward ihr Auge trüber,
Sah stemenan. Sie betet: Sieh
Aus deiner Unschuldswohnung, Herr, auf mich herüber.
Erbarme dich! Entzieh
Der reißenden Gefahr mich. Du
Vermagsts allein; der ist zu schwach dazu.
Der Mensch, zu dem ich vor dir betete.
GOETHE XIV 4.
50 LYRISCHE DICHTUNGEN
Naht euch, Verführer, deren Wange nie
Von heiigem Graun errötete.
Wenn eure Hand gefühllos, wie
Die Schnitter Blumen, Unschuld tötete,
Und euer Siegerfuß, darüber tretend, sie
Durch Hohn zum zweiten Male tötete,
Naht euch. Betrachtet hie
Der Vielgeliebten Tränen rollen;
Hört ihre Seufzer, hört die feuervollen
Gebete. Wehe dem, der dann
Noch einen Wunsch zu ihrem Elend wollen.
Noch einen Schritt zum Raube wagen kann!
Es sank mein Arm, aus ihm zur Erd sie nieder.
Ich betet, weint, und riß mich los und floh.
Den nächsten Tag fand ich sie wieder
Bei ihrer Mutter, als sie froh
Der freudbetränten Mutter Unschuldslieder
Mit Engelstimmen sang.
O Gott, wie drang ein Wonnestrahl durchs Herz mir! Nieder
Zur Erde blickend stand
Ich da. Sie faßt' mich bei der Hand,
Führt' mich vertraulich auf die Seite,
Und sprach: Dank es dem harten Streite,
Daß du zur Sonn unschuldig blickst.
Beim Anblick jener Heilgen nicht erschrickst,
Mich nicht verachtend von dir schickst,
Freimd, dieses ist der Tugend Lohn;
O, wärst du gestern tränend nicht entflohn,
Du sähst mich heute
Und ewig nie mit Freude.
AN EINEN JUNGEN PRAHLER
DIR hat, wie du mir selbst erzählt,
Es nie an Phillis Gunst gefehlt.
Du sprichst, dir hab sie viel erlaubt.
Und du ihr noch weit mehr geraubt.
Doch jetzt kommt sie, es wird sehr viel davon gesprochen,
1765/8 LEIPZIG 51
In wenig Tagen in die Wochen.
Was könnte nun vom Argwohn dich befrein,
Der Vater dieses Kinds zu sein?
Wärst du nicht gar zu klein!
MADRIGAL
MEIN Mädchen sagte mir: Wie schön
Ist nicht Olind! ich hab ihn heut gesehn,
Lang sah ich ihn bewundernd an;
Wer hätt ihn nicht bewundern sollen?
Geliebter, du wirst doch nicht schmollen,
Daß ichs getan?
Ich sprach: Mein Herz fühlt nichts vom Neide,
Was auch dein Mund für Lob der Schönheit gibt;
Denn liebtest du die schönen Leute,
Sprich, hättest du mich je geliebt?
ELEGIE
AUF DEN TOD DES BRUDERS MEINES FREUNDES
IM düstem Wald, auf der gespaltnen Eiche,
Die einst der Donner hingestreckt.
Sing ich um deines Bruders Leiche,
Die fem von uns ein fremdes Grab bedeckt.
Nah schon dem Herbste seiner Jahre,
Hofft' er getrost der Taten Lohn;
Doch vmaufhaltsam trug die Bahre
Ihn schnell davon.
Du weinest nicht? — Dir nahm ein langes Scheiden
Die Hoffnung, ihn hier noch einmal zu sehn.
Gott ließ vor dir ihn zu dem Himmel gehn;
Du sahsts, und konntest nichts als ihn beneiden.
Doch horch— welch eine Stimm voll Schmerz
Tönt in mein Ohr von seinem Grabe?
Ich eil, ich seh, sie ists! Ihr Herz
Liegt mit in seinem Grabe.
Verlassen, ohne Trost liegt hie,
Mit ängstlicher Gebärde
52 LYRISCHE DICHTUNGEN
Zu Gott gekehrt, als hoffte sie,
Das schönste Mädchen an der Erde.
Nie hat ein Herz so viel gelitten,
Herr, sieh herab auf ihre Not,
Und schenke gnädig ihren Bitten
Sein Leben, oder ihren Tod.
O Gott, bestrafest du die Liebe,
Du Wesen voller Lieb und Huld?
Denn nichts als eine heiige Liebe
War dieser Unglückseigen Schuld.
Sie hofft im hochzeitlichen Kleide
Bald mit ihm zum Altar zu ziehn;
Da riß sein Fürst von ihrer Seite
Tyrannisch ihn.
O Fürst, du kannst die Menschen zwingen,
Für dich allein ihr Leben zuzubringen,
Das wird man deinem Stolz verzeihn;
Doch willst du ihre Seelen binden,
Durch dich zu denken, zu empfinden,
Das muß zu Gott um Rache schrein.
Wie ward sein großes Herz durchstochen,
Als er, der nie sein Wort gebrochen,
Sein Wort zum ersten Male brach.
Zum erstenmal es der Geliebten brach,
Der, eh es noch sein Mund versprach,
Sein Herz ein ewig Band versprochen.
Als Bürger der bedrängten Erde,
Sprach er, kann ich nie deine sein;
Doch von der Furcht, daß ich dir untreu werde,
Soll dich mein Tod befrein.
Leb wohl, es wein bei meinem Grabe
Jed zärtlich Herz gerührt von meiner Treu,
Dann eil die stolze Tyrannei,
Der ich schon längst vergeben habe,
Daß sie des Grabes Ursach sei.
Unwillig fühlend, schnell vorbei.
I
1765/8 LEIPZIG 53
ODE AN HERRN PROFESSOR ZACHARIAE
SCHON wälzen schnelle Räder rasselnd sich und tragen
Dich von dem unbedaurten Ort,
Und angekettet fest an deinem Wagen
Die Freude mit dir fort.
Du bist uns kaum entwichen, und schwermütig ziehen
Aus dumpfen Höhlen (denn dahin
Flohn sie bei deiner Ankunft, wie für'm Glühen
Der Sonne Nebel fliehn)
Verdruß und Langeweile. Wie die Stymphaliden
Umschwärmen sie den Tisch, imd sprühn
Von ihren Fittichen Gift unserm Frieden
Auf alle Speisen hin.
Wo ist sie zu verscheuchen unser gütger Retter,
Der Venus vielgeliebter Sohn,
Apollos Liebling, Liebling aller Götter?
Bebt! Er ist uns entflohn.
O gab er mir die Stärke, seine mächtge Leier
Zu schlagen, die Apoll ihm gab;
Ich rührte sie, dann flöhn die Ungeheuer
Erschröckt zur HöU hinab.
O leih mir, Sohn der Maja, deiner Ferse Schwingen,
Die du sonst Sterblichen geliehn;
Sie reißen mich aus diesem Elend, bringen
Mich nach der Ocker hin.
Dann folg ich ohnerwartet einstens ihm am Flusse;
Jedoch so wenig staunet er.
Als ging' ihm, angeheftet seinem Fuße,
Sein Schatten hinterher.
Von ihm dann unzertrennlich wärmt den jungen Busen
Der Glanz, der glorreich ihn imigibt.
Er liebet mich, dann lieben mich die Musen,
Weil mich ihr Liebling liebt.
54 LYRISCHE DICHTUNGEN
[An Caroline $chulze]
[Von Goethe?]
Odu, die in dem Heiligtum .pj
Der Grazien verdient zu glänzen, ^
Auch ohngebeten krönt der Ruhm
Dich mit den besten Kränzen;
Doch soll des Lobes Melodie
Dir immer gleich erschallen,
So gib dir nicht vergebne Müh,
Durch Tanzen zu gefallen.
[Aus einem Briefe an seine Schwester]
VON kalten Weisen rings umgeben
Sing ich, was heiße Liebe sei;
Ich sing vom süßen Saft der Reben,
Und Wasser trink ich oft dabei.
*
EN fait d'amour un favori des Muses
Est un astre, vers qui le sentiment humain
Dresseroit d'ici bas son tdlescope en vain.
Sa Sphäre est au-dessus de toute intelligence,
L'illusion nous frappe autant que l'existence, .
Et par le sentiment suffisamment heureux.
De l'amour seulement nous sommes amoureux.
Ainsi le fantastique a droit sur notre hommage,
Et nos feux pour objet ne veulent qu'une image.
Oui, nous l'aimons avec autant de voluptd,
Que le vulgaire en trouve ä la rdalitd,
La rdalitd m^me est moins satisfaisante.
Sous une m^me forme eile se reprdsente.
Mais une Iris en l'air en prend mille en un jour,
Et la mienne est bergere et Nymphe tour ä tour.
Brune ou blonde, coqu?tte ou prüde, fiUe ou veuve,
Et, comme tu crois bien, fid^le ä toute dpreuve.
1765/8 LEIPZIG 55
An meine Mutter
Obgleich kein Gruß, obgleich kein Brief von mir
So lang dir kömmt, laß keinen Zweifel doch
Ins Herz, als war die Zärtlichkeit des Sohns,
Die ich dir schuldig bin, aus meiner Brust
Entwichen. Nein, so wenig als der Fels,
Der tief im Fluß vor ewgem Anker liegt,
Aus seiner Stätte weicht, obwohl die Flut
Mit stürmschen Wellen bald, mit sanften bald
Darüber fließt und ihn dem Aug entreißt.
So wenig weicht die Zärtlichkeit für dich
Aus meiner Brust, obgleich des Lebens Strom,
Vom Schmerz gepeitscht, bald stürmend drüber fließt,
Und von der Freude bald gestreichelt, still
Sie deckt, tmd sie verhindert, daß sie nicht
Ihr Haupt der Sonne zeigt und ringsumher
Zurückgeworfne Strahlen trägt und dir
Bei jedem Blicke zeigt, wie dich dein Sohn verehrt.
AN ANNETTEN
ES nannten ihre Bücher
Die Alten sonst nach Göttern,
Nach Musen und nach Freunden,
Doch keiner nach der Liebsten;
Warum sollt ich, Annette,
Die du mir Gottheit, Muse
Und Freund mir bist und alles,
Dies Buch nicht auch nach deinem
Geliebten Namen nennen?
AN MEINE LIEDER
SEID, geliebte kleine Lieder,
Zeugen meiner Fröhlichkeit;
Ach, sie kömmt gewiß nicht wieder,
Dieser Tage Frühlingszeit.
56 LYRISCHE DICHTUNGEN
Bald entflieht der Freund der Scherze,
Er, dem ich euch sang, mein Freund.
Ach, daß auch vielleicht dies Herze
Bald um meine Liebste weint!
Doch, wenn nach der Trennung Leiden
Einst auf euch ihr Auge blickt,
Dann erinnert sie der Freuden,
Die uns sonst vereint erquickt.
AN DEN KUCHENBÄCKER HÄNDEL
O Händel, dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,
Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt!
Du bäckst, was Gallier und Briten emsig suchen,
Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.
Des Kaffees Ozean, der sich vor dir ergießt,
Ist süßer als der Saft, der vom Hymettus fließt.
Dein Haus, ein Monument, wie wir den Künsten lohnen,
Umhangen mit Trophän, erzählt den Nationen:
Auch ohne Diadem fand Händel hier sein Glück,
Und raubte dem Kothurn gar manch Achtgroschenstück.
Glänzt deine Um dereinst in majestätschem Pompe,
Dann weint der Patriot an deiner Katakombe.
Doch leb! dein Toms sei von edler Bmt ein Nest.
Steh hoch wie der Olymp, wie der Pamassus fest!
Kein Phalanx Griechenlands mit römischen Ballisten
Vermög Germanien und Händeln zu verwüsten.
Dein Wohl ist unser Stolz, dein Leiden imser Schmerz,
Und Händeis Tempel ist der Musensöhne Herz.
BRAUTNACHT
IM Schlafgemach, entfemt vom Feste,
Sitzt Amor dir getreu und bebt.
Daß nicht die List mutwillger Gäste
Des Brautbetts Frieden untergräbt.
Es blinkt mit mystisch heiigem Schimmer
Vor ihm der Flammen blasses Gold,
Ein Weihrauchswirbel füllt das Zimmer,
Damit ihr recht genießen sollt.
1765/8 LEIPZIG 57
Wie schlägt dein Herz beim Schlag der Stunde,
Der deiner Gäste Lärm verjagt,
Wie glühst du nach dem schönen Munde,
Der bald verstummt und nichts versagt.
Du eilst, um alles zu vollenden,
Mit ihr ins Heiligtum hinein;
Das Feuer in des Wächters Händen
Wird wie ein Nachtlicht still und klein.
Wie bebt vor deiner Küsse Menge
Ihr Busen und ihr voll Gesicht;
Zum Zittern wird nun ihre Strenge,
Denn deine Kühnheit wird ztu: Pflicht.
Schnell hilft dir Amor sie entkleiden
Und ist nicht halb so schnell als du;
Dann hält er schalkhaft imd bescheiden
Sich fest die beiden Augen zu.
LE VfiRITABLE AMI
VA te sdvrer des baisers de ta belle,
Me dit un jour l'ami; par son air s^duisant,
Ses yeux persans, par son teint eclatant,
Sa taille mince, son langage amüsant
Elle te pourroit bien deranger la cervelle;
Fuis de cette beaute le dangereux amourl
Mais pour te faire voir ä quel degrd je t'aime,
Je veux t'öter tout espoir du retour
En m'en faisant aimer moi-meme.
DREI ODEN AN MEINEN FREUND BEHRISCH
Erste Ode
"ERPFLANZE den schönen Baum.
v;
Gärtner, er jammert mich.
Glücklicheres Erdreich
Verdiente der Stamm.
58 LYRISCHE DICHTUNGEN
Noch hat seiner Natur Kraft
Der Erde aussaugendem Geize,
Der Luft verderbender Fäulnis,
Ein Gegengift, widerstanden.
Sieh, wie er im Frühling
Lichtgrüne Blätter schlägt,
Ihr Orangenduft
Ist dem Geschmeiße Gift.
Der Raupen tückischer Zahn
Wird stumpf an ihnen,
Es blinkt ihr Silberglanz
Im Sonnenscheine.
Von seinen Zweigen
Wünscht das Mädchen
Im Brautkranze,
Früchte hoffen Jünglinge.
Aber sieh, der Herbst kömmt,
Da geht die Raupe,
Klagt der listigen Spinne
Des Baums Unverwelklichkeit.
Schwebend zieht sich
Von ihrer Taxuswohnung
Die Prachtfeindin herüber
Zum wohltätigen Baume
Und kann nicht schaden.
Aber die Vielkünstliche
Überzieht mit grauem Ekel
Die Silberblätter,
Sieht triumphierend,
Wie das Mädchen schaurend,
Der Jüngling jammernd
Vorübergeht.
1765/8 LEIPZIG 59
Verpflanze den schönen Baum,
Gärtner, er jammert mich.
Baum, danke dem Gärtner,
Der dich verpflanzt!
Zwote Ode
DU gehst! Ich murre.
Geh! Laß mich murren.
Ehrlicher Mann,
Fliehe dieses Land.
Tote Sümpfe,
Dampfende Oktobernebel
Verweben ihre Ausflüsse
Hier unzertrennlich.
Gebärort
Schädlicher Insekten,
Mördeihülle
Ihrer Bosheit.
Am schilfichten Ufer
Liegt die wollüstige,
Flammengezüngte Schlange,
Gestreichelt vom Sonnenstrahl.
Fliehe sanfte Nachtgänge
In der Mondendämmerung,
Dort halten zuckende Kröten
Zusammenkünfte auf Kreuzwegen.
Schaden sie nicht,
Werden sie schrecken.
Ehrlicher Mann,
Fliehe dieses Land!
Dritte Ode
SEI gefühllos!
Ein leichtbewegtes Herz
Ist ein elend Gut
Auf der wankenden Erde.
6o LYRISCHE DICHTUNGEN
Behrisch, des Frühlings Lächeln
Erheitre deine Stime nie;
Nie trübt sie dann mit Verdruß
Des Winters stürmischer Ernst.
Lehne dich nie an des Mädchens
Sorgenverwiegende Brust,
Nie auf des Freundes
Elendtragenden Arm.
Schon versammelt
Von seiner Klippenwarte
Der Neid auf dich
Den ganzen luchsgleichen Blick,
Dehnt die Klauen,
Stürzt und schlägt
Hinterlistig sie
Dir in die Schultern.
Stark sind die magern Arme,
Wie Pantherarme;
Er schüttelt dich
Und reißt dich los.
Tod ist Trennung,
Dreifacher Tod
Trennung ohne Hoffnung,
Wiederzusehn.
Gerne verließest du
Dieses gehaßte Land,
Hielte dich nicht Freundschaft
Mit Blumenfesseln an mir.
Zerreiß sie! Ich klage nicht.
Kein edler Freimd
Hält den Mitgefangnen,
Der fliehn kann, zurück.
Der Gedanke
Von des Freundes Freiheit
Ist ihm Freiheit
Im Kerker.
1765/8 LEIPZIG 61
Du gehst, ich bleibe.
Aber schon drehen
Des letzten Jahrs Flügelspeichen
Sich lim die rauchende Achse.
Ich zähle die Schläge
Des donnernden Rads,
Segne den letzten,
Da springen die Riegel, frei bin ich wie du.
DER WAHRE GENUSS
UMSONST, daß du, ein Herz zu lenken,
Des Mädchens Schoß mit Golde füllst.
O Fürst, laß dir die Wollust schenken,
Wenn du sie wahr empfinden willst.
Gold kauft die Zimge ganzer Haufen,
Kein einzig Herz erwirbt es dir;
Doch willst du eine Tugend kaufen,
So geh und gib dein Herz dafür.
Was ist die I.ust, die in den Armen
Der Buhlerin die Wollust schafft?
Du wärst ein Vorwiu-f zum Erbarmen,
Ein Tor, wärst du nicht lasterhaft.
Sie küsset dich aus feilem Triebe,
Und Glut nach Gold füllt ihr Gesicht.
Unglücklicher! Du fühlst nicht Liebe,
Sogar die Wollust fühlst du nicht.
Sei ohne Tugend, doch verliere
Den Vorzug eines Menschen nie!
Denn Wollust fühlen alle Tiere,
Der Mensch allein verfeinert sie.
Laß dich die Lehren nicht verdrießen,
Sie hindern dich nicht am Genuß,
Sie lehren dich, wie man genießen
Und Wollust würdig fühlen muß.
62 LYRISCHE DICHTUNGEN
Soll dich kein heilig Band umgeben,
O Jüngling, schränke selbst dich ein.
Man kann in wahrer Freiheit leben,
Und doch nicht ungebunden sein.
Laß nur für Eine dich entzünden,
Und ist ihr Herz von Liebe voll,
So laß die Zärtlichkeit dich binden.
Wenn dich die Pflicht nicht binden soll.
Empfinde, Jüngling, und dann wähle
Ein Mädchen dir, sie wähle dich.
Von Körper schön imd schön von Seele,
Und dann bist du beglückt wie ich!
Ich, der ich diese Kunst verstehe.
Ich habe mir ein Kind gewählt,
Daß uns zum Glück der schönsten Ehe
Allein des Priesters Segen fehlt.
Für nichts besorgt als meine Freude,
Für mich nur schön zu sein bemüht,
Wollüstig nur an meiner Seite,
Und sittsam, wenn die Welt sie sieht.
Daß unsrer Glut die Zeit nicht schade,
Räumt sie kein Recht aus Schwachheit ein,
Und ihre Gunst bleibt immer Gnade,
Und ich muß immer dankbar sein.
Ich bin genügsam tmd genieße
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht.
Wenn sie beim Tisch des Liebsten Füße
Ziun Schemel ihrer Füße macht,
Den Apfel, den sie angebissen.
Das Glas, woraus sie trank, mir reicht
Und mir, bei halbgeraubten Küssen,
Den sonst verdeckten Busen zeigt.
Wenn in gesellschaftlicher Stunde
Sie einst mit mir von Liebe spricht,
Wünsch ich nur Worte von dem Munde,
Nur Worte, Küsse wünsch ich nicht.
1765/8 LEIPZIG 63
Welch ein Verstand, der sie beseelet,
Mit immer neuem Reiz umgibt!
Sie ist vollkommen, imd sie fehlet
Darin allein, daß sie mich liebt.
Die Ehrfurcht wirft mich ihr zu Füßen,
Die Wollust mich an ihre Brust.
Sieh, Jünghng, dieses heißt genießen!
Sei klug imd suche diese Lust.
Der Tod führt einst von ihrer Seite
Dich auf zmn englischen Gesang,
Dich zu des Paradieses Freude,
Und du fühlst keinen Übergang.
[An Corona Schröter]
[Von Goethe?]
UNWIDERSTEHLICH muß die Schöne uns entzücken,
Die frommer Andacht Reize schmücken.
Wenn jemand diesen Satz durch Zweifeln noch entehrt,
So hat er dich niemals als Helena gehört.
DIE SCHÖNE NACHT
NUN verlass ich diese Hütte,
Meiner Liebsten Aufenthalt,
Wandle mit verhülltem Schritte
Durch den öden finstern Wald.
Luna bricht durch Busch und Eichen,
Zephir meldet ihren Lauf,
Und die Birken streim mit Neigen
Ihr den süßten Weihrauch auf.
Wie ergötz ich mich im Kühlen
Dieser schönen Sommernacht!
O wie still ist hier zu fühlen,
Was die Seele glücklich macht!
Läßt sich kaum die Wonne fassen!
Und doch wollt ich, Himmel, dir
Tausend solcher Nächte lassen,
Gab mein Mädchen Eine mir.
64 LYRISCHE DICHTUNGEN
SCHADENFREUDE
IN des Papillons Gestalt
Flattr ich, nach den letzten Zügen,
Zu den vielgeliebten Stellen,
Zeugen himmlischer Vergnügen,
Über Wiesen, an die Quellen,
Um den Hügel, durch den Wald.
Ich belausch ein zärtlich Paar,
Von des schönen Mädchens Haupte
Aus den Kränzen schau ich nieder.
Alles, was der Tod mir raubte.
Seh ich hier im Bilde wieder,
Bin so glücklich, wie ich war.
Sie umarmt ihn lächelnd stumm,
Und sein Mund genießt der Stunde,
Die ihm gütge Götter senden.
Hüpft vom Busen zu dem Mimde,
Von dem Munde zu den Händen,
Und ich hüpf um ihn herum.
Und sie sieht mich Schmetterling.
Zitternd vor des Freunds Verlangen,
Springt sie auf, da flieg ich ferne.
''Liebster, komm, ihn einzufangen!
Komm! ich hätt es gar zu gerne,
Gern das kleine bunte Ding."
AN VENUS
GROSSE Venus, mächtge Göttin!
Schöne Venus, hör mein Flehn.
Nie hast du mich
Über Krügen vor dem Bacchus
Auf der Erden liegen sehn.
Keinen Wein hab ich getrunken,
Den mein Mädchen nicht gereicht,
Nie getrunken.
Daß ich nicht voll gütger Sorge
Deine Rosen erst gesäugt.
1765/8 LEIPZIG
Und dann goß ich auf dies Herze,
Das schon längst dein Altar ist,
Von dem Becher
Güldne Flammen, und ich glühte,
Und mein Madchen ward geküßt.
Dir allein empfand dies Herze,
Göttin, gib mir einen Lohn.
Aus dem Lethe
Soll ich trinken, wenn ich sterbe.
Ach, befreie mich davon.
Laß mir, Gütige — dem Minos
Seis an meinem Tod genung —
Mein Gedächtnis!
Denn es ist ein zweites Glücke
Eines Glücks Eriimermig.
GLÜCK UND TRAUM
DU hast uns oft im Tratmi gesehen
Zusammen zum Altare gehen,
Und dich als Frau, imd mich als Mann.
Oft nahm ich wachend deinem Munde
In einer unbewachten Stunde,
So viel man Küsse nehmen kann.
Das reinste Glück, das wir empfunden
Die Wollust mancher reichen Stunden
Floh wie die Zeit mit dem Genuß.
Was hilft es mir, daß ich genieße?
Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse,
Und alle Freude wie ein Kuß.
65
WUNSCH EINES JUNGEN MÄDaiENS
fände für mich
Ein Bräutigam sich!
Wie schön ists nicht da,
Man nennt uns Mama.
o
GOETHE XIV s-
66 LYRISCHE DICHTUNGEN
Da braucht man zum Nähen,
Zur Schul nicht zu gehen;
Da kann man befehlen,
Hat Mägde, darf schmälen,
Man wählt sich die Kleider,
Nach Gusto den Schneider;
Da läßt man spazieren,
Auf Bälle sich führen,
Und fragt nicht erst lange
Papa imd Mama.
DIE FREUDEN
ES flattert um die Quelle
Die wechselnde Libelle,
Mich freut sie lange schon;
Bald dunkel und bald helle.
Wie der Chamäleon,
Bald rot, bald blau,
Bald blau, bald grün.
O daß ich in der Nähe
Doch ihre Farben sähe!
Sie schwirrt und schwebet, rastet nie!
Doch still, sie setzt sich an die Weiden.
Da hab ich sie! Da hab ich sie!
Und nun betracht ich sie genau.
Und seh ein tramrig dunkles Blau —
So geht es dir, Zergliedrer deiner Freuden!
LIEBE UND TUGEND
WENN einem Mädchen, das uns liebt,
Die Mutter strenge Lehren gibt
Von Tugend, Keuschheit und von Pflicht,
Und unser Mädchen folgt ihr nicht
Und fliegt mit neu verstärktem Triebe
Zu unsem heißen Küssen hin,
Da hat daran der Eigensinn
So vielen Anteil als die Liebe.
1765/8 LEIPZIG 67
Doch wenn die Matter es erreidit.
Daß sie das gute Herz erweicht,
Voll Stolz anf ihre Lehren sieht.
Daß ans das Mädchen spröde flieht,
So kennt sie nicht das Herz der Jagend;
Denn wenn das je ein Mädchen tut.
So hat daran der Wankelmut
Gewiß mehr Anteil als die Tugend.
WECHSEL
AUF Eäeseln im Badie da lieg ich, wie helle!
Verbreite die Arme der kommenden WeUe,
Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust;
Dann fuhrt sie der Leichtsinn im Strome danieder,
Es naht sich die zweite, sie streichelt mich wieden
So fühl ich die Freuden der wechselnden Lust.
Und doch, und so traurig, verschleiß du vergebens
Die köstlichen Stunden des eilenden Lebens,
Weil dich das geliebteste Mädchen vergißt!
O ruf sie zurücke, die vorigen Zeiten!
Es küßt sich so süße die Lippe der Zweiten,
Als kaum sich die Lippe der Ersten geküßt.
KINDERVERSTAND
IN großen Städten lemoi früh
Die jüngsten Knaben was;
Denn manche Bücher lesen sie
Und hören dies und das
Vom Lieben und vom Küssen,
Sie brauchtens m'cht zu wissen.
Und mancher ist im zwölften Jahr
Fast kliiger, als sein Vater war,
Da er die Mutter nahm.
Das Mädchen wünscht von Jugend auf
Sich hochgeehrt zu sehn,
Sie zieit sich klein und wächst herauf
In Pracht und Assembleen.
68 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der Stolz verjagt die Triebe
Der Wollust und der Liebe;
Sie sinnt nur drauf, wie sie sich ziert,
Ein Aug entzückt, ein Herze rührt,
Und denkt ans andre nicht.
Auf Dörfern siehts ganz anders aus,
Da treibt die liebe Not
Die Jungen auf das Feld hinaus
Nach Arbeit und nach Brot.
Wer von der Arbeit müde,
Läßt gern den Mädchen Friede,
Und wer noch obendrein nichts weiß.
Der denkt an nichts, den macht nichts heiß;
So gehts den Bauern meist.
Die Bauermädchen aber sind
In Ruhe mehr genährt,
Und darum wünschen sie geschwind,
Was jede Mutter wehrt.
Oft stoßen schäkernd Bräute
Den Bräutgam in die Seite;
Denn von der Arbeit, die sie tun,
Sich zu erholen, auszuruhn,
Das können sie dabei.
DER MISANTHROP
A.
ERST sitzt er eine Weile,
Die Stirn von Wolken frei;
Auf einmal kömmt in Eile
Sein ganz Gesicht der Eule
Verzerrtem Ernste bei.
B.
Sie fragen, was das sei?
Lieb oder lange Weile?
C.
Ach, sie sinds alle zwei.
1768-1770 FRANKFURT
DIE LIEBE WIDER WILLEN
ICH weiß es wohl und spotte viel:
Ihr Mädchen seid voll Wankelmut!
Ihr liebet, wie im Kartenspiel,
Den David und den Alexander;
Sie sind ja Forcen miteinander,
Und die sind miteinander gut.
Doch bin ich elend wie zuvor,
Mit misanthropischem Gesicht,
Der Liebe Sklav, ein armer Tor!
Wie gern war ich sie los, die Schmerzen!
Allein es sitzt zu tief im Herzen,
Und Spott vertreibt die Liebe nicht.
LEBENDIGES ANDENKEN
DER Liebsten Band imd Schleife rauben^
Halb mag sie zürnen, halb erlauben.
Euch ist es viel, ich will es glauben
Und gönn euch solchen Selbstbetrug:
Ein Schleier, Halstuch, Strumpfband, Ringe
Sind wahrlich keine kleinen Dinge;
Allein mir sind sie nicht genug.
Lebendgen Teil von ihrem Leben,
Ihn hat nach leisem Widerstreben
Die Allerliebste mir gegeben.
Und jene Herrlichkeit wird nichts.
Wie lach ich all der Trödelware!
Sie schenkte mir die schönen Haare,
Den Schmuck des schönsten Angesichts.
Soll ich dich gleich, Geliebte, missen,
Wirst du mir doch nicht ganz entrissen:
Zu schaun, zu tändeln und zu küssen
Bleibt die Reliquie von dir. —
Gleich ist des Haars und mein Geschicke:
Sonst buhlten wir mit Einem Glücke
Um sie, jetzt sind wir fern von ihr.
72 LYRISCHE DICHTUNGEN
Fest waren wir an sie gehangen;
Wir streichelten die runden Wangen,
Uns lockt' und zog ein süß Verlangen,
Wir gleiteten zur vollem Brust.
O Nebenbuhler, frei von Neide,
Du süß Geschenk, du schöne Beute,
Erinnre mich an Glück und Lust!
GLÜCK DER ENTFERNUNG
TRINK, o Jüngling! heiiges Glücke
Taglang aus der Liebsten Blicke;
Abends gaukl ihr Bild dich ein.
Kein Verliebter hab es besser;
Doch das Glück bleibt immer größer,
Fern von der Geliebten sein.
Ewge Kräfte, Zeit und Ferne,
Heimlich wie die Kraft der Sterne,
Wiegen dieses Blut zur Ruh.
Mein Gefühl wird stets erweichter;
Doch mein Herz wird täglich leichter,
Und mein Glück nimmt immer zu.
Nirgends kann ich sie vergessen.
Und doch kann ich ruhig essen,
Heiter ist mein Geist und frei;
Und immerkliche Betörung
Macht die Liebe zur Verehrung,
Die Begier zur Schwärmerei.
•Aufgezogen durch die Sonne
Schwimmt im Hauch ätherscher Wonne
So das leichtste Wölkchen nie,
Wie mein Herz in Ruh und Freude.
Frei von Furcht, zu groß zum Neide,
Lieb ich, ewig lieb ich sie!
1768/70 FRANKFURT
ANLUNA
SCHWESTER von dem ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer!
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein reizendes Gesicht;
Deines leisen Fußes Lauf
Weckt aus tagverschloßnen Höhlen
Traurig abgeschiedne Seelen,
Mich und nächtge Vögel auf.
Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite.
Hebe mich an deine Seite!
Gib der Schwärmerei dies Glück,
Und in wollustvoller Ruh
Sah der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter
Seines Mädchens Nächten zn.
Des Beschauens holdes Glück
Mildert solcher Feme Qualen,
Und ich sammle deine Strahlen,
Und ich schärfe meinen Blick;
Hell und heller wird es schon
Um die unverhüllten Glieder,
Und nun zieht sie mich hernieder.
Wie dich einst Endymion.
73
M
AN MADEMOISELLE OESER ZU LEIPZIG
AMSELL,
So laimisch wie ein Kind, das zahnt,
Bald schüchtern wie ein Kaufinann, den man mahnt,
Bald still wie ein Hypochondrist,
Und sittig wie ein Mennonist,
Und folgsam wie ein gutes Lamm,
Bald lustig wie ein Bräutigam,
Leb ich und bin halb krank und halb gesimd,
Am ganzen Leibe wohl, nur in dem Halse wund;
74 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sehr mißvergnügt, daß meine Lunge
Nicht so viel Atem reicht, als meine Zunge
Zu manchen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,
Was ich bei euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.
Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben
Und neuen Mut und neue Kraft zu geben;
Drum reichet mir mein Doktor Medicinä
Extrakte aus der Cortex China,
Die junger Herrn erschlaffte Nerven
An Augen, Fuß imd Hand
Aufs neue stärken, den Verstand
Und das Gedächtnis schärfen.
Besonders ist er drauf bedacht,
Durch Ordnung wieder einzubringen,
Was Unordnung so schlimm gemacht.
Und heißt mich meinen Willen zwingen.
"Bei Tag, und sonderUch bei Nacht,
Nur an nichts Reizendes gedacht!"
Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,
Den jeder Reiz bis zum Entzücken reißt!
Des Bouchers Mädchen nimmt er mir
Aus meiner Stube, hängt dafür
Mir eine abgelebte Frau,
Mit riefigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,
Vom fleißig kalten Gerhard Dow
An meine Wand; langweilige Tisane
Setzt er mir statt des Weins dazu.
O sage du,
Kann man was Traurigers erfahren?
Am Körper alt und jung an Jahren,
Halb siech und halb gesund zu sein?
Das gibt so melancholsche Laune,
Und ihre Pein
Würd ich nicht los, und hätt ich sechs Alraune.
Was nützte mir der ganzen Erde Geld?
Kein kranker Mensch genießt die Welt.
1768/70 FRANKFURT 75
Und dennoch wollt ich gar nicht klagen,
Denn ich bin schon im Leiden sehr geübt,
Hätt ich nur das, was uns, die Plagen,
Die Last der Krankheit zu ertragen,
Mehr Kraft als selbst die Tugend gibt,
Verkürzung grauer Regenstunden,
Balsamsches Pflaster aller Wunden:
Gesellschaftsgeister, die man liebt.
Zwar hab ich hier an meiner Seite
Beständig rechte gute Leute,
Die mit mir leiden, wenn ich leide;
Sie sorgen mir für manche Freude,
Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu sein.
Und dennoch kenn ich niemand, der die Pein
Des Schmerzens so behende stillt, die Ruh
Mit Einem Bhck der Seele schenkt, wie du.
Ich kam zu dir, ein Toter aus dem Grabe,
Den bald ein zweiter Tod zum zweitenmal begräbt;
Und wem er nur einmal recht nah ums Haupt geschwebt,
Der bebt
Bei der Erinnerung gewiß, solang er lebt.
Ich weiß, wie ich gezittert habe;
Doch machtest du mit deiner süßen Gabe
Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe,
Erzähltest mir, wie schön, wie kummerfrei,
Wie gut, wie süß dein selig Leben sei.
Mit einem Ton von solcher Schmeichelei,
Daß ich, was mir das Elend jemals raubte.
Weil dus besaßst, selbst zu besitzen glaubte.
Zufrieden reist ich fort und, was noch mehr ist, froh,
Und ganz war meine Reise so.
Ich kam hierher und fand das Frauenzimmer
Ein bißchen— ja man sagts nicht gern— wie immer;
Gnug, bis hierher hat keine mich gerührt.
Zwar sag ich nicht, was einst Herr Schübler
Von Hamburgs Schönen prädiziert,
Doch bin ich auch ein starker Grübler,
76 LYRISCHE DICHTUNGEN
Seitdem ihr Mädchen mich verführt,
Die ich wohl schwerlich je vergesse;
Und da begreifst du wohl, daß jede leicht verliert,
Die ich nach eurem Maßstab messe.
Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie,
An Einsicht und an Witz dir keine einzge gleich;
Und deiner Stimme Harmonie,
Wie käme die heraus ins Reich.
So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,
Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,
So aufgeweckt und doch so klug.
Ja, darauf kann ich warten.
Bin ich bei Mädchen launisch froh.
So sehn sie sittenrichtrisch sträflich;
Da heißts: Der Herr ist wohl aus Bergamo?
Sie sagens nicht einmal so höflich.
Zeigt man Verstand, so ist auch das nicht recht.
Denn will sich einer nicht bequemen,
Des Grandisons ergebner Knecht
Zu sein und alles blindlings anzunehmen.
Was der Diktator spricht.
Den lacht man aus, den hört man nicht.
Wie seid ihr nicht so gut, so euch zu bessern willig,
Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,
Und zum Gefallen ohnbemüht,
Ist niemand, den ihr nicht gewönnet.
Ah, man ist euer Freund, so wenig man euch kennet,
Man liebt euch, eh mans sich versieht.
Mit einem Mädchen hier zu Lande
Ists aber ein langweilig Spiel,
Zur Freundschaft fehlts ihr am Verstände,
Zur Liebe fehlts ihr am Gefühl.
Drauf ging' ich ganz gewiß, hätt ich nicht so viel Laune,
Brach ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,
Lacht ich nicht da, wo keine Seele lacht;
Und dächt ich nicht, daß ihr schon oft an mich gedacht.
1768/70 FRANKFURT 77
Ja, denken müßt ihr oft an mich, das sage
Ich euch, besonders an dem Tage,
Wenn ihr auf euerm Landgut seid,
Dem Ort, der mir so manche Plage
Gemacht, dem Ort, der mich so sehr erfreut.
Doch du verstehst mich nicht; ich will es dir erklären,
Ich weiß doch, du verzeihst es mir.
Die Lieder, die ich dir gegeben, die gehören
Als wahres Eigentum dem schönen Ort und dir.
Wenn mich mein böses Mädchen plagte.
Wenn der Verdruß mich aus den Mauern jagte,
War ich verwegen gnug und wagte
Dich aufzusuchen, eh es tagte,
Auf deinen Feldern, die du liebst,
Die du mir oft so schön beschriebst.
Da ging ich nun in deinem Paradiese,
In jedem Holz, auf jeder Wiese,
Am Fluß, am Bach, das hoffende Gesicht
Vom Morgenstrahl geschminkt, imd sucht und — fand dich
nicht.
Dann schlug ich, angereizt von launischem Verdrusse,
Den armen Frosch am sonnbestrahlten Flusse,
Dann jagt ich ringsumher und fing
Bald einen Reim, bald einen Schmetterling.
Und mancher Reim und mancher Schmetterling
Entging
Der ausgestreckten Hand, die mitten
In ihrem Haschen stille stand,
Wenn aus dem Wald von Stimmen oder Tritten
Den Schall mein lauschend Ohr empfand.
Am Tage sang ich diese Lieder,
Am Abend ging ich wieder heim,
Nahm meine Feder, schrieb sie nieder,
Den guten vmd den schlechten Reim.
78 LYRISCHE DICHTUNGEN
Oft kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke
Auf die fatale Flur zurücke,
Bis mir zuletzt das günstige Geschicke
Noch einen Tag, den ich nicht hofifte, gab.
Doch ich genoß sie kaum, die süßen letzten Stunden,
Sie waren gar zu nah am Grab.
Ich sage nicht, was ich empfunden,
Denn mein prosaisches Gedicht
Stimmt dieses Mal sehr zur Empfindung nicht.
Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung
Für alles, was ich für dich litt:
Besuchst du deine selge Wohnung,
So nimm sie mit
Und sing sie manchmal an den Orten
Mit Lust, wo ich aus Schmerz sie sang;
Dann denk an mich und sage: Dorten
Am Flusse wartete er lang,
Der Arme, der so oft mit ungewognem Glücke
Die schönen Felder fühllos sah!
Kam er in diesem Augenblicke,
Eh nun, jetzt war ich da.
Jetzt, dächt ich mm, wärs hohe Zeit zum SchUeßen;
Denn wenn man so zwei Bogen Reime schreibt,
Da wollen sie zuletzt nicht fließen.
Doch warte nur, wenn mich die Laune treibt,
Und deine Gunst mir sonst versichert bleibt,
So schreib ich dir noch manchen Brief wie diesen.
Willst du mir die Geschwister grüßen.
So schließe Richtern auch mit ein.
Leb wohl! Und wird das Glück dein Freund beständig sein
Wie ich, so wirst du stets des schönsten Glücks genießen.
1768/70 FRANKFURT 79
NEUJAHRSLIED
WER kömmt! Wer kauft von meiner War!
Devisen auf das neue Jahr,
Für alle Stände.
Und fehlt auch einer hie und da,
Ein einzger Handschuh paßt sich ja
An zwanzig Hände.
Du Jugend, die du tändelnd liebst,
Ein Küßchen vun ein Küßchen gibst,
Unschuldig heiter,
Jetzt lebst du noch ein wenig dumm;
Geh nur erst dieses Jahr herum,
So bist du weiter.
Die ihr schon Amors Wege kennt
Und schon ein bißchen lichter brennt,
Ihr macht mir bange.
Zum Ernst, ihr Kinder, von dem Spaß!
Das Jahr! ziu: höchsten Not noch das,
Sonst währts zu lange.
Du jtmger Mann, du junge Frau,
Lebt nicht zu treu, nicht zu genau
In enger Ehe.
Die Eifersucht quält manches Haus,
Und trägt am Ende doch nichts aus
Als doppelt Wehe.
Der Witwer wünscht in seiner Not,
Zur selgen Frau durch schnellen Tod
Gefuhrt zu werden.
Du guter Mann, nicht so verzagt!
Das, was dir fehlt, das, was dich plagt,
Findst du auf Erden.
Ihr, die ihr Misogyne heißt.
Der Wein heb euem großen Geist
Beständig höher.
8o LYRISCHE DICHTUNGEN
Zwar Wein beschweret oft den Kopf,
Doch der tut manchem Ehetropf
Wohl zehnmal weher.
Der Himmel geb zur Frühlingszeit
Mir manches Lied voll Munterkeit,
Und euch gefall es.
Ihr lieben Mädchen singt sie mit,
Dann ist mein Wimsch am letzten Schritt,
Dann hab ich alles.
UNSCHULD
SCHÖNSTE Tugend einer Seele,
Reinster Quell der Zärtlichkeit!
Mehr als Byron, als Pamele
Ideal tmd Seltenheit!
Wenn ein andres Feuer brennet,
Flieht dein zärtlich schwaches Licht;
Dich fühlt nur, wer dich nicht kennet.
Wer dich kennt, der fühlt dich nicht.
Göttin, in dem Paradiese
Lebtest du mit uns vereint;
Noch erscheinst du mancher Wiese
Morgens, eh die Sonne scheint.
Nur der sanfte Dichter siehet
Dich im Nebelkleide ziehn;
Phöbus kommt, der Nebel fliehet,
Und im Nebel bist du hin.
ZUEIGNUNG
DA sind sie nun! Da habt ihr sie!
Die Lieder, ohne Kunst und Müh
Am Rand des Bachs entsprungen.
Verliebt und jung und voll Gefühl
Trieb ich der Jugend altes Spiel,
Und hab sie so gesungen.
1768/70 FRANKFURT
Sie singe, wer sie singen mag!
An einem hübschen Frühlingstag
Kann sie der Jüngling brauchen.
Der Dichter blinzt von ferne zu,
Jetzt drückt ihm diätetsche Ruh
Den Daumen auf die Augen.
Halb scheel, halb weise sieht sein Blick
Ein bißchen naß auf euer Glück
Und jammert in Sentenzen.
Hört seine letzten Lehren an!
Er hats so gut wie ihr getan
Und kennt des Glückes Grenzen.
Ihr seufzt und singt und schmelzt und küßt,
Und jauchzet, ohne daß ihrs wißt,
Dem Abgnmd in der Nähe.
Flieht Wiese, Bach und Sonnenschein,
Schleicht, solls euch wohl im Winter sein,
Bald zu dem Herd der Ehe.
Ihr lacht mich aus und ruft: Der Tor!
Der Fuchs, der seinen Schwanz verlor,
Verschnitt' jetzt gern uns alle.
Doch hier paßt nicht die Fabel ganz.
Das treue Füchslein ohne Schwanz
Das warnt euch für der Falle.
81
AM FLUSSE
VERFLIESSET, vielgeliebte Lieder,
Zum Meere der. Vergessenheit!
Kein Knabe sing entzückt euch wieder,
Kein Mädchen in der Blütenzeit.
Ihr sänget nur von meiner Lieben;
Nun spricht sie meiner Treue Hohn.
Ihr wart ins Wasser eingeschrieben.
So fließt denn auch mit ihm davon.
GOETHE XIV 6.
\2 LYRISCHE DICHTUNGEN
MIT EINEM COLONEN HALSKETTCHEN
DIR darf dies Blatt ein Kettchen bringen,
Das, ganz zur Biegsamkeit gewöhnt,
Sich mit viel hmidert kleinen Schlingen
Um deinen Hals zu schmiegen sehnt.
Gewähr dem Närrchen die Begierde,
Sie ist voll Unschuld, ist nicht kühn;
Am Tag ists eine kleine Zierde,
Am Abend wirfst dus wieder hin.
Doch bringt dir einer jene Kette,
Die schwerer drückt und ernster faßt,
Verdenk ich dir es nicht, Lisette,
Wenn du ein klein Bedenken hast.
DER ABSCHIED
LASS mein Aug den Abschied sagen,
Den mein Mund nicht nehmen kaim!
Schwer, wie schwer ist er zu tragen!
Und ich bin doch sonst ein Mann.
Traurig wird in dieser Stunde
Selbst der Liebe süßtes Pfand,
Kalt der Kuß von deinem Munde,
Matt der Druck von deiner Hand.
Sonst, ein leicht gestohlnes Mäulchen,
O wie hat es mich entzückt!
So erfreuet uns ein Veilchen,
Das man früh im März gepflückt.
Doch ich pflücke nun kein Kränzchen,
Keine Rose mehr für dich.
Frühling ist es, liebes Fränzchen,
Aber leider Herbst für mich!
I770-I77I STRASSBURG
SITRBT DER FUCHS, SO GILT DER BALG
[ACH Mittage saßen wir
I Junges Volk im Kühlen;
Amor kam, und Stirbt der Fuchs
Wollt er mit uns spielen.
Nl
Jeder meiner Freunde saß
Froh bei seinem Herzchen;
Amor blies die Fackel aus,
Sprach: Hier ist das Kerzchen!
Und die Fackel, wie sie glomm,
Ließ man eilig wandern.
Jeder drückte sie geschwind
In die Hand des andern.
Und mir reichte Dorilis
Sie mit Spott und Scherze;
Kaum berührt mein Finger sie,
Hell entflammt die Kerze,
Sengt mir Augen und Gesicht,
Setzt die Brust in Flammen,
Über meinem Haupte schlug
Fast die Glut zusammen.
Löschen wollt ich, patschte zu,
Doch es brennt beständig;
Statt zu sterben, ward der Fuchs
Recht bei mir lebendig.
BLINDE KUH
O liebliche Therese!
Wie wandelt gleich ins Böse
Dein ofifaes Auge sich!
Die Augen zugebunden,
Hast du mich schnell gefunden.
Und warum fingst du eben mich?
Du faßtest mich aufs beste
Und hieltest mich so feste,
Ich sank in deinen Schoß.
86 LYRISCHE DICHTUNGEN
Kaum warst du aufgebunden,
War alle Lust verschwunden,
Du ließest kalt den Blinden los.
Er tappte hin und wider,
Verrenkte fast die Gheder,
Und alle foppten ihn.
Und willst du mich nicht lieben,
So geh ich stets im Trüben,
Wie mit verbundnen Augen, hin.
[Von Goethe?]
OB ich dich liebe, weiß ich nicht.
Seh ich nur einmal dein Gesicht,
Seh dir ins Auge nur einmal.
Frei wird mein Herz von aller Qual.
Gott weiß, wie mir so wohl geschieht!
Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.
EIN grauer, trüber Morgen
Bedeckt mein liebes Feld,
Im Nebel tief verborgen
Liegt um mich her die Welt.
O liebliche Friedricke,
Dürft ich nach dir zurück!
In einem deiner Blicke
Liegt Sonnenschein vuid Glück.
Der Baum, in dessen Rinde
Mein Nam bei deinem steht,
Wird bleich vom rauhen Winde,
Der jede Lust verweht.
Der Wiesen grüner Schimmer
Wird trüb wie mein Gesicht,
Sie sehen die Sonne nimmer,
Und ich Friedricken nicht.
Bald geh ich in die Reben
Und herbste Trauben ein;
1770/1 STRASSBURG 87
Umher ist alles Leben,
Es strudelt neuer Wein.
Doch in der öden Laube,
Ach, denk ich, war sie hier!
Ich brächt ihr diese Traube,
Und sie — was gab sie mir?
ICH komme bald, ihr goldnen Kinder,
Vergebens sperret ims der Winter
In imsre warmen Stuben ein.
Wir wollen uns zum Feuer setzen
Und tausendfältig uns ergötzen,
Uns lieben wie die Engelein.
Wir wollen kleine Kränzchen winden,
Wir wollen kleine Sträußchen binden
Und wie die kleinen Kinder sein.
NUN sitzt der Ritter an dem Ort,
Den ihr ihm nanntet, liebe Kinder;
Sein Pferd ging ziemlich langsam fort,
Und seine Seele nicht geschwinder.
Da sitz ich nun vergnügt bei Tisch
Und endige mein Abenteuer
Mit einem Paar gesottener Eier
Und einem Stück gebacknem Fisch.
Die Nacht war wahrlich ziemlich düster,
Mein Falke stolperte wie blind ;
Und doch fand ich den Weg so gut, als ihn der Küster
Des Sonntags früh zur Kirche findt.
JETZT fühlt der Engel, was ich fühle.
Ihr Herz gewann ich mir beim Spiele,
Und sie ist nun von Herzen mein.
Du gabst mir, Schicksal, diese Freude,
Nun laß auch Morgen sein wie Heute
Und lehr mich ihrer würdig sein.
88 LYRISCHE DICHTUNGEN
WILLKOMMEN UND ABSCHIED
ES schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich— ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!
Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
1770/1 STRASSBURG 89
MIT EINEM GEMALTEN BAND
KLEINE Blumen, kleine Blätter
Streuen mir mit leichter Hand
Gute junge Frühlings- Götter
Tändelnd auf ein luitdg Band.
Zephir, nimms auf deine Flügel,
Schlings um meiner Liebsten Kleid;
Und so tritt sie vor den Spiegel
AU in ihrer Munterkeit.
Sieht mit Rosen sich umgeben,
Selbst wie eine Rose jung.
Einen Blick, geliebtes Leben!
Und ich bin belohnt genung.
Fühle, was dies Herz empfindet,
Reiche fi^i mir deine Hand,
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein schwaches Rosenband!
BÄLDE seh ich Rickchen wieder,
Bälde bald umarm ich sie,
Munter tanzen meine Lieder
Nach der süßten Melodie.
Ach, wie schön hats mir geklungen.
Wenn sie meine Lieder sang!
Lange hab ich nicht gestmgen.
Lange, liebe Liebe, lang.
Denn mich ängsten tiefe Schmerzen,
Wenn mein Mädchen mir entflieht,
Und der wahre Gram im Herzen
Geht nicht über in ein Lied.
Doch jetzt sing ich, und ich habe
Volle Freude süß und rein.
Ja, ich gäbe diese Gabe
Nicht fiir aller Klöster Wein.
90 LYRISCHE DICHTUNGEN
MAILIED
WIE herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!
Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch,
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd, o Sonne!
O Glück, o Lust!
O Lieb, o Liebe!
So golden schön,
Wie Morgen wölken
Auf jenen Höhn!
Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.
O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb ich dich!
Wie blickt dein Auge!
Wie hebst du mich!
So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den "Himmelsduft,
Wie ich dich Hebe
Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud und Mut
1770/1 STR ASSBURG 91
Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst!
ERWACHE, Friedericke,
Vertreib die Nacht,
Die einer deiner Blicke
Zum Tage macht.
Der Vögel sanft Geflüster
Ruft liebevoll,
Daß mein geliebt Geschwister
Erwachen soll.
Es zittert Morgenschimmer
Mit blödem Licht
Errötend durch dein Zimmer
Und weckt dich nicht.
Am Busen deiner Schwester,
Der für dich schlagt,
Entschläfst du immer fester.
Je mehr es tagt.
Die Nachtigall im Schlafe
Hast du versäumt;
So höre nun zur Strafe,
Was ich gereimt.
Schwer lag auf meinem Busen
Des Reimes Joch;
Die schönste meiner Musen,
Du — schliefst ja noch.
92 LYRISCHE DICHTUNGEN
DEM Himmel wachs entgegen
Der Baum, der Erde Stolz.
Ihr Wetter, Stürm und Regen,
Verschont das heiige Holz!
Und soll ein Name verderben,
So nehmt die obern in acht!
Es mag der Dichter sterben,
Der diesen Reim gemacht.
'
I
1771-1772 FRANKFURT
[Von Goethe?]
ACH, wie sehn ich mich nach dir,
Kleiner Engel! Nur im Traom,
Nur im Traum erscheine mir!
Ob ich da gleich viel erleide,
Bang mn dich mit Geistern streite
Und ervrachend atme kaum.
Ach, ¥rie sehn ich mich nach dir,
Ach, wie teuer bist du mir
Selbst in einem schweren Traum.
WANDERERS STÜRMLTED
WEN da nicht veiiässest, Genius,
Nicht der Regen, nicht der Sturm
Haucht ihm Schauer übers Herz.
Wen du nicht verlassest, Genius,
Wird dem Regengewölk,
Wird dem Schloßensturm
Entgegensingen,
Wie die Lerche,
Du da droben.
Den du nicht verlassest, Genius,
\^ist ihn heben fibem Schlammpfad
Ifit den Feuerflägeln.
Wandeln wird er
Wie mit Blumenfußen
Über Deukalions Flutschlamm,
Python tötend, leicht, groß,
Pytfains Apollo.
Den du nicht verlassest, Genius,
Wirst die wollnen Flügel unterspreiten.
Wenn er auf dem Felsen schläft,
Wirst mit Hüterfittichen ihn decken
In des Haines Mittemacht.
Wen da nidit verlassest, Genius,
Wirst im Sdme^estober
Wärmumhüllen;
96 LYRISCHE DICHTUNGEN
Nach der Wärme ziehn sich Musen,
Nach der Wärme Charitinnen.
Umschwebet mich, ihr Musen,
Ihr Charitinnen!
Das ist Wasser, das ist Erde,
Und der Sohn des Wassers und der Erde,
Über den ich wandle i
Göttergleich.
Ihr seid rein, wie das Herz der Wasser,
Ihr seid rein, wie das Mark der Erde,
Ihr umschwebt mich, und ich schwebe
Über Wasser, über Erde,
Göttergleich.
Soll der zurückkehren.
Der kleine, schwarze, feurige Bauer?
Soll der zurückkehren, erwartend
Nur deine Gaben, Vater Bromius,
Und hellleuchtend umwärmend Feuer?
Der kehren mutig?
Und ich, den ihr begleitet,
Musen vaid Charitinnen alle,
Den alles erwartet, was ihr,
Musen und Charitinnen,
Umkränzende Seligkeit,
Rings ums Leben verherrlicht habt,
Soll mutlos kehren?
Vater Bromius!
Du bist Genius,
Jahrhunderts Genius,
Bist, was innre Glut
Pindam war,
Was der Welt
Phöbus Apoll ist.
Weh! Weh! Innre Wärme,
Seelenwärme,
1 771/2 FRANKFURT
Mittelp^ankt!
Glüh entgegen
Phöb Apollen;
Kalt wird sonst
Sein Fürstenblick
Über dich vorübergleiten,
Neidgetroffen
Auf der Zeder Kraft verweilen,
Die zu grünen
Sein nicht harrt.
Warum nennt mein Lied dich zuletzt?
Dich, von dem es begann,
Dich, in dem es endet,
Dich, aus dem es quillt,
Jupiter Pluvius!
Dich, dich strömt mein Lied,
Und kastalischer Quell
Rinnt ein Nebenbach,
Rinnet Müßigen,
Sterblich Glücklichen
Abseits von dir,
Der du mich fassend deckst,
Jupiter Pluvius!
Nicht am Ulmenbaum
Hast du ihn besucht,
Mit dem Taubenpaar
In dem zärtlichen Arm.
Mit der freundlichen Res umkränzt,
Tändelnden ihn, blumenglücklichen
Anakreon,
Stturmatmende Gottheit!
Nicht im Pappelwald
An des Sybaris Strand,
An des Gebirgs
Sonnebeglänzter Stirn nicht
Faßtest du ihn.
Den Blumen-singenden,
GOETHE XIV 7.
97
98 LYRISCHE DICHTUNGEN
Honig- lallenden,
Freundlich winkenden
Theokrit.
Wenn die Räder rasselten,
Rad an Rad rasch ums Ziel weg,
Hoch flog
Siegdurchglühter
Jünglinge Peitschenknall,
Und sich Staub wälzt',
Wie vom Gebirg herab
Kieselwetter ins Tal,
' Glühte deine Seel Gefahren, Pindar,
Mut.— Glühte?—
Armes Herz!
Dort auf dem Hügel,
Himmlische Macht!
Nur so viel Glut,
Dort meine Hütte,
Dorthin zu waten!
ADLER UND TAUBE
EIN Adlersjüngling hob die Flügel
Nach Raub aus;
Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt
Der rechten Schwinge Sennkraft ab.
Er stürzt' hinab in einen Myrtenhain,
Fraß seinen Schmerz drei Tage lang,
Und zuckt' an Qual
Drei lange, lange Nächte lang;
Zuletzt heilt' ihn
AUgegenwärtger Balsam
Allheilender Natur.
Er schleicht aus dem Gebüsch hervor
Und reckt die Flügel— ach!
Die Schwingkraft weggeschnitten—
Hebt sich mühsam kaum
Am Boden weg
1 771/2 FRANKFURT
Unwürdgem Raubbedürfnis nach,
Und ruht tieftrauemd
Auf dem niedem Fels am Bach;
Er blickt zur Eich hinauf,
Hinauf zum Himmel,
Und eine Träne füllt sein hohes Aug.
Da kommt mutwillig durch die Myrtenäste
Dahergerauscht ein Taubenpaar,
Läßt sich herab und wandelt nickend
Über goldnen Sand am Bach,
Und nikt einander an;
Ihr rötlich Auge buhlt umher,
Erblickt den Innigtrauernden.
Der Tauber schwingt neugiergesellig sich
Zum nahen Busch und blickt
Mit Selbstgefälligkeit ihn freundlich an.
Du trauerst, liebelt er;
Sei gutes Mutes, Freund!
Hast du zur ruhigen Glückseligkeit
Nicht alles hier:
Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges freun,
Der vor des Tages Glut dich schützt?
Kannst du der Abendsonne Schein
Auf weichem Moos am Bache nicht
Die Brust entgegenheben?
Du wandelst durch der Blumen frischen Tau,
Pflückst aus dem Überfluß
Des Waldgebüsches dir
Gelegne Speise, letzest
Den leichten Durst am Silberquell —
O Freimd, das wahre Glück
Ist die Genügsamkeit,
Und die Genügsamkeit
Hat überall genug.
O Weise! sprach der Adler, und tief ernst
Versinkt er tiefer in sich selbst,
O Weisheit! Du redst wie eine Taube!
99
loo LYRISCHE DICHTUNGEN
ZIGEUNERLIED
IM Neb'elgeriesel, im tiefen Schnee,
Im wilden Wald, in der Wintemacht,
Ich hörte der Wölfe Hungergeheul,
Ich hörte der Eulen Geschrei.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wo!
Wito hu!
Ich schoß einmal eine Katz am Zaun,
Der Anne, der Hex, ihre schwarze liebe Katz.
Da kamen des Nachts sieben Werwölf zu mir,
Waren sieben sieben Weiber vom Dorf.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wo!
Wito hu!
Ich kannte sie all, ich kannte sie wohl,
Die Anne, die Ursel, die Käth,
Die Liese, die Barbe, die Ev, die Beth,
Sie heulten im Kreise mich an.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wo!
Wito hu!
Da nannt ich sie alle bei Namen laut:
Was willst du, Anne? was willst du, Beth?
Da rüttelten sie sich, da schüttelten sie sich,
Und liefen und heulten davon.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wol
Wito hu!
" 177 1/2 FRANKFURT loi
EIN zärtlich jugendlicher Kummer
Führt mich ins öde Feld; es liegt
In einem stillen Moigenschlmmner
Die Mutter Erde. Rauschend wiegt
Ein kalter Wind die starren Äste. Schauernd
Tönt er die Melodie zu meinem Lied voll Schmerz.
Und die Natur ist ängstlich still und trauernd,
Doch hoflhungsvoller als mein Herz.
Denn sieh, bald gaukelt dir, mit Rosenkränzen
^- -Inder Hand, du Sonnengott, das Zwillingspaar
ofibem blauen Aug, mit krausem goldnen Haar
einer Laufbahn dir en^^en. Und zu Tänzen
neuen Wiesen schickt
Der Jüngling sich und schmückt
Den Hut mit Bändern, und das Mädchen pflückt
Die Veilchen aus dem jungen Gras, und bückend sieht
^ heimlich nach dem Busen, sieht mit Seelenfreude
ilteter und reizender ihn heute,
A ; er vorm Jahr am Maienfest geblüht;
Uzd fühlt und hoflft
Gott segne mir den Mann
einem Garten dort! Wie zeitig fangt er an,
lockres Bett dem Samen zu bereiten!
-■vaum riß der März das Schneegewand
Erm Winter von denhagem Seiten,
L .: stürmend floh und hinter sich aufe Land
Den Nebelschleier warf, der Fluß und Au
Und Berg in kaltes Grau
Versteckt, da geht er ohne Säumen,
Die Seele voll von Emtetraumen,
Und sät und hofft.
I02 LYRISCHE DICHTUNGEN
DER WANDRER
Wandrer
Gott segne dich, junge Frau, i<l
Und den säugenden Knaben
An deiner Brust!
Laß mich an der Felsenwand hier,
In des Ulmbaums Schatten,
Meine Bürde werfen,
Neben dir ausruhn.
Frau
Welch Gewerbe treibt dich
Durch des Tages Hitze
Den staubigen Pfad her?
Bringst du Waren aus der Stadt
Im Land herum?
Lächelst, Fremdling,
Über meine Frage?
Wandrer
Keine Waren bring ich aus der Stadt. |j
Kühl wird nun der Abend; '
Zeige mir den Brunnen,
Draus du trinkest,
Liebes junges Weib!
Frau
Hier den Felsenpfad hinauf.
Geh voran! Durchs Gebüsche
Geht der Pfad nach der Hütte,
Drin ich wohne,
Zu dem Brunnen,
Den ich trinke.
Wandrer
Spuren ordnender Menschenhand
Zwischen dem Gesträuch!
\
1771/2 FRANKFÜRT
Diese Steine hast da nicht gefügt,
Reichhinstreuende Natur!
103
Frau
Weiter hinauf!
Wandrer
Von dem Moos gedeckt ein Architrav!
Ich erkenne dich, bildender Geist!
Hast dein Siegel in den Stein geprägt.
Frau
Weiter, Fremdling!
Wandrer
Eine Inschrift, über die ich trete!
Nicht zu lesen!
Weggewandelt seid ihr,
Tiefgegrabne Worte,
Die ihr eures Meisters Andacht
Tausend Enkeln zeigen solltet.
Frau
Statmest, Fremdling.
Diese Stein' an?
Droben sind der Steine viel
Um meine Hütte.
Wandrer
Droben?
Frau
Gleich zur Linken
Durchs Gebüsch hinan;
Hier.
Wandrer
Ihr Musen und Grazien!
I04 LYRISCHE DICHTUNGEN
Frau
Das ist meine Hütte,
Wandrer
Eines Tempels Trümmer!
Frau
Hier zur Seit hinab
Quillt der Brunnen,
Den ich trinke.
Wandrer
Glühend webst du
Über deinem Grabe,
Genius! Über dir
Ist zusammengestürzt
Dein Meisterstück,
O du Unsterblicher!
Frau
Wart, ich hole das Geföß
Dir zum Trinken.
Wandrer
Efeu hat deine schlanke
Götterbildung umkleidet.
Wie du emporstrebst
Aus dem Schutte,
Säulenpaar!
Und du, einsame Schwester dort.
Wie ihr,
Düstres Moos auf dem heiligen Haupt,
Majestätisch trauernd herabschaut
Auf die zertrümmerten
Zu euern Füßen,
Eure Geschwister!
In des Brombeergesträuches Schatten
Deckt sie Schutt und Erde,
Und hohes Gras wankt drüber hin.
1
1 771/2 FRANKFURT
Schätzest du so, Natur,
Deines Meisterstücks Meisterstück?
Unempfindlich zertrümmerst du
Dein Heiligtum?
Säest Disteln drein?
S05
Frau
Wie der Knabe schläft!
Willst du in der Hütte nihn,
Fremdling: willst du hier
Lieber in dem Freien bleiben?
Es ist kühl! Nimm den Knaben,
Daß ich Wasser schöpfen gehe.
Schlafe, Lieber! schlaf!
Wandrer
Süß ist deine Ruh!
Wie's, in himmlischer Gesundheit
Schwimmend, ruhig atmet!
Du, geboren über Resten
Heiliger Vergangenheit,
Ruh ihr Geist auf dir!
Welchen der umschwebt,
Wird in Götterselbstgefiihl
Jedes Tags genießen.
Voller Keim, blüh auf,
Des glänzenden Frühlings
Herrlicher Schmuck,
Und leuchte vor deinen Gesellen!
Und welkt die Blütenhülle weg.
Dann steig aus deinem Busen
Die volle Frucht
Und reife der Sonn entgegen!
Frau
Gesegne's Gott! — Und schläft er noch?
Ich habe nichts zum frischen Trunk
Als ein Stück Brot, das ich dir bieten kann.
io6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wandrer
Ich danke dir.
Wie herrlich alles blüht umher
Und grünt!
Frau
Mein Mann wird bald
Nach Hause sein
Vom Feld. O bleibe, bleibe, Mann!
Und iß mit uns das Abendbrot.
Wandrer
Ihr wohnet hier?
Frau
Da, zwischen dem Gemäuer her.
Die Hütte baute noch mein Vater
Aus Ziegeln und des Schuttes Steinen.
Hier wohnen wir.
Er gab mich einem Ackersmann
Und starb in unsern Armen. —
Hast du geschlafen, liebes Herzr
Wie er munter ist und spielen will!
Du Schelm!
Wandrer
Natur! du ewig keimende.
Schaffst jeden zum Genuß des Lebens,
Hast deine Kinder alle mütterlich
Mit Erbteil ausgestattet, einer Hütte.
Hoch baut die Schwalb an das Gesims,
Unfühlend, welchen Zierat
Sie verklebt;
Die Raup umspinnt den goldnen Zweig
Zum Winterhaus für ihre Brut;
Und du flickst zwischen der Vergangenheit
Erhabne Trümmer
i
1771/2 FRANKFÜRT
Für deine Bedürfniss*
Eine Hütte, o Mensch,
Genießest über Gräbern!—
Leb w(^, dn glOckb'ch Weib!
Frau
Da willst nicht bleiben?
Wandrer
Gott erhalt euch,
Segn eneni Knaben!
Fram.
Glück anf den Weg!
Wandrer
Wohin fuhrt mich der Pfad
Dort übern Berg?
X07
Nach Cuma,
Frau
Wandrer
Wie weit ists hin?
Frau
Drei Meilen gut.
Wandrer
Leb w<^
O leite meinen Gang, Natur!
Den Fremdb'ngs-Reisetritt,
Den über Gräber
Heiliger Vergangenheit
Ich wandle.
Leit ihn zum Sdmtzort,
Vorm Nord gedeckt,
Und wo dem Mittagsstrahl
Ein Pappelwäldchen wehrt.
io8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und kehr ich dann
Am Abend heim
Zur Hütte,
Vergoldet vom letzten Sonnenstrahl,
Laß mich empfangen solch ein Weib,
Den Knaben auf dem Arm!
1772 WETZLAR
FELS-WEIHEGESANG
AN PSYCHE
VEILCHEN bring ich getragen,
Junge Blüten zu dir,
Daß ich dein moosig Haupt
Ringstim bekränze,
Ringsum dich weihe,
Felsen des Tals.
Sei du mir heilig.
Sei den Geliebten
Lieber als andre
Felsen des Tals.
Ich sah von dir
Der Freunde Seligkeit,
Verbunden Edle
Mit ewgem Band.
Ich irrer Wandrer
Fühlt erst auf dir
Besitz timis- Freuden
Und Heimats- Glück.
Da, wo wir lieben,
Ist Vaterland;
Wo wir genießen,
Ist Hof und Haus.
Schrieb meinen Namen
An deine Stirn;
Du bist mir eigen,
Mir Ruhe -Sitz.
Und aus dem fernen
Unlieben Land
Mein Geist wird wandern
Und ruhn auf dir.
Sei du mir heilig,
Sei den Geliebten
Lieber als andre
Felsen des Tals.
1 1 2 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ich sehe sie versammelt
Dort unten um den Teich;
Sie tanzen einen Reihen
Im Sommerabendrot.
Und warme Jugendfreude
Webt in dem Abendrot,
Sie drücken sich die Hände
Und glühn einander an.
Und aus den Reihn verlieret
Sich Psyche zwischen Felsen
Und Sträuchen weg, und traurend
Um den Abwesenden
Lehnt sie sich über den Fels.
Wo meine Brust hier ruht,
An das Moos mit innigem
Liebesgefühl sich
Atmend drängt,
Ruhst du vielleicht dann, Psyche.
Trübe blickt dein Aug
In den Bach hinab,
Und eine Träne quillt
Vorbeigequollnen Freuden nach;
Hebst dann ztun Himmel
Dein bittend Aug,
Erblickest über dir
Da meinen Namen.
— Auch der —
Nimm des verlebten Tages Zier,
Die bald welke Rose, von deinem Busen,
Streu die freundlichen Blätter
Übers düstre Moos,
Ein Opfer der Zukunft.
1772 WETZLAR 113
PILGERS MORGENLIED
AN LILA
MORGENNEBEL, Lila,
Hüllen deinen Tum um.
Soll ich ihn zum
Letztenmal nicht sehn!
Doch mir schweben
Tausend Bilder
Seliger Erinnerung
Heilig warm ums Herz.
Wie er so stand,
Zeuge meiner Wonne,
Als zum erstenmal
Du den Fremdling
Ängstlich liebevoll
Begegnetest,
Und mit einemmal
Ewge Flammen
In die Seel ihm warfst.
Zische, Nord,
Tausend-schlangenzüngig
Mir ums Haupt!
Beugen sollst dus nicht!
Beugen magst du
Kindscher Zweige Haupt,
Von der Sonne
Muttergegenwart geschieden.
AUgegenwärtge Liebe!
Durchglühst mich.
Beutst dem Wetter die Stirn,
Gefahren die Brust,
Hast mir gegossen
Ins früh welkende Herz
Doppeltes Leben,
Freude, zu leben,
Und Mut.
)ETHE XIV 8.
1 1 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
ELYSIUM
AN URANIEN
UNS gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie du das erste Mal
Liebahndend dem Fremdling
Entgegentratst
Und deine Hand ihm reichtest,
Fühlt' er alles voraus,
Was ihm für Seligkeit
Entgegen keimte.
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie du den liebenden Arm
Um den Freund schlangst.
Wie ihm Lilas Brust
Entgegen bebte,
Wie ihr, euch rings umfassend.
In heiiger Wonne schwebtet,
Und ich, im Anschaun selig,
Ohne sterblichen Neid
Dameben stand!
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie durch heilige Täler wir
Hand in Hände wandelten
Und des Fremdlings Treu
Sich euch versiegelte,
Daß du dem liebenden,
Stille sehnenden
Die Wange reichtest
Zum himmlischen Kuß!
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysiiun.
Wenn du fern wandelst
Am Hügelgebüsch,
1772 WETZLAR 115
Wandeln Liebesgestalten
Mit dir den Bach hinab;
Wenn mir auf dem Felsen
Die Sonne niedergeht,
Seh ich Freundegestalten
Mir winken durch
Wehende Zweige
Des dämmernden Hains.
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Seh ich, verschlagen
Unter schauernden Himmels
Öde Gestade,
In der Vergangenheit
Goldener Myrtenhainsdämmerung
Lilan an deiner Hand,
Seh mich Schüchternen
Eure Hände fassen —
Bittend blicken.
Eure Hände küssen —
Eure Augen sich begegnen,
Auf mich blicken seh ich.
Werfe den hoffenden Blick
Auf Lila; sie nähert sich mir,
Himmlische Lippe!
Und ich wanke, nahe mich,
Blicke, seufze, wanke —
Seligkeit! Seligkeit!
Eines Kusses Gefühl!
Mir gaben die Götter
Auf Erden Elysium!
Ach, warum nur Elysiima!
1 1 6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Propst Hei
Bald leuchtest du, o Graf, in engelheiterm Schimmer,
Graf Brandt
Mein lieber Pastor, desto schlimmer.
1 772-1 774 FRANKFURT
MAHOMETS GESANG
SEHT den Felsenquell,
Freudehell,
Wie ein Stemenblick;
Über Wolken
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch.
Jünglingfrisch
Tanzt er aus der Wolke
Auf die Marmorfelsen nieder,
Jauchzet wieder
Nach dem Himmel.
Durch die Gipfelgänge
Jagt er bunten Kieseln nach,
Und mit frühem Führertritt
Reißt er seine Bruderquellen
Mit sich fort.
Drunten werden in dem Tal
Unter seinem Fußtritt Blumen,
Und die Wiese
Lebt von seinem Hauch,
Doch ihn hält kein Schattental,
Keine Blumen,
Die ihm seine Knie umschlingen,
Ihm mit Liebes- Augen schmeicheln:
Nach der Ebne dringt sein Lauf
Schlangenwandelnd.
Bäche schmiegen
Sich gesellig an. Nun tritt er
In die Ebne silberprangend.
Und die Ebne prangt mit ihm.
Und die Flüsse von der Ebne
Und die Bäche von den Bergen
Jauchzen ihm und rufen: Bruder!
Bruder, nimm die Brüder mit,
Mit zu deinem alten Vater,
LYRISCHE DICHTUNGEN
Zu dem ewgen Ozean,
Der mit ausgespannten Armen
Unser wartet,
Die sich, ach! vergebens öffnen,
Seine Sehnenden zu fassen;
Denn uns frißt in öder Wüste
Gierger Sand; die Sonne droben
Saugt an unserm Blut; ein Hügel
Hemmet uns zum Teiche! Bruder,
Nimm die Brüder von der Ebne,
Nimm die Brüder von den Bergen
Mit, zu deinem Vater mit!
Kommt ihr alle! —
Und nvm schwillt er
Herrlicher; ein ganz Geschlechte
Trägt den Fürsten hoch empor!
Und im rollenden Triumphe
Gibt er Ländern Namen, Städte
Werden unter seinem Fuß.
Unaufhaltsam rauscht er weiter,
Läßt der Türme Flammengipfel,
Marmorhäuser, eine Schöpfung
Seiner Fülle, hinter sich,
Zedemhäuser trägt der Atlas
Auf den Riesenschultern; sausend
Wehen über seinem Haupte
Tausend Flaggen durch die Lüfte,
Zeugen seiner Herrlichkeit.
Und so trägt er seine Brüder,
Seine Schätze, seine Kinder
Dem erwartenden Erzeuger
Freudebrausend an das Herz.
w
1772/4 FRANKFURT 12
SPRACHE
AS reich und arm! Was stark und schwach!
Ist reich vergrabner Urne Bauch?
Ist stark das Schwert im Arsenal?
Greif milde drein, und freundlich Glück
Fließt, Gottheit, von dir aus!
Fass an zum Siege, Macht, das Schwert,
Und über Nachbarn Ruhm!
KATECmSATION
Lehrer
BEDENK, o Kind! woher sind diese Gaben?
Du kannst nichts von dir selber haben.
Kind
Ei! Alles hab ich vom Papa.
Lehrer
L nd der, woher hats der?
Kind
Vom Großpapa.
Lehrer
Nicht doch! W<Aer hats denn der Großpapa bekommen:
Kind
Der hats genommen.
GENIALISCH TREIBEN
SO wälz ich ohne Unterlaß,
Wie Sankt Diogenes, mein Faß.
Bald ist es Ernst, bald ist es Spaß;
Bald ist es Lieb, bald ist es Haß;
Bald ist es dies, bald ist es das;
Es ist ein Nichts imd ist ein Was.
So wälz ich ohne Unterlaß,
Wie Sankt Diogenes, mein Faß.
2 LYRISCHE DICHTUNGEN
AUTOREN
ÜBER die Wiese, den Bach herab,
Durch seinen Garten,
Bricht er die jüngsten Bhimen ab;
Ihm schlägt das Herz vor Erwarten.
Sein Mädchen kommt — O Gewinst! o Glück!
Jüngling, tauschest deine Blüten um einen Blick!
Der Nachbar Gärtner sieht herein
Über die Hecke: "So ein Tor möcht ich sein!
Hab Freude, meine Blumen zu nähren.
Die Vögel von meinen Früchten zu wehren;
Aber, sind sie reif: Geld! guter Freund!
Soll ich meine Mühe verlieren?'"
Das sind Autoren, wie es scheint.
Der eine streut seine Freuden herum
Seinen Freunden, dem Publikima;
Der andre läßt sich pränumerieren.
REZENSENT
DA hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last;
Ich hatt just mein gewöhnlich Essen,
Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen,
Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt.
Und kaum ist mir der Kerl so satt.
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu räsonieren:
"Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein."
Der Tausendsackerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.
EIN REICHER,
dem gemeinen Wesen zur Nachricht
WOLLT ihr wissen, woher ichs hab,
Mein Haus und Hab?
Hab allerlei Pfifif ersonnen.
1772/4 FRANKFURT 123
Es mit Müh, Schweiß vind Angst gewonnen.
Genug, ich bin reich,
Und drum scheiß ich auf euch!
Mel. O Vater der Barmherzigkeit,
O Vater alles wahren Sinns
Und des gesunden Lebens,
Du Geber köstlichen Gewinns,
Du Fördrer treuen Strebens,
Sprich in mein Herz dein leises Wort,
Bewahre mich so fort und fort
Für Heuchlern und für Huren.
FLIEH, Täubchen, flieh!
Er ist nicht hie!
Der dich an dem schönsten Frühlingsmorgen
Fand im Wäldchen, wo du dich verborgen.
Flieh, Täubchen, flieh!
Er ist nicht hie!
Böser Laurer Füße rasten nie.
Horch, Flötenklang,
Liebesgesang
Wallt auf Lüftchen hin zu Liebchens Ohren,
Findt im zarten Herzen ofihe Toren.
Horch, Flötenklang,
Liebesgesang!
Horch — es wird der süßen Lieb zu bang.
Hoch ist sein Schritt,
Fest ist sein Tritt,
Schwarzes Haar auf runder Stirne webet.
Auf den Wangen ewger Frühling lebet.
Hoch ist sein Schritt,
Fest ist sein Tritt,
Edler Deutschen Füße gleiten nit.
1 2 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wonn ist die Brust,
Keusch seine Lust.
Schwarz seine Augen unter runden Bogen
Sind mit zarten Falten schön umzogen.
Wonn ist die Brust,
Keusch seine Lust,
Gleich beim Anblick du ihn lieben mußt.
Rot ist der Mund,
Der mich vervvundt,
Auf den Lippen träufeln Morgendüfte,
Auf den Lippen säuseln kühle Lüfte.
Rot ist sein Mund,
Der mich verwundt,
Nur ein Blick von ihm macht mich gesund.
Treu ist sein Blut,
Stark ist sein Mut,
Schutz und Stärke wohnt in weichen Armen,
Auf dem Antlitz edeles Erbarmen.
Treu ist sein Blut,
Stark ist sein Mut,
Selig, wer in seinen Armen ruht.
So ist der Held,
Der mir gefällt!
Und so soll mein deutsches Herz weich flöten,
Rasches Blut in meinen Adern röten?
So ist der Held,
Der mir gefällt!
Ich vertausch ihn nicht um eine Welt.
Singt, Schäfer, singt,
Wie's euch gelingt!
Wieland soll nicht mehr mit seinesgleichen
Edlen Mut von imsrer Brust verscheuchen.
Singt, Schäfer, singt,
Wie's euch gelingt,
Bis ihr deutschen Glanz zu Grabe bringt.
1772/4 FRANKFURT
DAS VEILCHEN
EIN Veilchen auf der Wiese stand
Gebückt in sich und unbekannt;
Es war ein herzigs Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin
Mit leichtem Schritt und muntenn Sinn
Daher, daher,
Die Wiese her, und sang.
Ach! denkt das Veilchen, war ich nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach, nur ein kleines Weilchen,
Bis mich das Liebchen abgepflückt
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur
Ein Viertelstündchen lang!
Ach! aber ach! das Mädchen kam
Und nicht in acht das Veilchen nahm.
Ertrat das arme Veilchen.
Eis sank und starb und freut' sich noch:
Und sterb ich denn, so sterb ich doch
Durch sie, durch sie.
Zu ihren Füßen doch.
125
[An Johann Heinrich Merck]
SCHICKE dir hier in altem Kleid
Ein neues Kindlein wohl bereit,
Und ists nichts weiters auf der Bahn,
Hats immer alte Hosen an.
Wir Neuen sind ja solche Hasen,
Sehn immer nach den alten Nasen,
Und hast ja auch, wie's jeder schaut,
Dir Neuen ein altes Haus gebaut.
Darum, wie's steht sodann geschrieben
Im Evangelium da drüben,
Daß sich der neu Most so erweist,
Daß er die alten Schlauch zerreißt—
1 2 6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ist fast das Gegenteil so wahr:
Das Alt' die jungen Schlauch reißt gar.
Und können wir nicht tragen mehr
Krebs, Panzerhemd, Helm, Schwert und Speer
Und erliegen darunter tot
Wie Ameis unterm Schollenkot,
So ist doch immer unser Mut
Wahrhaftig wahr und bieder gut.
Und allen Perückeurs und Fratzen
Und allen literarschen Katzen
Und Räten, Schreibern, Maidels, Kindern
Und wissenschaftlich schönen Sündern
Sei Trotz und Hohn gesprochen hier
Und Haß und Ärger fiir und für.
Weisen wir so diesen Philistern,
Kritikastern und ihren Geschwistern
Wohl ein jeder aus seinem Haus
Seinen Arsch zum Fenster hinaus.
DILETTANT UND KRITIKER
ES hatt ein Knab eine Taube zart,
Gar schön von Farben und bunt,
Gar herzlich lieb, nach Knabenart,
Geätzet aus seinem Mund,
Und hatte so Freud am Täubchen sein,
Daß er nicht konnte sich freuen allein.
Da lebte nicht weit ein Alt- Fuchs herum,
Erfahren und lehrreich und schwätzig darum;
Der hatte den Knaben manch Stündlein ergetzt,
Mit Wundern und Lügen verprahlt und verschwätzt.
"Muß meinem Fuchs doch mein Täubelein zeigen!"
Er lief und fand ihn strecken in Sträuchen,
"Sieh, Fuchs, mein lieb Täublein, mein Täubchen so schön!
Hast du dein Tag so ein Täubchen gesehn?"
Zeig her! — Der Knabe reichts. — Geht wohl an;
Aber es fehlt noch manches dran.
1772/4 FRANKFURT 127
Die Federn, zum Exempel, sind zu kurz geraten. —
Da fing er an, rupft' sich den Braten.
Der Knabe schrie. — Ehi mu£t stäikre einsetzen,
Sonst zierts nicht, schwinget nicht. —
Da wars nackt — Mißgeburt! — und in Fetzen.
Dem Knaben das Herze bricht.
Wer sich erkennt im Knaben gut.
Der sei vor Füchsen auf seiner Hut.
DER WELT LOHN
[Von Goethe?]
WAS du dem Publikum gesagt,
Hat ihnen dnmi nicht alles behagt.
Sie sollten nicht vergessen:
Einem geschenkten Gaul
Sieht man nicht ins Maul;
Und wer einen Korb voll Äpfel verschenkt,
Nicht just dran denkt,
Ob einen der Wurm hat angefressen.
[An Johann Christian Kestner]
WENN dem Papa sein Pfeifchen schmeckt.
Der Doktor Hofirat Grillen heckt
Und sie Karlinchen für Liebe verkauft.
Die Lotte herüber hinüber lauft,
Lenchen treuherzig und wohlgemut
In die Welt hinein lugen tut,
Mit dreckigen Händen und Honigschnitten,
Mit Löcher im Kopf nach deutschen Sitten
Die Buben jauchzen mit hellem Häuf
Tür ein Tür aus, Hof ab Hof auf.
Und Ihr mit den blauen Äugelein
Gucket so ganz gelassen drein.
Als wärt Ihr Männlein von Porzellan,
Seid innerlich doch ein wackrer Mann,
Treuer Liebhaber tmd warmer Freund:
128 LYRISCHE DICHTUNGEN
So lass des Reichs und Christen Feind,
Und Russ und Preuß und Belial
Sich teilen in den Erdenball,
Und nur das liebe Teutsche Haus
Nehmt von der großen Teilung aus.
Und daß der Weg von hier zu Euch ,
Wie Jakobs Leiter sei sicher und gleich,
Und unser Magen verdau gesund.
So segnen wir Euch mit Herz und Mund:
Gott allein die Ehr,
Mir mein Weib allein,
So kann ich und Er
Wohl zufrieden sein.
KÜNSTLERS MORGENLIED
DER Tempel ist euch aufgebaut,
Ihr hohen Musen all.
Und hier in meinem Herzen ist
Das Allerheiligste.
Wenn morgens mich die Sorme weckt,
Warm, froh ich schau umher,
Steht rings ihr Ewiglebenden
Im heiigen Morgenglanz.
Ich bpt hinan, und Lobgesang
Ist lauter mein Gebet,
Und freudeklingend Saitenspiel
Begleitet mein Gebet.
Ich trete vor den Altar hin
Und lese, wie sichs ziemt,
Andacht liturgscher Lektion
Im heiligen Homer.
Und wenn er ins Getümmel mich
Von Löwenkriegern reißt,
Und Göttersöhn auf Wagen hoch
Rachglühend stürmen an,
1772/4 FRANKFÜRT
Und Roß dann vor dem Wagen stürzt.
Und dmnter und drüber sich
Freund', Feinde wälzen in Todesblut—
Er sengte sie dahin
Mit Flammenschwert, der Heldensohn,
Zehntausend auf einmal,
Bis dann auch er, gebändiget
Von einer Götteihand,
Ab auf den Rogns niederstürzt,
Den er sich selbst gehäuft,
Und Feinde nun den schönen Leib
Verschändend tasten an:
Da greif ich mutig auf, es wird
Die Kohle zum Gewehr,
Und jene meine hohe Wand
In Schlachtfeld-Wogen braust.
Hinan! Hinan! Es heulet laut
Gebrüll der Feindeswut,
Und Schild an Schild, und Schwert auf Helm,
Und um den Toten Tod.
Ich dränge mich hinan, hinan
Da kämpfen sie um ihn,
Die tapfem Freunde, tapferer
In ihrer Tränenwut.
Ach, rettet! Kämpfet! Rettet ihn!
Ins Lager tragt ihn fort.
Und Balsam gießt dem Toten auf
Und Tränen Toten-Ehr!
Und find ich mich zurück hierher.
Empfängst du, Liebe, mich.
Mein Mädchen, ach, im Bilde nur,
Und so im Bilde warm!
^ETHE XIV a.
129
I30 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ach, wie du ruhtest neben mir
Und schmachtetest mich an,
Und mirs vom Aug durchs Herz hindurch
Zum Griflfel schmachtete!
Wie ich an Aug und Wange mich
Und Mund mich weidete,
Und mirs im Busen jung und frisch,
Wie einer Gottheit, war!
O kehre doch und bleibe dann
In meinen Armen fest,
Und keine, keine Schlachten mehr,
Nur dich in meinem Arm!
Und sollst mir, meine Liebe, sein
Alldeutend Ideal,
Madonna sein, ein Erstlingskind,
Ein heiligs, an der Brust;
Und haschen will ich, Nymphe, dich
Im tiefen Waldgebüsch;
O fliehe nicht die rauhe Brust,
Mein aufgerecktes Ohr!
Und liegen will ich Mars zu dir,
Du Liebesgöttin stark,
Und ziehn ein Netz um uns herum
Und rufen dem Olymp,
Wer von den Göttern kommen will,
Beneiden unser Glück,
Und Solls die Fratze Eifersucht,
Am Bettfuß angebarmt.
[An Friedrich Wilhelm Gotter]
SCHICKE dir hier den alten Götzen,
Magst ihn zu deinen Heilgen setzen
Oder magst ihn in die Zahl
Der Ungeblätterten stellen zumal.
1772/4 FRANKFURT 131
Habs geschrieben in guter Zeit,
Tags, Abends und Nachts Herrlichkeit,
Und find nicht halb die Freud so mehr.
Da ntm gedruckt ist ein großes Heer.
Find, daß es wie mit den Kindern ist,
Da doch wohl immer die schönste Frist
Bleibt, wenn man in der schönen Nacht
Sie hat der Heben Frau gemacht.
Das andre geht dann seinen Gang,
Und Rechnen, Wehn und Tauf und Sang.
Mögt euch nun auch ergötzen dran,
So habt ihr doppelt wohlgetan.
Magst, wie ich höre, dann allda
Agieren, tragieren Komödia
Vor Stadt und Land und Hof und Herrn,
Die sahn das Schattenspiel wohl gem.
So such dir denn in deinem Haus
Einen rechten tüchtigen Bengel aus
Und gib ihm die Roll von meinem Götz,
In Panzer, Blechhaub und Geschwätz.
Dann nimm den Weisung vor dich hin,
In Pumphos, Kragen imd stolzem Kinn,
Und Spada wohl nach Spanier Art,
Und VVeitnaslöchern, Stüt^leinbart,
Und sei ein Falscher an den Frauen,
Lass dich zuletzt vergiftet schauen.
Und bring, da hast du meinen Dank,
Mich vor die Weiblein ohn Gestank.
Mußt alle garstgen Worte lindern.
Aus Scheißkerl Schurken, aus Arsch mach Hintern,
Und gleich' das alles so fortan.
Wie dus wohl ehmals schon getan.
[An Johann Christian Kestner]
WENN einst nach überstandnen Lebens Müh und
Schmerzen
Das Glück dir Ruh und Wonnetage gibt.
Vergiß nicht den, der — ach! von ganzem Herzen,
Dich und mit dir geliebt.
132 LYRISCHE DICHTUNGEN
DAS GARSTIGE GESICHT
WENN einen würdigen Biedermann,
Pastorn oder Ratsherrn lobesan,
Die Wittib läßt in Kupfer stechen
Und drunter ein Verslein radebrechen,
Da heißts: Seht hier mit Kopf und Ohren
Den Herrn, Ehrwürdig, Wohlgeboren!
Seht seine Augen und seine Stirn;
Aber sein verständig Gehirn,
So manch Verdienst ums geraeine Wesen,
Könnt ihr ihm nicht an der Nase lesen.
So, liebe Lotte! heißts auch hier:
Ich schicke da mein Bildnis dir.
Magst wohl die ernste Stirne sehen,
Der Augen Glut, der Locken Wehen;
's ist ungefähr das garstge Gesicht —
Aber meine Liebe siehst du nicht.
DER AUTOR
WAS war ich
Ohne dich,
Freund Publikum!
All mein Empfinden Selbstgespräch,
All meine Freude stvunm.
CHRISTEL
HAB oft einen dumpfen düstem Sinn,
Ein gar so schweres Blut!
Wenn ich bei meiner Christel bin,
Ist alles wieder gut.
Ich seh sie dort, ich seh sie hier
Und weiß nicht auf der Welt,
Und wie vmd wo und wann sie mir,
Warum sie mir gefällt.
Das schwarze Schelmenaug dadrein.
Die schwarze Braue drauf.
1772/4 FRANKFURT 133
Seh ich ein einzigmal hinein,
Die Seele geht mir auf.
Ist eine, die so lieben Mund,
Liebrunde Wänglein hat?
Ach, und es ist noch etwas rund,
Da sieht kein Aug sich satt!
Und wenn ich sie denn fassen darf
Im luftgen deutschen Tanz,
Das geht herum, das geht so scharf.
Da fühl ich mich so ganz!
Und wenns ihr taumlig wird und warm,
Da wieg ich sie sogleich
An meiner Brust, in meinem Arm;
's ist mir ein Königreich!
Und wenn sie liebend nach mir blickt
Und alles nuid vergißt,
Und dann an meine Brust gedrückt
Und weidlich eins geküßt,
Das läuft mir durch das Rückenmark
Bis in die große Zeh!
Ich bin so schwach, ich bin so stark,
Mir ist so wohl, so weh!
Da möcht ich mehr und immer mehr.
Der Tag wird mir nicht lang;
Wenn ich die Nacht auch bei ihr war,
Davor war mir nicht bang.
Ich denk, ich halte sie einmal
Und büße meine Lust;
Und endigt sich nicht meine Qual,
Sterb ich an ihrer Brust!
RETTUNG
MEIN Mädchen ward mir ungetreu.
Das machte mich zum Freudenhasser;
Da lief ich an ein fließend Wasser,
Das Wasser lief vor mir vorbei.
1 3 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
Da stand ich nun, verzweiflcnd, stumm
Im Kopfe war mirs wie betrvmken,
Fast war ich in den Strom gesunken,
Es ging die Welt mit mir herum.
Auf einmal hört ich was, das rief—
Ich wandte just dahin den Rücken —
Es war ein Stimmchen zum Entzücken:
"Nimm dich in acht! der Fluß ist tief.'
Da lief mir was durchs ganze Blut,
Ich seh, so is'ts ein liebes Mädchen;
Ich frage sie: Wie heißt du? "Käthchen!"
O schönes Käthchen! Du bist gut.
Du hältst vom Tode mich zurück,
Auf immer dank ich dir mein Leben;
Allein das heißt mir wenig geben,
Nun sei auch meines Lebens Glück!
Und dann klagt ich ihr meine Not,
Sie schlug die Augen lieblich nieder;
Ich küßte sie und sie mich wieder,
Und — vor der Hand nichts mehr von Tod.
DER NEUE AMADIS
ALS ich noch ein Knabe war,
Sperrte man mich ein,
Und so saß ich manches Jahr
Über mir allein
Wie in Mutterleib.
Doch du warst mein Zeitvertreib
Goldne Phantasie,
Und ich ward ein wanner Held,
Wie der Prinz Pipi,
Und diurchzog die Welt.
1772/4 FRANKFURT
Baute manch kristallen Schloß
Und zerstört' es auch,
Warf mein blinkendes Geschoß
Drachen durch den Bauch,
Ja, ich war ein Mann!
Ritteriich befreit ich dann
Die Prinzessin Fisch;
Sie war gar zu obligeant,
Führte mich zu Tisch,
Und ich war galant.
Und ihr Kuß war Götterbrot,
Glühend wie der Wein.
Ach! ich liebte fast mich totl
Rings mit Sonnenschein
War sie emailliert.
Ach! wer hat sie mir entfuhrt?
Hielt kein Zauberband
Sie zurück vom schnellen Fliehn?
Sagt, wo ist ihr Land?
Wo der Weg dahin?
DER UNTREUE KNABE
ES war ein Knabe frech genung,
War erst aus Frankreich kommen,
Der hatt ein armes Mädel jung
Gar oft in Arm genommen
Und liebgekost und liebgeherzt.
Als Bräutigam herumgescherzt,
Und endlich sie verlassen.
Das braune Mädel das erfuhr,
Vergingen ihr die Sinnen,
Sie lacht' und weint' und bet't' und schwur;
So fuhr die Seel von hinnen.
Die Stund, da sie verschieden war,
Wird bang dem Buben, graust sein Haar,
Es treibt ihn fort zu Pferde.
135
136 LYRISCHE DICHTUNGEN
Er gab die Sporen kreuz und quer
Und ritt auf alle Seiten,
Herüber, hinüber, hin und her,
Kann keine Ruh erreiten,
Reit't sieben Tag und sieben Nacht;
Es blitzt und donnert, stürmt und kracht.
Die Fluten reißen über.
Und reit't in Blitz und Wetterschein
Gemäuerwerk entgegen,
Bindts Pferd hauß' an und kriecht hinein
Und duckt sich vor dem Regen.
Und wie er tappt, und wie er fühlt,
Sich unter ihm die Erd erwühlt;
Er stürzt wohl hvmdert Klafter.
Und als er sich ermannt vom Schlag,
Sieht er drei Lichtlein schleichen,
Er rafft sich auf und krabbelt nach,
Die Lichtlein ferne weichen,
Irrführen ihn die Quer und Läng,
Trepp auf, Trepp ab, durch enge Gang,
Verfallne wüste Keller.
Auf einmal steht er hoch im Saal,
Sieht sitzen hundert Gäste,
Hohläugig grinsen allzumal
Und winken ihm zum Feste.
Er sieht sein Schätzel untenan
Mit weißen Tüchern angetan,
Die wend't sich —
DER KÖNIG IN THULE
ES war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
1772/4 FRANKFURT 137
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
Sooft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt' er seine Stadt' im Reich,
Gönnt' alles seinen Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut,
Und warf den heiigen Becher
Hinunter in die Flut.
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen täten ihm sinken;
Trank nie einen Tropfen mehr.
KENNER UND KÜNSTLER
Kenner
GUT! Brav, mein Herr! Allein
Die linke Seite
Nicht ganz gleich der rechten:
Hier scheint es mir zu lang,
Und hier zu breit;
Hier zuckts ein wenig,
Und die Lippe
Nicht ganz Natur,
So tot noch alles!
Künstler
O ratet! helft mir,
Daß ich mich vollende!
138 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wo ist der Urquell der Natur,
Daraus ich schöpfend
Himmel fühl und Leben
In die Fingerspitzen hervor?
Daß ich mit Göttersinn
Und Menschenhand
Vermöge zu bilden,
Was bei meinem Weib
Ich animalisch kann und muß!
Kenner
Da sehen Sie zu.
Künstler
So!
MONOLOG DES LIEBHABERS
WAS nutzt die glühende Natur
Vor deinen Augen dir,
Was nutzt dir das Gebildete
Der Kunst rings um dich her,
Wenn liebevolle Schöpfungskraft
Nicht deine Seele füllt
Und in den Fingerspitzen dir
Nicht wieder bildend wird?
GUTER RAT
GESCHIEHT wohl, daß man einen Tag
Weder sich noch andre leiden mag,
Will nichts dir nach dem Herzen ein;
Sollts in der Kunst wohl anders sein?
Drum hetze dich nicht zur schlimmen Zeit,
Denn Füll und Kraft sind nimmer weit:
Hast in der bösen Stund geruht,
Ist dir die gute doppelt gut.
X772/4 FRANKFÜRT 139
AUF MSLL. N. N.
THR Herz ist gleich
JlDein Himmelreich:
Weil die geladenen Gäste
Nicht kamen,
Ruft sie zum Feste
Krüppel mid Lahmen.
[Bniclist&ck]
UND fand, als ich mich aa%erafit.
Verschüttet, ach, in meinem Bette
Des Lebens Balsams Füllekraft,
Womit ein Fürstenkind sich wohl begnüget hätte.
GANYMED
WIE im Morgenglanze
Ehi rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit taxisendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!
Daß ich dich fassen möcht
In diesen Arm!
Ach^an deinem Bnsen
lieg ich, schmachte.
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal.
Ich komm, ich komme!
Wohin? Ach, wohin?
I40 LYRISCHE DICHTUNGEN
Hinauf! Hinauf strebts.
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! Mir!
In euerm Schöße
Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen,
Allliebender Vater!
MIT EINER ZEICHNUNG
SIEH in diesem Zauberspiegel
Einen Traum, wie Heb imd gut
Unter ihres Gottes Flügel
Unsre Freundin leidend ruht.
Schaue, wie sie sich hinüber
Aus des Lebens Woge stritt;
Sieh dein Bild ihr gegenüber
Und den Gott, der für euch litt.
Fühle, was ich in dem Weben
Dieser Himmelsluft gefühlt.
Als mit ungeduldgem Streben
Ich die Zeichnung hingewühlt.
1774 RHEINREISE
ZWISCHEN Lavater iind Basedow
Saß ich bei Tisch des Lebens froh.
Herr Helfer, der war gar nicht faul,
Setzt' sich auf einen schwarzen Gaul,
Nahm einen Pfarrer hinter sich
Und auf die Offenbarung strich,
Die rms Johannes der Prophet
Mit Rätseln wohl versiegeln tat;
Eröffnet' die Siegel kurz und gut,
Wie man Theriaksbüchseu öffnen tut,
Und maß mit einem heiligen Rohr
Die Kubusstadt und das Perlentor
Dem hocherstaunten Jünger vor.
Ich war indes nicht weit gereist.
Hatte ein Stück Salmen aufgespeist.
Vater Basedow, unter dieser Zeit,
Packt einen Tanzmeister an seiner Seit
Und zeigt ihm, was die Taufe klar
Bei Christ und seinen Jüngern war;
Und daß sichs gar nicht ziemet jetzt.
Daß man den Kindern die Köpfe netzt.
Drob ärgert sich der andre sehr
Und wollte gar nichts hören mehr.
Und sagt: es wüßte ein jedes Kind,
Daß es in der Bibel anders stund.
Und ich behaglich unterdessen
Hätt einen Hahnen aufgefressen.
*
Und, wie nach Emmaus, weiter gings
Mit Geist- und Feuerschritten,
Prophete rechts, Prophete links,
Das Weltkind in der Mitten.
n. SURA
Sist so viel Heimweh in der Welt, daß eins dem andern
die Wage hält;
Da streckt er sich in seinem Bett — denkt, o daß ich mein
Weibchen hätt.
Ich kröne mich in meinem Sinn; fort ist die gute Meyerin!
144 LYRISCI^E DICHTUNGEN
Doch hoffen wir wieder Maien-Freud,
Er lehret und bekehrt die Leut,
Ich fahr zum schönen Liesel heut.
explicit Sura.
i
WENN du darnach was fragst,
Wir waren hier.
Du, der du nach uns kommen magst,
Hab wenigstens so frisches Blut,
Und sei so leidlich fromm und gut
Und leidlich glücklich, als wie wir!
w
IR werden nun recht gut geführt,
Weil Basedow das Ruder rührt.
[In das Stammbuch des Zeichners Georg Friedrich Schmoll]
GELACHT! Geschrieben!
Die Zeit vertrieben!
Die Zeit gehalten
Heißt wohl verwalten.
Auf der Lahn ut supra
^ Goethe.
AUCH was die Quer,
So gehts auf der Welt her.
Auch etwas grad
Wie die Allee im Bad.
Auch etwas ringsherum,
Geht alles um und um.
GEISTES -GRUSS
HOCH auf dem alten Turme steht
Des Helden edler Geist,
Der, wie das Schiff vorübergeht.
Es wohl zu fahren heißt.
1774 RHEINREISE
"Sieh, diese Senne war so stark,
Dies Herz so fest und wild,
Die Knochen voll von Rittermark,
Der Becher angefüllt;
Mein halbes Leben stürmt ich fort,
Verdehnt die Hälft in Ruh,
Und du, du Menschen- Schi filein dort,
Fahr immer, immer zu!"
[In den Kalender der Frau Hofrat Kämpf
SARAH kocht' unserm Herre Gott,
Elisabeth Götzen in der Not,
Nahmen sich ihres Hauses an,
Waren Gott lieb, waren lieb dem Mann.
Du sorgtest für die Freimde hier.
Drum, liebes Weibchen, dank ich dir.
145
DEM PASSAVANT- UND SCHÜBLERISCHEN
BRAUTPAARE
DE GESCmVISTER DES BRÄUTIGAMS
ER fliegt hinweg, dich zu mnfangen.
Und unsre Seele jauchzt ihm lautj
Mit innig heißerem Verlangen
Flog nie der Bräutigam zur Braut.
O Schwester, willst du länger weilen?
Auf, bring uns doppelt ihn ziurück!
Wir woUen alles mit dir teilen
Und unser Herz und unser Glück.
Die besten Eltern zu verlassen,
Die Freunde, denen du verschwindst,
Ist traurig. Doch, um dich zu fassen.
Bedenke, was du wiederfindst.
Dein Glück, o Freundin, wird nicht minder.
Und unsers wird durch dich vermehrt.
Sieh, dich erwarten muntre Kinder,
Die werten Eltern Gott beschert,
GOETHE XIV lo.
146 LYRISCHE DICHTUNGEN
Komm zu dem täglich neuen Feste,
Wo warme Liebe sich ergießt,
Ringsum die brüderlichen Gäste,
Da eins des andern Glück genießt.
Im langgehofften Sommerregen
Reicht Gott dem früchtevollen Land
Erquickung, tausendfältgen Segen;
Reich du dem Bruder deine Hand.
Und mit der Hand ein künftig Glücke
Für ihn und dich und uns zugleich;
Dann werden jede Augenblicke
An neuen Lebensfreuden reich.
Ja, es sind wonnevolle Schmerzen,
Was aus der Eltern Auge weint;
Sie sehen dich mit warmem Herzen
Mit deiner Schwester neu vereint.
Wie Freud und Tanz ihn dir ergeben
Und Jugendwonne euch verknüpft.
So seht einst euer ganzes Leben
Am schönen Abend hingeschlüpft.
Und war das Band, das euch verbunden,
Gefühlvoll, warm und heilig rein,
So laßt die letzte eurer Stunden
Wie eure erste heiter sein.
I774-I77S FRANKFURT
KENNER UND ENTHUSIAST
ICH fahrt einen Freund zum Maidel jnng.
Wollt ihm zu genießen geben,
Was alles es hält, gar Freud genung,
Frisch junges warmes Leben.
Wir £anden sie sitzen an ihrem Bett,
Tat sich auf ihr Händlein stützen.
Der Herr, der macht' ihr ein Kompliment,
Tat gegen ihr über sitzen.
Er spitzt die Nase, er sturt sie an,
Betracht't sie herüber, hinübei^
Und um mich wars gar bald getan,
Die Sinnen gingen mir über.
Der liebe Herr für allen Dank
Führt mich drauf in eine Ecken
Und sagt, sie war doch allzu schlank
Und hätt auch Sommerflecken.
Da nahm ich von meinem Kind Adieu,
Und scheidend sah ich in die Höh:
Ach Herre Gott, ach Herre Gott,
Erbarm dich doch des Heiren!
Da fuhrt ich ihn in die Galerie
Voll Menschenglut und Geistes;
Mir wirds da gleich, ich weiß nicht wie.
Mein ganzes Herz zerreißt es.
O Maler! Maler! rief ich laut.
Belohn dir Gott dein Malen!
Und nur die allerschönste Braut .
Kann dich für uns bezahlen.
Und sieh, da ging mein Herr herum
Und stochert' sich die Zähne,
Registriert' in Katalogum
Mir meine Göttersöhne.
Mein Busen war so voll und bang,
Von hundert Welten trächtig;
Ihm war bald was zu kurz, zu lang.
Wägt* alles gar bedächtig.
1 5 o LYRISCHE DICHTUNGEN
Da warf ich in ein Eckchen mich,
Die Eingeweide brannten.
Um ihn versammelten Männer sich,
Die ihn einen Kenner nannten.
AN SCHWAGER KRONOS
SPUDE dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trott!
Bergab gleitet der Weg;
Ekles Schwindeln zögert
Mir vor die Stirne dein Zaudern.
Frisch, holpert es gleich,
Über Stock und Steine den Trott
Rasch ins Leben hinein!
Nun schon wieder
Den eratmenden Schritt
Mühsam Berg hinauf!
Auf denn, nicht träge denn,
Strebend und hofifend hinan!
Weit, hoch, herrlich der Blick
Rings ins Leben hinein,
Vom Gebirg zum Gebirg
Schwebet der ewige Geist,
Ewigen Lebens ahndevoll.
Seitwärts des Überdachs Schatten
Zieht dich an
Und ein Frischung verheißender Blick
Auf der Schwelle des Mädchens da.
Labe dich! — Mir auch, Mädchen,
Diesen schäumenden Trank,
Diesen frischen Gesundheitsblick!
Ab denn, rascher hinab!
Sieh, die Sonne sinkt!
Eh sie sinkt, eh mich Greisen
Ergreift im Moore Nebelduft,
Entzahnte Kiefer schnattern
Und das schlotternde Gebein.
1774/5 FRANKFURT 151
Trunknen vom letzten Strahl
Reiß mich, ein Feuermeer
Mir im schäumenden Aug,
Mich geblendeten Taumelnden
In der Hölle nächtliches Tor.
Töne, Schwager, ins Hom,
Raßle den schallenden Trab,
Daß der Orkus vernehme: wir kommen.
Daß gleich an der Türe
Der Wirt uns frevmdlich empfange.*
PROMETHEUS
BEDECKE deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn}
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opferst euem
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hofihungsvolle Toren.
Die letzten drei Verse in älterer Fassang:
Daß der Orkus vernehme; ein Fürst kommt,
Drunten von ihren Sitzen
Sich die Gewaltigen lüften.
152 LYRISCHE DICHTUNGEN
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein, ,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber war
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich.
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz? a
Und glühtest jung und gut, f
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen.
Zu genießen und zu freuen sich.
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
1774/5 FRANKFURT 153
IN DAS STAMMBUCH
JOHANN PETER DE REYNIERS
EIN teures Büchlein siehst du hier,
Voll Pergament und weiß Papier,
Das wohl schon an die hundert Jahr
Zum Stammbuch eingeweihet war.
Prädestination ist ein Wunderding;
Wie es dem lieben Büchlein ging,
So ging es auch, wie's jeder schaut,
Dem König von Garbe seiner Braut.
Davon ich die Historiam
Hier nicht erzähl aus Sitt und Scham,
Wie solches auf dem vorgen Blatt
Herr Reynier sich ausgebeten hat.
Möcht er wohl vorgesehen haben.
Was drüber kämen für feine Knaben;
Gnug, er das Buch für gutes Geld
Für seine Freunde weiß bestellt.
Drei, vier Blätter, die sind beschrieben.
Die andern sind auch weiß geblieben.
Hat sie das Geschick mir zudacht.
Nach Erbschafts Moder und langer Nacht
Zog es endlich der Jungfrauen Flor
Aus Schutt und Staub und Graus hervor
Und gab es mir und schenkt' es mir.
Als wohlbekannt wegen viel Geschmier,
Daß ich Papier und Pergament
Erfüllt mit Werken meiner Hand;
Dazu bei Schnee und Winternacht
Der Anfang alsobald gemacht.
Da wir wohl hinterm Ofen saßen,
Borsdorfer Äpfel weidUch fraßen.
Zugegen war die Jungfrau lieb,
Von Post und Kirch zwei große Dieb,
Dadurch Weihung nicht gering
Ihre rechte Würdigkeit empfing,
Da es nach Christ Eintausend Jahr
Siebenhimdert und vier und siebzig war,
1 5 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
Zwei Tage nach Martini Tag,
Abends mit'm achten Glockenschlag.
Frankfurt am Main, des Witzes Flor,
Nicht weit vom Eschenheimer Tor,
Findest das Haus nach dem ABC:
Hundert sieben und fünfzig Litera D.
Und hiermit mach ich den Beschluß.
Hab freilich alles nicht beschrieben,
Genug, was wir zusammen trieben,
War nicht Actus continuus,
»
Den Abend drauf, nach Schrittschuhfahrt,
Mit Jungfräulein von edler Art,
Staats-Kirschen-Tort, gemeinem Bier
Den Abend zugebracht allhier.
Und Äugelein schön tmd Lichter Glanz,
Ram, Sitha, Hannemann und sein Schwanz.
[An HIeronymus Peter Schlosser]
DU, dem die Musen von den Akten- Stöcken
Die Rosenhände willig strecken,
Der zweener Herren Diener ist,
Die ärgre Feinde sind als Mammonas tmd Christ,
Den Weg zum Römer selbst mit Blumen dir bestreust,
Dem Winter Lieblichkeit und Dichterfreuden leihst:
Kein Wunder, daß auch deine Gunst
Zu meinem Vorteil diesmal schwärmet,
Das flache Denkmal unsrer Kunst
Mit freundlicher Empfindung wärmet.
Lass es an deiner Seite stehn.
Schenk ihm, auch unverdient, die Ehre,
Und möchtest du an dem Versuche sehn,
Was ich gern dir und gern den Musen wäre.
SENDSCHREIBEN
MEIN altes Evangelium
Bring ich dir hier schon wieder;
Doch ist mirs wohl um mich herum,
Darum schreib ich dirs nieder.
L
1774/5 FRANKFURT 155
Ich holte Gold, ich holte Wein,
Stellt alles da zusammen;
Da, dacht ich, da wird Wärme sein,
Geht mein Gemäld in Flammen!
Auch tat ich bei der Schätze Flor
Viel Glut und Reichtum schwärmen;
Doch Menschenfleisch geht allem vor.
Um sich daran zu wärmen.
Und wer nicht richtet, sondern fleißig ist,
Wie ich bin und wie du bist,
Den belohnt auch die Arbeit mit Genuß;.
Nichts wird auf der Welt ihm Überdruß.
Denn er blecket nicht mit stumpfem Zahn
Lang Gesottnes und Gebratnes an,
Das er, wenn er noch so sittlich kaut.
Endlich doch nicht sonderlich verdaut;
Sondern faßt ein tüchtig Schinkenbein,
Haut da gut taglöhnermäßig drein.
Füllt bis oben gierig den Pokal,
Trinkt, und wischt das Maul wohl nicht einmal.
Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig,
Unverstanden, doch nicht unverständlich;
Denn dein Herz hat viel und groß Begehr,
Was wohl in der Welt für Freude war,
Allen Sonnenschein und alle Bäume,
Alles Meergestad und alle Träume
In dein Herz zu sammeln miteinander.
Wie die Welt durchwühlend Banks, Solander.
Und wie muß dirs werden, wenn du fühlest.
Daß du alles in dir selbst erzielest,
Freude hast an deiner Frau und Hunden,
Als noch keiner in Elysium gefunden.
Als er da mit Schatten lieblich schweifte
Und an goldne Gottgestalten streifte.
Nicht in Rom, in Magna Gräcia,
Dir im Herzen ist die Wonne da!
Wer mit seiner Mutter, der Natur, sich hält
Findt im Stengelglas wohl eine Welt.
156 LYRISCHE DICHTUNGEN
KÜNSTLERS ABENDLIED
ACH, daß die innre Schöpfungskraft
Durch meinen Sinn erschölle!
Daß eine Bildung voller Saft
Aus meinen Fingern quölle!
Ich zittre nur, ich stottre niu-.
Und kann es doch nicht lassen;
Ich fühl, ich kenne dich, Natur,
Und so muß ich dich fassen.
Bedenk ich dann, wie manches Jahr
Sich schon mein Sinn erschließet,
Wie er, wo dürre Heide war.
Nun Freudenquell genießet;
Wie sehn ich mich, Natur, nach dir,
Dich treu und lieb zu fühlen!
Ein lustger Springbrunn wirst du mir
Aus tausend Röhren spielen.
Wirst alle meine Kräfte mir
In meinem Sinn erheitern
Und dieses enge Dasein hier
Zur Ewigkeit erweitern.
[In ein Exemplar der 'Leiden des jungen Werthers']
IN jammervolle Seelenfreuden
Sei bei des Armen Not entzückt.
Ihm schuf sein Herz die bittre Leiden —
Deins, mache Doron dich beglückt.
BLEIBE, bleibe bei mir.
Holder Fremdling, süße Liebe,
Holde süße Liebe,
Und verlasse die Seele nicht!
Ach, wie anders, wie schön
Lebt der Himmel, lebt die Erde,
Ach, wie fühl ich, wie fühl ich I
Dieses Leben zum ersten Mal!
1774/5 FRANKFURT 157
NEUE LIEBE NEUES LEBEN
HERZ, mein Herz, was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Weich ein fremdes, neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr.
Weg ist alles, was du liebtest,
Weg, wanim du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh —
Ach, wie kamst du nur dazu!
Fesselt dich die Jugendblüte,
Diese liebliche Gestalt,
Dieser Blick voll Treu und Güte
Mit unendlicher Gewalt?
Will ich rasch mich ihr entziehen,
Mich ermannen, ihr entfliehen,
Führet mich im Augenblick,
Ach, mein Weg zu ihr zurück.
Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen läßt.
Hält das liebe, lose Mädchen
Mich so wider Willen fest;
Muß in ihrem Zauberkreise
Leben nun auf ihre Weise.
Die Verändrung, ach, wie groß!
Liebe! Liebe! laß mich los!
AN BELINDEN
WARUM ziehst du mich unwiderstehlich,
Ach, in jene Pracht?
War ich guter Junge nicht so selig
In der öden Nacht?
Heimlich in mein Zimmerchen verschlossen.
Lag im Mondenschein,
Ganz von seinem Schauerlicht lunflossen,
Und ich dämmert einj
1 5 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Träumte da von vollen goldnen Stunden
Ungemischter Lust,
Hatte schon dein liebes Bild empfunden .
Tief in meiner Brust.
Bin ichs noch, den du bei so viel Lichtern
An dem Spieltisch hältst?
Oft so vmerträglichen Gesichtern
Gegenüber stellst?
Reizender ist mir des Frühlings Blüte
Nun nicht auf der Flur;
Wo du, Engel, bist, ist Lieb und Güte,
Wo du bist, Natur.
[Widmung von 'Erwin und Elmire']
[An Lili Schönemann]
DEN kleinen Strauß, den ich dir binde,
Pflückt ich aus diesem Herzen hier.
Nimm ihn gefällig auf. Belinde,
Der kleine Strauß, er ist von mir.
[Auf Nicolai]
MAG jener dünkelhafte Mann
Mich als gefährlich preisen;
Der Plumpe, der nicht schwimmen kann,
Er wills dem Wasser verweisen!
Was schiert mich der Berliner Bann,
Geschmäcklerpfaffenwesen!
Und wer mich nicht verstehen kann,
Der lerne besser lesen.
FREUDEN DES JUNGEN WERTHERS
EIN junger Mensch, ich weiß nicht, wie,
Starb einst an der Hypochondrie
Und ward denn auch begraben.
Da kam ein schöner Geist herbei,
Der hatte seinen Stuhlgang frei.
1774/5 FRANKFURT 159
Wie's denn so Leute haben.
Der setzt' notdürftig sich aufs Grab
Und legte da sein Häuflein ab,
Beschaute freundlich seinen Dreck,
Ging wohl eratmet wieder weg
Und sprach zu sich bedächtiglich:
"Der gute Mensch, wie hat er sich verdorben!
Hätt er geschissen so wie ich,
Er wäre nicht gestorben!"
STOSSGEBET
VOR Werthers Leiden,
Mehr noch vor seinen Freuden
Bewahr uns, lieber Herre Gott!
DEN MÄNNERN ZU ZEIGEN
I. Samuelis i6. Kap. ti. Vers.
Und Samuel sprach zu Isal: Sind das die Knaben alle?
ACH! ich war auch in diesem Falle:
Als ich die Weisen hört imd las,
Da jeder diese Welten alle
Mit seiner Menschenspanne maß,
Da fragt ich: aber — sind sie das,
Sind das die Knaben alle?
SEHNSUCHT
Melodie: Ol Vater der Barmherzigkeit etc.
DIES wird die letzte Trän nicht sein,
Die glühend herzauf quillet,
Das mit imsäglich neuer Pein
Sich schmerzvermehrend stillet.
O! lass doch immer hier tmd dort
Mich ewig Liebe fühlen.
Und möcht der Schmerz auch also fort
Durch Nerv' und Adern wühlen.
i6o LYRISCHE DICHTUNGEN
Könnt ich doch ausgefüllt einmal
Von dir, o Ewger! werden —
Ach, diese lange, tiefe Qual,
Wie dauert sie auf Erden!
[An Johann Heinrich Merck]
HIER schick ich dir ein tem-es Pfand,
Das ich mit eigner hoher Hapd,
Mit Zirkel rein und Lineal
Gefertigt dir zur Zeichen-Schal
Und auch zu festem Kraft und Gnind
In einer guten Zeichen -Stund.
Nimms, lieber Alter, auf dein Knie
Und denke mein, wenns imi dich schwebt,
Wie es in Sympathien hie
Um mein verschwirbelt Hirnchen lebt.
Geb Gott dir Lieb zu deinem Pantoffel,
Ehr jede krüpplige Kartoffel,
Erkenne jedes Dings Gestalt,
Sein Leid und Freud, Ruh und Gewalt,
Und fiihle, wie die ganze Welt
Der große Himmel zusammenhält.
Dann du ein Zeichner, Kolorist,
Haltungs und Ausdrucks Meister bist.
I77S
REISE IN DIE SCHWEIZ
50ETHE XIV ,1.
AN LOTTCHEN
MITTEN im Getümmel mancher Freuden,
Mancher Sorgen, mancher Herzensnot,
Denk ich dein, o Lottchen, denken dein die beiden,
Wie beim stillen Abendrot
Du die Hand uns freundlich reichtest,
Da du uns auf reich bebauter Flur,
In dem Schöße herrlicher Natur,
Manche leicht verhüllte Spur
Einer lieben Seele zeigtest.
Wohl ist mirs, daß ich dich nicht verkannt,
Daß ich gleich dich in der ersten Stunde,
Ganz den Herzensausdruck in dem Munde,
Dich ein wahres, gutes Kind genannt.
Still und eng und ruhig auferzogen
Wirft man uns auf einmal in die Welt;
Uns umspülen hunderttausend Wogen,
Alles reizt uns, mancherlei gefällt,
Mancherlei verdrießt ims, und von Stund zu Stunden
Schwankt das leichtunruhige Gefühl;
Wir empfinden, imd was wir empfunden.
Spült hinweg das bunte Weltgewühl.
Wohl, ich weiß es, da durchschleicht uns innen
Manche Hoffnung, mancher Schmerz.
Lottchen, wer kennt unsre Sinnen?
Lottchen, wer kennt unser Herz?
Ach, es möchte gern gekannt sein, überfließen
In das Mitempfinden einer Kreatur, " ^
Und vertrauend zwiefach neu genießen
Alles Leid vmd Freude der Natur.
Und da sucht das Aug oft so vergebens
Ringsumher und findet alles zu;
So vertaumelt sich der schönste Teil des Lebens
Ohne Sturm und ohne Ruh,
Und zu deinem ewgen Unbehagen
Stößt dich heute, was dich gestern zog.
Kannst du zu der Welt nur Neigung tragen.
Die so oft dich trog
i64 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und bei deinem Weh, bei deinem Glücke
Blieb in eigenwillger, starrer Ruh?
Sieh, da tritt der Geist in sich zurücke,
Und das Herz — es schließt sich zu.
So fand ich dich und ging dir frei entgegen.
O sie ist wert, zu sein geliebt!
Rief ich, erflehte dir des Himmels reinsten Segen,
Den er dir nun in deiner Freundin gibt.
[In das Stammbuch von Jakob Michael Reinhold Lenz]
ZUR Erinnerung guter Stunden,
Aller Freuden, aller Wunden,
Aller Sorgen, aller Schmerzen
In zwei tollen Dichter-Herzen,
Noch im letzten Augenblick
Lass ich Lenzchen dies zurück.
[Auf dem Züricher See]
OHNE Wein kanns uns auf Erden
Nimmer wie dreihtmdert werden.
Ohne Wein und ohne Weiber
Hol der Teufel unsre Leiber.
AUF DEM SEE -^1
UND frische Nahrung, neues Blut
Saug ich aus freier Welt;
Wie ist Natur so hold und gut.
Die mich am Busen hält!
Die Welle wieget unsem Kahn
Im Rudertakt hinauf.
Und Berge, wolkig himmelan,
Begegnen unserm Lauf.
Aug, mein Aug, was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb und Leben ist.
1775 REISE IN DIE SCHWEIZ 1 6 5
Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne,
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.
VOM BERGE
WENN ich, Hebe Lili, dich nicht liebte.
Welche Wonne gab mir dieser Blick!
Und doch, wenn ich, Lili, dich nicht liebte.
Fand ich hier und fand ich dort mein Glück:
[An die Wand von Lavaters Stube
im Pfarrhaus zu Oberried]
BIST du hier,
Bin ich dir
Immer gegenwärtig;
Machst du hier,
Machst mit mir
Deine Werke fertig.
1775
SOMMER -HERBST
FRANKFURT
[Titelstrophen für ,Die Leiden des jungen \Verthers%
Zweite Auflage]
[Zum ersten Teil]
JEDER Jüngling sehnt sich, so zu lieben,
Jedes Mädchen, so geliebt zu sein;
Ach, der heiligste von unsern Trieben,
Warum quillt aus ihm die grimme Pein?
[Zum zweiten Teil]
Du beweinst, du liebst ihn, liebe Seele,
Rettest sein Gedächtnis von der Schmach;
Sieh, dir winkt sein Geist aus seiner Höhle:
Sei ein Mann, und folge mir nicht nach.
BUNDESLIED
IN allen guten Stunden,
Erhöht von Lieb und Wein,
Soll dieses Lied verbunden
Von uns gesungen sein!
Uns hält der Gott zusammen.
Der uns hierher gebracht.
Erneuert imsre Flammen,
Er hat sie angefacht.
So glühet fröhlich heute,
Seid recht von Herzen eins!
Auf, trinkt erneuter Freude
Dies Glas des echten Weins!
Auf, in der holden Stunde
Stoßt an und küsset treu,
Bei jedem neuen Bunde,
Die alten wieder neu!
Wer lebt in unserm Kreise,
Und lebt nicht selig drin:
Genießt die freie Weise
Und treuen Brudersinn!
1 7 o LYRISCHE DICHTUNGEN
So bleibt durch alle Zeiten
Herz Herzen zugekehrt;
Von keinen Kleinigkeiten
Wird unser Bund gestört.
Uns hat ein Gott gesegnet
Mit freiem Lebensblick,
Und alles, was begegnet,
Erneuert unser Glück.
Durch Grillen nicht gedränget;
Verknickt sich keine Lust;
Durch Zieren nicht geenget,
Schlägt freier unsre Brust.
Mit jedem Schritt wird weiter
Die rasche Lebensbahn,
Und heiter, immer heiter
Steigt unser Blick hinan.
Uns wird es nimmer bange,
Wenn alles steigt und fällt.
Und bleiben lange, lange!
Auf ewig so gesellt.
HERBSTGEFÜHL
FETTER grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf!
Gedrängter quellet,
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller tmd glänzend voller!
Euch brütet der Mutter Sonne
Scheideblick, euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle;
Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,
Und euch betauen, ach!
Aus diesen Augen
Der ewig belebenden Liebe
Vollschwellende Tränen.
1775 SOMMER/HERBST, FRANKFURT ^T^
WONNE DER WEHMUT
TROCKNET nicht, trocknet nicht,
Tränen der ewigen Liebe!
Ach, nur dem halbgetrockneten Auge
Wie öde, wie tot die Welt ihm erscheint!
Trocknet nicht, trocknet nicht,
Tränen imglücklicher Liebe!
LILIS PARK
IST doch keine Menagerie
So bunt als meiner Lili ihre!
Sie hat darin die wunderbarsten Tiere
Und kriegt sie 'rein, weiß selbst nicht wie.
O wie sie hüpfen, laufen, trappeln.
Mit abgestumpften Flügeln zappeln,
Die armen Prinzen allzumal,
In nie gelöschter Liebesqual!
"Wie hieß die Fee? — Lili?" — Fragt nicht nach ihr!
Kennt ihr sie nicht, so danket Gott dafür.
Welch ein Geräusch, welch ein Gegacker,
Wenn sie sich in die Türe stellt
Und in der Hand das Futterkörbchen hält!
Welch ein Gequiek, welch ein Gequacker!
Alle Bäume, alle Büsche
Scheinen lebendig zu werden:
So stürzen sich ganze Herden
Zu ihren Füßen; sogar im Bassin die Fische
Patschen ungeduldig mit den Köpfeij heraus.
Und sie streut dann das Futter aus
Mit einem Blick — Götter zu entzücken,
Geschweige die Bestien. Da gehts an ein Picken,
An ein Schlürfen, an ein Hacken;
Sie stürzen einander über die Nacken,
Schieben sich, drängen sich, reißen sich,
Jagen sich, ängsten sich, beißen sich,
Und das all um ein Stückchen Brot,
172 LYRISCHE DICHTUNGEN
Das, trocken, aus den schönen Händen schmeckt,
Als hätt es in Ambrosia gesteckt.
Aber der Blick auch! der Ton,
Wenn sie ruft: Pipi! Pipi!
Zöge den Adler Jupiters vom Thron;
Der Venus Taubenpaar,
Ja der eitle Pfau sogar,
Ich schwöre, sie kämen,
Wenn sie den Ton von weitem nur vernähmen.
Denn so hat sie aus des Waldes Nacht
Einen Bären, ungeleckt und ungezogen,
Unter ihren Beschluß herein betrogen,
Unter die zalime Kompanie gebracht
Und mit den andern zahm gemacht:
Bis auf einen gewissen Punkt, versteht sich!
Wie schön und ach! wie gut
Schien sie zu sein! Ich hätte mein Blut
Gegeben, tmi ihre Blumen zu begießen.
"Ihr sagtet: ichl Wie? Wer?"
Gut denn, ihr Herrn, gradaus: Ich bin der Bärj
In einem Filetschurz gefangen.
An einem Seidenfaden ihr zu Füßen.
Doch wie das alles zugegangen.
Erzähl ich euch zur andern Zeit;
Dazu bin ich zu wütig heut.
Denn ha! steh ich so an der Ecke
Und hör von weitem das Geschnatter,
Seh das Gefiitter, das Geflatter,
Kehr ich mich um
Und brumm-,
Und renne rückwärts eine Strecke
Und seh mich um
Und brumm,
Und laufe wieder eine Strecke,
Und kehr doch endlich wieder um.
Dann f^gts auf einmal an, zu rasen,
Ein mächtger Geist schnaubt aus der Nasen,
1775 SOMMER/HERBST, FRANKFURT 173
Es wildzt die innere Natur.
Was, du ein Tor, ein Häschen nur!
So ein Pipi! Eichhörnchen, Nuß zu knacken!
Ich sträube meinen borstgen Nacken,
Zu dienen ungewöhnt.
Ein jedes aufgestutzte Bäumchen höhnt
Mich an! ich flieh vom Boulingreen,
Vom niedlich glatt gemähten Grase;
Der Buchsbaum zieht mir eine Nase,
Ich flieh ins dunkelste Gebüsche hin,
Durchs Gehege zu dringen,
Über die Planken zu springen!
Mir versagt Klettern und Sprung,
Ein Zauber bleit mich nieder,
Ein Zauber häkelt mich wider.
Ich arbeite mich ab, und bin ich matt genung.
Dann lieg ich an gekünstelten Kaskaden
Und kau und wein und wälze halb mich tot.
Und ach! es hören meine Not
Nur porzellanene Oreaden.
Auf einmal! Ach, es dringt
Ein seliges Gefühl durch alle meine Glieder!
Sie ists, die dort in ihrer Laube singt!
Ich höre die liebe, liebe Stimme wieder,
Die ganze Luft ist warm, ist blütevoll.
Ach, singt sie wohl, daß ich sie hören soll.^
Ich dringe zu, tret alle Sträuche nieder.
Die Büsche fliehn, die Bäume weichen mir,
Und so — zu ihren Füßen liegt das Tier.
Sie sieht es an: "Ein Ungeheuer! doch drollig!
Für einen Bären zu mild,
Für einen Pudel zu wild;
So zottig, tapsig, knollig!"
Sie streicht ihm mit dem Füßchen übern Rücken;
Er denkt im Paradiese zu sein.
Wie ihn alle sieben Sinne jucken!
Und sie — sieht ganz gelassen drein.
1 7 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ich küss ihre Schuhe, kau an den Sohlen,
So sittig, als ein Bär nur mag;
Ganz sachte heb ich mich und schwinge mich verstohlen
Leis an ihr Knie — Am günstgen Tag
Läßt sies geschehn und kraut mir um die Ohren
Und patscht mich mit mutwillig derbem Schlag;
Ich knurr, in Wonne neu geboren.
Dann fordert sie mit süßem, eitlem Spotte:
Allons tout douxl eh la menottel
Et faites Serviteur^
Comme un joli Seigneur.
So treibt sies fort mit Spiel und Lachen!
Es hofft der oft betrogne Tor;
Doch will er sich ein bißchen unnütz machen,
Hält sie ihn kurz als wie zuvor.
Doch hat sie auch ein Fläschchen Balsam-Feuers,
Dem keiner Erde Honig gleicht.
Wovon sie wohl einmal, von Lieb und Treu erweicht,
Um die verlechzten Lippen ihres Ungeheuers
Ein Tröpfchen mit der Fingerspitze streicht
Und wieder flieht und mich mir überläßt.
Und ich dann, losgebimden, fest
Gebannt bin, irnmer nach ihr ziehe,
Sie suche, schaudre, wieder fliehe —
So läßt sie den zerstörten Armen gehn,
Ist seiner Lust, ist seinen Schmerzen still;
Ha! manchmal läßt sie mir die Tür halb offen stehn,
Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will.
Und ich! — Götter, ists in euren Händen,
Dieses dumpfe Zauberwerk zu enden:
Wie denk ich, wenn ihr mir die Freiheit schafft!
Doch sendet ihr mir keine Hilfe nieder —
Nicht ganz umsonst reck ich so meine Glieder:
Ich fühls! Ich schwörs! Noch hab ich Kraft.
1
1775 SOMMER/HERBST, FRANKFURT 1 7 5
[An Johann Georg und Rahel d'Orville]
LIEBER Herr Dorville, liebe Frau,
Ich bitt euch, nehmts nicht so genau;
Ihr kennt nun doch einmal den Affen,
Wißt, ist nichts Gescheuts mit ihm zu schaffen.
Lauft da, was kann wohl tollers seini
Wie Kain in die Welt hinein.
Dafür sitzt er auch auf dem Sand,
Die Stadt ist ihm ein ödes Land,
Und ist ihm halt die Welt so leer,
Als wenn er erst 'nein gekommen war.
Ihm ist so weh, er schauet nicht
Des liebsten Buben Angesicht,
Hängt nicht dem Mann um Hals und Leib,
Küßt nicht das liebe treue Weib,
Spaziert nicht mehr im Frauenschlepp,
Und hört, ach, nicht mehr das Beb! Bepp!
Was hilft mir nun das Glockengebrumm,
Das Kutschengerassel und Leut- Gesumm!
Was tat ich in der Kirche gar?
Da ich schon einmal im Himmel war,
Ich Hand in Hand mit Engeln saß,
Mich in dem Himmels-Blau vergaß,
Das aus dem süßen Auge winkt,
Drinn Lieb und Treu wie Stemlein blinkt.
Was hört ich an des Pfarrers Lehr,
Die doch nicht halb so kräftig war.
Als wenn ihr Mündlein lieb und mild
Mich über Fluch und Unart schilt.
Was lachst du Sonne daherein?
Ich bitte dich, lass mich allein.
Du lächelst ihren Laden an.
Der heut mir nicht wird aufgetan.
Aha! Du bist so freundlich hier,
Blickst durch die Ritzen schlau nach ihr,
Und meinst, du hättst wohl nie so schön
Da droben einen Engel ruhen sehn.
176 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der Tag rückt weiter nun heran.
Besuch! — Ach, was geht der mich an!
Ich bilde mir so freundlich ein,
Ich saß noch drauß' mit euch allein.
Der Mann raucht seine Pfeif Tobak,
Man fuschelt in dem Arbeitssack,
Man wickelt Seide, es läßt sich an,
Als würden Wunderstreich* getan.
Ein medizinisch Dejeund,
Mit Selzer Wasser und Kaflfee;
Nach Fastenbrezeln, wohlgeschmiert.
Kommt Has und Wein hereinspaziert.
Lili muß jeden Lüsten stillen.
Das all um ihres Magens willen.
Die Kinder kommen angehuppt,
Mann! wird zur Türe 'naus geschwuppt!
Ist allen so wohl ohn Unterlaß;
Ach lieber Gott, mir auch so was!
Frau Dorville, wo mag Lili sein?
Ist sie in ihrer Stub allein? —
Sie hat die Stirn in ihrer Hand!
Was ist ihr in dem Freudenland?
Soll das ein böses Kopfweh sein?
Oder ach! ists etwan andre Pein?
Geh, liebes Mufti, ich bitte dich,
Klettr ihr auf den Schoß, küss sie für mich.
Scheich Daher, Hanne Buzzi du,
Küss ihr die Hand, lass ihr nicht Ruh.
Mach, Ali Bey, dich auch an sie,
Schmieg dich ihr liebend an das Knie.
Und Abu Dahab, komm getrollt,
Sei freundlich, bis sie sagt: Du Gold!
Dich herzlich auf dem Arme küßt.
Und hoffend allen Schmerz vergißt.
Der alte Friedrich kommt und fragt:
Was heut den Damen wohl behagt?
1775 SOMMER/HERBST, FRANKFURT 1 7 7
Er soll Kapaun und Wildbret tragen!
Lili, hast du ihm nichts zu sagen?
Schon wart ich auf das alte Gesicht,
Ich bin untröstlich, kömmt er nicht.
War der Herr Doktor noch nicht da?
Sang Andr^ noch kein Trallallra?
Oho, da drauß' gehts bunt ja her,
Als ob der Teufel ledig war.
Eins, zwei, drei! Kling! Klang! Krack! en gar de
Kling! Rompesl Klang! paies ma qtmrte.
So mag es wohl dem Teufel sein,
Wenn er, in seiner Höll allein,
Nach Himmels Freuden seufzt und klagt,
Daß ihn der Unmut rausgejagt.
Doch hab ich weit ein besser Los,
Die Kluft ist lange nicht so groß;
Bin euch mit Leib und Seele nah
Pliz! Plaz! So bin ich wieder da.
GOETHE XIV la.
775-1786 WEIMAR
AN EIN COLONES HERZ, DAS ER AM HALSE
TRUG
ANGEDENKEN du verklungner Freude,
Das ich immer noch am Halse trage,
Hältst du länger als das Seelenband uns beide?
Verlängerst du der .Liebe kurze Tage?
Flieh ich, Lili, vor dir! Muß noch an deinem Bande
Durch fremde Lande,
Durch ferne Täler und Wälder wallen!
Ach, Lilis Herz konnte so bald nicht
Von meinem Herzen fallen.
Wie ein Vogel, der den Faden bricht
Und zum Walde kehrt.
Er schleppt des Gefängnisses Schmach^
Noch ein Stückchen des Fadens nach;
Er ist der alte freigebome Vogel nicht,
Er hat schon jemand angehört
JÄGERS ABENDLIED
IM Felde schleich ich still und wild,
Gespannt mein Feuerrohr.
Da schwebt so licht dein liebes Bild,
Dein süßes Bild mir vor.
Du wandelst jetzt wohl still und mild
Durch Feld und liebes Tal,
Und ach, mein schnell verrauschend Bild,
Stellt sich dirs nicht einmal?
Des Menschen, der die Welt durchstreift
Voll Unmut und Verdruß,
Nach Osten und nach Westen schweift,
Weil er dich lassen muß.
Mir ist es, denk ich nur an dich.
Als in den Mond zu sehn;
Ein stiller Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir geschehn.
i82 LYRISCHE DICHTUNGEN
HOLDE Lili, warst so lang
AU mein Lust und all mein Sang!
Bist, ach, nun all mein Schmerz, und doch
All mein Sang bist du noch.
[Aus einem Briefe an den Herzog Karl August]
GEHAB dich wohl bei den hundert Lichtern,
Die dich umglänzen,
Und all den Gesichtern,
Die dich umschwänzen
Und umkredenzen.
Findst doch nur wahre Freud und Ruh
Bei Seelen grad und treu wie du.
NUR Luft und Licht
Und Freundeslieb!
Ermüde nicht.
Wem dies noch blieb.
LEGENDE
IN der Wüsten ein heiliger Mann
Zu seinem Erstaunen tat treffen an
Einen ziegenfüßigen Faun, der sprach:
"Herr, betet für mich und meine Gefährt,
Daß ich zum Himmel gelassen werd,
Zur seligen Freud; uns dürstet darnach."
Der heilige Mann dagegen sprach:
"Es sieht mit deiner Bitte gar gefährlich,
Und gewährt wird sie dir schwerlich.
Du kommst nicht zum englischen Gruß,
Denn du hast einen Ziegenfuß."
Da sprach hierauf der wilde Mann:
"Was hat euch mein Ziegenfuß getan?
Sah ich doch manche strack imd schön
Mit Eselsköpfen gen Himmel gehn."
1775/86 WEIMAR 183
MUT
SORGLOS über die Fläche weg,
Wo vom kühnsten Wager die Bahn
Dir nicht vorgegraben du siehst,
Mache dir selber Bahn!
Stille, Liebchen, mein Herz!
Krachts gleich, brichts doch nicht!
Brichts gleich, brichts nicht mit dir!
HOFFNUNG
SCHAFF, das Tagwerk meiner Hände,
Hohes Glück, daß ichs vollende!
Lass, o lass mich nicht ermatten!
Nein, es sind nicht leere Träume:
Jetzt nur Stangen, diese Bäume
Geben einst noch Frucht und Schatten.
SORGE
KEHRE nicht in diesem Kreise
Neu tmd immer neu zurück!
Lass, o lass mir meine Weise,
Gönn, o gönne mir mein Glück!
Soll ich fliehen: Soll ichs fassen?
Nun, gezweifelt ist genug.
Willst du mich nicht glücklich lassen,
Sorge, nun so mach mich klug!
[An Lili]
[In ein Exemplar von ,Stella. Ein Schauspiel für Liebende*.]
IM holden Tal, auf schneebedeckten Höhen
War stets dein Bild mir nah:
Ich sahs um mich in lichten Wolken wehen,
Im Herzen war mirs da.
Empfinde hier, wie mit allmächtgem Triebe
Ein Herz das andre zieht —
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht.
i84 LYRISCHE DICHTUNGEN
[An den Herzog Karl August]
DURCHLAUCHTIGSTER! Es nahet sich
Ein Bäuerlein demütiglich,
Da Ihr mit Euerm Roß und Heer
Zum Schlosse tut stolzieren sehr,
Gebt auch mir einen gnädigen Blick,
Das ist schon Untertanen- Glück;
Denn Haus und Hof und Freud und Leid
Hab ich schon seit geraumer Zeit.
Haben Euch sofern auch lieb und gern,
Wie man eben liebhat seinen Herrn,
Den man wie unsern Herr-Gott nennt
Und ihn auch meistens nicht besser kennt.
Geb Euch Gott allen guten Segen,
Nur laßt Euch sein uns angelegen;
Denn wir bäuerisch treues Blut
Sind doch immer Euer bestes Gut,
Und könnt Euch mehr an uns erfreun
Als an Pferden imd Stuterein.
Dies reich ich Euch im fremden Land,
Bliebe Euch übrigens gern unbekannt.
Zieht ein imd nehmet Speis und Kraft
Im Zauberschloß in der Nachbarschaft,
Wo eine gute Fee regiert,
Die einen goldnen Scepter führt
Und um sich eine kleine Welt
Mit holdem Blick beisammenhält.
Seb. Simpel.
WANDRERS NACHTLIED
DER du von dem Himmel bist.
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest.
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust.^
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!
1775/86 WEIMAR 185
[An Herder]
HOCHWÜRDIGER, 's ist eine alte Schrift,
Daß die Ehen werden im Himmel gestift.
Seid also vielmehr zu Eurem Orden
Vom Himmel grad 'rab gestiftet worden.
Es uns auch allen herzlich frommt,
Daß Ihr bald mit der Peitsche kommt —
Und wie dann unser Herr und Christ
Auf einem Esel geritten ist.
So werdet Ihr in diesen Zeiten
Auf hvmdert und fünfzig Esel reiten,
Die in Euer Herrlichkeit Diözes
Erlauern sich die Rippenstoß.
Wollten Euch nun bewillkommen baß,
Bereiten Euer Haushalt trocken und naß,
Welches fürwahr wird besser sein.
Als täten wir Euch die Kleider streim.
Derhalb zuvörderst, woran die Welt
Ihre Achse gebunden hält,
Wornach Sonn, Mond und Stern' sich drehn,
All Sinnbäu 'rüber hinüber gehn,
Wie nämlich jedes Ding sich putzt.
Vors andern Augen pfauisch stutzt.
Dran da sich zeigt eines jeden Gab,
Ein Pfau ein Pfau, ein Rab ein Rab.
Ihr, der Ihr seid in unserm Gart
Eben wie der Messias erwart.
Wo eben keiner weiß, was der sollt,
Aber doch immer, was er wollt,
Möcht sich aber immer mit leisen Schritten
Vom Messias ein Viztxun erbitten.
Also ohfieracht all der Ehr auf Erd,
Daß der Herr nicht selbst gekreuzigt werd.
Wollen erscheinen schön und züchtig,
Sind hernach zu allem andern tüchtig.
Denn, wie im Buche geschrieben steht.
Daß der Wolf in Schafskleidern geht.
So würd es Euch gar übel stehn,
i86 LYRISCHE DICHTUNGEN
Als Schaf in Wolfskleidern zu gehn.
Ihr habt darum ein schwarzes Kleid,
Einen langen Mantel von schwarzer Seid,
Ein Kräglein, wohl in Saum gelegt,
Das nun keiner läng-breiter trägt.
Schick Euch ein Muster zur nächsten Frist,
Weils immer doch die Hauptsach ist.
Dürft auch den Mantel, wie vorzeiten,
In Sack 'nein stecken vor allen Leuten.
Wenn Euch nun erst der Rat der Stadt
Zum Oberpfarr berufen hat,
Werd't Ihr vom Fürsten dann ernennt
Hofpredger^ Generalsupemdent.
Mögt auch immer Rückantwort schreiben,
Wie Ihr an den Lyncker tätet treiben,
Weil wir doch in der Fastnacht Spiel
Haben Ratzen und Fratzen gar viel,
Und im Grund weder Luther noch Christ
Im mindsten hier gemeinet ist.
Sondern was in dem Schöpsen- Geist
Eben lutherisch und christlich heißt.
Erklärung eines alten Holzschnittes
vorstellend
HANS SACHSENS POETISCHE SENDUNG
IN seiner Werkstatt Sonntags früh
Steht unser teurer Meister hie:
Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,
Einen säubern Feierwams er trägt.
Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,
Die Ahl steckt an den Arbeitskasten;
Er ruht nun auch am siebnten Tag
Von manchem Zug und manchem Schlag.
Wie er die Frühlings-Sonne spürt,
Die Ruh ihm neue Arbeit gebiert:
Er fühlt, daß er eine kleine Welt
In seinem Gehirne brütend hält,
1775/86 WEIMAR 187
Daß die fängt an zu wirken und leben
Daß er sie gerne möcht von sich geben.
Er hätt ein Auge treu und klug
Und war auch liebevoll genug,
Zu schauen manches klar und rein
Und wieder alles zu machen sein;
Hätt auch eine Zunge, die sich ergoß
Und leicht und fein in Worte floß;
Des täten die Musen sich erfreun,
Wollten ihn zum Meistersänger weihn.
Da tritt herein ein junges Weib,
Mit voller Brust und rundem Leib;
Kräftig sie auf den Füßen steht,
Grad, edel vor sich hin sie geht,
Ohne mit Schlepp und Steiß zu schwänzen,
Oder mit den Augen herum zu scharlenzen.
Sie trägt einen Maßstab in ihrer Hand,
Ihr Gürtel ist ein gülden Band,
Hätt auf dem Haupt einen Kornähr-Kranz,
Ihr Auge war lichten Tages Glanz;
Man nennt sie tätig Ehrbarkeit,
Sonst auch Großmut, Rechtfertigkeit.
Die tritt mit gutem Gruß herein;
Er drob nicht mag verwundert sein.
Denn wie sie ist, so gut und schön,
Meint er, er hätt sie lang gesehn.
Die spricht: "Ich hab dich auserlesen
Vor vielen in dem Weltwirrwesen,
Daß du sollst haben klare Sinnen,
Nichts Ungeschicklichs magst beginnen.
Wenn andre durcheinander rennen.
Sollst dus mit treuem Blick erkennen;
Wenn andre bärmlich sich beklagen,
Sollst schwankweis deine Sach fürtragen;
"v Sollst halten über Ehr und Recht,
In allem Ding sein schlicht imd schlecht;
1 8 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Frammkeit und Tugend bieder preisen,
Das Böse mit seinem Namen heißen.
Nichts veriindert und nichts verwitzelt,
Nichts verzierlicht und nichts verkritzelt;
Sondern die Welt soll vor dir stehn,
Wie Albrecht Dürer sie hat gesehn:
Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innre Kraft und Ständigkeit.
Der Natur- Genius an der Hand
Soll dich führen durch alle Land,
Soll dir zeigen alles Leben,
Der Menschen wtmderliches Weben,
Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben,
Schieben, Reißen, Drängen und Reiben;
Wie kunterbunt die Wirtschaft toUert,
Der Ameishauf durcheinander kollert;
Mag dir aber bei allem geschehn,
Als tatst in einen Zauberkasten sehn.
Schreib das dem Menschenvolk auf Erden,
Obs ihm möcht eine Witzimg werden."
Da macht sie ihm ein Fenster auf.
Zeigt ihm draußen viel bunten Häuf,
Unter dem Himmel allerlei Wesen,
Wie ihrs mögt in seinen Schriften lesen.
Wie mm der liebe Meister sich
An der Natur freut wunniglich,
Da seht ihr an der andern Seiten
Ein altes Weiblein zu ihm gleiten;
Man nennet sie Historia,
Mythologia, Fabula;
Sie schleppt mit keichend-wankenden Schritten
Eine große Tafel, in Holz geschnitten:
Darauf seht ihr mit weiten Ärmeln und Falten
Gott Vater Kinderlehre halten,
• Adam, Eva, Paradies imd Schlang,
Sodom imd Gomorras Untergang,
Könnt auch die Zwölf durchlauchtigen Frauen
Da in einem Ehren-Spiegel schauen;
I
1775/86 WEIMAR 189
Dann allerlei Blutdurst, Frevel und Mord,
Der Zwölf Tyrannen Schand'enport,
Auch allerlei Lehr und gute Weis,
Könnt sehn Sankt Peter mit der Geiß,
Über der Welt Regiment unzufrieden,
Von unserm Herrn zurecht beschieden.
Auch war bemalt der weite Raum
Ihres Kleids und Schlepps und auch der Saum
Mit Weltlich Tugend- und Laster- Geschieht.
Unser Meister das all ersieht
Und freut sich dessen wundersam.
Denn es dient wohl in seinen Kram.
Von wannen er sich eignet sehr
Gut Exempel und gute Lehr,
Erzählt das eben fix und treu.
Als war er selbst ges)'n dabei.
Sein Geist war ganz dahin gebannt,
Er hätt kein Auge davon verwandt,
Hätt er nicht hinter seinem Rucken
Hören mit Klappern und Schellen spucken.
Da tat er einen Narren spüren
Mit Bocks- imd Affensprüng hofieren
Und ihm mit Schwank und Narreteiden
Ein lustig Zwischenspiel bereiten.
Schleppt hinter sich an einer Leinen
Alle Narren, groß- rmd kleinen.
Dick und hager, gestreckt und krumb,
Allzu witzig und allzu dumb.
Mit einem großen Farrenschwanz
Regiert er sie wie ein'n Afientanz:
Bespottet eines jeden Fürm,
Treibt sie ins Bad, schneidt ihnen die Wünn
Und führt gar bitter viel Besehwerden,
Daß ihrer doch nicht wollen wenger werden.
Wie er sich sieht so um imd um,
Kehrt ihm das fast den Kopf herum:
Wie er wollt Worte zu allem finden.^
190 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wie er möcht so viel Schwall verbinden?
Wie er möcht immer mutig bleiben,
So fort zu singen und zu schreiben?
Da steigt auf einer Wolke Saum
Herein zu's Oberfensters Raum
Die Muse, heilig anzuschauen,
Wie ein Bild unsrer lieben Frauen.
Die umgibt ihn mit ihrer Klarheit
Immer kräftig würkender Wahrheit.
Sie spricht: "Ich komm, um dich zu weihn
Nimm meinen Segen und Gedeihn!
Ein heilig Feuer, das in dir ruht,
Schlag aus in hohe lichte Glut!
Doch daß das Leben, das dich treibt,
Immer bei holden Kräften bleibt,
Hab ich deinem innern Wesen
Nahrung und Balsam auserlesen.
Daß deine Seel sei wonnereich,
Einer Knospe im Taue gleich."
Da zeigt sie ihm hinter seinem Haus
Heimlich zur Hintertür hinaus,
In dem eng umzäunten Garten
Ein holdes Mägdlein sitzend warten
Am Bächlein, beim Holunderstrauch;
Mit abgesenktem Haupt und Aug
Sitzts unter einem Apfelbaum
Und spürt die Welt rings um sich kaum,
Hat Rosen in ihren Schoß gepflückt
Und bindet ein Kränzlein gar geschickt,
Mit hellen Knospen imd Blättern drein:
Für wen mag wohl das Kränzel sein?
So sitzt sie in sich selbst geneigt.
In Hofifnungsfülle ihr Busen steigt;
Ihr Wesen ist so ahndevoll,
Weiß nicht, was sie sich wünschen soll,
Und unter vieler Grillen Lauf
Steigt wohl einmal ein Seufzer auf.
1775/86 WEIMAR 191
Warum ist deine Stirn so trüb?
Das, was dich dränget, süße Lieb,
Ist volle Wonn und Seligkeit;
Die dir in Einem ist bereit.
Der manches Schicksal vvirrevoU
An deinem Auge sich lindern soll;
Der durch manch wimniglichen Kuß
Wiedergeboren werden muß.
Wie er den schlanken Leib umfaßt,
Von aller Mühe findet Rast,
Wie er ins runde Ärmlein sinkt,
Neue Lebenstag' und Kräfte trinkt;
Und dir kehrt süßes Jugendglück,
Deine Schalkheit kehret dir zurück.
Mit Necken und manchen Schelnlereien
Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen.
So wird die Liebe nimmer alt.
Und wird der Dichter nimmer kalt!
Weil er so heimlich glücklich lebt.
Da droben in den Wolken schwebt
Ein Eichkranz, ewig jung belaubt,
Den setzt die Nachwelt ihm aufs Haupt;
In Froschpfuhl all das Volk verbannt,
Das seinen Meister je verkannt.
[An Charlotte v. Stein]
WARUM gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, imserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutravm.''
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehn.
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?
Ach, so viele tausend Menschen kennen,
Dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
Schweben zwecklos hin und her und rennen
192 LYRISCHE DICHTUNGEN
Hoffnungslos in unversehnem Schmerz;
Jauchzen wieder, wenn der schnelleji Freuden
Unerwart'te Morgenröte tagt.
Nur uns armen Liebevollen beiden
Ist das wechselseitge Glück versagt,
Uns zu lieben, ohn uns zu verstehen,
In dem andern sehn, was er nie war,
Immer frisch auf Traumglück auszugehen
Und zu schwanken auch in Traumgefahr.
Glücklich, den ein leerer Traum beschäftigt!
Glückhch, dem die Ahndung eitel war!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahndung leider uns noch mehr.
Sag, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.
Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve kUngt,
Konntest mich mit Einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt;
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden irren Lauf,
Und in deinen Engelsarmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf;
Hieltest zauberleicht ihn angebunden
Und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
Da er dankbar dir zu Füßen lag,
Fühlt' sein Herz an deinem Herzen schwellen,
Fühlte sich in deinem Auge gut.
Alle seine Sinnen sich erhellen
Und beruhigen sein brausend Blut!
Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das vmgewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
1775/56 WEIMAR 193
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, daß das Schicksal, das uns quälet,
Uns doch nicht verändern mag!
RASTLOSE LIEBE
DEM Schnee, dem Regen,
Dem Wind entgegen,
Im Dampf der Klüfte,
Durch Nebeldüfte,
Immer zu! Immer zu!
Ohne Rast und Ruh!
Lieber durch Leiden
Möcht ich mich schlagen,
Als so viel Freuden
Des Lebens ertragen.
Alle das Neigen
Von Herzen zu Herzen,
Ach, wie so eigen
Schaffet das Schmerzen!
Wie soll ich fliehen?
Wäldervvärts ziehen.^
Alles vergebens!
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du!
[An Charlotte v. Stein]
TTIER bildend nach der reinen stillen
1 1 Natur, ist ach, mein Herz der alten Schmerzen voll;
Leb ich doch stets um derentwillen,
Um derentwillen ich nicht leben soll.
*
LASS dir gefallen.
Aus diesem Glas zu trinken,
Und mög dir dünken.
Wir säßen neben dir;
Denn, obgleich fern, sind wir
Dir doch die Nächsten fast von allen.
GOETHE XIV 13.
194 LYRISCHE DICHTUNGEN
UND ich geh meinen alten Gang
Meine Hebe Wiese lang.
Tauche mich in die Sonne früh,
Bad ab im Monde des Tages Müh.
Leb in Liebes-Klarheit und -Kraft,
Tut mir wohl des Herren Nachbarschaft,
Der in Liebes-Dumpfheit und -Kraft hinlebt
Und sich durch seltnes Wesen webt.
[An Charlotte v. Stein]
ZWISCHEN Felsen wuchsen hier
Diese Blumen, die wir treu dir reichen,
Verwelkliche Zeichen
Der ewigen Liebe zu dir.
*
ACH, so drückt mein Schicksal mich,
Daß ich nach dem Unmöglichen strebe.
Lieber Engel, für den ich nicht lebe,
Zwischen den Gebürgen leb ich für dich.
EINSCHRÄNKUNG
ICH weiß nicht, was mir hier gefallt,
In dieser engen, kleinen Welt
Mit holdem Zauberband mich hält?
Vergess ich doch, vergess ich gern,
Wie seltsam mich das Schicksal leitet;
Und ach, ich fühle, nah vmd fem
Ist mir noch manches zubereitet.
O wäre doch das rechte Maß getroflfen!
Was bleibt mir nun, als eingehüllt,
Von holder Lebenskraft erfüllt.
In stiller Gegenwart die Zukunft zu erhoflfen!
[An Charlotte v. Stein]
ACH, wie bist du mir,
Wie bin ich dir geblieben!
Nein, an der Wahrheit
Verzweifl ich nicht mehr.
1775/86 WEIMAR 195
Ach, wenn du da bist,
Fühl ich, ich soll dich nicht lieben;
Ach, wenn du fern bist,
Fühl ich, ich lieb dich so sehr.
HIERHERGETRABT, die Brust voll tiefem Wühlen,
Planvoller Aussicht, sehnt sich nun
Mein Herz, ein Weilchen auszuruhn
Und wieder rein an der Natvir zu fühlen
Und wieder was für dich zu tun.
SEEFAHRT
LANGE Tag' und Nächte stand mein Schiff befrachtet;
Günstger Winde harrend, saß mit treuen Freunden,
Mir Geduld und guten Mut erzechend,
Ich im Hafen.
Und sie waren doppelt ungeduldig:
Gerne gönnen wir die schnellste Reise,
Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle
Wartet drüben in den Welten deiner.
Wird Rückkehrendem in unsem Armen
Lieb und Preis dir.
Und am frühen Morgen wards Getümmel,
Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose,
Alles wimmelt, alles lebet, webet,
Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen.
Und die Segel blühen in dem Hauche,
Und die Sonne lockt mit Feuerliebe;
Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,
Jauchzen an dem Ufer alle Freunde
Hoflfnungslieder nach, im Freudetaumel
Reisefreuden wähnend, wie des Einschiffmorgens,
Wie der ersten hohen Stemennächte.
196 LYRISCHE DICHTUNGEN
Aber gottgesandte Wechselwinde treiben
Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,
Und er scheint sich ihnen hinzugeben,
Strebet leise sie zu überlisten.
Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.
Aber aus der dumpfen grauen Feme
Kündet leisewandelnd sich der Sturm an.
Drückt die Vögel nieder aufs Gewässer,
Drückt der Menschen schwellend Herz darnieder;
Und er kommt. Vor seinem starren Wüten
Streckt der Schiffer klug die Segel nieder,
Mit dem angsterfüllten Balle spielen
Wind und Wellen.
Und an jenem Ufer drüben stehen
Freund' und Lieben, beben auf dem Festen:
Ach, warum ist er nicht hier geblieben!
Ach, der Stiurm ! Verschlagen weg vom Glücke!
Soll der Gute so zugrtmde gehen?
Ach, er sollte, ach, er könnte! Götter!
Doch er stehet männlich an dem Steuer:
Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen,
Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen.
Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe
Und vertrauet, scheiternd oder landend.
Seinen Göttern.
[An Charlotte v. Stein]
ICH bin eben nirgend geborgen:
Fern an die holde Saale hier
Verfolgen mich manche Sorgen
Und meine Liebe zu dir.
AN DEN GEIST DES JOHANNES SECUNDUS
LIEBER, heiliger, großer Küsser,
Der du mirs in lechzend atmender
Glückseligkeit fast vorgetan hast!
Wem soll ichs klagen, klagt ich dirs nicht!
Dir, dessen Lieder wie ein warmes Kissen
1775/86 WEIMAR 197
Heilender Kräuter mir unters Herz sich legten,
Daß es wieder aus dem krampfigei Starren
Erdetreibens klopfend sich erholte.
Ach, wie klag ich dirs, daß meine Lippe blutet.
Mir gespalten ist und erbärmlich schmerzet.
Meine Lippe, die so viel gewohnt ist
Von der Liebe süßtem Glück zu schwellen
Und, wie eine goldne Himmelspforte,
Lallende Seligkeit aus und ein zu stammeln.
Gesprungen ist sie! Nicht vom Biß der Holden,
Die, in voller ringsumfangender Liebe,
Mehr möcht haben von mir und möchte mich Ganzen
Ganz erküssen und fressen, und was sie könnte!
Nicht gesprungen, weil nach ihrem Hauche
Meine Lippen imheilige Lüfte entweihten.
Ach, gesprungen, weil mich Öden, Kalten,
Über beizenden Reif der Herbstwind anpackt.
Und da ist Traubensaft und der Saft der Bienen,
An meines Herdes treuem Feuer vereinigt,
Der soll mir helfen! Wahrlich, er hilft nicht,
Denn von der Liebe alles heilendem
Gift- Balsam ist kein Tröpfchen drunter.
HYPOCHONDER
DER Teufel hol das Menschengeschlecht!
Man möchte rasend werden!
Da nehm ich mir so eifrig vor:
Will niemand weiter sehen,
Will all das Volk Gott und sich selbst
Und dem Teufel überlassen!
Und kaiun seh ich ein Menschengesicht,
So hab ichs wieder lieb.
ICH war ein Knabe wann und gut,
Als Jüngling hatt ich frisches Blut,
Versprach einst einen Mann.
Gelitten hab ich und geliebt
Und liege nieder ohnbetrübt.
Da ich nicht weiter kann.
198 LYRISCHE DICHTUNGEN
STOSSSEUFZER
ACH, man sparte viel,
Seltner wäre verruckt das Ziel,
War weniger Dumpfheit, vergebenes Sehnen,
Ich könnte viel glücklicher sein —
Gäbs nur keinen Wein
Und keine Weibertränen!
SCHNEIDER- COURAGE
ES ist ein Schuß gefallen!
Mein! sagt, wer schoß da drauß?"
Es ist der junge Jäger,
Der schießt im Hinterhaus.
Die Spatzen in dem Garten,
Die machen viel Verdruß.
Zwei Spatzen und ein Schneider,
Die fielen von dem Schuß;
Die Spatzen von den Schroten,
Der Schneider von dem Schreck,
Die Spatzen in die Schoten,
Der Schneider in den — .
VOR GERICHT
VON wem ich es habe, das sag ich euch nicht,
Das Kind in meinem Leib. —
Pfui! speit ihr aus: die Hure da! —
Bin doch ein ehrlich Weib.
Mit wem ich mich traute, das sag ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
Trägt er eine goldene Kett am Hals,
Trägt er einen strohernen Hut.
Soll Spott und Hohn getragen sein.
Trag ich allein den Hohn.
Ich kenn ihn wohl, er kennt mich wohl,
Und Gott weiß auch davon.
1775/86 WEIMAR 199
Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
Ich bitte, laßt mich in Ruh!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind,
Ihr gebt mir ja nichts dazu.
BEHERZIGUNG
ACH, was soll der Mensch verlangen''
Ist es besser, ruhig bleiben?
Klammernd fest sich anzuhangen?
Ist es besser, sich zu treiben?
Soll er sich ein Häuschen bauen?
Soll er unter Zelten leben?
Soll er auf die Felsen trauen?
Selbst die festen Felsen beben.
Eines schickt sich nicht für alle!
Sehe jeder, wie ers treibe,
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle!
[An die Herzogin Luise]
[Von Goethe?]
WIE alle dich verehren müssen,
Das kannst du, teure Fürstin, wissen.
Dir sagt es jedes Angesicht.
Allein wie wir dich alle lieben,
Das steht im Herzen tief geschrieben.
Du ahndests kaiun und glaubst es nicht.
[An die Herzogin Luise]
[Widmung zu dem Feenspiel ,Lila']
WAS wir vermögen,
Bringen wir
An dem geliebten Tage dir
Entgegen.
Du fühlst, daß bei dem Unvermögen
Und unter der Zaubermummerei
Doch guter Wille und Wahrheit sei.
200 LYRISCHE DICHTUNGEN
[An Charlotte v. Stein]
WAS mir in Kopf und Herzen stritt
Seit manchen lieben Jahren!
Was ich da träumend jauchzt und h'tt,
Muß wachend nun erfahren.
[Aus einem Briefe an die Gräfin Auguste zu Stolberg]
ALLES geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz.
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.
AN DEN MOND
[Erste Fassung]
FÜLLEST wieder 's liebe Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie der Liebsten Auge mild
Über mein Geschick.
Das du so beweglich kennst,
Dieses Herz im Brand,
Haltet ihr wie ein Gespenst
An den Fluß gebannt,
Wenn in öder Winternacht
Er vom Tode schwillt
Und bei Frühlingslebens Pracht
An den Knospen quillt.
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt.
Einen Mann am Busen hält
Und mit dem genießt,
1775/86 WEIMAR 201
Was, dem Menschen iinbewußt
Oder wohl veracht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
AN DEN MOND
[Letzte Fassung]
FÜLLEST wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.
Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit
Wandle zwischen Freud und Schmerz
In der Einsamkeit.
Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd ich froh.
So verrauschte Scherz und Kuß,
Und die Treue so.
Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!
Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast imd Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,
Wenn du in der Wintemacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger ELnospen quillst.
202 LYRISCHE DICHTUNGEN
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,
Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
[Motto auf dem Titelblatt der .Gesänge, mit Begleitung
des Klaviers' von Philipp Christoph Kayser, 1777]
[Von Goethe oder Kayser?]
''lEF aus dem Herzen hingesungen
Nehmt diese Lieder herzenein.
So ist mir jeder Wunsch gelungen,
So sind auch eure Freuden mein.
1 I
GELLERTS MONUMENT VON OESER
ALS Geliert, der geliebte, schied,
Manch gutes Herz im stillen weinte,
Auch manches matte, schiefe Lied
Sich mit dem reinen Schmerz vereinte;
Und jeder Stümper bei dem Grab
Ein Blümchen an die Ehrenkrone,
Ein Scherflein zu des Edlen Lohne
Mit vielzufriedner Miene gab:
Stand Oeser seitwärts von den Leuten
Und fühlte den Geschiednen, sann
Ein bleibend Bild, ein lieblich Deuten
Auf den verschwundnen werten Mann;
Und sammelte mit Geistesflug
Im Marmor alles Lobes Stammeln,
Wie wir in einen engen Krug
Die Asche des Geliebten sammeln.
1775/86 WEIMAR 203
HARZREISE IM WINTER
DEM Geier gleich,
Der auf schweren Morgenvvolken
Mit sanftem Fittich ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe mein Lied.
Denn ein Gott hat
Jedem seine Bahn
Vorgezeichnet,
Die der Glückliche
Rasch zum freudigen
Ziele rennt:
Wem aber Unglück
Das Herz zusammenzog.
Er sträubt vergebens
Sich gegen die Schranken
Des ehernen Fadens,
Den die doch bittre Schere
Nur einmal löst.
In Dickichts-Schauer
Drängt sich das rauhe Wild,
Und mit den Sperlingen
Haben längst die Reichen
In ihre Sümpfe sich gesenkt.
Leicht ists folgen dem Wagen,
Den Fortuna führt,
W^ie der gemächliche Troß
Auf gebesserten Wegen
Hinter des Fürsten Einzug.
Aber abseits wer ists?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen,
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.
204 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ach, wer heilet die Schmerzen
Dess, dem Balsam zu Gift ward?
Der sich Menschenhaß
Aus der Fülle der Liebe trank?
Erst verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Wert
In vmgnügender Selbstsucht.
Ist auf deinem Psalter,
Vater der Liebe, ein Ton
Seinem Ohre vernehmlich,
So erquicke sein Herz!
Öffne den umwölkten Blick
Über die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste.
Der du der Freuden viel schaffst,
Jedem ein überfließend Maß
Segne die Brüder der Jagd
Auf der Fährte des Wilds
Mit jugendlichem Übermut
Fröhlicher Mordsucht,
'Späte Rächer des Unbills,
Dem schon Jahre vergeblich
Wehrt mit Knütteln der Bauer.
Aber den Einsamen hüll
In deine Goldvvolken!
Umgib mit Wintergrün,
Bis die Rose wieder heranreift,
Die feuchten Haare,
O Liebe, deines Dichters!
Mit der dämmernden Fackel
Leuchtest du ihm
Durch die Furten bei Nacht,
Über grundlose Wege
Auf öden Gefilden;
1775/86 WEIMAR 205
Mit dem tausendfarbigen Morgen
Lachst du ins Herz ihm;
Mit dem beizenden Sturm
Trägst du ihn hoch empor;
Winterströme stürzen vom Felsen
In seine Psalmen,
Und Altar des lieblichsten Danks
Wird ihm des gefürchteten Gipfels
Schneebehangner Scheitel,
Den mit Geisterreihen
Kränzten ahnende Völker.
Du stehst mit unerforschtem Busen
Geheimnisvoll oflfenbar
Über der erstaunten Welt
Und schaust aus Wolken
Auf ihre Reiche und Herrlichkeit,
Die du aus den Adern deiner Brüder
Neben dir wässerst.
ERINNERUNG
WILLST du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen.
Denn das Glück ist immer da.
AN DIE ENTFERNTE
SO hab ich wirklich dich verloren?
Bist du, o Schöne, mir entflohn?
Noch klingt in den gewohnten Ohren
Ein jedes Wort, ein jeder Ton.
So wie des Wandrers Blick am Morgen
Vergebens in die Lüfte dringt.
Wenn, in dem blauen Raum verborgen,
Hoch über ihm die Lerche singt:
2o6 LYRISCHE DICHTUNGEN
So dringet ängstlich hin und wieder
Durch Feld und Busch und Wald mein Blick;
Dich rufen alle meine Lieder:
O komm, Geliebte, mir zurück!
DER FISCHER
DAS Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran.
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor;
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenhst
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ewgen Tau?
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da wars um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr gesehn.
1775/86 WEIMAR 207
MIT EINER HYAZINTHE
AUS dem Zaubertal dortnieden,
Das der Regen still umtrübt,
Aus dem Taumel der Gewässer
Sendet Blume, Gruß und Frieden,
Der dich immer treu und besser,
Als du glauben magst, geliebt.
Diese Blume, die ich pflücke.
Neben mir vom Tau genährt,
Läßt die Mutter still zurücke,
Die sich in sich selbst vermehrt.
Lang entblättert und verborgen.
Mit den Kindern an der Brust,
Wird am neuen Frühlingsmorgen
Vielfach sie des Gärtners Lust.
DU bist mein und bist so zierlich,
Du bist mein und so manierlich,
Aber etwas fehlt dir noch:
Küssest mit so spitzen Lippen,
Wie die Tauben Wasser nippen;
Allzu zierlich bist du doch.
WARNUNG
SO wie Titania im Feen- und Zauberland
Klaus Zetteln in dem Arme fand.
So wirst du bald zur Strafe deiner Sünden
Titanien in deinen Armen finden.
[An den Herzog Karl August]
ZWAR bin ich nicht seit gestern
Im Zauberhandwerk eingeweiht,
Doch haben meine Schwestern
Dir schon das Beste prophezeit.
2o8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Drum lass mich bittend raten:
Wend uns ein gnädig Auge zu,
Lass uns in deinen Staaten
Genießen die erwünschte Ruh.
Doch stört den schönen Frieden
Des Krieges wilder rascher Tritt,
Nimm uns, die Nimmermüden,
Als Marketenderinnen mit.
[An Charlotte v. Stein]
DU machst die Alten jung, die Jungen alt;
Die Kalten warm, die Warmen kalt.
Bist ernst im Scherz, der Ernst macht dich zu lachen.
Dir gab aufs menschliche Geschlecht
Ein süßer Gott sein längst bewährtes Recht,
Aus Weh ihr Wohl, aus Wohl ihr Weh zu machen.
[An Luise v. Göchhausen]
DER Kauz, der auf Minervens Schilde sitzt,
Kann Göttern wohl und Menschen nützen;
Die Musen haben dich beschützt,
Nim magst du sie beschützen.
[An die Herzogin Luise]
[Von Goethe?]
MAN liebt dich heut wie in den alten Tagen,
Nur darf man dirs nicht immer sagen.
Doch dieser Tag bricht allen Zwang.
O sei uns freundlich, sei es lang
Im neuen Jahr, da du uns neues Leben
In ihm willst geben.
[An Luise Adelheid v. Waldner]
[Von Goethe?]
ALLE Tage
Lebendige Geister.
Und zu jeder Sprache
Einen neuen Meister.
1775/86 WEIMAR 209
[An Amalia v. Hendrich]
[Von Goethe?]
IN deinem Herzen
Ist nicht viel Platz,
Drum alle acht Tage
Einen neuen Schatz.
[An Frau v. Felgenhauer]
[Von Goethe?]
DAS Weib, das Gott der Herr erschuf,
Schuf er zu mancherlei Beruf;
Allein der süßeste von allen
Ist der, den Männern zu gefallen.
Wir danken Gott zu dieser Frist,
Daß du ein Weib geworden bist.
[An Frau v. Lichtenberg, geb. v. Uten]
[Von Goethe?]
DASS schnell dir dieses Jahr verging,
Ist eben wohl kein Wunderding;
Mit gutem Appetit genießen.
Vom Morgen bis zum Abend küssen,
Und fest sich an den Schnurrbart schließen,
Kann lange Nächte leicht versüßen.
Fast weiß man nicht bei deinem Wohl,
Was man dir weiter wünschen soll
Als etwa nach vollendeten Redouten
Einen kleinen schreienden Rekruten.
GRENZEN DER MENSCHHEIT
WENN der uralte,
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sät,
GOETHE XIV 14.
2 1 o LYRISCHE DICHTUNGEN
Küss ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.
Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgendein Mensch.
Hebt er sich aufwärts
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichem Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde.
Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegründeten
Dauernden Erde,
Reicht er nicht auf,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet
Götter von Menschen?
Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln.
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.
Ein kleiner Ring
Begrenzt tmser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd
An ihres Daseins
Unendliche Kette.
1775/86 WEIMAR 211
PHYSIOGNOMISCHE REISEN
Die Physiognomisten
SOLLT es wahr sein, was uns der rohe .Wandrer ver-
kündet,
Daß die Menschengestalt von allen sichtlichen Dingen
Ganz allein uns lüge, daß wir, was edel und albern,
Was beschränkt und groß, im Angesichte zu suchen,
Eitele Toren sind, betrogne, betrügende Toren?
Ach! wir sind auif den dunkelen Pfad des verworrenen
Lebens
Wieder zurückgescheucht, der Schimmer zu Nächten ver-
finstert.
Der Dichter
Hebet eure zweifelnden Stirnen empor, ihr Geliebten!
Und verdient nicht den Irrtum, hört nicht bald diesen,
bald jenen.
Habet ihr eurer Meister vergessen? Auf! kehret zum
Pindus,
Fraget dorten die Neune, der Grazien nächste Verwandte!
Ihnen allein ist gegeben, der edlen stillen Betrachtung
Vorzustehn. Ergebet euch gern der heiligen Lehre,
Merket bescheiden leise Worte. Ich darf euch versprechen:
Anders sagen die Musen, und anders sagt es Musäus.
[An Charlotte v. Stein]
DEINE Grüße hab ich wohl erhalten.
Liebe lebt jetzt in tausend Gestalten,
Gibt der Blume Färb und Duft,
Jeden Morgen durchzieht sie die Luft,
Tag vmd Nacht spielt sie auf Wiesen, in Hainen,
Mir will sie oft zu herrlich erscheinen;
Neues bringt sie täglich hervor,
Leben siunmt vms die Biene ins Ohr.
Bleib, ruf ich oft, Frühling! man küsset dich kaum,
Engel, so fliehst du wie ein schwankender Traum;
Immer wollen wir dich ehren und schätzen,
So vms an dir wie am Himmel ergötzen.
212 LYRISCHE DICHTUNGEN
[An Charlotte v. Stein]
MAN wills den Damen übel deuten,
Daß sie wohl zu gewissen Zeiten
Ihr Herz mit mehrern teilen können!
Doch dich kann man gar glücklich nennen,
O du, des Hofes Zierd und Ehre!
Du schonst gar weislich deins
Und hast gelegentlich für jeden eins,
Und wenns auch nur von Mehl und Farben wäre.
DER VIERTE TEIL MEINER SCHRIFTEN
Berlin 1779 bei Himburg
LANGVERDORRTE, halbverweste Blätter vorger
Jahre,
Ausgekämmte, auch geweiht' imd abgeschnittne Haare,
Alte Wämser, ausgetretne Schuh und schwarzes Linnen,
Was sie nicht ums leidge Geld beginnen!
Haben sie für bar und gut
Neuerdings dem Publikum gegeben.
Was man andern nach dem Tode tut,
Tat man mir bei meinem Leben.
Doch ich schreibe nicht um Porzellan noch Brot,
Für die Himburgs bin ich tot.
GESANG DER GEISTER ÜBER DEN WASSERN
DES Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.
Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
1775/86 WEIMAR 213
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen.
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!
CHRISTOPH KAUFMANN
von Winterthur im Gefolge Lavaters, der seine frömmelnd
physiognomisierende Spionerei zu adeln sich Gottes Spür-
hund zu nennen beliebte.
ALS Gottes Spürhund hat er frei
Manch Schelmenstück getrieben,
Die Gottesspur ist nun vorbei,
Der Hund ist ihm geblieben.
a 1 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
AXIOM
FREUND, wer ein Lump ist, bleibt ein Lump,
Zu Wagen, Pferd und Fuße;
Drum glaub an keinen Lumpen je,
An keines Lumpen Buße.
ANLIEGEN
O schönes Mädchen du,
Du mit dem schwarzen Haar,
Die du ans Fenster trittst,
Auf dem Balkone stehst!
Und stehst du wohl umsonst?
O stündest du für mich
Und zögst die Klinke los.
Wie glücklich war ich da!
Wie schnell sprang ich hinauf!
AN SEINE SPRÖDE
SIEHST du die Pomeranze?
Noch hängt sie an dem Baume;
Schon ist der März verflossen,
Und neue Blüten kommen.
Ich trete zu dem Baume
Und sage: Pomeranze,
Du reife Pomeranze,
Du süße Pomeranze,
Ich schüttle, fühl, ich schüttle,
O fall in meinen Schoß!
NÄHE
WIE du mir oft, geliebtes Kind,
Ich weiß nicht wie, so fremde bist!
Wenn wir im Schwann der vielen Menschen sind,
Das schlägt mir alle Freude nieder.
Doch ja, wenn alles still und finster um uns ist.
Erkenn ich dich an deinen Küssen wieder.
1775/86 WEIMAR 215
ER UND SEIN NAME
BEI allen Musen und Grazien sagt an mir, ihr Deutschen!
Euren ersten Dichter, den alle Götter geehret,
Der mit Geistesschritten von Sonne zu Sonne gewandelt,
Der in die Tiefen der Liebe sich wie ein Engel gesenket,
Diesen göttlichen Mann, ihr nennt ihn Kiopstock? den
Namen
Gebt ihr einem Dichter, dem keiner zu sanft und zu hoch
war?
Ja, dies ist der Name, den wir verehren und lieben.
Haltet hier, und widmet euch der Feier stiller Betrachtung!
Ach, der Gute hat leider endlich altshändyscher Ahndung
Böse Schuld bezahlt! aus seinen Höhen und Tiefen
Sich in das Stein- und Gebeinreich der Lettern und
Silben begeben.
Mit dem eignen Sinne, der großen Dingen geziemte,
Heftet er sich ans Kleinste, und so klopstockt er die
Sprache.
KÖNIGLICH GEBET
HA, ich bin Herr der Welt! mich lieben
Die Edlen, die mir dienen.
Ha, ich bin Herr der Welt! ich Hebe
Die Edlen, denen ich gebiete,
O gib mir, Gott im Himmel! daß ich mich
Der Höh und Lieb nicht überhebe.
MENSCHENGEFÜHL
ACH, ihr Götter! große Götter
In dem weiten Himmel droben!
Gäbet ihr uns auf der Erde
Festen Sinn und guten Mut,
O wir ließen euch, ihr Guten,
Euren weiten Himmel droben!
2i6 LYRISCHE DICHTUNGEN
WECHSELLIED ZUM TANZE
Die Gleichgültigen
KOMM mit, o Schöne, komm mit mir zum Tanze;
Tanzen gehöret zum festlichen Tag.
Bist du mein Schatz nicht, so kannst du es werden,
Wirst du es nimmer, so tanzen wir doch.
Komm mit, o Schöne, komm mit mir zum Tanze;
Tanzen verherrlicht den festlichen Tag.
Die Zärtlichen
Ohne dich, Liebste, was wären die Feste?
Ohne dich, Süße, was wäre der Tanz?
Wärst du mein Schatz nicht, so möcht ich nicht tanzen,
Bleibst du es immer, ist Leben ein Fest.
Ohne dich. Liebste, was wären die Feste?
Ohne dich, Süße, was wäre der Tanz?
Die Gleichgültigen
Laß sie nur lieben, und laß du uns tanzen!
Schmachtende Liebe vermeidet den Tanz.
Schlingen wir fröhlich den drehenden Reihen,
Schleichen die andern zum dämmernden Wald.
Laß sie nur lieben, und laß du uns tanzen!
Schmachtende Liebe vermeidet den Tanz.
Die Zärtlichen
Laß sie sich drehen, und laß du uns wandeln!
Wandeln der Liebe ist himmlischer Tanz.
Amor, der nahe, der höret sie spotten,
Rächet sich einmal, und rächet sich bald.
Laß sie sich drehen, und laß du uns wandeln!
Wandeln der Liebe ist himmlischer Tanz.
LIEBHABER IN ALLEN GESTALTEN
ICH wollt, ich war ein Fisch,
So hurtig und frisch;
Und kämst du zu ariglen.
Ich würde nicht manglen.
Ich wollt, ich war ein Fisch,
So hurtig und frisch.
1775/86 WEIMAR 217
Ich wollt, ich war ein Pferd,
Da war ich dir wert.
O war ich ein Wagen,
Bequem dich zu tragen.
Ich wollt, ich war ein Pferd,
Da war ich dir wert.
Ich wollt, ich wäre Gold,
Dir immer im Sold;
Und tatst du was kaufen,
Kam ich wieder gelaufen.
Ich wollt, ich wäre Gold,
Dir immer im Sold.
Ich wollt, ich war treu,
Mein Liebchen stets neu;
Ich wollt mich verheißen.
Wollt nimmer verreisen.
Ich wollt, ich war treu,
Mein Liebchen stets neu.
Ich wollt, ich war alt
Und runzlig vmd kalt;
Tatst du mirs versagen,
Da könnt michs nicht plagen.
Ich wollt, ich war alt
Und runzlig und kalt.
War ich Affe sogleich
Voll neckender Streich;
Hätt was dich verdrossen.
So macht ich dir Possen.
War ich Affe sogleich
Voll neckender Streich.
War ich gut wie ein Schaf,
Wie der Löwe so brav;
Hätt Augen wie's Lüchschen
Und Listen wie's Füchschen.
War ich gut wie ein Schaf,
Wie der Löwe so brav.
a 1 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Was alles ich war,
Das gönnt ich dir sehr;
Mit fürstlichen Gaben,
Du solltest mich haben.
Was alles ich war,
Das gönnt ich dir sehr.
Doch bin ich, wie ich bin.
Und nimm mich nur hin!
Willst du Beßre besitzen,
So laß dir sie schnitzen.
Ich bin nun, wie ich bin;
So nimm mich nur hin!
EIN jeder hat sein Ungemach:
Stein zieht den alten Ochsen nach,
Der Herzog jungen Hasen.
Der Prinz ist gutgesinnt fürs Bett,
Und ach, wenn ich ein Misel hätt,
So schwätzt ich nicht mit Basen.
*
Es fahret die poetsche Wut
In uxisrer Freunde junges Blut,
Es siedet über und über.
Apollo, laß es ja dabei
Und mache sie dagegen frei
Von jedem andren Fieber.
WANDRERS NACHTLIED
ÜBER allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
1775/86 WEIMAR 219
MEINE GÖITIN
WELCHER Unsterblichen
Soll der höchste Preis sein?
Mit niemand streit ich,
Aber ich geb ihn
Der ewig beweglichen,
Immer neuen,
Seltsamen Tochter Jovis,
Seinem Schoßkinde,
Der Phantasie.
Denn ihr hat er
Alle Launen,
Die er sonst nur allein
Sich vorbehält,
Zugestanden
Und hat seine Freude
An der Törin.
Sie mag rosenbekränzt
Mit dem Lilienstengel
Blumentäler betreten,
Sommervögeln gebieten
Und leichtnährenden Tau
Mit Bienenlippen
Von Blüten saugen;
Oder sie mag
Mit fliegendem Haar
Und düsterm Blicke
Im Winde sausen
Um Felsenwände,
Und tausendfarbig,
Wie Morgen und Abend,
Immer wechselnd
Wie Mondesblicke,
Den Sterblichen scheinen.
Laßt uns alle
Den Vater preisen!
220 LYRISCHE DICHTUNGEN
Den alten, hohen,
Der solch eine schöne,
Unverwelkliche Gattin
Dem sterblichen Menschen
Gesellen mögen!
Denn uns allein
Hat er sie verbunden
Mit Himmelsband
Und ihr geboten,
In Freud und Elend
Als treue Gattin
Nicht zu entweichen.
Alle die andern
Armen Geschlechter
Der kinderreichen,
Lebendigen Erde
Wandeln und weiden
In dunkelm Genuß
Und trüben Schmerzen
Des augenblicklichen
Beschränkten Lebens,
Gebeugt vom Joche
Der Notdurft.
Uns aber hat er
Seine gewandteste,
Verzärtelte Tochter,
Freut euch! gegönnt.
Begegnet ihr lieblich.
Wie einer Geliebten!
Laßt ihr die Würde
Der Frauen im Haus!
Und daß die alte
Schwiegermutter Weisheit
Das zarte Seelchen
Ja nicht beleidge!
I
1775/86 WEIMAR 221
Doch kenn ich ihre Schwester,
Die ältere, gesetztere,
Meine stille Freundin:
O daß die erst
Mit dem Lichte des Lebens
Sich von mir wende,
Die edle Treiberin,
Trösterin Hofihung!
UM Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen,
Dann scheinet uns der Mond,
Dann leuchtet uns der Stern;
Wir wandeln und singen
Und tanzen erst gern.
Um Mittemacht, wenn die Menschen erst schlafen.
Auf Wiesen, an den Erlen
Wir suchen unsern Raum
Und wandlen und singen
Und tanzen einen Traum.
[An Charlotte v. Stein]
ZUM Tanze schick ich dir den Strauß
Mit himmelfarbnem Band,
Und siehst du andern freundlich aus.
Reichst andren deine Hand,
So denk auch an ein einsam Haus
Und an ein schöner Band.
AUS Kötschaus Toren reichet euch
Ein alter Hexenmeister
Konfekt und süßen roten Wein
Durch einen seiner Geister.
Der sollt, wenn er nicht heiser war,
Euch auch dies Liedchen singen;
Doch wird er einen holden Gruß
Von mir euch überbringen.
«22 LYRISCHE DICHTUNGEN
Kein Wetter kann der arme Tropf
Am hohen Himmel machen;
Sonst sollt euch Sonne, Mond und Stern
Zu eurer Reise lachen.
Genießet, weil ihr süße seid,
Auch etwas Süßes gerne,
Und denkt bei Scherz und Fröhlichkeit
An einen in der Feme!
Der gerne möcht, mit mancher Lust
Euch Schönen zu vergnügen,
An jedem Weg, in jedem Busch
Im Hinterhalte liegen.
Den ihr drum als Oresten saht,
Als Scapin sich gebärden,
Und der nun möcht zu eurem Spaß
Auch Wirt von Kötschau werden.
SAG ichs euch, geliebte Bäume?
Die ich ahndevoll gepflanzt,
Als die wunderbarsten Trätune
Morgenrötlich mich umtanzt.
Ach, ihr wißt es, wie ich liebe.
Die so schön mich wiederliebt.
Die den reinsten meiner Triebe
Mir noch reiner wiedergibt.
Wachset wie aus meinem Herzen,
Treibet in die Luft hinein,
Denn ich grub viel Freud und Schmerzen
Unter eure Wurzeln ein.
Bringet Schatten, traget Früchte,
Neue Freude jeden Tag;
Nur daß ich sie dichte, dichte.
Dicht bei ihr genießen mag.
1775/86 WEIMAR 223
EPIPHANIASFEST
DIE heiigen drei König' mit ihrem Stern,
Sie essen, sie trinken, und bezahlen nicht gern;
Sie essen gern, sie trinken gern,
Sie essen, trinken, und bezahlen nicht gem.
Die heiigen drei König' sind kommen allhier,
Es sind ihrer drei und sind nicht ihrer vier;
Und wenn zu dreien der vierte war.
So war ein heiiger drei König mehr.
Ich erster bin der weiß und auch der schön,
Bei Tage solltet ihr erst mich sehn!
Doch ach, mit allen Spezerein
Werd ich sein Tag kein Mädchen mir erfrein.
Ich aber bin der braun und bin der lang,
Bekannt bei Weibern wohl und bei Gesang.
Ich bringe Gold statt Spezerein,
Da werd ich überall willkommen sein.
Ich endlich bin der schwarz tmd bin der klein
Und mag auch wohl einmal recht lustig sein.
Ich esse gern, ich trinke gern.
Ich esse, trinke und bedanke mich gern.
Die heiigen drei König' sind wohlgesinnt,
Sie suchen die Mutter und das Kind;
Der Joseph fromm sitzt auch dabei.
Der Ochs und Esel liegen auf der Streu.
Wir bringen Myrrhen, wir bringen Gold,
Dem Weihrauch sind die Damen hold;
Und haben wir Wein von gutem Gewächs,
So trinken wir drei so gut als ihrer sechs.
Da wir nun hier schöne Herrn und Fraun,
Aber keine Ochsen und Esel schaun,
So sind wir nicht am rechten Ort
Und ziehen unseres Weges weiter fort.
224 LYRISCHE DICHTUNGEN
DIE NEKTARTROPFEN
ALS Minerva, jenen Liebling,
Den Prometheus, 2u begünstgen,
Eine volle Nektarschale
Von dem Himmel niederbrachte,
Seine Menschen zu beglücken
Und den Trieb zu holden Künsten
Ihrem Busen einzuflößen,
Eilte sie mit schnellen Füßen,
Daß sie Jupiter nicht sähe;
Und die goldne Schale schwankte,
Und es fielen wenig Tropfen
Auf den grünen Boden nieder.
Emsig waren drauf die Bienen
Hinterher und saugten fleißige
Kam der Schmetterling geschäftig.
Auch ein Tröpfchen zu erhaschen;
Selbst die ungestalte Spinne
Kroch herbei und sog gewaltig.
Glücklich haben sie gekostet,
Sie imd andre zarte Tierchen!
Denn sie teilen mit dem Menschen
Nun das schönste Glück, die Kunst.
[An Amalie v. Stein]
DER dieses Bild der Einsamkeit gemacht,
Hat oft an dich in Einsamkeit gedacht.
DER Reiter kommt auf weichem Grund geritten
Und gibt sein steif Persönchen uns zum besten.
Willkommen sei er bei den Winterfesten,
Der schönsten Dame reit er vor dem Schlitten.
[An den Herzog Karl August]
SO groß als die Begierde war in mir,
Die altgeliebten Bilder zu erlangen.
Mit gleicher Lust geb ich sie dir
Und scheine sie dadurch erst zu empfangen.
1775/86 WEIMAR 225
VERSUCHUNG
REICHTE die schädliche Frucht einst Mutter Eva dem
Gatten,
Ach! vom törichten Biß kränkelt das ganze Geschlecht.
Nun vom heiligen Leibe, der Seelen speiset und heilet.
Kostest du, Lydia, fromm, liebliches büßendes Kind!
Darum schick ich dir eilig die Frucht voll irdischer Süße,
Daß der Himmel dich nicht deinem Geliebten entzieh.
DER Segen wird gesprochen!
Die Riesin liegt in den Wochen;
Drei Wölfe sind ausgekrochen.
Sie liegt zwischen Eis und Nebel und Schnee,
Tränke gern Eicheln- und Rübenkaffee,
Wenn sie ihn nur hätte! —
Da läuft die Maus! —
Kind, geh zu Bette
Und lösche die Lichter aus!
NACHTGEDANKEN
EUCH bedaur ich, unglückselge Sterne,
Die ihr schön seid und so herrlich scheinet,
Dem bedrängten Schiffer gerne leuchtet,
Unbelohnt von Göttern imd von Menschen:
Denn ihr liebt nicht, kanntet nie die Liebe!
Unaufhaltsam führen ewge Stunden
Eure Reihen durch den weiten Himmel.
Welche Reise habt ihr schon vollendet!
Seit ich weilend in dem Arm der Liebsten
Euer und der Mittemacht vergessen.
DER BECHER
EINEN wohlgeschnitzten vollen Becher
Hielt ich drückend in den beiden Händen,
Sog begierig süßen Wein vom Rande,
Gram und Sorg auf einmal zu vertrinken.
GOETHE XIV 15.
t26 LYRISCHE DICHTUNGEN
Amor trat herein iind fand mich sitzen,
Und er lächelte bescheidenweise,
Als den Unverständigen bedauernd:
"Freund, ich kenn ein schöneres Gefäße,
Wert, die ganze Seele drein zu senken;
Was gelobst du, wenn ich dir es gönne,
Es mit anderm Nektar dir erfülle?"
O wie freundlich hat er Wort gehalten!
Da er, Lida, dich mit sanfter Neigung
Mir, dem lange Sehnenden, geeignet.
Wenn ich deinen lieben Leib umfasse
Und von deinen einzig treuen Lippen
Langbewahrter Liebe Balsam koste,
Selig Sprech ich dann zu meinem Geiste:
Nein, ein solch Gefäß hat, außer Amom,
Nie ein Gott gebildet noch besessen!
Solche Formen treibet nicht Vulkanus
Mit den sinnbegabten, feinen Hämmern!
Auf belaubten Hügeln mag Lyäus
Durch die ältsten, klügsten seiner Faunen
Ausgesuchte Trauben keltern lassen.
Selbst geheimnisvoller Gärung vorstehn:
Solchen Trank verschafft ihm keine Sorgfalt!
AN LIDA
DEN Einzigen, Lida, welchen du lieben kannst,
Forderst du ganz für dich, und mit Recht.
Auch ist er einzig dein.
Denn seit ich von dir bin,
Scheint mir des schnellsten Lebens
Lärmende Bewegung
Nur ein leichter Flor, durch den ich deine Gestalt
Immerfort wie in Wolken erblicke:
Sie leuchtet mir freundlich und treu.
Wie durch des Nordlichts bewegliche Strahlen
Ewige Sterne schimmern.
1775/86 WEIMAR 227
VERSUS MEMORIALES
IJVVOCA VIT wir rufen laut,
\^Reminiscere o war ich Braut!
Die Oculi gehn hin und her;
Laetare drüber nicht so sehr.
O Judica uns nicht so streng!
Palmarum streuen wir die Meng.
Auf Oster-Eier freun sich hie
Viel Quasi modo geniti.
Misericordias brauchen wir all,
Jubilate ist ein seltner Fall.
Cantate freut der Menschen Sinn,
Rogate bringt nicht viel Gewinn.
Exaudi uns zu dieser Frist,
Spiritus, der du der letzte bist.
HARFENSPIELER
WER sich der Einsamkeit ergibt,
Ach! der ist bald allein;
Ein jeder lebt, ein jeder hebt
Und läßt ihn seiner Pein.
Ja! laßt mich meiner Qual!
Und kann ich nur einmal
Recht einsam sein.
Dann bin ich nicht allein.
Es schleicht ein Liebender lauschend sacht,
Ob seine Freundin allein?
So überschleicht bei Tag und Nacht
Mich Einsamen die Pein,
Mich Einsamen die Qual.
Ach, werd ich erst einmal
Einsam im Grabe sein.
Da läßt sie mich allein!
2 28 LYRISCHE DICHTUNGEN
UNGLEICHE HEIRAT
SELBST ein so himmlisches Paar fand nach der Ver-
bindung sich ungleich:
Psyche ward älter und klug, Amor ist immer noch Kind.
ERKANNTES GLÜCK
WAS bedächtlich Natur sonst unter viele verteilet,
Gab sie mit reichlicher Hand alles der Einzigen,
ihr.
Und die so herrlich Begabte, von vielen so innig Verehrte,
Gab ein liebend Geschick freundlich dem Glücklichen,
mir.
HEILIGE FAMILIE
Ödes süßen Kindes, und o der glücklichen Mutter,
Wie sie sich einzig in ihm, wie es in ihr sich ergetzt!
Welche Wonne gewährte der Blick auf dies herrliche Bild
mir,
Stund ich Armer nicht so heilig, wie Joseph, dabei!
DIE KRÄNZE
T/' LOPSTOCK will uns vom Pindus entfernen; wir sollen
i\- nach Lorbeer
Nicht mehr geizen, uns soll inländische Eiche genügen;
Und doch führet er selbst den überepischen Kreuzzug
Hin auf Golgathas Gipfel, ausländische Götter zu ehren!
Doch, aufweichen Hügel er wolle, versamml er die Engel,
Lasse beim Grabe des Guten verlassene Redliche weinen:
Wo ein Held und Heiliger starb, wo ein Dichter gesungen.
Uns im Leben und Tod ein Beispiel trefflichen Mutes,
Hohen Menschenwertes zu hinterlassen, da knieen
Billig alle Völker in Andachtswonne, verehren
Dorn- und Lorbeerkranz, und was ihn geschmückt und
gepeinigt.
1775/86 WEIMAR 229
GEWEIHTER PLATZ
WENN zu den Reihen der Nymphen, versammelt
in heiliger Mondnacht,
Sich die Grazien heimlich herab vom Olympus gesellen:
Hier belauscht sie der Dichter und hört die schönen Ge-
sänge,
Sieht verschwiegener Tänze geheimnisvolle Bewegung.
Was der Himmel nur Herrliches hat, was glücklich die Erde
Reizendes immer gebar, das erscheint dem wachenden
Träumer.
Alles erzählt er den Musen, und daß die Götter nicht zürnen,
Lehren die Musen ihn gleich bescheiden Geheimnisse spre-
chen.
ERLKÖNIG
WER reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht: —
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön und Schweif? —
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. —
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."
Mein Vater, mein Vater, rmd hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? —
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. —
"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
Und wiegen imd tanzen imd singen dich ein."
230 LYRISCHE DICHTUNGEN
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? —
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. —
"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt."
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! —
Dem Vater grausets, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Müh und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
AUF MIEDINGS TOD
WELCH ein Getümmel füllt Thaliens Haus?
Welch ein geschäftig Volk eilt ein und aus?
Von hohlen Brettern tönt des Hammers Schlag,
Der Sonntag feiert nicht, die Nacht wird Tag.
Was die Erfindimg still und zart ersann,
Beschäftigt laut den rohen Zimmermann.
Ich sehe Hauenschild gedankenvoll;
Ists Türk, ists Heide, den er kleiden soll?
Und Schumann froh, als war er schon bezahlt,
Weil er einmal mit ganzen Farben malt.
Ich sehe Thielens leicht bewegten Schritt,
Der lustger wird, je mehr er euch verschnitt.
Der Jude Elkan läuft mit manchem Rest,
Und diese Gärung deutet auf ein Fest.
Allein, wie viele hab ich hererzählt,
Und nenn ihn nicht, den Mann, der nie gefehlt.
Der sinnreich schnell, mit schmerzbeladner Brust,
Den Lattenbau zu fügen wohl gewußt.
Das Brettgerüst, das, nicht von ihm belebt.
Wie ein Skelett an toten Drähten schwebt.
Wo ist er? sagt! — Ihm war die Kunst so lieb,
Daß Kolik nicht, nicht Husten ihn vertrieb.
1775/86 WEIMAR 231
"Er Hegt so krank, so schlimm es nie noch war!"
Ach, Freunde! Weh! Ich fühle die Gefahr;
Hält Krankheit ihn zurück, so ist es Not,
Er ist nicht krank, nein, Kinder, er ist tot!
Wie? Mieding tot? erschallt bis unters Dach
Das hohle Haus, vom Echo kehrt ein Ach!
Die Arbeit stockt, die Hand wird jedem schwer,
Der Leim wird kalt, die Farbe fließt nicht mehr;
Ein jeder steht betäubt an seinem Ort,
Und nur der Mittwoch treibt die Arbeit fort.
Ja, Mieding tot! O scharret sein Gebein
Nicht undankbar wie manchen andern ein!
Laßt seinen Sarg eröffnet, tretet her.
Klagt jedem Bürger, der gelebt wie er,
Und laßt am Rand des Grabes, wo wir stehn.
Die Schmerzen in Betrachtung übergehn.
O Weimar! dir fiel ein besonder Los! 5
Wie Bethlehem in Juda, klein und groß.
Bald wegen Geist und Witz beruft dich weit
Europens Mund, bald wegen Albernheit.
Der stille Weise schaut und sieht geschwind,
Wie zwei Extreme nah verschwistert sind.
Eröflfoe du, die du besondre Lust
Am Guten hast, der Rührung deine Brust!
Und du, o Muse, rufe weit und laut
Den Namen aus, der heut uns still erbaut!
Wie manchen, wert und unwert, hielt mit Glück
Die sanfte Hand von ewger Nacht zurück;
O laß auch Miedings Namen nicht vergehn!
Laß ihn stets neu am Horizonte stehn!
Nenn ihn der Welt, die kriegrisch oder fein
Dem Schicksal dient und glaubt ihr Herr zu sein,
Dem Rad der Zeit vergebens widersteht,
Verwirrt, beschäftigt und betäubt sich dreht;
Wo jeder, mit sich selbst genug geplagt,
So selten nach dem nächsten Nachbar fragt,
232 LYRISCHE DICHTUNGEN
Doch gern im Geist nach fernen Zonen eilt
Und Glück und Übel mit dem Fremden teilt.
Verkünde laut und sag es überall:
Wo Einer fiel, seh jeder seinen Fall!
Du, Staatsmann, tritt herbei! Hier liegt der Mann,
Der, so wie du, ein schwer Geschäft begann;
Mit Lust zum Werke mehr als zvun Gewinn
Schob er ein leicht Gerüst mit leichtem Sinn,
Den Wunderbau, der äußerlich entzückt,
Indes der Zaubrer sich im Winkel drückt.
Er wars, der säumend manchen Tag verlor,
So sehr ihn Autor und Akteur beschwor;
Und dann zuletzt, wenn es zum Treffen ging,
Des Stückes Glück an schwache Fäden hing.
Wie oft trat nicht die Herrschaft schon herein!
Es ward gepocht, die Symphonie fiel ein.
Daß er noch kletterte, die Stangen trug,
Die Seile zog und manchen Nagel schlug.
Oft glückt's ihm, kühn betrog er die Gefahr;
Doch auch ein Bock macht' ihm kein graues Haar.
Wer preist genug des Mannes kluge Hand,
Wenn er aus Draht elastsche Federn wand,
Vielfältge Pappen auf die Lättchen schlug.
Die Rolle fügte, die den Wagen trug;
Von Zindel, Blech, gefärbt Papier und Glas,
Dem Ausgang lächelnd, rings umgeben saß?
So, treu dem unermüdlichen Beruf,
War ers, der Held imd Schäfer leicht erschuf.
Was alles zarte, schöne Seelen rührt.
Ward treu von ihm, nachahmend, ausgeführt:
Des Rasens Grün, des Wassers Silberfall,
Der Vögel Sang, des Donners lauter Knall,
Der Laube Schatten und des Mondes Licht-
Ja selbst ein Ungeheur erschreckt' ihn nicht.
Wie die Natur manch widerwärtge Kraft
Verbindend zwingt, und streitend Körper schafit:
k
1775/86 WEIMAR 233
So zwang er jedes Handwerk, jeden Fleiß;
Des Dichters Welt entstand auf sein Geheiß.
Und, so verdient, gewährt die Muse nur
Den Namen ihm — Direktor der Natur.
Wer faßt nach ihm, voll Kühnheit und Verstand,
Die vielen Zügel mit der Einen Hand?
Hier, wo sich jeder seines Weges treibt,
Wo ein Faktotum unentbehrlich bleibt;
Wo selbst der Dichter, heimlich voll Verdruß,
Im Fall der Not die Lichter putzen muß.
O sorget nicht! Gar viele regt sein Tod!
Sein Witz ist nicht zu erben, doch sein Brot;
Und, ungleich ihm, denkt mancher Ehrenmann:
Verdien ichs nicht, wenn ichs nur essen kann.
Was stutzt ihr? Seht den schlecht verzierten Sarg,
Auch das Gefolg scheint euch gering und karg;
Wie! ruft ihr, wer so künstlich und so fein,
So wirksam war, muß reich gestorben sein!
Warum versagt man ihm den Trauerglanz,
Den äußern Anstand letzter Ehre ganz?
Nicht so geschwind! Das Glück macht alles gleich.
Den Faulen und den Tätgen, Arm und Reich.
Zum Gütersammeln war er nicht der Mann;
Der Tag verzehrte, was der Tag gewann.
Bedauert ihn, der, schaffend bis ans Grab,
Was künstlich war, und nicht was Vorteil gab.
In Hoffnung täglich weniger erwarb,
Vertröstet lebte und vertröstet starb.
Nun laßt die Glocken tönen, und zuletzt
Werd er mit lauter Trauer beigesetzt!
Wer ists, der ihm ein Lob zu Grabe bringt.
Eh noch die Erde rollt, das Chor verklingt?
Ihr Schwestern, die ihr bald auf Thespis Karm,
Geschleppt von Eseln und umschrien von Narm,
Vor Hunger kaum, vor Schande nie bewahrt.
Von Dorf zu Dorf, euch feilzubieten, fahrt;
234 LYRISCHE DICHTUNGEN
Bald wieder, durch der Menschen Gunst beglückt.
In Herrlichkeit der Welt die Welt entzückt;
Die Mädchen eurer Art sind selten karg,
Kommt, gebt die schönsten Kränze diesem Sarg!
Vereinet hier teilnehmend euer Leid,
Zahlt, was ihr ihm, was ihr uns schuldig seid!
Als euem Tempel grause Glut verheert,
Wart ihr von uns drum weniger geehrt?
Wie viel Altäre stiegen vor euch auf!
Wie manches Rauchwerk brachte man euch drauf!
An wie viel Plätzen lag, vor euch gebückt,
Ein schwer befriedigt Publikum entzückt!
In engen Hütten und im reichen Saal,
Auf Höhen Ettersburgs, in Tiefurts Tal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht,
Und unter dem Gewölb der hohen Nacht,
Erschient ihr, die ihr vielgestaltet seid,
Im Reitrock bald und bald im Galakleid.
Auch das Gefolg, das um euch sich ergießt,
Dem der Geschmack die Türen ekel schließt.
Das leichte, tolle, scheckige Geschlecht,
Es kam zuhauf, imd immer kam es recht.
An weiße Wand bringt dort der Zauberstab
Ein Schattenvolk aus mythologschem Grab.
Im Possenspiel regt sich die alte Zeit,
Gutherzig, doch mit Ungezogenheit.
Was Gallier und Brite sich erdacht,
Ward, wohlverdeutscht, hier Deutschen vorgebracht;
Und oftmals liehen Wärme, Leben, Glanz
Dem armen Dialog — Gesang und Tanz.
Des Karnevals zerstreuter Fiitterwelt
Ward sinnreich Spiel und Handlung zugesellt.
Dramatisch selbst erschienen hergesandt
Drei Könige aus fernem Morgenland;
Und sittsam bracht auf reinlichem Altar
Dianens Priesterin ihr Opfer dar.
Nun ehrt uns auch in dieser Trauerzeit!
Gebt uns ein Zeichen! denn ihr seid nicht weit.
1775/86 WEIMAR 235
Ihr Freunde, Platz! Weicht einen kleinen Schritt!
Seht, wer da kommt und festlich näher tritt!
Sie ist es selbst — die Gute fehlt uns nie —
Wir sind erhört, die Musen senden sie.
Ihr kennt sie wohl; sie ists, die stets gefällt:
Als eine Blume zeigt sie sich der Welt,
Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ists und stellt es vor.
Es gönnten ihr die Musen jede Gunst,
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.
So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,
Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.
Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn!
Nur absichtslos, doch wie mit Absicht schön.
Und hocherstaunt seht ihr in ihr vereint
Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.
Anständig fuhrt die leis erhobne Hand
Den schönsten Kranz, umknüpft von Trauerband.
Der Rose frohes, volles Angesicht,
Das treue Veilchen, der Narzisse Licht,
Vielfältger Nelken, eitler Tulpen Pracht,
Von Mädchenhand geschickt hervorgebracht,
Durchschlungen von der Myrte sanfter Zier,
Vereint die Kunst zum Trauerschmucke hier;
Und durch den schwarzen, leichtgeknüpften Flor
Sticht eine Lorbeerspitze still hervor.
Es schweigt das Volk. Mit Augen voller Glanz
Wirft sie ins Grab den wohlverdienten Kranz.
Sie öfifnet ihren Mund, und lieblich fließt
Der weiche Ton, der sich ums Herz ergießt.
Sie spricht: Den Dank für das, was du getan,
Geduldet, nimm, du Abgeschiedner, an!
Der Gute, wie der Böse, müht sich viel,
Und beide bleiben weit von ihrem Ziel.
Dir gab ein Gott in holder, steter Kraft
Zu deiner Kunst die ewge Leidenschaft.
85« LYRISCHE DICHTUNGEN
Sie wars, die dich zur bösen Zeit erliielt,
Mit der du krank, als wie ein Kind, gespielt,
Die auf den blassen Mund ein Lächeln rief,
In deren Arm dein müdes Haupt entschlief!
Ein jeder, dem Natur ein Gleiches gab,
Besuche pilgernd dein bescheiden Grab!
Fest steh dein Sarg in wohlgegönnter Ruh;
Mit lockrer Erde deckt ihn leise zu,
Und sanfter als des Lebens liege dann
Auf dir des Grabes Bürde, guter Mann!
[An Charlotte v. Stein]
DAS Gänslein rot im Domino
Sieht in die Welt so leicht und froh
Und zeigt sich als ein Meisterstück
Aus der hochgräflichen Fabrik.
Doch zierlich, wie das Schätzchen steht,
Gehts ihm, wie's vielen Leuten geht;
Denn es ist, ich gesteh es gern,
Die Schale besser als der Kern.
Und viel zu loben find ich da
Den Schneider mehr als den Papa.
Doch ach, warum kommt so geputzt,
So überzierlich aufgestutzt,
Das liebe schöne Kind so weit,
So ferne her zur stillen Zeit?
Ach, wären wir noch allzvunal
Im hellen, hohen Palmensaal!
Sie führte dann auf jenem Plan
Auch einen großen Aufzug an,
Wenn alle, die ihr ähnlich sein,
Pathetisch stiegen hinterdrein.
Doch diese Freuden sind nun aus.
Drum mach nur die Honneurs vom Haus
Und lad uns Freunde, wie wir sind.
Mit diesem allerliebsten Kind
In eine kleine Assemblee,
Zu einem wohlfrisierten Tee.
1775/86 WEIMAR 237
Dann laß uns schwätzen, laß uns sitzen,
Erzählen und die Ohren spitzen,
Und wohl Solls ihr mit Groß und Klein
Au sein de sa fatnille sein.
[An Luise v. Göchhausen und ihre Tee-Gesellschaftl
O Kinder, still! reicht meinen Lehren
Ein unbefangen, willig Ohr!
Das werte Gänslein zu verehren,
Setzt ihr ihm Tee und Waffeln vor.
Allein ich kanns euch nicht verstecken.
Wenn auch die Wahrheit nicht gefällt:
Das, was euch schmeckt, wird ihr nicht schmecken;
Sie kommt aus einer andern Welt.
Denn Fremde gehn auf ihrer Reise
Von Orten nur vergnügt davon,
Traktiert man sie auf ihre Weise,
Und loben dann den guten Ton.
Seht, wie sie ekel ihren Schnabel
Vor euren Leckerbissen schließt
Und, wie der Kranich in der Fabel,
Von flachen Schüsseln nichts genießt.
Drum send ich euch, sie zu beglücken,
Des Hafers goldne Körner hier.
Und richtet ja, sie zu entzücken,
Mit dem Diskurs euch auch nach ihr.
ERWÄHLTER FELS
HIER im Stillen gedachte der Liebende seiner Ge-
liebten;
Heiter sprach er zu mir: Werde mir Zeuge, du Stein!
Doch erhebe dich nicht, du hast noch viele Gesellen;
Jedem Felsen der Flur, die mich, den Glücklichen, nährt,
238 LYRISCHE DICHTUNGEN
Jedem Baume des Walds, um den ich wandernd mich
schlinge:
Denkmal bleibe des Glücks! ruf ich ihm weihend und froh.
Doch die Stimme verleih ich nur dir, wie unter der Menge
Einen die Muse sich wählt, freundlich die Lippen ihm
küßt.
FRAGE nicht nach mir, und was ich im Herzen verwahre,
Ewige Stille geziemt ohne Gelübde dem Mann.
Was ich zu sagen vermöchte, ist jetzo schon kein Ge-
heimnis;
Nur diesen Namen verdient, was sich mir selber verbirgt.
A
RM an Geiste kommt heut spät dein Geliebter vor dich;
Arm an Liebe kommt er weder frühe noch spät.
EINSAMKEIT
DIE ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame
Nymphen,
Gebet jeglichem gern, was er im stillen begehrt!
Schaffet dem Traurigen Trost, dem Zweifelhaften Beleh-
rung,
Und dem Liebenden gönnt, daß ihm begegne sein Glück.
Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen ver-
sagten:
Jeglichem, der euch vertraut, tröstlich und hilflich zusein.
LÄNDLICHES GLÜCK
SEID, o Geister des Hains, o seid, ihr Nymphen des
Flusses,
Eurer Entfernten gedenk, eueren Nahen zur Lust!
Weihend feierten sie im stillen die ländlichen Feste;
Wir, dem gebahnten Pfad folgend, beschleichen das
Glück.
Amor wohne mit uns, es macht der himmlische Knabe
Gegenwärtige lieb, und die Entfernten euch nah.
1775/86 WEIMAR 239
FERNE
KÖNIGEN, sagt man, gab die Natur vor andern Ge-
bomen
Eines längeren Anns weithinaus fassende Kraft.
Doch auch mir, dem Geringen, verlieh sie das fürstliche
Vorrecht:
Denn ich fasse von fem, halte dich, Lida, mir fest.
DER PARK
WELCH ein himmUscher Garten entspringt aus Öd
imd aus Wüste,
Wird und lebet und glänzt herrlich im Lichte vor mir?
Wohl den Schöpfer ahmet ihr nach, ihr Götter der Erde!
Fels und See tmd Gebüsch, Vögel und Fisch und Ge-
wild.
Nur, daß euere Stätte sich ganz zum Eden vollende.
Fehlet ein Glücklicher hier, fehlt euch am Sabbat die
Ruh.
PHILOMELE
DICH hat Amor gewiß, o Sängerin, füttemd erzogen;
Kindisch reichte der Gott dir mit dem Pfeile die
Kost.
So, durchdrungen von Gift die harmlosatmende Kehle,
Trifft mit der Liebe Gewalt nun Philomele das Herz.
MAN lauft, man drängt, man reißt mich mit!
Was hat das zu bedeuten?
Sechs Pferde mit gemeßnem Schritt
Erblick ich schon von weiten.
Ein Dichter, der so manches litt.
Fährt her, begaSt von Leuten,
Steigt aus und kommt mit stolzem Tritt,
Begrüßt von allen Seiten.
Doch kommt ein Wurm im Herzen mit
Und läßt ihn vieles leiden;
Er muß bei stolzem Tritt und Schritt
«40 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ein armes Volk beneiden.
O Pegase! o nimm ihn mit
In der Begeistrung Weiten!
Er gibt gewiß für Einen Ritt
Das Sechsgespann mit Freuden.
DEINEM SCHREIBTISCHE
MICH erbaute zuerst ein Denker, weihte der Liebe,
Weihte der Freimdschaft mich ein, stillem Genüsse
der Welt.
Doch es ward die Stadt ihm zu eng, er eilte von dannen.
Ließ dem Freunde mich stehn, der mich nun emsig
besitzt.
Der, dem schönen Gefilde, den holden Stunden entsagend.
Sich der Mühe zu weihn, wählte die engere Stadt.
[An Herders Frau]
DIES kleine Stück gehört, so klein es ist.
Zur Hälfte dein, wie du beim ersten Blick
Erkennen wirst, gehört euch beiden zu.
Die ihr schon lang für Eines geltet. Drum
Verzeih, wenn ich so kühn und ohngefragt,
Und noch dazu vielleicht nicht ganz geschickt,
Was er dem Volke nahm, dem Volk zurück-
Gegeben habe. Denn wir andern, die
Wir jeden Tag berupft zu Bette gehn
Und dennoch kleine, ausgestopfte, bunte.
Erlogen -wahre Vögel auf den Markt
Zu bringen, von den Kunden solcher Lust
Gefordert werden, könnens wahrlich nicht
Aus eignen Mitteln immer, müssen still.
Was da ein Pfau, ein Rabe dort, und was
Ein andrer hier verloren, sammlend schleichen.
Und wenn du nun, wie man durch einen Blick
Zum Händedruck, durch den zu einem Kuß
Gelockt wird, es durch diese Blätter wirst,
Zu sehn, was man gedruckt nicht lesen kann.
1775/86 WEIMAR 241
Weil es gespielt und nicht gesprochen wird,
Auch wohl gesprochen wird, doch schlecht geschrieben
Sich ausnimmt, o so komm; ich lade dich
In deren Namen ein, die unserm Spiele
Den Raum gibt und die Nacht mn uns erhellt.
Doch darfst du, Mütterchen, dem feuchten Reich
Des Erlenkönigs dich bei kühler Nacht
Nicht anvertrauen, so entschädge dich
Ein Zauberschatten, zeige dir im Bild
Den schönen Blick, wie Wald und Fluß im Tal
Auf einmal rege wird, imd wie die Nacht
Von Feuern leuchtet um ein loses Kind.
[An Charlotte v. Stein]
VON mehr als Einer Seite verwaist,
Klag ich um deinen Abschied hier;
Nicht allein meine Liebe verreist,
Meine Tugend verreist mit dir.
Denn ach, bald wird in dumpfes Unbehagen
Die schönste Stimmung umgewandt.
Die Leidenschaft heißt mich an frischen Tagen
Nach dem und jenem Gute jagen.
Und denk ich es recht sicher heim zu tragen,
Spielt mirs der Leichtsinn aus der Hand.
Bald reizt mich die Gefahr, ein Abenteur zu wagen,
Ich stürze mich hinein und halte mutig stand;
Doch seitwärts fährt die Lust auf ihrem Taubenwagen,
Die Luft wird balsamreich, mein Herz gerät in Brand.
Mein Schutzgeist, eil, es ihr zu sagen,
Durchstreiche schnell das ferne Land.
Sie soll nicht schelten, soll den Freund beklagen;
Und bitte sie zu Lindrung meiner Plagen
Um das geheimnisvolle Band;
Sie trägts, und oft hat mirs ihr Blick versprochen pp.
BIN so in Lieb zu ihr versunken.
Als hätt ich von ihrem Blut getrunken.
GOETHE XIV 16.
«4« LYRISCHE DICHTUNGEN
DER SÄNGER
WAS hör ich draußen vor dem Tor,
Was auf der Brücke schallen?
Laß den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale widerhallen!
Der König sprachs, der Page lief;
Der Knabe kam, der König rief:
Laßt mir herein den Alten!
Gegrüßet seid mir, edle Herrn,
Gegrüßt ihr, schöne Damen!
Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!
Wer kennet ihre Namen?
Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,
Sich staimend zu ergetzen.
Der Sänger drückt' die Augen ein
Und schlug in vollen Tönen;
Die Ritter schauten mutig drein,
Und in den Schoß die Schönen.
Der König, dem das Lied gefiel.
Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,
Eine goldne Kette holen.
Die goldne Kette gib mir nicht,
Die Kette gib den Rittern,
Vor deren kühnem Angesicht
Der Feinde Lanzen splittern;
Gib sie dem Kanzler, den du hast,
Und laß ihn noch die goldne Last
Zu andern Lasten tragen.
Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet;
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet.
Doch darf ich bitten, bitt ich eins:
Laß mir den besten Becher Weins
In purem Golde reichen.
1775/86 WEIMAR 243
Er setzt' ihn an, er trank ihn aus:
O Trank voll süßer Labe!
O wohl dem hochbeglückten Haus,
Wo das ist kleine Gabe!
Ergehts euch wohl, so denkt an mich,
Und danket Gott so warm, als ich
Für diesen Tnmk euch danke.
HARFENSPIELER
WER nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß.
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.
Ihr führt ins Leben vms hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt ihr ihn der Pein:
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
FEIER DER GEBURTSSTUNDE DES ERBPRINZEN
KARL FRIEDRICH
den 15. Februar 1783, gegen Morgen
VOR vierzehn Tagen harrten wir
In dieser nächtlichen Stunde,
Noch zweifelhaft, auf unser Glück,
Mit zugeschloßnem Munde.
Nach vierzehn Tagen kommen wir,
Die Stimme zu erheben.
Zu rufen: Endlich ist er da!
Er lebt, und er wird leben!
Nach vierzehn Jahren wollen wir,
Dies Ständchen wieder bringen,
Zu seiner ersten Jünglingszeit
Ein Segenslied zu singen.
244 LYRISCHE DICHTUNGEN
Nach vierzehnhundert Jahren wird
Zwar mancher von uns fehlen,
Doch soll man dann Karl Friedrichs Glück
Und Güte noch erzählen.
HERZLICH bat ich die Muse, mich liebliche Worte
zu lehren
Heute zur Feier des Tags; doch sie erhörte mich nicht.
Besser lehrt mich das Kochbuch, ein eßbares Opfer zu
bringen;
Wenn es dein Völklein genießt, mehr' es die Feier des
Tags.
ILMENAU
am 3. September 1783
ANMUTIG Tal! du immergrüner Hain!
Mein Herz begrüßt euch wieder auf das beste;
Entfaltet mir die schwerbehrmgnen Äste,
•Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein.
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb und Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!
Wie kehrt ich oft mit wechselndem Geschicke,
Erhabner Berg! an deinen Fuß zurücke.
O laß mich heut an deinen sachten Höhn
Ein jugendhch, ein neues Eden sehn!
Ich hab es wohl auch mit um euch verdienet:
Ich sorge still, indes ihr ruhig grünet.
Laßt mich vergessen, daß auch hier die Welt
So manch Geschöpf in Erdefesseln hält.
Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut
Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut,
Der Knappe karges Brot in Klüften sucht.
Der Köhler zittert, wenn der Jäger flucht.
Verjüngt euch mir, wie ihr es oft getan,
Als fing' ich heut ein neues Leben an.
1775/86 WEIMAR 245
Ihr seid mir hold, ihr gönnt mir diese Träume,
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
Mir wieder selbst, von allen Menschen fern,
Wie bad ich mich in euren Düften gern!
Melodisch rauscht die hohe Tanne wieder,
Melodisch eilt der Wasserfall hernieder;
Die Wolke sinkt, der Nebel drückt ins Tal,
Und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.
Im finstem Wald, beim Liebesblick der Sterne,
Wo ist mein Pfad, den sorglos ich verlor?
Welch seltne Stimmen hör ich in der Ferne?
Sie schallen wechselnd an dem Fels empor.
Ich eile sacht, zu sehn, was es bedeutet,
Wie von des Hirsches Ruf der Jäger still geleitet.
Wo bin ich? ists ein Zaubermärchen -Land?
Welch nächtliches Gelag am Fuß der Felsenwand?
Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket.
Seh ich sie froh ans Feuer hingestrecket.
Es dringt der Glanz hoch durch den Fichten-Saal,
Am niedem Herde kocht ein rohes Mahl;
Sie scherzen laut, indessen, bald geleeret.
Die Flasche frisch im Kreise wiederkehret.
Sagt, wem vergleich ich diese mimtre Schar?
Von wannen kommt sie? um wohin zu ziehen?
Wie ist an ihr doch alles wunderbar!
Soll ich sie grüßen? soll ich vor ihr fliehen?
Ist es der Jäger wildes Geisterheer?
Sinds Gnomen, die hier Zauberkünste treiben?
Ich seh im Busch der kleinen Feuer mehr;
Es schaudert mich, ich wage kaum, zu bleiben.
Ists der Ägyptier verdächtiger Aufenthalt?
Ist es ein flüchtiger Fürst wie im Ardenner-Wald?
Soll ich Verirrter hier in den verschlungnen Gründen
Die Geister Shakespeares gar verkörpert finden?
Ja, der Gedanke führt mich eben recht:
Sie sind es selbst, wo nicht ein gleich Geschlecht!
Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,
Und durch die Roheit fühl ich edle Sitten.
246 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wie nennt ihr ihn? Wer ists, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmütig trocken weiß er Freud und Lachen
Im ganzen Zirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.
Wer ist der andre, der sich nieder
An einen Sturz des alten Baumes lehnt
Und seine langen, feingestalten Glieder
Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt
Und, ohne daß die Zecher auf ihn hören,
Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt
Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
Ein monotones Lied mit großer Inbrunst singt?
Doch scheinet allen etwas zu gebrechen;
Ich höre sie auf einmal leise sprechen,
Des Jünghngs Ruhe nicht zu unterbrechen,
Der dort am Ende, wo das Tal sich schließt.
In einer Hütte, leicht gezimmert,
Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schimmert,
Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt.
Mich treibt das Herz, nach jener Kluft zu wandern,
Ich schleiche still und scheide von den andern.
Sei mir gegrüßt, der hier in später Nacht
Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!
Was sitzest du entfernt von jenen Freuden?
Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
Was ists, daß du in Sinnen dich verlierest,
Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest?
"O frage nicht! denn ich bin nicht bereit,
Des Fremden Neugier leicht zu stillen;
Sogar verbitt ich deinen guten Willen:
Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
1775/86 WEIMAR 247
Ich bin dir nicht imstande selbst zu sagen,
Woher ich sei, wer mich hierher gesandt;
Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
Und durch die Freundschaft festgebannt.
Wer kennt sich selbst? wer weiß, was er vermag?
Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?
Und was du tust, sagt erst der andre Tag,
War es zum Schaden oder Frommen.
Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsglut
Auf frischen Ton vergötternd niederfließen?
Und könnt er mehr als irdisch Blut
Durch die belebten Adern gießen?
Ich brachte reines Feuer vom Altar;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.
Der Sturm vermehrt die Glut imd die Gefahr,
Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
Und wenn ich unklug Mut und Freiheit sang
Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,
Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,
Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst;
Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst,
Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.
Nun sitz ich hier, zugleich erhoben und gedrückt,
Unschuldig tmd gestraft, und schuldig vmd beglückt.
Doch rede sacht! denn imter diesem Dach
Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach:
Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet
Und, was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt.
Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen.
Wer kann der Raupe, die am Zweige kriecht,
Von ihrem künftgen Futter sprechen?
Und wer der Puppe, die am Boden liegt,
2 48 LYRISCHE DICHTUNGEN
Die zarte Schale helfen durchzubrechen?
Es kommt die Zeit, sie drängt sich selber los
Und eilt auf Fittichen der Rose in den Schoß.
Gewiß, ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft,
Noch ist, bei tiefer Neigung für das Wahre,
Ihm Irrtum eine Leidenschaft.
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmutiger Bewegung
Ruht er unmutig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig, ohne froh zu sein.
Schläft er, an Seel und Leib verwundet imd zerschlagen,
Auf einem harten Lager ein:
Indessen ich hier, still und atmend kaum,
Die Augen zu den freien Sternen kehre
Und, halb erwacht und halb im schweren Traum,
Mich kaum des schweren Traums erwehre."
Verschwinde, Traum!
Wie dank ich, Musen, euch!
Daß ihr mich heut auf einen Pfad gestellet.
Wo auf ein einzig Wort die ganze Gegend gleich
Zum schönsten Tage sich erhellet;
Die Wolke flieht, der Nebel fällt,
Die Schatten sind hinweg, Ihr Götter, Preis und Wonne!
Es leuchtet mir die wahre Sonne,
Es lebt mir eine schönre Welt;
Das ängstliche Gesicht ist in die Luft zerronnen,
Ein neues Leben ists, es ist schon lang begonnen.
Ich sehe hier, wie man nach langer Reise
Im Vaterland sich wiederkennt.
Ein ruhig Volk in stillem Fleiß e
1775/86 WEIMAR 249
Benutzen, was Natur an Gaben ihm gegönnt.
Der Faden eilet von dem Rocken
Des Webers raschem Stuhle zu,
Und Seil und Kübel wird in längrer Ruh
Nicht am verbrochnen Schachte stocken;
Es wird der Trug entdeckt, die Ordnung kehrt zurück,
Es folgt Gedeihn und festes irdsches Glück.
So mög, o Fürst, der Winkel deines Landes
Ein Vorbild deiner Tage sein!
Du kennest lang die Pflichten deines Standes
Und schränkest nach und nach die freie Seele ein.
Der kann sich manchen Wunsch gewähren,
Der kalt sich selbst und seinem Willen lebt;
Allein wer andre wohl zu leiten strebt,
Muß fähig sein, viel zu entbehren.
So wandle du — der Lohn ist nicht gering —
Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging,
Daß bald ein Korn, des Zufalls leichtes Spiel,
Hier auf den Weg, dort zwischen Domen fiel;
Nein! streue klug wie reich, mit männlich steter Hand,
Den Segen aus auf ein geackert Land;
Dann laß es ruhn: die Ernte wird erscheinen
Und dich beglücken und die Deinen.
[In das Stammbuch von Mr. Brak]
WILL der Knabe nicht hören, was der erfahrene
Mann spricht?
Muß der Jüngling stets irren? und schwerbetrogen die
Männer
Wieder zu Knaben sich wünschen, nur um sich selber zu
folgen?
250 LYRISCHE DICHTUNGEN
DAS GÖTTLICHE
EDEL sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.
Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen!
Ihnen gleiche der Mensch;
Sein Beispiel lehr uns
Jene glauben.
Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Über Bös' und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.
Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Und ergreifen
Vorüber eilend
Einen um den andern.
Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Faßt bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.
Nach ewigen, ehrnen,
Großen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.
D
1775/86 WEIMAR 251
Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche:
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.
Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen.
Heilen und retten,
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.
Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Täten im Großen,
Was der Beste im Kleinen
Tut oder möchte.
Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!
ENTSCHULDIGUNG
U verklagest das Weib, sie schwanke von einem zum
andern!
Tadle sie nicht: sie sucht einen beständigen Mann.
NOVEMBERLIED
DEM Schützen, doch dem alten nicht,
Zu dem die Sonne flieht.
Der uns ihr fernes Angesicht
Mit Wolken überzieht;
252 LYRISCHE DICHTUNGEN
Dem Knaben sei dies Lied geweiht,
Der zwischen Rosen spielt,
Uns höret und zur rechten Zeit
Nach schönen Herzen zielt.
Durch ihn hat uns des Winters Nacht,
So häßlich sonst und rauh,
Gar manchen werten Freund gebracht
Und manche liebe Frau.
Von nun an soll sein schönes Bild
Am Sternenhimmel stehn.
Und er soll ewig, hold und mild,
Uns auf- und untergehn.
MIGNON
KENNST du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl:
Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut;
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!
1775/86 WEIMAR 253
JUGENDLICH kommt sie vom Himmel, tritt vor den
Priester vmd Weisen
Unbekleidet, die Göttin; still blickt sein Auge zm- Erde.
Dann ergreift er das Rauchfaß und hüllt demütig verehrend
Sie in durchsichtigen Schleier, daß wir sie zu schauen er-
tragen.
WAS ich leugnend gestehe und offenbarend ver-
berge,
Ist mir das einzige Wohl, bleibt mir ein reichlicher
Schatz.
Ich vertrau es dem Felsen, damit der Einsame rate,
Was in der Einsamkeit mich, was in der Welt mich
beglückt.
FELSEN sollten nicht Felsen und Wüsten Wüsten nicht
bleiben.
Drum stieg Amor herab, sieh, und es lebte die Welt.
Auch belebt er mir die Höhle mit himmlischem Lichte,
Zwar der Hoffnung nur, doch ward die Hoffnung erfüllt.
ZUEIGNUNG
DER Morgen kam; es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing,
Daß ich, erwacht, aus meiner stillen Hütte
Den Berg hinauf mit frischer Seele ging;
Ich freute mich bei einem jeden Schritte
Der neuen Blume, die voll Tropfen hing;
Der junge Tag erhob sich mit Entzücken,
Und alles war erquickt, mich zu erquicken.
Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Wiesen
Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor;
Er wich und wechselte, mich zu umfließen,
Und wuchs geflügelt mir ums Haupt empor:
Des schönen Blicks sollt ich nicht mehr genießen,
Die Gegend deckte mir ein trüber Flor;
Bald sah ich mich von Wolken wie umgössen
Und mit mir selbst in Dämmnmg eingeschlossen.
254 LYRISCHE DICHTUNGEN
Auf einmal schien die Sonne durchzudringen,
Im Nebel ließ sich eine Klarheit sehn.
Hier sank er, leise sich hinabzuschwingen,
Hier teilt' er steigend sich um Wald und Höhn.
Wie hofft ich ihr den ersten Gruß zu bringen!
Sie hofft ich nach der Trübe doppelt schön.
Der luftge Kampf war lange nicht vollendet.
Ein Glanz umgab mich, und ich stand geblendet.
Bald machte mich, die Augen aufzuschlagen,
Ein innrer Trieb des Herzens wieder kühn,
Ich könnt es nur mit schnellen Blicken wagen.
Denn alles schien zu brennen und zu glühn.
Da schwebte, mit den Wolken hergetragen,
Ein göttlich Weib vor meinen Augen hin.
Kein schöner Bild sah ich in meinem Leben,
Sie sah mich an und blieb verweilend schweben.
Kennst du mich nicht? sprach sie mit einem Munde
Dem aller Lieb und Treue Ton entfloß:
Erkennst du mich, die ich in manche Wunde
Des Lebens dir den reinsten Balsam goß?
Du kennst mich wohl, an die, zu ewgem Bunde,
Dein strebend Herz sich fest und fester schloß.
Sah ich dich nicht mit heißen Herzenstränen
Als Knabe schon nach mir dich eifrig sehnen?
Ja! rief ich aus, indem ich selig nieder
Zur Erde sank, lang hab ich dich gefühlt;
Du gabst mir Ruh, wenn durch die jungen Glieder
Die Leidenschaft sich rastlos durchgewühlt;
Du hast mir wie mit himmlischem Gefieder
Am heißen Tag die Stirne sanft gekühlt;
Du schenktest mir der Erde beste Gaben,
Und jedes Glück will ich durch dich nur haben!
Dich nenn ich nicht. Zwar hör ich dich von vielen
Gar oft genannt, und jeder heißt dich sein^
Ein jedes Auge glaubt auf dich zu zielen.
Fast jedem Auge wird dein Strahl zur Pein.
1775/86 WEIMAR 255
Ach, da ich irrte, hatt ich viel Gespielen,
Da ich dich kenne, bin ich fast allein;
Ich muß mein Glück nur mit mir selbst genießen,
Dein holdes Licht verdecken und verschließen.
Sie lächelte, sie sprach: Du siehst, wie klug,
Wie nötig wars, euch wenig zu enthüllen!
Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug,
Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen,
So glaubst du dich schon Übermensch genug.
Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!
Wieviel bist du von andern unterschieden?
Erkenne dich, leb mit der Welt in Frieden!
Verzeih mir, rief ich aus, ich meint es gut;
Soll ich mnsonst die Augen offen haben?
Ein froher Wille lebt in meinem Blut,
Ich kenne ganz den Wert von deinen Gaben!
Für andre wächst in mir das edle Gut,
Ich kann und will das Pfund nicht mehr vergraben!
Warum sucht ich den Weg so sehnsuchtsvoll.
Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?
Und wie ich sprach, sah mich das hohe Wesen
Mit einem Blick mitleidger Nachsicht an;
Ich konnte mich in ihrem Auge lesen,
Was ich verfehlt imd was ich recht getan.
Sie lächelte, da war ich schon genesen.
Zu neuen Freuden stieg mein Geist heran;
Ich konnte nun mit innigem Vertrauen
Mich zu ihr nahn und ihre Nähe schauen.
Da reckte sie die Hand aus in die Streifen
Der leichten Wolken und des Dufts umher;
Wie sie ihn, faßte, ließ er sich ergreifen,
Er ließ sich ziehn, es war kein Nebel mehr.
Mein Auge könnt im Tale wieder schweifen,
Gen Himmel blickt ich, er war hell und hehr.
Nur sah ich sie den reinsten Schleier halten.
Er floß imi sie und schwoll in tausend Falten.
256 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ich kenne dich, ich kenne deine Schv;ächen,
Ich weiß, was Gutes in dir lebt und glimmt!
— So sagte sie, ich hör sie ewig sprechen,—
Empfange hier, was ich dir lang bestimmt;
Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,
Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt:
Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.
Und wenn es dir und deinen Freunden schwüle
Am Mittag wird, so wirf ihn in die Luft!
Sogleich umsäuselt Abendwindes Kühle,
Umhaucht euch Blumen -Würzgeruch und Duft.
Es schweigt das Wehen banger Erdgefühle.
Zum Wolkenbette wandelt sich die Gruft,
Besänftiget wird jede Lebenswelle,
Der Tag wird lieblich, und die Nacht wird helle.
So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Wegen
Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt.
Wenn eure Bahn ein frischemeuter Segen
Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt,
Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!
So leben wir, so wandeln wir beglückt.
Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern,
Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern.
[An Charlotte v. Stein.]
GEWISS, ich wäre schon so ferne, ferne,
So weit die Welt nur offen liegt, gegangen,
Bezwängen mich nicht übermächtge Sterne,
Die mein Geschick an deines angehangen,
Daß ich in dir nun erst mich kennen lerne.
Mein Dichten, Trachten, Hofifen und Verlangen
Allein nach dir und deinem Wesen drängt.
Mein Leben nur an deinem Leben hängt.
1775/86 WEIMAR 257
WARNUNG
WECKE den Amor nicht auf! Noch schläft der
liebliche Knabe;
Geh, vollbring dein Geschäft, wie es der Tag dir gebeut!
So der Zeit bedienet sich klug die sorgliche Mutter,
Wenn ihr Knäbchen entschläft, denn es erwacht nur
zu bald.
ANTWORTEN BEI EINEM GESELLSCHAFTLICHEN
FRAGESPIEL
Die Dajne
WAS ein weiblich Herz erfreue
In der klein- und großen Welt?
Ganz gewiß ist es das Neue,
Dessen Blüte stets gefäUt;
Doch viel werter ist die Treue,
Die, auch in der Früchte Zeit,
Noch mit Blüten uns erfreut.
Der junge Herr
Paris war in Wald und Höhlen
Mit den Nymphen wohl bekannt,
Bis ihm Zeus, um ihn zu quälen,
Drei der Himmlischen gesandt;
Und es fühlte wohl im Wählen,
In der alt- und neuen Zeit,
Niemand mehr Verlegenheit.
Der Erfahrne
Geh den Weibern zart entgegen,
Du gewinnst sie, auf mein Wort;
Und wer rasch ist und verwegen.
Kommt vielleicht noch besser fort;
Doch wem wenig dran gelegen
Scheinet, ob er reizt und rührt,
Der beleidigt, der verführt.
GOETHE XIV 17.
858 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der Zufriedne
Vielfach ist der Menschen Streben,
Ihre Unrah, ihr Verdruß;
Auch ist manches Gut gegeben,
Mancher liebliche Genuß;
Doch das größte Glück im Leben
Und der reichUchste Gewirm
Ist ein guter leichter Sinn.
Der lustige Rat
Wer der Menschen töricht Treiben
Täglich sieht und täglich schilt
Und, wenn andre Narren bleiben,
Selbst für einen Narren gilt,
Der trägt schwerer, als zur Mühle
Irgendein beladen Tier.
Und, wie ich im Busen fiihle,
Wahrlich! so ergeht es mir.
VERSCHIEDENE EMPFINDUNGEN AN EINEM
PLATZE
Das Mädchen
ICH hab ihn gesehen!
Wie ist mir geschehen?
O himmlischer Blick!
Er kommt mir entgegen;
Ich weiche verlegen.
Ich schwanke zurück.
Ich irre, ich träume!
Ihr Felsen, ihr Bäume,
Verbergt meine Freude,
Verberget mein Glück!
Der Jüngüng
Hier muß ich sie finden!
Ich sah sie verschwinden,
Ihr folgte mein Blick.
1775/86 WEIMAR «59
Sie kam mir entgegen,
Dann trat sie verlegen
Und schamrot zurück.
Ists Hoffnung, sinds Träume?
Ihr Felsen, ihr Bäume,
Entdeckt mir die Liebste,
Entdeckt mir mein Glück!
Der Schmachtende
Hier klag ich verborgen
Dem tauenden Morgen
Mein einsam Geschick.
Verkannt von der Menge,
Wie zieh ich ins Enge
Mich stille zurück!
O zärtliche Seele,
O schweige, verhehle
Die ewigen Leiden,
Verhehle dein Glück!
Der Jäger
Es lohnet mich heute
Mit doppelter Beute
Ein gutes Geschick.
Der redliche Diener
Bringt Hasen und Hühner
Beladen zurück.
Hier find ich gefangen
Auch Vögel noch hangen.
Es lebe der Jäger,
Es lebe sein Glück!
ERSTER VERLUST
ACH, wer bringt die schönen Tage,
Jene Tage der ersten Liebe,
Ach, wer bringt nur eine Stunde
Jener holden Zeit zurück!
2 6 o LYRISCHE DICHTUNGEN
Einsam nähr ich meine Wunde,
Und mit stets erneuter Klage
Traur ich ums verlorne Glück.
Ach, wer bringt die schönen Tage,
Jene holde Zeit zurück!
DIE LEHRER
ALS Diogenes still in seiner Tonne sich sonnte,
Und Calanus mit Lust stieg in das flammende Grab:
Welche herrliche Lehre dem raschen Sohn des Philippus,
Wäre der Herrscher der Welt nicht auch der Lehre
zu groß!
DEM ACKERMANN
FLACH bedecket und leicht den goldenen Samen die
Furche,
Guter! die tiefere deckt endlich dein ruhend Gebein.
Fröhlich gepflügt und gesät! Hier keimetlebendigeNahrtmg,
Und die Hoffnung entfernt selbst von dem Grabe sich
nicht.
ANAKREONS GRAB
WO die Rose hier blüht, wo Reben um Lorbeer sich
schlingen,
Wo das Turtelchen lockt, wo sich das Grillchen ergetzt.
Welch ein Grab ist hier, das alle Götter mit Leben
Schön bepflanzt und geziert? Es ist Anakreons Ruh.
Frühling, Sommerund Herbst genoß der glückliche Dichter;
Vor dem Winter hat ihn endlich der Hügel geschützt.
DIE GESCHWISTER
SCHLUMMER und Schlaf, zwei Brüder, zum Dienste
der Götter berufen,
Bat sich Prometheus herab, seinem Geschlechte zum
Trost;
Aber, den Göttern so leicht, doch schwer zu ertragen den
Menschen,
Ward nun ihr Schlummer uns Schlaf, ward nun ihr Schlaf
uns zum Tod.
1775/86 WEIMAR 261
ZEITMASS
EROS, wie seh ich dich hier! In jeglichem Händchen
die Sanduhr!
Wie? Leichtsinniger Gott, missest du doppelt die Zeit?
"Langsam rinnen aus einer die Stunden entfernter Ge-
liebten;
Gegenwärtigen fließt eilig die zweite herab."
[An Fritz v. Stein]
UNGLÜCK bildet den Menschen und zwingt ihn, sich
selber zu kennen;
Leiden gibt dem Gemüt doppeltes Streben und Kraft.
Uns lehrt eigener Schmerz, der andern Schmerzen zu teilen,
Eigener Fehler erhält Demut und billigen Sinn,
Mögest du, glücklicher Knabe, nicht dieser Schule be-
dürfen,
Und nur die Fröhlichkeit dich führen die Wege des
Rechts.
FÜR EWIG
DENN was der Mensch in seinen Erdeschranken
Von hohem Glück mit Götternamen nennt:
Die Harmonie der Treue, die kein Wanken,
Der Freundschaft, die nicht Zweifelsorge kennt;
Das Licht, das Weisen nur zu einsamen Gedanken,
Das Dichtem nur in schönen Bildern brennt —
Das hatt ich all, in meinen besten Stunden,
In ihr entdeckt und es für mich gefunden.
WOHIN er auch die Blicke kehrt tmd wendet.
Je mehr erstaunt er über Kunst und Pracht;
Mit Vorsatz scheint der Reichtum hier verschwendet.
Es scheint, als habe sich nur alles selbst gemacht.
Soll er sich wundem, daß das Werk vollendet?
Soll er sich wimdern, daß es so erdacht?
Ihn dünkt, als fang er erst, mit himmlischem Entzücken,
Zu leben an in diesen Augenblicken.
262 LYRISCHE DICHTUNGEN
HERZOG LEOPOLD VON BRAUNSCHWEIG
DICH ergriflf mit Gewalt der alte Herrscher des Flusses,
Hält dich und teilet mit dir ewig sein strömendes
Reich.
Ruhig schlummerst du nun beim stilleren Rauschen der
Urne,
Bis dich stürmende Flut wieder zu Taten erweckt.
Hilfreich werde dem Volke! so wie du ein Sterblicher
wolltest,
Und YoUend als ein Gott, was dir als Menschen mißlang.
MIGNON
NUR wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach! der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite,
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
pn das Stammbuch der Gräfia Christine v. Brühl]
WARUM siehst du Tina verdammt, den Sprudel zu
trinken?
Wohl hat sie es verdient an allen, die sie beschädigt
Und zu heilen vergessen, die an der Quelle des Lethe
Becher auf Becher nun schlürfen, die gichtischen Schmerzen
der Liebe
Aus den Gliedern zu spülen und, will es ja nicht gelingen,
Bis zum Rheumatismus der Freundschaft sich zu kurieren.
1775/86 WEIMAR 263
[Bänkelsängerlied xum Geburtstage des Grafen Hans Moritz v. Brühl]
EIN munter Lied! Dort kommt ein Chor
Von Freunden her, sich zu ergötzen;
Was sang ich ihnen Bessers vor
Als von dem Mann, den alle schätzen?
Von seinem Leben ward uns heut
Der erste frohe Tag gegeben,
Und, die ihr seine Freunde seid.
Heut fing er an, füir euch zu leben.
Hier seht ihr seiner Tage Lauf,
Und was man sieht, ist leicht zu hören.
Hier geht der Sonnenstrahl ihm auf;
Wer darf des Kindes Ruhe stören?
Es ruht und wächst der teure Sohn,
Seht nur die roten, vollen Backen;
Doch glaubet mir, er hatte schon
Den Schelmen faustendick im Nacken.
Hier galoppiert er früh imd spat,
Hier steht er wirklich auf dem Kopfe,
Und hier als männlicher Soldat
Mit Degen, Hut und langem Zopfe.
Ihr seht, der Feinde Macht ist groß,
Sie dröhn mit Schwertern und Kanonen;
Er kommandiert, er eilt drauflos.
Er siegt imd weiß nun zu verschonen.
Hier ruht er von Strapazen aus
Und denkt einmal in Ruh zu leben;
Allein Herr Amor lacht ihn aus
Und will ihm was zu wachen geben.
Er zeiget ihm das schönste Bild,
Das einem Zaubrer er gestohlen;
Es eilt der Held, entzündet wild.
Und will sich seine Schöne holen.
Wie bald sie einig worden sind.
Das kann ich nicht gewiß erzählen;
Genug, er hascht das schöne Kind
Und läßt es nicht an Küssen fehlen.
2 64 LYRISCHE DICHTUNGEN
O große Lust! Doch übergroß
Läßt ihn das Glück die Lust empfinden,
Einmal auf der Geliebten Schoß
Ein artig Murmelchen zu finden.
Nun fühlt er seinen neuen Stand
Und fügt sich in den Vater- Orden,
Er gräbt vmd hacket frisch das Land,
Wie's Adam einst befehligt worden.
Und so versorgt er erst das Haus,
Dann bricht er allerschönste Rosen,
Er schmückt dem Weibchen Lauben aus
Und setzt sich drein, sie liebzukosen.
Bald kommt die Wißbegier ihn an:
Hier seht ihr ihn botanisch jagen,
Hier, wie Enceladus getan,
Ein echtes Kabinettstück tragen.
Doch nichts geht über seine Lust,
Wenn er den Freunden Feste feiert,
Mit freier Seele, treuer Brust
Der edlen Seelen Bund erneuert.
Hier hätt ich fast den Schluß gemacht.
Ich habe schon zu lang gesungen.
Was seh ich? Hier ist Mitternacht,
Er sitzt, vom Dichtergeist durchdrungen,
Er zählt und sinnt und reimt und flicht,
Für wen es sei, muß ich erfahren:
Es ist ein zärtliches Gedicht
Für seine Frau nach vierzehn Jahren!
Drimi singen wir den braven Mann,
Den braven Vater, braven Gatten
Und braven Freund j wer singen kann.
Den Felsen, Wäldern, Fluß und Matten!
Und wer nicht singen kann, der schreit,
Und wer nicht tanzen kann, muß springen.
Hoch lebe Moritz! Lebe weit!
Nun gebet mir den Lohn fürs Singen.
1775/86 WEIMAR 265
[An die Gräfin Christine v. Brühl]
AUF den Auen wandlen wir
Und bleiben glücklich ohne Gedanken,
Am Hügel schwebt des Abschieds Laut,
Es bringt der West den Fluß herab
Ein leises Lebewohl.
Und der Schmerz ergreift die Brust,
Und der Geist schwankt hin imd her,
Und sinkt und steigt und sinkt.
Von weiten winkt die Wiederkehr
Und sagt der Seele Freude zu.
Ist es so? Ja! Zweifle nicht.
NEUE HEILIGE
ALLE schöne Sünderinnen,
Die zu Heiligen sich geweint,
Sind, um Herzen zu gewinnen.
All in Eine nun vereint.
Seht die Mutterlieb, die Tränen,
Ihre Reu und ihre Pein!
Statt Marien Magdalenen
Soll nun Sankt Oliva sein.
ALS der Undankbare floh, o Göttin ewiger Treue,
Fleht ich ihn nicht zurück, fleht ich: Verzeih du ihm!
nur.
Du ergriffst ihn gewaltig und hast ihn übel gebändigt;
Graue Locke hält nun ihn, den Beweglichen, fest.
GESPRÄCH ZWISCHEN SCHILDWACHE UND
FREUND HEIN AM COBURGER TOR
[Mit einem Bilde von Kraus für Musäus]
Schildwache
* ^ Preund Hein
Ich bin Freund Hein.
Lass Er mich herein!
2 66 LYRISCHE DICHTUNGEN
Schildwache
Er sieht so hager und so bleich,
Eher einem Toten als einem Lebenden gleich;
Er kommt von keinem gesunden Ort.
Zeig Er mir erst seinen Passeport.
Freund Hein
Mein Paß ist diese Sense hier,
Tür, Tor und Schlagbaum öffnet sie mir.
Mich hält in meinem raschen Lauf
Selbst eine Armee en front nicht auf.
Will Er mich noch weiter schikanieren,
Werd ich über Ihn wegmarschieren,
Kein lautes Wörtchen mit Ihm sprechen,
Den Kieler Wandrer an Ihm rächen.
[An Charlotte v. SteinJ
WOHER sind wir geboren?
Aus Lieb.
Wie wären wir verloren?
Ohn Lieb.
Was hilft ims überwinden?
Die Lieb.
Kann man auch Liebe finden?
Durch Lieb.
Was läßt nicht lange weinen?
Die Lieb.
Was soll uns stets vereinen?
Die Lieb.
[Auf Lavaters 'Lied eines Christen an Christus']
DU bist! du bist! sagt Lavater. Du bist!!
Du bist!!! du bist!!!! du bist Herr Jesus Christ!!!!!
Er wiederholte nicht so heftig Wort und Lehre,
Wenn es ganz just mit dieser Sache wäre.
I786-I788
REISE NACH KARLSBAD
UND ITALIEN
[An Karoline v. Staupitz]
O Schöne mit dem weißen Stabe,
Du kleiner, guter, holder Schatz,
Verlasse mit der schönsten Gabe
Gesunder Freude diesen Platz.
Und denkest du an alle Stäbe,
Die schwarz und braun, so bunt als schön,
Gemodelt aus dem Holz der Rebe
Am Sprudel auf und nieder gehn —
Und denkest du an alle Schätze,
Die neben dir, geliebtes Kind,
Mit dem holdseligsten Geschwätze
Des Saales beste Zierde sind —
Dann denk auch, daß in letzten Wochen
Du einem späten Gast gelacht.
Der, wenn er im Plural gesprochen,
Sich doch den Singular gedacht.
ABSCHIED AN DEN HERZOG KARL AUGUST IM
NAMEN DER ENGELHÄUSER BÄUERINNEN
IST es denn wahr, was man gesagt?
Dem lieben Himmel seis geklagt!
Verlassest du die Königsstadt,
Die dir so viel zu danken hat?
Denn bis zu uns nach Engelhaus
Erschallet lang dein Ruhm heraus.
Daß deine Freundlichkeit imd Gnad
Allen dreifach gesegnet das Bad;
Denn nicht der Pole freut sich dein,
Es freut sich nicht der Jud allein,
Es freut sich dein auch jeder Christ,
Daß du so mild gewesen bist.
Und wer das nicht erkennen wollt.
Für einen Heiden gelten sollt.
Doch die nach dir am meisten schaun,
Sind gewiß alle schöne Fraun,
270 LYRISCHE DICHTUNGEN
Die du, o edler Brunnengast!
Löblich und fein gewartet hast;
Die beißen alle mit Verdruß
Aufs Muß als eine harte Nuß.
Es scheinet ihnen alles alt,
Das Tal zu weit, der Sprudel kalt;
Ein Strom aus ihren Augen quillt,
Der ärger als die Tepel schwillt;
Und flöss der Strom den Berg hinauf,
Er hielte dich im Reisen auf.
In deren Namen stehen wir,
Von Engelhaus die Nymphen, hier
Und wünschen dir zur frühen Zeit
Von allen Heiligen das Geleit.
So viel Kanonenschüsse geschwind
Vorm Elefanten gefallen sind,
So manchen Fall Gurofsky erzählt
Und keuscher Frauen Ohren quält,
So manche Kollatschen man früh und spat
Bei dem Kmfürsten gebacken hat:
So vielen Segen nimm mit fort
Von dem heilsamen schönen Ort;
Und wie vom heißen Sprudel-Trieb
Dir niemals was im Leibe blieb,
So laß in deines Herzens Schrein
Die Freunde desto fester sein.
COPHTISCHES LIED
LASSET Gelehrte sich zanken und streiten,
Streng und bedächtig die Lehrer auch sein!
Alle die Weisesten aller der Zeiten
Lächeln und winken und stimmen mit ein:
Töricht, auf Beßrung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sichs gehört!
Merlin der Alte, im leuchtenden Grabe,
Wo ich als Jüngling gesprochen ihn habe,
1786/8 REISE NACH KARLSBAD UND ITALIEN 2 7 1
Hat mich mit ähnlicher Antwort belehrt:
Töricht, auf Beßrang der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sichs gehört!
Und auf den Höhen der indischen Lüfte
Und in den Tiefen ägyptischer Grüfte
Hab ich das heilige Wort nur gehört:
Töricht, auf Beßnmg der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Nairen auch, wie sichs gehört!
EIN ANDRES
GEH! gehorche meinen Winken,
Nutze deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein:
Auf des Glückes großer Wage
Steht die Zunge selten ein;
Du mußt steigen oder sinken.
Du mußt herrschen imd gewiimen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.
[An den Herzog Karl August]
DU sorgtest freundlich, mir den Pfad
Mit Lieblingsblumen zu bestreun.
Still tätig danke dir mein Leben
Für alles Gute, was du mir erzeigt...
Fügst du dazu die Sorge für dich selbst,
So geh ich ohne Wünsche fröhlich hin;
Denn nur gemeinsam Wohl beglückt Verbundne.
272 LYRISCHE DICHTUNGEN-
AMOR ALS LANDSCHAFTSMALER
SASS ich früh auf einer Felsenspitze,
Sah mit starren Augen in den Nebel;
Wie ein grau grundiertes Tuch gespannet,
Deckt' er alles in die Breit und Höhe.
Stellt' ein Knabe sich mir an die Seite,
Sagte: Lieber Freund, wie magst du starrend
Auf das leere Tuch gelassen schauen?
Hast du denn zum Malen und zum Bilden
Alle Lust auf ewig wohl verloren?
Sah ich an das Kind, und dachte heimlich:
Will das Bübchen doch den Meister machen!
Willst du immer trüb und müßig bleiben.
Sprach der Knabe, kann nichts Kluges werden;
Sieh, ich will dir gleich ein Bildchen malen.
Dich ein hübsches Bildchen malen lehren.
Und er richtete den Zeigefinger,
Der so rötlich war wie eine Rose,
Nach dem weiten ausgespannten Teppich,
Fing mit seinem Finger an, zu zeichnen.
Oben malt' er eine schöne Sonne,
Die mir in die Augen mächtig glänzte.
Und den Saum der Wolken macht' er golden,
Ließ die Strahlen durch die Wolken dringen;
Malte dann die zarten leichten Wipfel
Frisch erquickter Bäume, zog die Hügel,
Einen nach dem andern, frei dahinter;
Unten ließ ers nicht an Wasser fehlen,
Zeichnete den Fluß so ganz natürlich,
Daß er schien im Sonnenstrahl zu glitzern,
Daß er schien am hohen Rand zu rauschen.
Ach, da standen Blumen an dem Flusse,
Und da waren Farben auf der Wiese,
Gold und Schmelz und Purpur imd ein Grünes,
1786/8 REISE NACH KARLSBAD UND ITALIEN 273
Alles wie Smaragd und wie Karfunkel!
Hell und rein lasiert' er drauf den Himmel
Und die blauen Berge fern und femer,
Daß ich, ganz entzückt und neugeboren,
Bald den Maler, bald das Bild beschaute.
Hab ich doch, so sagt' er, dir bewiesen,
Daß ich dieses Handwerk gut verstehe;
Doch es ist das Schwerste noch zurücke.
Zeichnete darnach mit spitzem Finger
Und mit großer Sorgfalt an dem Wäldchen,
Grad ans Ende, wo die Sonne kräftig
Von dem hellen Boden widerglänzte,
Zeichnete das allerliebste Mädchen,
Wohlgebildet, zierlich angekleidet,
Frische Wangen unter braunen Haaren,
Und die Wangen waren von der Farbe
Wie das Fingerchen, das sie gebildet.
O du Knabe! rief ich, welch ein Meister
Hat in seine Schule dich genommen,
Daß du so geschwind und so natürlich
Alles klug beginnst und gut vollendest?
Da ich noch so rede, sieh, da rühret
Sich ein Windchen und bewegt die Gipfel,
Kräuselt alle Wellen auf dem Flusse,
Füllt den Schleier des vollkommnen Mädchens,
Und, was mich Erstaunten mehr erstaunte,
Fängt das Mädchen an, den Fuß zu rühren,
Geht zu kommen, nähert sich dem Orte,
Wo ich mit dem losen Lehrer sitze.
Da nun alles, alles sich bewegte.
Bäume, Fluß und Blumen und der Schleier
Und der zarte Fuß der AUerschönsten,
Glaubt ihr wohl, ich sei auf meinem Felsen
Wie ein Felsen still imd fest geblieben?
GOETHE XIV 18
2 74 LYRISCHE DICHTUNGEN
CUPIDO, loser, eigensinniger Knabe!
Du batst mich um Quartier auf einige Stunden,
Wie viele Tag' und Nächte bist du geblieben!
Und bist nun herrisch und Meister im Hause geworden!
Von meinem breiten Lager bin ich vertrieben;
Nun sitz ich an der Erde, Nächte gequälet;
Dein Mutwill schüret Flamm auf Flamme des Herdes,
Verbrennet den Vorrat des Winters und senget mich Armen.
Du hast mir mein Geräte verstellt und verschoben;
Ich such und bin wie blind und irre geworden.
Du lärmst so imgeschickt; ich fürchte, das Seelchen
Entflieht, um dir zu entfliehn, imd räumet die Hütte.
1788-1793 WEIMAR
REISE NACH VENEDIG, NACH SCHLESIEN
UND IN DIE RHEINLANDE
LIEBEBEDÜRFNIS
WER vernimmt mich? ach, wem soll ichs klagen?
Weis vernähme, würd er mich bedauern?
Ach, die Lippe, die so manche Freude
Sonst genossen hat und sonst gegeben,
Ist gespalten, imd sie schmerzt erbärmlich.
Und sie ist nicht etwa wund geworden,
Weil die Liebste mich zu wild ergriffen,
Hold mich angebissen, daß sie fester
Sich des Freunds versichernd ihn genösse:
Nein, das zarte Lippchen ist gesprungen.
Weil nun über Reif und Frost die Winde
Spitz tmd scharf und lieblos mir begegnen.
Und mm soll mir Saft der edlen Traube,
Mit dem Saft der Bienen bei dem Feuer
Meines Herds vereinigt, Lindrung schaffen.
Ach, was will das helfen, mischt die Liebe
Nicht ein Tröpfchen ihres Balsams drunter?
DER BESUCH
MEINE Liebste wollt ich heut beschleichen,
Aber ihre Türe war verschlossen.
Hab ich doch den Schlüssel in der Tasche!
Öfifn ich leise die geliebte Türe!
Auf dem Saale fand ich nicht das Mädchen,
Fand das Mädchen nicht in ihrer Stube;
Endlich, da ich leis die Kammer öfl&ie,
Find ich sie, gar zierlich eingeschlafen,
Angekleidet, auf dem Sofa liegen.
Bei der Arbeit war sie eingeschlafen:
Das Gestrickte mit den Nadeln ruhte
Zwischen den gefaltnen zarten Händen;
Und ich setzte mich an ihre Seite,
Ging bei mir zu Rat, ob ich sie weckte.
Da betrachtet ich den schönen Frieden,
Der auf ihren Augenlidern ruhte:
Auf den Lippen war die stille Treue,
Auf den Wangen Lieblichkeit zu Hause,
278 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und die Unschuld eines guten Herzens
Regte sich im Busen hin und wieder.
Jedes ihrer Glieder lag gefällig,
Aufgelöst vom süßen Götterbalsam.
Freudig saß ich da, und die Betrachtimg
Hielte die Begierde, sie zu wecken,
Mit geheimen Banden fest und fester.
O du Liebe, dacht ich, kann der Schlummer,
Der Verräter jedes falschen Zuges,
Kann er dir nicht schaden, nichts entdecken,
Was des Freundes zarte Meinung störte?
Deine holden Augen sind geschlossen.
Die mich offen schon allein bezaubern;
Es bewegen deine süßen Lippen
Weder sich zur Rede noch zum Kusse;
Aufgelöst sind diese Zauberbande
Deiner Arme, die mich sonst umschlingen,
Und die Hand, die reizende Gefährtin
Süßer Schmeicheleien, unbeweglich.
Wärs ein Irrtum, wie ich von dir denke,
War es Selbstbetrug, wie ich dich liebe,
Müßt ichs jetzt entdecken, da sich Amor
Ohne Binde neben mich gestellet.
Lange saß ich so und freute herzlich
Ihres Wertes mich und meiner Liebe;
Schlafend hatte sie mir so gefallen,
Daß ich mich nicht traute, sie zu wecken.
Leise leg ich ihr zwei Pomeranzen
Und zwei Rosen auf das Tischchen nieder;
Sachte, sachte schleich ich meiner Wege.
ÖflBiet sie die Augen, meine Gute,
Gleich erblickt sie diese bunte Gabe,
Staunt, wie immer bei verschloßnen Türen
Dieses freundliche Geschenk sich finde.
1788/93 WEIMAR 279
Seh ich diese Nacht den Engel wieder,
O wie freut sie sich, vergilt mir doppelt
Dieses Opfer meiner zarten Liebe.
MORGENKLAGEN
Odu loses, leidigliebes Mädchen,
Sag mir an: womit hab ichs verschuldet.
Daß du mich auf diese Folter spannest,
Daß du dein gegeben Wort gebrochen?
Drucktest doch so freundlich gestern abend
Mir die Hände, lispeltest so Heblich:
Ja, ich komme, komme gegen Morgen
Ganz gewiß, mein Freund, auf deine Stube.
Angelehnet ließ ich meine Türe,
Hatte wohl die Angeln erst geprüfet
Und mich recht gefreut, daß sie nicht knarrten.
Welche Nacht des Wartens ist vergangen!
Wacht ich doch und zählte jedes Viertel;
Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,
War mein Herz beständig wach gebheben.
Weckte mich von meinem leisen Schlummer.
Ja, da segnet ich die Finsternisse,
Die so ruhig alles überdeckten.
Freute mich der allgemeinen Stille,
Horchte lauschend immer in die Stille,
Ob sich nicht ein Laut bewegen möchte.
"Hätte sie Gedanken, wie ich denke.
Hätte sie Gefühl, wie ich empfinde.
Würde sie den Morgen nicht erwarten,
Würde schon in dieser Stunde kommen."
Hüpft' ein Kätzchen oben übern Boden,
Knisterte das Mäuschen in der Ecke,
Regte sich, ich weiß nicht was, im Hause,
Immer hofft ich, deinen Schritt zu hören.
Immer glaubt ich, deinen Tritt zu hören.
2^o LYRISCHE DICHTUNGEN
Und so lag ich lang und immer länger,
Und es fing der Tag schon an zu grauen,
Und es rauschte hier und rauschte dorten.
"Ist es ihre Türe? Wärs die meine!"
Daß ich, aufgestemmt in meinem Bette,
Schaute nach der halb erhellten Türe,
Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.
Angelehnet blieben beide Flügel
Auf den leisen Angeln ruhig hangen.
Und der Tag ward immer hell- und heller;
Hört ich schon des Nachbars Türe gehen,
Der das Taglohn zu gewinnen eilet,
Hört ich bald darauf die Wagen rasseln,
War das Tor der Stadt nun auch eröffnet,
Und es regte sich der ganze Plunder
Des bewegten Marktes durcheinander.
Ward nun in dem Haus ein Gehn und Kommen
Auf und ab die Stiegen, hin imd wieder
Knarrten Türen, klapperten die Tritte;
Und ich konnte, wie vom schönen Leben,
Mich noch nicht von meiner Hoffnung scheiden,
Endlich, als die ganz verhaßte Sonne
Meine Fenster traf und meine Wände,
Sprang ich auf imd eilte nach dem Garten,
Meinen heißen, sehnsuchtsvollen Atem
Mit der kühlen Morgenluft zu mischen.
Dir vielleicht im Garten zu begegnen:
Und nun bist du weder in der Laube
Noch im hohen Lindengang zu finden.
i
1788/93 WEIMAR 281
FRECH UND FROH
LIEBESQUAL verschmäht mein Herz,
Sanften Jammer, süßen Schmerz;
Nur vom Tüchtgen will ich wissen,
Heißem Äugeln, derben Küssen.
Sei ein armer Hund erfrischt
Von der Lust, mit Pein gemischt!
Mädchen, gib der frischen Brust
Nichts von Pein und alle Lust!
[Römische Elegien]
SAGET, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste!
Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht?
Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern,
Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still.
O wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick ich
Einst das holde Geschöpf, das mich versengend erquickt:
Ahn ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und
immer.
Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit?
Noch betracht ich Kirch und Palast, Ruinen und Säulen,
Wie ein bedächtiger Mann schickHch die Reise benutzt.
Doch bald ist es vorbei; dann wird ein einziger Tempel,
Amors Tempel, nur sein, der den Geweihten empfängt.
Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch
nicht Rom.
EHRET, wen ihr auch wollt! Nun bin ich endlich ge-
borgen!
Schöne Damen imd ihr, Herren der feineren Welt,
Fraget nach Oheim und Vetter vmd alten Muhmen und
Tanten,
Und dem gebundnen Gespräch folge das traimge Spiel.
Auch ihr Übrigen fahret mir wohl, in großen imd kleinen
Zirkeln, die ihr mich oft nah der Verzweiflung gebracht.
Wiederholet, politisch und zwecklos, jegliche Meinung,
Die den Wandrer mit Wut über Europa verfolgt.
282 LYRISCHE DICHTUNGEN
So verfolgte das Liedchen ^^Malbrough" den reisenden
Briten
Einst von Paris nach Li vorn, dann von Livomo nach
Rom,
Weiter nach Napel hinunter; und war er nach Smyrna
gesegelt,
Malbrough! empfing ihn auch dort! Malbrough! im Hafen
das Lied.
Und so mußt ich bis jetzt auf allen Tritten und Schritten
Schelten hören das Volk, schelten der Könige Rat.
Nun entdeckt ihr mich nicht so bald in meinem Asyle,
Das mir Amor der Fürst, königlich schützend, verlieh.
Hier bedecket er mich mit seinem Fittich; die Liebste
Fürchtet, römisch gesinnt, wütende Gallier nicht;
Sie erkundigt sich nie nach neuer Märe, sie spähet
Sorglich den Wünschen des Manns, dem sie sich eig-
nete, nach.
Sie ergötzt sich an ihm, dem freien, rüstigen Fremden,
Der von Bergen und Schnee, hölzernen Häusern erzählt;
Teilt die Flammen, die sie in seinem Busen entzündet,
Freut sich, daß er das Gold nicht wie der Römer bedenkt.
Besser ist ihr Tisch nun bestellt; es fehlet an Kleidern,
Fehlet am Wagen ihr nicht, der nach der Oper sie bringt.
Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen Gastes,
Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib.
LASS dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell
dich ergeben!
Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig
von dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen.
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten,
Folgte Begierde dem BHck, folgte Genuß der Begier.
Glaubst du, es habe sich lange die Göttin der Liebe be-
sonnen.
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?
1788/93 WEIMAR 283
Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen,
O, so hätt ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt.
Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende
Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Flut.
Rhea Sylvia wandelt, die fürstliche Jungfrau, der Tiber
Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott.
So erzeugte die Söhne sich Mars!— Die Zwillinge tränket
Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt.
FROMM sind wir Liebende, still verehren wir alle Dä-
monen,
Wünschen uns jeglichen Gott, jegliche Göttin geneigt.
Und so gleichen wir euch, o römische Sieger! Den Göttern
Aller Völker der Welt bietet ihr Wohnungen an,
Habe sie schwarz imd streng aus altem Basalt der Ägypter,
Oder ein Grieche sie weiß, reizend, aus Marmor geformt.
Doch verdrießet es nicht die Ewigen, wenn wir besonders
Weihrauch köstlicher Art Einer der Göttlichen streun.
Ja, wir bekennen euch gern: es bleiben imsre Gebete,
Unser täglicher Dienst Einer besonders geweiht.
Schalkhaft, munter und ernst begehen wir heimliche Feste,
Und das Schweigen geziemt allen Geweihten genau.
Eh an die Ferse lockten wir selbst durch gräßliche Taten
Uns die Erinnyen her, wagten es eher, des Zeus
Hartes Gericht am rollenden Rad und am Felsen zu dulden.
Als dem reizenden Dienst unser Gemüt zu entziehn.
Diese Göttin, sie heißt Gelegenheit^ lernet sie kennen!
Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt.
Tochter des Proteus möchte sie sein, mit Thetis gezeuget,
Deren verwandelte List manchen Heroen betrog.
So betriegt mm die Tochter den Unerfahrnen, den Blöden:
Schlummernde necket sie stets. Wachende fliegt sie
vorbei;
Gern ergibt sie sich nur dem raschen, tätigen Manne,
Dieser findet sie zahm, spielend und zärtlich und hold.
Einst erschien sie auch mir, ein bräimliches Mädchen, die
Haare
284 LYRISCHE DICHTUNGEN
Kurze Locken ringelten sich ums zierliche Hälschen,
Ungeflochtenes Haar krauste vom Scheitel sich auf.
Und ich verkannte sie nicht, ergrifif die Eilende, lieblich
Gab sie Umarmung und Kuß bald mir gelehrig zurück.
O wie war ich beglückt!— Doch stille, die Zeit ist vorüber,
Und umwunden bin ich, römische Flechten, von euch.
FROH empfind ich mich nun auf klassischem Boden be-
geistert;
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders be-
schäftigt;
Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt
beglückt.
Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh ich den Marmor erst recht; ich denk und
vergleiche.
Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des
Tages,
Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig ge-
sprochen;
Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel.
Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in heblichem
Schlummer,
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die
Brust.
Amor schüret die Lamp indes und denket der Zeiten,
Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.
1788/93 WEIMAR 285
KANNST du, o Grausamer! mich in solchen Worten
betrüben?
Reden so bitter und hart liebende Männer bei euch?
Wenn das Volk mich verklagt, ich muß es dulden! und
bin ich
Etwa nicht schuldig? Doch ach! schuldig nur bin ich
mit dir!
Diese Kleider, sie sind der neidischen Nachbarin Zeugen,
Daß die Witwe nicht mehr einsam den Gatten beweint.
Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen,
Grau, im dunkeln Surtout, hinten genmdet das Haar?
Hast du dir scherzend nicht selbst die geistliche Maske
gewählet?
Solls ein Prälate denn sein! gut, der Prälate bist du.
In dem geistlichen Rom, kaum scheint es zu glauben,
doch schwör ich:
Nie hat ein Geistlicher sich meiner Umarmung gefreut.
Arm war ich leider! und jung, und wohlbekannt den Ver-
führern;
Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft.
Und ein Kuppler Albanis mich, mit gewichtigen Zetteln,
Bald nach Ostia, bald nach den vier Bnmnen gelockt.
Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab ich von
Herzen
Rotstrumpf immer gehaßt und Violettstrumpf dazu.
Denn "ihr Mädchen bleibt am Ende doch die Betrognen,"
Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter es nahm.
Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du zürnest
Nvu" zum Scheine mit mir, ,weil du zu fliehen gedenkst.
Geh! Ihr seid der Frauen nicht wert! Wir tragen die
Kinder
Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch;
Aber ihr Männer, ihr schüttet mit eurer Kraft und Begierde
Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!"
Also sprach die Geliebte und nahm den Kleinen vom
Stuhle,
Drückt' ihn küssend ans Herz, Tränen entquollen dem
BHck.
2 86 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und wie saß ich beschämt, daß Reden feindlicher
Menschen
Dieses liebliche Bild mir zu beflecken vermocht!
Dunkel brennt das Feuer nur augenblicklich und dampfet,
Wenn das Wasser die Glut stürzend und jählings ver-
hüllt;
Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden
Dämpfe,
Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme hinauf.
Owie fiihl ich in Rom mich so froh! gedenk ich der
Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich
senkte.
Färb- und gestaltlos die Welt lun den Ermatteten lag.
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne;
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Ge-
sängen,
Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träiun ich.'
Empfanget
Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast.^
Ach! hier lieg ich imd strecke nach deinen Knieen die
Hände
Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich!
Wie ich hereingekommen, ich kanns nicht sagen: es faßte
Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran.
Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?
Irrte die Schöne.^ Vergib! Laß mir des Irrtums Gewinn!
Deine Tochter Fortuna, sie auch! Die herrlichsten Gaben
Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.
Bist du der wirtliche Gott? O dann so verstoße den Gast-
freimd
Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab!
1788/93 WEIMAR 287
"Dichter! wohin versteigest du dich?"— Vergib mir; der
hohe
Kapitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp.
Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später,
Cestius' Mal vorbei, leise zum Orkus hinab.
WENN du mir sagst, du habest als Kind, Geliebte,
den Menschen
Nicht gefallen, und dich habe die Mutter verschmäht.
Bis du größer geworden und still dich entwickelt, ich
glaub es:
Gerne denk ich mir dich als ein besonderes Kind.
Fehlet Bildung und Farbe doch auch der Blüte des Wein-
stocks,
Wenn die Beere, gereift, Menschen und Götter entzückt.
HERBSTLICH leuchtet die Flamme vom ländlich ge-
selligen Herde,
Knistert und glänzet, wie rasch! sausend vom Reisig
empor.
Diesen Abend erfreut sie mich mehr; denn eh noch zur
Kohle
Sich das Bündel verzehrt, unter die Asche sich neigt.
Kommt mein liebliches Mädchen. Dann flammen Reisig
und Scheite,
Und die erwärmete Nacht wird uns ein glänzendes Fest.
Morgen frühe geschäftig verläßt sie das Lager der Liebe,
Weckt aus der Asche behend Flammen aufs neue hervor.
Denn vor andern verlieh der Schmeichlerin Amor die Gabe,
Freude zu wecken, die kaum still wie zu Asche versank.
ALEXANDER und Cäsar und Heinrich und Friedrich,
die Großen,
Gäben die Hälfte mir gern ihres erworbenen Ruhms,
Könnt ich aiif Eine Nacht dies Lager jedem vergönnen;
Aber die armen, sie hält strenge des Orkus Gewalt.
Freue dich also, Lebendger, der lieberwärmeten Stätte,
Ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt.
2 88 LYRISCHE DICHTUNGEN
EUCH, o Grazien, legt die wenigen Blätter ein Dichter
Auf den reinen Altar, Knospen der Rose dazu.
Und er tut es getrost. Der Künstler freuet sich seiner
Werkstatt, wenn sie um ihn immer ein Pantheon scheint.
Jupiter senket die göttliche Stirn, und Juno erhebt sie;
Phöbus schreitet hervor, schüttelt das lockige Haupt;
Trocken schauet Minerva herab, und Hermes, der leichte,
Wendet zur Seite den Blick, schalkisch und zärtlich
zugleich.
Aber nach Bacchus, dem weichen, dem träumenden, hebet
Cythere
Blicke der süßen Begier, selbst in dem Marmor noch
feucht.
Seiner Umarmung gedenket sie gern und scheinet zu fragen:
Sollte der herrliche Sohn uns an der Seite nicht stehn?
AMOR bleibet ein Schalk, und wer ihm vertraut, ist
betrogen!
Heuchelnd kam er zu mir: "Diesmal nur traue mir noch.
Redlich mein ichs mit dir: du hast dein Leben und Dichten,
Dankbar erkenn ich es wohl, meiner Verehrimg geweiht.
Siehe, dir bin ich nun gar nach Rom gefolget; ich möchte
Dir im fremden Gebiet gern was Gefälliges tun.
Jeder Reisende klagt, er finde schlechte Bewirtung;
Welchen Amor empfiehlt, köstlich bewirtet ist er.
Du betrachtest mit Staunen die Trümmern alter Gebäude
Und durchwandelst mit Sinn diesen geheiligten Raum.
Du verehrest noch mehr die werten Reste des Bildens
Einziger Künstler, die stets ich in der Werkstatt besucht.
Diese Gestalten, ich formte sie selbst! Verzeih mir, ich
prahle
Diesmal nicht; du gestehst, was ich dir sage, sei wahr.
Ntm du mir lässiger dienst, wo sind die schönen Gestalten,
Wo die Farben, der Glanz deiner Erfindungen hin.^
Denkst du nun wieder zu bilden, o Freund? Die Schule
der Griechen
Blieb noch ofi"en, das Tor schlössen die Jahre nicht zu.
Ich, der Lehrer, bin ewig jung, und liebe die Jungen,
Altklug lieb ich dich nicht! Munter! Begreife mich wohl!
1788/93 VVEIMAR 289
War das Antike doch neu, da jene Glücklichen lebten!
Lebe glücklich, und so lebe die Vorzeit in dir!
Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß dir ihn
geben,
Und den höheren Stil lehret die Liebe dich nur."
Also sprach der Sophist. Wer widersprach ihm? und leider
Bin ich zu folgen gewöhnt, wenn der Gebieter befiehlt. —
Nun, verräterisch hält er sein Wort, gibt Stoff zu Gesängen,
Ach! und raubt mir die Zeit, Kraft und Besinnung zu-
gleich;
Blick und Händedruck, und Küsse, gemütliche Worte,
Silben köstlichen Sinns wechselt ein liebendes Paar,
Da wird Lispeln Geschwätz, wird Stottern liebliche Rede:
Solch ein Hymnus verhallt ohne prosodisches Maß.
Dich, Aurora, wie kannt ich dich sonst als Freundin der
Musen!
Hat, Aurora, dich auch Amor, der lose, verführt?
Du erscheinest mir nun als seine Freundin, und weckest
Mich an seinem Altar wieder zum festlichen Tag.
Find ich die Fülle der Locken an meinem Busen! Das
Köpfchen
Ruhet und drücket den Arm, der sich dem Halse be-
quemt.
Welch ein freudig Erwachen, erhieltet ihr, ruhige Stunden,
Mir das Denkmal der Lust, die in den Schlaf uns ge-
wiegt!—
Sie bewegt sich im Schlummer und sinkt auf die Breite
des Lagers,
Weggewendet; und doch läßt sie mir Hand noch in Hand.
Herzliche Liebe verbindet uns stets und treues Verlangen,
Und den Wechsel behielt nur die Begierde sich vor.
Einen Druck der Hand, ich sehe die himmlischen Augen
Wieder offen. — O nein! laßt auf der Bildimg mich ruhn!
Bleibt geschlossen! ihr macht mich verwirrt tmd trunken,
ihr raubet
Mir den stillen Genuß reiner Betrachtung zu früh.
Diese Formen, wie groß! wie edel gewendet die Glieder!
Schlief Ariadne so schön: Theseus, du konntest ent-
fliehn?
OOETHS XIV 19.
2 90 LYRISCHE DICHTUNGEN
Diesen Lippen ein einziger Kuß! O Theseus,nun scheide!
Blick ihr ins Auge! Sie wacht! — Ewig nun hält sie dich
fest.
ZÜNDE mir Licht an, Knabe!— "Noch ist es hell.
Ihr verzehret
Öl und Docht nur umsonst. Schließet die Läden doch
nicht!
Hinter die Häuser entwich, nicht hinter den Berg, uns
die Sonne!
Ein halb Stündchen noch währts bis zum Geläute der
Nacht. "-
Unglückseliger! geh und gehorch! Mein Mädchen er-
wart ich.
Tröste mich, Lämpchen, indes, lieblicherBote der Nacht!
CÄSARN war ich wohl nie zu fernen Britannen gefolget,
Florus hätte mich leicht in die Popine geschleppt!
Denn mir bleiben weit mehr die Nebel des traurigen
Nordens,
Als ein geschäftiges Volk südlicher Flöhe verhaßt.
Und noch schöner von heut an seid mir gegrüßet, ihr
Schenken,
Osterien, wie euch schicklich der Römer benennt;
Denn ihr zeigtet mir heute die Liebste, begleitet vom
Oheim,
Den die Gute so oft, mich zu besitzen, betriegt.
Hier stand unser Tisch, den Deutsche vertraulich umgaben;
Drüben suchte das Kind neben der Mutter den Platz,
Rückte vielmals die Bank und wüßt es artig zu machen,
Daß ich halb ihr Gesicht, völlig den Nacken gewann.
Lauter sprach sie, als hier die Römerin pfleget, kredenzte.
Blickte gewendet nach mir, goß und verfehlte das Glas.
Wein floß über den Tisch, und sie, mit zierlichem Finger,
Zog auf dem hölzernen Blatt Kreise der Feuchtigkeit hin.
Meinen Namen verschlang sie dem ihrigen; immer begierig
Schaut ich dem Fingerchen nach, und sie bemerkte
mich wohl.
1788/93 WEIMAR 291
Endlich zog sie behende das Zeichen der römischen Fünfe
Und ein Strichlein davor. Schnell, und sobald ichs
gesehn,
Schlang sie Kreise durch Kreise, die Lettern und Zififem
zu löschen;
Aber die köstliche Vier blieb mir ins Auge geprägt.
Stumm war ich sitzen geblieben, und biß die glühende
Lippe,
Halb aus Schalkheit und Lust, halb aus Begierde, mir
wund.
Erst noch so lange bis Nacht! dann noch vier Stunden
zu warten!
Hohe Sonne, du weilst, und du beschauest dein Rom!
Größeres sähest du nichts imd wirst nichts Größeres
sehen,
Wie es dein Priester Horaz in der Entzückung versprach.
Aber heute verweile mir nicht, und wende die Blicke
Von dem Siebengebirg früher und williger ab!
Einem Dichter zuliebe verkürze die herrlichen Stunden,
Die mit begierigem Blick selig der Maler genießt;
Glühend blicke noch schnell zu diesen hohen Fassaden,
Kuppeln und Säulen zuletzt und Obelisken herauf;
Stürze dich eilig ins Meer, um morgen früher zu sehen,
Was Jahrhunderte schon göttliche Lust dir gewährt:
Diese feuchten, mit Rohr so lange bewachsnen Gestade,
Diese mit Bäumen und Busch düster beschatteten Höhn.
Wenig Hütten zeigten sie erst; dann sahst du auf einmal
Sie vom wimmelnden Volk glücklicher Räuber belebt.
Alles schleppten sie drauf an diese Stätte zusammen;
Kaum war das übrige Rund deiner Betrachtung noch
wert.
Sahst eine Welt hier entstehn, sahst dann eine Welt hier
in Trümmern,
Aus den Trümmern aufs neu fast eine größere Welt!
Daß ich diese noch lange von dir beleuchtet erblicke.
Spinne die Parze mir klug langsam den Faden herab.
Aber sie eile herbei, die schön bezeichnete Stunde! —
Glücklich! hör ich sie schon? Nein; doch ich höre schon
Drei.
292 LYRISCHE DICHTUNGEN
So, ihr lieben Musen, betrogt ihr wieder die Länge
Dieser Weile, die mich von der Gehebten getrennt.
Lebet wohl! Nun eil ich, und furcht euch nicht zu be-
leidgen;
Denn ihr Stolzen, ihr gebt Amom doch immer den Rang.
WARUM bist du, Geliebter, nicht heute zur Vigne
gekommen?
Einsam, wie ich versprach, wartet ich oben auf dich." —
Beste, schon war ich hinein; da sah ich zum Glücke den
Oheim
Neben den Stöcken, bemüht, hin sich tmd her sich zu
drehn.
Schleichend eilt ich hinaus! — "O welch ein Irrtiun ergriflf
dich!
Eine Scheuche nur wars, was dich vertrieb! Die Gestalt
Flickten wir emsig zusammen aus alten Kleidern und
Rohren;
Emsig half ich daran, selbst mir zu schaden bemüht." —
Nun, des Alten Wunsch ist erfüllt; den losesten Vogel
Scheucht' er heute, der ihm Gärtchen und Nichte be-
stiehlt.
MANCHE Töne sind mir Verdruß, doch bleibet am
meisten
Hundegebell mir verhaßt; kläffend zerreißt es mein Ohr.
Einen Hund nur hör ich sehr oft mit frohem Behagen
Bellend kläfifen, den Hund, den sich der Nachbar erzog.
Denn er bellte mir einst mein Mädchen an, da sie sich
heimlich
Zu mir stahl, und verriet unser Geheimnis beinah.
Jetzo, hör ich ihn bellen, so denk ich mir immer: sie
kommt wohl!
Oder ich denke der Zeit, da die Erwartete kam.
1788/93 WEIMAR 293
EINES ist mir verdrießlieb vor allen Dingen, ein andres
Bleibt mir abscheulich, empört jegliche Faser in mir,
Nur der bloße Gedanke. Ich will es euch, Freunde, ge-
stehen:
Gar verdrießlich ist mir einsam das Lager zu Nacht.
Aber ganz abscheulich ists, auf dem Wege der Liebe
Schlangen zu fürchten, und Gift unter den Rosen der
Lust,
Wenn im schönsten Moment der hin sich gebenden Freude
Deinem sinkenden Haupt lispelnde Sorge sich naht.
Darum macht Faustine mein Glück; sie teilet das Lager
Gerne mit mir, und bewahrt Treue dem Treuen genau.
Reizendes Hindernis will die rasche Jugend; ich liebe.
Mich des versicherten Guts lange bequem zu erfreun.
Welche Seligkeit ists! wir wechseln sichere Küsse,
Atem und Leben getrost saugen und flößen wir ein.
So erfreuen wir uns der langen Nächte, wir lauschen,
Busen an Busen gedrängt, Stürmen und Regen imd Guß.
Und so dämmert der Morgen heran; es bringen die Stunden
Neue Blumen herbei, schmücken uns festlich den Tag.
Gönnet mir, o Quiriten! das Glück, und jedem gewähre
Aller Güter der Welt erstes und letztes der Gott!
ZIERET Stärke den Mann und freies rautiges Wesen,
O! so ziemet ihm fast tiefes Geheimnis noch mehr.
Städtebezwingerin du, Verschwiegenheit! Fürstin der
Völker!
Teure Göttin, die mich sicher durchs Leben geführt,
Welches Schicksal erfahr ich! Es löset scherzend die Muse,
Amor löset, der Schalk, mir den verschlossenen Mund.
Ach, schon wird es so schwer, der Könige Schande ver-
bergen!
Weder die Krone bedeckt, weder ein phrygischer Bund
Midas' verlängertes Ohr; der nächste Diener entdeckt es.
Und ihm ängstet und drückt gleich das Geheimnis die
Brust.
In die Erde vergrub er es gern, um sich zu erleichtern:
Doch die Erde verwahrt solche Geheimnisse nicht;
294 LYRISCHE DICHTUNGEN
Rohre sprießen hervor und rauschen und lispeln im Winde:
Midas! Midas, der Fürst, trägt ein verlängertes Ohr!
Schwerer wird es nun mir, ein schönes Geheimnis zu
wahren;
Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht!
Keiner Freundin darf ichs vertraun: sie möchte mich
schelten;
Keinem Freunde: vielleicht brächte der Freund mir
Gefahr.
Mein Entzücken dem Hain, dem schallenden Felsen zu
sagen,
Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam genug.
Dir, Hexameter, dir, Pentameter, sei es vertrauet,
Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts mich
beglückt.
Sie, von vielen Männern gesucht, vermeidet die Schhngen,
Die ihr der Kühnere frech, heimlich der Listige legt;
Klug und zierlich schlüpft sie vorbei und kennet die Wege,
Wo sie der Liebste gewiß lauschend begierig empfängt.
Zaudre, Luna, sie kommt! damit sie der Nachbar nicht sehe;
Rausche, Lüftchen, im Laub! niemand vernehme den
Tritt.
Und ihr, wachset und blüht, geliebte Lieder, und wieget
Euch im leisesten Hauch lauer und liebender Luft,
Und entdeckt den Quiriten, wie jene Rohre geschwätzig.
Eines glücklichen Paars schönes Geheimnis zuletzt.
SÜSSE SORGEN
WEICHET, Sorgen, von mir!— Doch ach! den sterb-
lichen Menschen
Lässet die Sorge nicht los, eh ihn das Leben verläßt.
Soll es einmal denn sein, so kommt, ihr Sorgen der Liebe,
Treibt die Geschwister hinaus, nehmt und behauptet
mein Herz!
1788/93 WEIMAR 295
KLEIN ist unter den Fürsten Germaniens freilich der
meine;
Kurz vind schmal ist sein Land, mäßig nur, was er vermag.
A.ber so wende nach innen, so wende nach außen die Kräfte
Jeder, da wärs ein Fest, Deutscher mit Deutschen zu
sein.
Doch was priesest du Ihn, den Taten und Werke verkünden?
Und bestochen erschien' deine Verehrung vielleicht;
Denn mir hat er gegeben, was Große selten gewähren,
Neigung, Muße, Vertraun, Felder und Garten und Haus.
Niemand braucht ich zu danken als Ihm, und manches
bedurft ich.
Der ich mich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter,
verstand.
Hat mich Europa gelobt, was hat mir Europa gegeben.^
Nichts! Ich habe, wie schwer! meine Gedichte bezahlt.
Deutschland ahmte mich nach, und Frankreich mochte
mich lesen.
England! freundlich empfingst du den zerrütteten Gast.
Doch was fördert es mich, daß auch sogar der Chinese
"Malet, mit ängstlicher Hand, Werthem und Lotten auf
Glasr
Niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König
Um mich bekümmert, und Er war mir August und Mäcen.
ACH, mein Hals ist ein wenig geschwollen! so sagte
die Beste
Ängstlich.— Stille, mein Kind! still! und vernehme das
Wort:
Dich hat die Hand der Venus berührt; sie deutet dir leise.
Daß sie das Körperchen bald, ach! unaufhaltsam ver-
stellt.
Bald verdirbt sie die schlanke Gestalt, die zierlichen
Brüstchen;
Alles schwillt nun, es paßt nirgends das neuste Gewand,
Sei nur ruhig! es deutet die fallende Blüte dem Gärtner,
Daß die liebliche Frucht schwellend im Herbste gedeiht.
296 LYRISCHE DICHTUNGEN
ACH! sie neiget das Haupt, die holde Knospe, wer
gießet
Eilig erquickendes Naß neben die Wurzel ihr hin?
Daß sie froh sich entfalte, die schönen Stunden der Blüte
Nicht zu frühe vergehn, endlich auch reife die Frucht.
Aber auch mir— mir sinket das Haupt von Sorgen und
Mühe.
Liebes Mädchen! Ein Glas schäumenden Weines herbei!
[In das Schattenriß-Album Johann Friedrich v. Anthings]
ES mag ganz artig sein, wenn Gleich' und Gleiche
In Proserpinens Park spazieren gehn,
Doch besser scheint es mir, im Schattenreiche
Herrn Anthings sich hier oben wiedersehn.
WONNIGLICH ists, die Geliebte verlangend im
Arme zu halten.
Wenn ihr klopfendes Herz Liebe zuerst dir gesteht.
Wonniglicher, das Pochen des Neulebendigen fühlen,
Das in dem lieblichen Schoß immer sich nährend be-
wegt.
Schon versucht es die Sprünge der raschen Jugend; es
klopfet
Ungeduldig schon an, sehnt sich nach himmhschem
Licht.
Harre noch wenige Tage! Auf allen Pfaden des Lebens
Führen die Hören dich streng, wie es das Schicksal
gebeut.
Widerfahre dir, was dir auch will, du wachsender Liebling-
Liebe bildete dich; werde dir Liebe zuteil!
[Römische Elegie]
SCHWER erhalten wir uns den guten Namen, denn
Fama
Steht mit Amorn, ich weiß, meinem Gebieter, in Streit.
Wißt auch ihr, woher es entsprang, daß beide sich hassen:
Alte Geschichten sind das, und ich erzähle sie wohl.
1788/93 WEIMAR 297
Immer die mächtige Göttin, doch war sie für die Gesell-
schaft
Unerträglich, denn gern führt sie das herrschende Wort;
Und so war sie von je, bei allen Göttergelagen,
Mit der Stimme von Erz, Großen und Kleinen verhaßt,
So berühmte sie einst sich übermütig, sie habe
Jovis herrlichen Sohn ganz sich zum Sklaven gemacht.
"Meinen Herkules führ ich dereinst, o Vater der Götter,"
Rief triumphierend sie aus, "wiedergeboren dir zu.
Herkules ist es nicht mehr, den dir Alkmene geboren;
Seine Verehrung für mich macht ihn auf Erden zum
Gott.
Schaut er nach dem Olymp, so glaubst du, er schaue
nach deinen
Mächtigen Knieen; vergib! nur in den Äther nach mir
Blickt der würdigste Mann; nur mich zu verdienen, durch-
schreitet
Leicht sein mächtiger Fuß Bahnen, die keiner betrat;
Aber auch ich begegn ihm auf seinen Wegen, und preise
Seinen Namen voraus, eh er die Tat noch beginnt.
Mich vermählst du ihm einst: der Amazonen Besieger
Werd auch meiner, und ihn nenn ich mit Freuden Ge-
mahl!"
Alles schwieg; sie mochten nicht gern die Prahlerin reizen:
Denn sie denkt sich, erzürnt, leicht was Gehässiges aus.
Amorn bemerkte sie nicht: er schlich beiseite; den Helden
Bracht er mit weniger Kunst unter der Schönsten Gewalt.
Nun vermummt er sein Paar: ihr hängt er die Bürde des
Löwen
Über die Schultern und lehnt mühsam die Keule dazu.
Drauf bespickt er mit Blumen des Helden sträubende
Haare,
Reichet den Rocken der Faust, die sich dem Scherze
bequemt.
So vollendet er bald die neckische Gnippe; dann läuft er,
' Ruft durch den ganzen Olymp: "Herrliche Taten ge-
schehn!
Nie hat Erd und Himmel, die unermüdete Sonne
Hat auf der ewigen Bahn keines der Wunder erblickt."
2 98 LYRISCHE DICHTUNGEN
Alles eilte; sie glaubten dem losen Knaben, denn ernstlich
Hatt er gesprochen; und auch Fama, sie blieb nicht
zurück.
Wer sich freute, den Mann so tief erniedrigt zu sehen,
Denkt ihr! Juno. Es galt Amorn ein freundlich Gesicht.
Fama daneben, wie stand sie beschämt, verlegen, ver-
zweifelnd!
Anfangs lachte sie nur: "Masken, ihr Götter, sind das!
Meinen Helden, ich kenn ihn zu gut! Es haben Tragöden
Uns zum besten!" Doch bald sah sie mit Schmerzen,
er wars! —
Nicht den tausendsten Teil verdroß es Vulkanen, sein
Weibchen
Mit dem rüstigen Freund unter den Maschen zu sehn.
Als das verständige Netz im rechten Moment sie umfaßte.
Rasch die Verschlungnen umschlang, fest die Genie-
ßenden hielt.
Wie sich die Jünglinge freuten! Merkur und Bacchus! sie
beide
Mußten gestehn: es sei, über dem Busen zu ruhn
Dieses herrlichen Weibes, ein schöner Gedanke. Sie baten:
Löse, Vulkan, sie noch nicht! Laß sie noch einmal
besehn.
Und der Alte war so Hahnrei, und hielt sie nur fester.—
Aber Fama, sie floh rasch und voll Grimmes davon.
Seit der Zeit ist zwischen den zweien der Fehde nicht
Stillstand;
Wie sie sich Helden erwählt, gleich ist der Knabe
darnach.
Wer sie am höchsten verehrt, den weiß er am besten zu
fassen,
Und den Sittlichsten greift er am gefährlichsten an.
Will ihm einer entgehn, den bringt er vom SchHmmen
ins Schlimmste.
Mädchen bietet er an; wer sie ihm töricht verschmäht,
Muß erst grimmige Pfeile von seinem Bogen erdulden;
Mann erhitzt er auf Mann, treibt die Begierden aufs Tier.
Wer sich seiner schämt, der muß erst leiden; dem Heuchler
Streut er bittem Genuß unter Verbrechen und Not.
1788/93 WEIMAR 299
Aber auch sie, die Göttin, verfolgt ihn mit Augen und
Ohren;
Sieht sie ihn einmal bei dir, gleich ist sie feindlich
gesinnt,
Schreckt dich mit ernstem Blick, verachtenden Mienen.
tmd heftig
Strenge verruft sie das Haus, das er gewöhnlich be-
sucht.
Und so geht es auch mir: schon leid ich ein wenig; die
Göttin,
Eifersüchtig, sie forscht meinem Geheimnisse nach.
Doch es ist ein altes Gesetz: ich schweig und verehre;
Denn der Könige Zwist büßten die Griechen, wie ich.
OFT erklärtet ihr euch als Freunde des Dichters, ihr
Götter!
Gebt ihm auch, was er bedarf! Mäßiges braucht er,
doch viel:
Erstlich freundliche Wohnung, dann leidlich zu essen, zu
trinken
Gut; der Deutsche versteht sich auf den Nektar, wie ihr.
Dann geziemende Kleidung und Freunde, vertraulich zu
schwatzen;
Dann ein Liebchen des Nachts, das ihn von Herzen
begehrt.
Diese fünf natürlichen Dinge verlang ich vor allem.
Gebet mir ferner dazu Sprachen, die alten und neu'n.
Daß ich der Völker Gewerb und ihre Geschichten ver-
nehme;
Gebt mir ein reines Gefühl, was sie in Künsten getan.
Ansehn gebt mir im Volke, verschaflFt bei Mächtigen Ein-
fluß,
Oder was sonst noch bequem unter den Menschen er-
scheint.
Gut— schon dank ich euch, Götter; ihr habt den glück-
lichsten Menschen
Ehstens fertig: denn ihr gönntet das meiste mir schon.
300 LYRISCHE DICHTUNGEN
[Römische Elegie]
HÖREST du, Liebchen, das muntre Geschrei den Fla-
minischen Weg her?
Schnitter sind es; sie ziehn wieder nach Hause zurück,
Weit hinweg. Sie haben des Römers Ernte vollendet.
Der für Ceres den Kranz selber zu flechten verschmäht.
Keine Feste sind mehr der großen Göttin gewidmet,
Die, statt Eicheln, zur Kost goldenen Weizen verlieh.
Laß uns beide das Fest im stillen freudig begehen!
Sind zwei Liebende doch sich ein versammeltes Volk.
Hast du wohl je gehört von jener mystischen Feier,
Die von Eleusis hieher frühe dem Sieger gefolgt?
Griechen stifteten sie, und immer riefen nur Griechen,
Selbst in den Mauern Roms: "Kommt zur geheiligten
Nacht!"
Fern entwich der Profane; da bebte der wartende Neu-
ling,
Den ein weißes Gewand, Zeichen der Reinheit, umgab.
Wunderlich irrte darauf der Eingeführte durch Kreise
Seltner Gestalten; im Traum schien er zu wallen: denn
hier
Wanden sich Schlangen am Boden umher, verschlossene
Kästchen,
Reich mit Ähren umkränzt, trugen hier Mädchen vorbei,
Vielbedeutend gebärdeten sich die Priester und summten;
Ungeduldig und bang harrte der Lehrling auf Licht.
Erst nach mancherlei Proben und Prüfungen ward ihm
enthüllet,
Was der geheiligte Kreis seltsam in Bildern verbarg.
Und was war das Geheimnis! als daß Demeter, die große,
Sich gefällig einmal auch einem Helden bequemt.
Als sie Jasion einst, dem rüstigen König der Kreter,
Ihres unsterbhchen Leibs holdes Verborgne gegönnt.
Da war Kreta beglückt! das Hochzeitbette der Göttin
Schwoll von Ähren, und reich drückte den Acker die
Saat.
Aber die übrige Welt verschmachtete; denn es versäumte
Über der I^iebe Genuß Ceres den schönen Beruf.
1788/93 WEIMAR 301
Voll Erstaunen vernahm der Eingeweihte das Märchen,
Winkte der Liebsten— Verstehst du nun, Geliebte, den
Winkr
Jene buschige Myrte beschattet ein heiliges Plätzchen!
Unsre Zufriedenheit bringt keine Gefährde der Welt.
KAUM an dem blaueren Himmel erblickt ich die
glänzende Sonne,
Reich, vom Felsen herab, Efeu zu Kränzen geschmückt,
Sah den emsigen Winzer die Rebe der Pappel verbinden,
Über die Wiege Virgils kam mir ein laulicher Wind:
Da gesellten die Musen sich gleich zum Freunde; wir
pflogen
Abgerißnes Gespräch, wie es den Wanderer freut.
IMMER halt ich die Liebste begierig im Arme geschlossen.
Immer drängt sich mein Herz fest an den Busen ihr an.
Immer lehnet mein Haupt an ihren Knieen, ich blicke
Nach dem lieblichen Mvmd, ihr nach den Augen hinauf.
"Weichling!" schölte mich einer, ''und so verbringst du
die Tager"
Ach, ich verbringe sie schlimm! Höre ntu:, wie mir
geschieht:
Leider wend ich den Rücken der einzigen Freude des
Lebens;
Schon den zwanzigsten Tag schleppt mich der Wagen
dahin.
Vetturine trotzen mir nun, es schmeichelt der Kämmrer,
Und der Bediente vom Platz sinnet auf Lügen und Trug.
Will ich ihnen entgehn, so faßt mich der Meister der
Posten,
Postillone sind Herrn, dann die Dogane dazu!
"Ich verstehe dich nicht! du widersprichst dir! du schienest
Paradiesisch zu ruhn, ganz, wie Rinaldo, beglückt."
Ach! ich verstehe mich wohl: es ist mein Körper auf Reisen,
Und es ruhet mein Geist stets der Geliebten im Schoß.
30 2 LYRISCHE DICHTUNGEN
[Venezianische Epigramme]
SARKOPHAGEN und Urnen verzierte der Heide mit
Leben:
Faunen tanzen umher, mit der Bacchantinnen Chor
Machen sie bimte Reihe; der ziegengefüßete Pausback
Zwingt den heiseren Ton wild aus dem schmetternden
Hörn.
Zimbeln, Trommeln erklingen; wir sehen und hören den
Marmor.
Flatternde Vögel! wie schmeckt herrlich dem Schnabel
die Frucht!
Euch verscheuchet kein Lärm, noch weniger scheucht er
den Amor,
Der in dem bunten Gewühl erst sich der Fackel erfreut.
So überwältiget Fülle den Tod; und die Asche da drinnen
Scheint, im stillen Bezirk, noch sich des Lebens zu freun.
So umgebe denn spät den Sarkophagen des Dichters
Diese Rolle, von ihm reichlich mit Leben geschmückt.
DAS ist Italien, das ich verließ. Noch stäuben die
Wege,
Noch ist der Fremde geprellt, stell er sich, wie er auch
will.
Deutsche Redlichkeit suchst du in allen Winkeln ver-
gebens:
Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und
Zucht;
Jeder sorgt nur fiir sich, mißtrauet dem andern, ist eitel,
Und die Meister des Staats sorgen nur wieder für sich.
Schön ist das Land; doch ach! Faustinen find ich nicht
wieder.
Das ist Italien nicht mehr, das ich mit Schmerzen verließ.
IN der Gondel lag ich gestreckt imd fuhr durch die Schiflfe,
Die in dem großen Kanal, viele befrachtete, stehn.
Mancherlei Ware findest du da für manches Bedürfnis,
Weizen, Wein und Gemüs, Scheite, wie leichtes Ge-
sträuch.
1788/93 WEIMAR 303
Pfeilschnell drangen wir durch; da traf ein verlorener
Lorbeer
Derb mir die Wangen. Ich rief: Daphne, verletzest
du mich?
Lohn erwartet ich eher! Die Nymphe lispelte lächelnd:
Dichter sündgen nicht schwer. Leicht ist die Strafe.
Nur zu!
SEH ich den Pilgrim, so kann ich mich nie der Tränen
enthalten.
O wie beseliget uns Menschen ein falscher Begriflf!
EINE Liebe hatt ich, sie war mir lieber als alles!
Aber ich hab sie nicht mehr! Schweig, und ertrag
den Verlust!
DIESE Gondel vergleich ich der sanft einschaukelnden
Wiege,
Und das Kästchen darauf scheint ein geräumiger Sarg.
Recht so! Zwischen der Wieg und dem Sarg wir schwan-
ken und schweben
Auf dem großen Kanal sorglos durchs Leben dahin.
FEIERLICH sehn wir neben dem Doge den Nuntius
gehen;
Sie begraben den Herrn, einer versiegelt den Stein.
Was der Doge sich denkt, ich weiß es nicht; aber der
andre
Lächelt über den Ernst dieses Gepränges gewiß.
WARUM treibt sich das Volk so, und schreit? Es
will sich ernähren,
Kinder zeugen, und die nähren, so gut es vermag.
Merke dir, Reisender, das und tue zu Hause desgleichen!
Weiter bringt es kein Mensch, stell er sich, wie er
auch will.
so 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
WIE sie klingeln, die Pfaffen! Wie angelegen sies
machen,
Daß man komme, nur ja plappre, wie gestern so heut!
Scheltet mir nicht die Pfaffen; sie kennen des Menschen
Bedürfnis!
Denn wie ist er beglückt, plappert er morgen wie heut!
MACHE der Schwärmer sich Schüler wie Sand am
Meere— der Sand ist
Sand; die Perle sei mein, du, o vernünftiger Freund!
SÜSS, den sprossenden Klee mit weichlichen Füßen im
Frühling
Und die Wolle des Lamms tasten mit zärtlicher Hand;
Süß, voll Blüten zu sehn die neulebendigen Zweige,
Dann das grünende Laub locken mit sehnendem Blick.
Aber süßer, mit Blumen dem Busen der Schäferin
schmeicheln;
Und dies vielfache Glück läßt mich entbehren der Mai.
WEIT und schön ist die Welt! doch o wie dank ich
dem Himmel,
Daß ein Gärtchen, beschränkt, zierlich, mir eigen gehört!
Bringt mich wieder nach Hause! Was hat ein Gärtner zu
reisen?
Ehre bringts ihm imd Glück, wenn er sein Gärtchen
besorgt.
DIESEM Amboß vergleich ich das Land, den Hammei
dem Herrscher,
Und dem Volke das Blech, das in der Mitte sich krümmt
Wehe dem armen Blech! wenn nur willkürliche Schläge
Ungewiß treffen, und nie fertig der Kessel erscheint.
1788/93 WEIMAR 305
SCHÜLER macht sich der Schwärmer genug, und rühret
die Menge,
Wenn der vernünftige Mann einzelne Liebende zählt.
Wundertätige Bilder sind meist nur schlechte Gemälde:
Werke des Geists und der Kunst sind für den Pöbel
nicht da.
M
ACHE zum Herrscher sich der, der seinen Vorteil
verstehet:
Doch wir wählten uns den, der sich auf unsem versteht.
N
OT lehrt beten, mansagts; will einer es lernen, ergehe
Nach Italien! Not findet der Fremde gewiß.
WELCH ein heftig Gedränge nach diesem Laden!
Wie emsig
Wägt man, empfängt man das Geld, reicht man die
Ware dahin!
Schnupftabak wird hier verkauft. Das heißt sich selber
erkennen!
Nieswurz holt sich das Volk, ohne Verordnung und Arzt.
JEDER Edle Venedigs kann Doge werden; das macht ihn
Gleich als Knaben so fein, eigen, bedächtig und stolz.
Darum sind die Oblaten so zart im katholischen Welsch-
land;
Denn aus demselbigen Teig weihet der Priester den
Gott.
RUHIG am Arsenal stehn zwei altgriechische Löwen;
Klein wird neben dem Paar Pforte, wie Turm imd
Kanal.
Käme die Mutter der Götter herab, es schmiegten sieb
beide
Vor den Wagen, und sie freute sich ihres Gespanns.
Aber nun ruhen sie traurig; der neue geflügelte Kater
Schnurrt überall, und ihn nennet Venedig Patron.
GOETHE XIV 30.
3o6 LYRISCHE DICHTUNGEN
EMSIG wallet der Pilger! Und wird er den Heiligen
finden?
Hören und sehen den Mann, welcher die Wunder getan?
Nein, es führte die Zeit ihn hinweg: du findest nur Reste,
Seinen Schädel, ein paar seiner Gebeine verwahrt.
Pilgrime sind wir alle, die wir Italien suchen;
Nur ein zerstreutes Gebein ehren wir gläubig und froh.
JUPITER Pluvius, heut erscheinst du ein freundlicher
Dämon,
Denn ein vielfach Geschenk gibst du in Einem Moment:
Gibst Venedig zu trinken, dem Lande grünendes Wachstum,
Manches kleine Gedicht gibst du dem Büchelchen hier.
GIESSE nur, tränke nur fort die rotbemäntelten Frösche,
Wäßre das durstende Land, daß es uns Broccoli
schickt.
Nur durchwäßre mir nicht dies Büchlein; es sei mir ein
Fläschchen
Reinen Araks, uüd Punsch mache sich jeder nach Lust.
SANKT Johannes im Kot heißt jene Kirche; Venedig
Nenn ich mit doppeltem Recht heute Sankt Markus
im Kot.
HAST du Bajä gesehn, so kennst du das Meer und die
Fische.
Hier ist Venedig; du kennst nun auch den Pfuhl und
den Frosch.
SCHLÄFST du noch immer?" Nur still, und laß mich
ruhen; erwach ich,
Nim, was soll ich denn hier? Breit ist das Bette, doch
leer.
Ist überall ja doch Sardinien, wo man allein schläft,
Tibur, Freund, überall, wo dich die Liebliche weckt.
1788/93 WEIMAR 307
ALLE Neun, sie winkten mir oft, ich meine die Musen;
Doch ich achtet es nicht, hatte das Mädchen im
Schoß.
Nun verließ ich mein Liebchen; mich haben die Musen
verlassen,
Und ich schielte verwirrt, suchte nach Messerund Strick.
Doch von Göttern ist voll der Olymp; du kamst, mich zu
retten,
Langeweile! du bist Mutter der Musen gegrüßt.
WELCH ein Mädchen ich wünsche zu haben .^ Ihr fragt
mich. Ich hab sie,
Wie ich sie wünsche, das heißt, dünkt mich, mit weni-
gem viel.
An dem Meere ging ich, und suchte mir Muscheln. In
einer
Fand ich ein Perlchen; es bleibt nun mir am Herzen
verwahrt.
VIELES hab ich versucht, gezeichnet, in Kupfer ge-
stochen,
Öl gemalt, in Ton hab ich auch manches gedruckt.
Unbeständig jedoch, und nichts gelernt noch geleistet;
Nur ein einzig Talent bracht ich der Meisterschaft nah.
Deutsch zu schreiben. Und so verderb ich unglücklicher
Dichter
In dem schlechtesten StoflF leider nun Leben und Kunst.
SCHÖNE Kinder tragt ihr, und steht mit verdeckten
Gesichtern,
Bettelt: das heißt mit Macht reden ans männUche Herz.
Jeder wünscht sich ein Knäbchen, wie ihr das dürftige
I zeiget.
Und ein Liebchen, wie maus imter dem Schleier sich
denkt.
3o8 LYRISCHE DICHTUNGEN
DAS ist dein eigenes Kind nicht, worauf du bettelst,
und rührst mich;
O wie rührt mich erst die, die mir mein eigenes bringt!
WARUM leckst du dein Mäulchen, indem du mir
eilig begegnest?
Wohl, dein Züngelchen sagt mir, wie gesprächig es sei.
SÄMTLICHE Künste lernt und treibet der Deutsche;
zu jeder
Zeigt er ein schönes Talent, wenn er sie ernstlich er-
greift.
Eine Kunst nur treibt er, und will sie nicht lernen, die
Dichtkunst.
Darum pfuscht er auch so; Freunde, wir habens erlebt.
EINES Menschen Leben, was ists? Doch Tausende
können
Reden über den Mann, was er und wie ers getan.
Weniger ist ein Gedicht; doch können es Tausend ge-
nießen,
Tausende tadeln. Mein Freimd, lebe nur, dichte nur fort!
MÜDE war ich geworden, nur immer Gemälde zu
sehen.
Herrliche Schätze der Kunst, wie sie Venedig bewahrt.
Denn auch dieser Genuß verlangt Erholung und Muße;
Nach lebendigem Reiz suchte mein schmachtender
Blick.
Gauklerin! da ersah ich in dir zu den Bübchen das Urbild,
Wie sie Johannes Bellin reizend mit Flügeln gemalt.
Wie sie Paul Veronese mit Bechern dem Bräutigam sendet.
Dessen Gäste, getäuscht, Wasser genießen für Wein.
1788/93 WEIMAR 309
WIE, von der künstlichsten Hand geschnitzt, das liebe
Figürchen,
Weich und ohne Gebein, wie die Molluska nur schwimmt!
Alles ist Glied, und alles Gelenk, und alles gefällig,
Alles nach Maßen gebaut, alles nach Willkür bewegt.
Menschen hab ich gekannt und Tiere, so Vögel als Fische,
Manches besondre Gewürm, Wunder der großen Natur;
Und doch staun ich dich an. Bettine, liebliches Wunder
Die du alles zugleich bist, und ein Engel dazu.
KEHRE nicht, liebliches Kind, die Beinchen hinauf
zu dem Himmel;
Jupiter sieht dich, der Schalk, und Ganymed ist besorgt.
WENDE die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge!
Wir strecken
Arme betend empor; aber nicht schuldlos wie du.
SEITWÄRTS neigt sich dein Hälschen. Ist das ein
Wunder? Es traget
Oft dich Ganze; du bist leicht, nur dem Hälschen zu
schwer.
Mir ist sie gar nicht zuwider, die schiefe Stellung des
Köpfchens:
Unter schönerer Last beugte kein Nacken sich je.
SO verwirret mit dumpf willkürlich verwebten Gestalten,
Höllisch und trübe gesinnt, Breughel den schwan-
kenden Blick;
So zerrüttet auch Dürer mit apokalyptischen Bildern,
Menschen und Grillen zugleich, unser gesundes Gehirn;
So erreget ein Dichter, von Sphinxen, Sirenen, Zentauren
Singend, mit Macht Neugier in dem verwunderten Ohr;
So beweget ein Traum den Sorglichen, wenn er zu greifen,
Vorwärts glaubet zu gehn, alles veränderlich schwebt:
So verwirrt uns Bettine, die holden Glieder verwechselnd;
Doch erfreut sie uns gleich, wenn sie die Sohlen betritt.
3IO LYRISCHE DICHTUNGEN
GERN überschreit ich die Grenze, mit breiter Kreide
gezogen.
Macht sie Bottegha, das Kind, drängt sie mich artig
zurück.
ACH! mit diesen Seelen, was macht er? Jesus Maria!
Bündelchen Wäsche sind das, wie man zum Brunnen
sie trägt.
Wahrlich, sie fällt! Ich halt es nicht aus! Komm, gehn
wir! Wie zierlich!
Sieh nur, wie steht sie, wie leicht! Alles mit Lächeln
und Lust!"
Altes Weib, du bewunderst mit Recht Bettinen! du scheinst
mir
Jünger zu werden und schön, da dich mein Liebling
erfreut.
ALLES seh ich so gerne von dir; doch seh ich am
liebsten,
Wenn der Vater behend über dich selber dich wirft,
Du dich im Schwung überschlägst und, nach dem tödlichen
Spnmge,
Wieder stehest und läufst, eben ob nichts war geschehn.
SCHON entrunzelt sich jedes Gesicht; die Furchen der
Mühe,
Sorgen und Armut fliehn. Glückliche glaubt man zu
sehn.
Dir erweicht sich der Schiffer und klopft dir die Wange;
der Säckel
Tut sich dir kärglich zwar, aber er tut sich doch auf,
Und der Bewohner Venedigs entfaltet den Mantel und
reicht dir,
Eben als flehtest du laut bei den Mirakeln Antons,
Bei des Herrn fünf Wunden, dem Herzen der seligsten
Jungfrau,
Bei der feurigen Qual, welche die Seelen durchfegt.
1
1788/93 WEIMAR 311
Jeder kleine Knabe, der Schiffer, der Höke, der Bettler
Drängt sich, und freut sich bei dir, daß er ein Kind
ist wie du.
DICHTEN ist ein lustig Metier; nur find ich es teuer:
Wie dies Büchlein mir wächst, gehn die Zechinen
mir fort.
WELCH ein Wahnsinn ergriff dich Müßigen? Hältst
du nicht inne?
Wird dies Mädchen ein Buch? Stimme was Klügeres
an!"
Wartet, ich singe die Könige bald, die Großen der Erde,
Wenn ich ihr Handwerk einst besser begreife wie jetzt.
Doch Bettinen sing ich indes; denn Gaukler und Dichter
Sind gar nahe verwandt, suchen und finden sich gem.
BÖCKE, zur Linken mit euch! so ordnet künftig der
Richter:
Und ihr Schäfchen, ihr sollt ruhig zur Rechten mir stehn!
Wohl! Doch eines ist noch von ihm zu hoffen; dann sagtet:
Seid, Vernünftige, mir grad gegenüber gestellt!
^■y /"ISST ihr, wie ich gewiß zu Hunderten euch Epi-
gramme
»
w
Fertige? Führet mich nur weit von der Liebsten hinweg!
ALLE Freiheitsapostel, sie waren mir immer zuwider;
Willkür suchte doch nur jeder am Ende für sich.
Willst du viele befrein, so wag es, vielen zu dienen.
Wie gefährlich das sei, willst du es wissen? Versuchs!
KÖNIGE wollen das Gute, die Demagogen desgleichen.
Sagt man; doch irren sie sich: Menschen, ach, sind
sie wie wir.
Nie gelingt es der Menge, für sich zu wollen, wir wissens;
Doch wer verstehet, fiir uns alle zu wollen, er zeigs!
312 LYRISCHE DICHTUNGEN
FRANKREICHS traurig Geschick, die Großen mögens
bedenken;
Aber bedenken fürwahr sollen es Kleine noch mehr.
Große gingen zugrunde: doch wer beschützte die Menge
Gegen die Menge? Da war Menge der Menge Tyrann.
T
OLLE Zeiten hab ich erlebt, und hab nicht ermangelt,
Selbst auch töricht zu sein, wie es die Zeit mir gebot.
SAGE, tun wir nicht recht? Wir müssen den Pöbel be-
triegen.
Sieh nur, wie ungeschickt, sieh nur, wie wild er sich
zeigt!"
Ungeschickt und wild sind alle rohe Betrognen;
Seid nur redlich, und so führt ihn zum Menschlichen an.
JENE Menschen sind toll, so sagt ihr von heftigen
Sprechern,
Die wir in Frankreich laut hören auf Straßen und Markt.
Mir auch scheinen sie toll; doch redet ein Toller in Frei-
heit
Weise Sprüche, wenn ach! Weisheit im Sklaven ver-
stummt.
LANGE haben die Großen der Franzen Sprache, ge-
sprochen,
Halb nur geachtet den Mann, dem sie vom Munde
nicht floß.
Nun lallt alles Volk entzückt die Sprache der Franken.
Zürnet, Mächtige, nicht! Was ihr verlangtet, geschieht.
SEID doch nicht so frech, Epigramme!" Warum nicht?
Wir sind nur
Überschriften; die Welt hat die Kapitel des Buchs.
WIE dem hohen Apostel ein Tuch voll Tiere ge-
zeigt ward,
Rein und unrein, zeigt, Lieber, das Büchlein sich dir.
1788/93 WEIMAR 313
EIN Epigramm, ob wohl es gut sei? Kannst dus ent-
scheiden:
Weiß man doch eben nicht stets, was er sich dachte,
der Schalk.
UM so gemeiner es ist und näher dem Neide, der Miß-
gunst,
Um so eher begreifst du das Gedichtchen gewiß.
ClILOE schwöret, sie liebt mich; ich glaubs nicht. Aber
sie liebt dich!
Sagt mir ein Kenner. Schon gut; glaubt ichs, da war
es vorbei.
NIEMAND liebst du, und mich, Philarchos, liebst du
so heftig.
Ist denn kein anderer Weg, mich zu bezwingen, als der?
VIELES kann ich ertragen. Die meisten beschwer-
lichen Dinge
Duld ich mit ruhigem Mut, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider,
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und f.
LÄNGST schon hätt ich euch gern von jenen Tierchen
gesprochen,
Die so zierlich und schnell fahren dahin und daher,
Schlängelchen scheinen sie gleich, doch viergefüßet; sie
laufen,
Kriechen und schleichen, und leicht schleppen die
Schwänzchen sie nach.
Seht, hier sind sie! und hier! Nun sind sie verschwunden!
Wo sind sie?
Welche Ritze, welch Kraut nahm die entfliehenden auf-
Wollt ihr mirs künftig erlauben, so nenn ich die Tierchen
Lazerten;
Denn ich brauche sie noch oft als gefälliges Bild.
314 LYRISCHE DICHTUNGEN
WER Lazerten gesehn, der kann sich die zierlichen
Mädchen
Denken, die über den Platz fahren dahin und daher.
Schnell und beweglich sind sie, luid gleiten, stehen und
schwatzen,
Und es rauscht das Gewand hinter den eilenden drein.
Sieh, hier ist sie! und hier! Verlierst du sie einmal, so
suchst du
Sie vergebens; so bald kommt sie nicht wieder hervor.
Wenn du aber die Winkel nicht scheust, nicht Gäßchen
und Treppchen,
Folg ihr, wie sie dich lockt, in die Spelunke hinein!
WAS Spelunke nun sei, verlangt ihr zu wissen? Da
wird ja
Fast zum Lexikon dies epigrammatische Buch.
Dunkele Häuser sinds in engen Gäßchen; zum Kaffee
Führt dich die Schöne, imd sie zeigt sich geschäftig,
nicht du.
ZWEI der feinsten Lazerten, sie hielten sich immer
zusammen.
Eine beinahe zu groß, eine beinahe zu klein.
Siehst du beide zusammen, so wird die Wahl dir unmöglich;
Jede besonders, sie schien einzig die schönste zu sein.
HEILIGE Leute, sagt man, sie wollten besonders dem
Sünder
Und der Sünderin wohl. Gehts mir doch eben auch so.
WAR ich ein häusliches Weib, und hätte, was ich
bedürfte.
Treu sein wollt ich und froh, herzen und küssen den
Mann.
So sang, unter andern, gemeinen Liedern, ein Dirnchen
Mir in Venedig, und nie hört ich ein frömmer Gebet.
r
1788/93 WEIMAR 315
WUNDERN kann es mich nicht, daß Menschen die
Hunde so lieben:
- Denn ein erbärmlicher Schuft ist, wie der Mensch, so
der Hund.
FRECH wohl bin ich geworden; es ist kein Wunder.
Ihr Götter
Wißt, und wißt nicht allein, daß ich auch fromm bin
und treu.
HAST du nicht gute Gesellschaft gesehn? Es zeigt uns
dein Büchlein
Fast nur Gaukler und Volk, ja was noch niedriger ist."
Gute Gesellschaft hab ich gesehn, man nennt sie die gute,
Wenn sie zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit gibt.
WAS mit mir das Schicksal gewollt? Es wäre ver-
wegen.
Das zu fragen; denn meist will es mit vielen nicht viel.
Einen Dichter zu bilden, die Absicht war ihm gelungen,
Hätte die Sprache sich nicht unüberwindlich gezeigt.
MIT Botanik gibst du dich ab? mit Optik? Was tust du?
Ist es nicht schönrer Gewinn, rühren ein zärt-
liches Herz?
Ach, die zärtlichen Herzen! ein Pfuscher vermag sie zu
rühren;
Sei es mein einziges Glück, dich zu berühren, Natur!
WEISS hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar
manches
Hat er euch weisgemacht, das ihr ein Säkulum glaubt.
ALLES erklärt sich wohl," so sagt mir ein Schüler, "aus
jenen
Theorien, die uns weislich der Meister gelehrt."
Habt ihr einmal das Kreuz von Holze tüchtig gezimmert,
Paßt ein lebendiger Leib freilich zur Strafe daran.
3 1 6 LYRISCHE DICHTUNGEN
WENN auf beschwerlichen Reisen ein Jüngling zur
Liebsten sich windet,
Hab er dies Büchlein; es ist reizend und tröstlich zu-
gleich.
Und erwartet dereinst ein Mädchen den Liebsten, sie halte
Dieses Büchlein, und nur, kommt er, so werfe sies weg.
GLEICH den Winken des Mädchens, des eilenden,
welche verstohlen
Im Vorbeigehn nur freundlich mir streifet den Arm,
So vergönnt, ihr Musen, dem Reisenden kleine Gedichte:
O behaltet dem Freund größere Gunst noch bevor!
WENN, in Wolken und Dünste verhüllt, die Sonne
nur trübe
Stunden sendet, wie still wandeln die Pfade wir fort!
Dränget Regen den Wandrer, wie ist uns des ländlichen
Daches
Schirm willkommen! Wie sanft ruht sichs in stürmischer
Nacht!
Aber die Göttin kehret zurück! Schnell scheuche die Nebel
Von der Stirne hinweg! Gleiche der Mutter Natur!
WILLST du mit reinem Gefühl der Liebe Freuden
genießen,
O laß Frechheit und Ernst ferne vom Herzen dir sein.
Die will Amorn verjagen, und ^(fr gedenkt ihn zu fesseln;
Beiden das Gegenteil lächelt der schelmische Gott.
GÖTTLICHER Morpheus, umsonst bewegst du die
lieblichen Mohne;
Bleibt das Auge doch wach, wenn mir es Amor nicht
schließt.
L
lEBE flößest du ein, und Begier; ich fühl es, tmd brenne.
Liebenswürdige, nun flöße Vertrauen mir ein!
1788/93 WEIMAR 317
HA! ich kenne dich, Amor, so gut als einer! Da bringst
du
Deine Fackel, und sie leuchtet im Dunkel uns vor.
Aber du fuhrest ims bald verworrene Pfade; wir brauchten
Deine Fackel erst recht, ach! und die falsche erlischt.
EINE einzige Nacht an deinem Herzen! — Das andre
Gibt sich. Es trennet tms noch Amor in Nebel imd
Nacht.
Ja, ich erlebe den Morgen, an dem Aurora die Freunde
Busen an Busen belauscht, Phöbus, der frühe, sie weckt.
1
ST es dir Ernst, so zaudre nun länger nicht, mache mich
glücklich!
Wolltest du scherzen? Es sei, Liebchen, des Scherzes
genug!
DASS ich schweige, verdrießt dich? Was soll ich reden?
Du merkest
Auf der Seufzer, des Blicks leise Beredsamkeit nicht.
Eine Göttin vermag der Lippe Siegel zu lösen;
Nur Aurora, sie weckt einst dir am Busen mich auf.
Ja, dann töne mein Hymnus den frühen Göttern entgegen.
Wie das Memnonische Bild lieblich Geheinmisse sang.
WELCH ein lustiges Spiel! Es windet am Faden
die Scheibe,
Die von der Hand entfloh, eilig sich wieder herauf!
Seht, so schein ich mein Herz bald dieser Schönen, bald
jener
Zuzuwerfen; doch gleich kehrt es im Fluge zurück.
Owie achtet ich sonst auf alle Zeiten des Jahres,
Grüßte den kommenden Lenz, sehnte dem Herbste
mich nach!
Aber nun ist nicht Sommer noch Winter, seit mich Be-
glückten
Amors Fittich bedeckt, ewiger Frühling umschwebt.
31 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
SAGE, wie lebst du? Ich lebe! und wären hundert imd
hundert
Jahre dem Menschen gegönnt, wünscht ich mir morgen
wie heut.
GÖTTER, wie soll ich euch danken! Ihr habt mir alles
gegeben.
Was der Mensch sich erfleht; nur in der Regel fast nichts.
DU erstaunest, imd zeigst mir das Meer; es scheinet
zu brennen.
Wie bewegt sich die Flut flammend ums nächtliche
Schifft
Mich verwundert es nicht, das Meer gebar Aphroditen,
Und entsprang nicht aus ihr uns eine Flamme, der
Sohn?
GLÄNZEN sah ich das Meer, xmd blinken die liebliche
Welle,
Frisch mit günstigem Wind zogen die Segel dahin.
Keine Sehnsucht fühlte mein Herz; es wendete rückwärts,
Nach dem Schnee des Gebirgs, bald sich der schmach-
tende Blick.
Südwärts liegen der Schätze wie viel! Doch einer im
Norden
Zieht, ein großer Magnet, unwiderstehlich zurück.
ACH! mein Mädchen verreist! Sie steigt zu Schiffe!—
Mein König,
Äolus! mächtiger Fürst! halte die Stürme zurück!
Törichter! ruft mir der Gott, befürchte nicht wütende
Stürme:
Fürchte den Hauch, wenn sanft Amor die Flügel be-
wegt!
OFTMALS hab ich geirrt, und habe mich wieder ge-
funden.
Aber glücklicher nie; nun ist dies Mädchen mein Glück!
1788/93 WEIMAR 319
Ist auch dieses ein Irrtum, so schont mich, ihr klügeren
Götter,
Und benehmt mir ihn erst drüben am kalten Gestad.
TRAURIG, Midas, war dein Geschick: in bebenden
Händen
Fühltest du, hungriger Greis, schwere verwandelte Kost.
Mir, im ähnlichen Fall, gehts lustger; denn was ich be-
rühre,
Wird mir unter der Hand gleich ein behendes Gedicht.
Holde Musen, ich sträube mich nicht; nur daß ihr mein
Liebchen,
Drück ich es fest an die Brust, nicht mir zum Märchen
verkehrt.
UND so tändelt ich mir, von allen Freunden geschieden,
In der Neptunischen Stadt Tage wie Stvmden hin-
weg.
Alles, was ich erfuhr, ich würzt es mit süßer Erinnrung,
Würzt es mit Hoffnung; sie sind lieblichste Würzen
der Welt.
EINEN zierlichen Käfig erblickt ich; hinter dem Gitter
Regten sich emsig und rasch Mädchen des süßen
Gesangs.
Mädchen wissen sonst nur uns zu ermüden; Venedig,
Heil dir, daß du sie auch uns zu erquicken ernährst.
WENN ich den Dieben gebellt, Liebhabern hab ich
geschwiegen;
Und so begünstigten mich beide, der Herr und die Frau.
[An die Herzogin Anna Amalia]
SAGT, wem geb ich dies Büchlein? Der Fürstin, die
mirs gegeben,
Die uns Italien noch jetzt in Germanien schafift.
320 LYRISCHE DICHTUNGEN
ARM und kleiderlos war, als ich sie geworben, das
Mädchen;
Damals gefiel sie mir nackt, wie sie mir jetzt noch
gefällt.
JEGLICHEN Schwärmer schlagt mir ans Kreuz im
dreißigsten Jahre;
Kennt er nur einmal die Welt, wird der Betrogne der
Schelm.
FÜRSTEN prägen so oft auf kaum versilbertes Kupfer
Ihr bedeutendes Bild; lange betriegt sich das Volk.
Schwärmer prägen den Stempel des Geists auf Lügen und
Unsinn;
Wem der Probierstein fehlt, hält sie für redliches Gold,
ST denn so groß das Geheimnis, was Gott und der
L Mensch und die Welt sei?
Nein! Doch niemand hörts gerne; da bleibt es geheim.
IN der Dämmrung des Morgens den höchsten Gipfel er-
klimmen.
Frühe den Boten des Tags grüßen, dich, freimdlichen
Stern!
Ungeduldig die Blicke der Himmelsfürstin erwarten,
Wonne des Jünglings, wie oft locktest du nachts mich
heraus!
Nun erscheint ihr mir, Boten des Tags, ihr himmlischen
Augen
Meiner Geliebten, und stets kommt mir die Sonne zu
früh.
1^ 1788/93 WEIMAR 321
GRÜN ist der Boden der Wohnung, die Sonne scheint
durch die Wände,
Und das Vögelchen Singt über dem leinenen Dach;
Kriegerisch reiten wir aus, besteigen Schlesiens Höhen,
Schauen mit gierigem Blick vorwärts nach Böhmen
hinein.
Aber es zeigt sich kein Feind — und keine Feindin; o bringe,
Wenn ims Mavors betrügt, bring uns, Cupido, den ELrieg.
V:
[An Christiane]
ON Osten nach Westen —
Zu Hause am besten.
[An die Knappschaft der Friedrichsgrabe bei Tamowitz]
FERN von gebildeten Menschen, am Ende des Reiches,
wer hilft euch
Schätze finden und sie glücklich zu bringen ans Licht?
Nur Verstand und Redlichkeit helfen, es führen die beiden
Schlüssel zu jeglichem Schatz, welchen die Erde ver-
wahrt.
DER RATTENFÄNGER
ICH bin der woljlbekannte Sänger,
Der vielgereiste Rattenfänger,
Den diese altberühmte Stadt
Gewiß besonders nötig hat.
Und wärens Ratten noch so viele,
Und wären Wiesel mit im Spiele,
Von allen säubr ich diesen Ort,
Sie müssen miteinander fort.
Dann ist der gut gelaunte Sänger
Mitunter auch ein Kinderfänger,
Der selbst die wildesten bezwingt.
Wenn er die goldnen Märchen singt.
ETHE XIV ai.
38 2 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und wären Knaben noch so trutzig,
Und wären Mädchen noch so stutzig,
In meine Saiten greif ich ein,
Sie müssen alle hinterdrein.
Dann ist der vielgewandte Sänger
Gelegentlich ein Mädchenfänger;
In keinem Städtchen langt er an,
Wo ers nicht mancher angetan.
Und wären Mädchen noch so blöde,
Und wären Weiber noch so spröde,
Doch allen wird so liebebang
Bei Zaubersaiten imd Gesang.
(Von Anfang)
[In das Stammbuch Heinrich Becks]
BLUMEN reicht die Natur, es windet die Kunst sie zum
Kränze.
[An den Herzog Karl August]
ZU dem erbaulichen Entschluß,
Bei diesem Wetter hier zu bleiben,
Send ich des Wissens Überfluß
Die Zeit dir edel zu vertreiben.
Gewiß, du wirst zufrieden sein.
Wenn du wirst die Verwandtschaft sehen,
Worinnen Geist und Fleisch und Stein
Und Erz und Öl und Wasser stehen.
Indes macht draußen vor dem Tor,
Wo allerliebste Kätzchen blühen,
Durch alle zwölf Kategorien
Mir Amor seine Spaße vor.
V
[In das Stammbuch Friedrich Ludwig Schröders]
lELE sahn dich mit Wonne, dich wünschen so viele
zu sehen;
Reise glücklich! Du bringst überall Freude mit hin.
1788/93 WEIMAR 323
SAKONTALA
WILL ich die Blumen des frühen, die Früchte des
späteren Jahres,
Will ich, was reizt und entzückt, will ich, was sättigt
und nährt.
Will ich den Himmel, die Erde mit Einem Namen be-
greifen,
Nenn ich, Sakontala, dich, und so ist alles gesagt.
DIE SPINNERIN
ALS ich still und ruhig spann,
Ohne nur zu stocken,
Trat ein schöner junger Mann
Nahe mir zum Rocken.
Lobte, was zu loben war,
Sollte das was schaden?
Mein dem Flachse gleiches Haar,
Und den gleichen Faden.
Ruhig war er nicht dabei,
Ließ es nicht beim alten;
Und der Faden riß entwei,
Den ich lang erhalten.
Und des Flachses Stein- Gewicht
Gab noch viele Zahlen;
Aber, ach, ich konnte nicht
Mehr mit ihnen prahlen.
Als ich sie zum Weber trug,
Fühlt ich was sich regen.
Und mein armes Herze schlug
Mit geschwindem Schlägen,
Nim, beim heißen Sonnenstich,
Bring ichs auf die Bleiche,
Und mit Mühe bück ich mich
Nach dem nächsten Teiche.
324 LYRISCHE DICHTUNGEN
Was ich in dem Kämmerlein
Still und fein gesponnen,
Kommt — wie kann es anders sein? —
Endlich an die Sonnen.
TRIERISCHE Hügel beherrschte Dionysos, aber der
Bischof
Dionysius trieb ihn und die Seinen herab;
Christlich lagerten sich Bacchanten- Scharen im Tale,
Hinter die Mauern versteckt, üben sie alten Gebrauch.
KÜNSTLERS FUG UND RECHT
EIN frommer Maler mit vielem Fleiß
Hatte manchmal gewonnen den Preis,
Und manchmal ließ ers auch geschehn,
Daß er einem Bessern nach mußt stehn;
Hatte seine Tafeln fortgemalt,
Wie man sie lobt, wie man sie bezahlt.
Da kamen einige gut hinaus,
Man baut' ihn'n sogar ein Heiligenhaus.
Nun fand er Gelegenheit einmal.
Zu malen eine Wand im Saal;
Mit emsigen Zügen er staffiert',
Was öfters in der Welt passiert;
Zog seinen Umriß leicht und klar,
Man konnte sehn, was gemeint da war.
Mit wenig Farben er koloriert',
Doch so, daß er das Aug frappiert.
Er glaubt' es für den Platz gerecht
Und nicht zu gut und nicht zu schlecht,
Daß es versammelte Herrn und Fraun
Möchten einmal mit Lust beschaun;
Zugleich er auch noch wünscht' und wollt.
Daß man dabei was denken sollt.
Als nun die Arbeit fertig war.
Da trat herein manch Fretmdespaar,
. 1788/93 WEIMAR 325
Das unsers Künstlers Werke Hebt'
Und darum desto mehr betrübt,
Daß an der losen, leidigen Wand
Nicht auch ein Götterbildnis stand.
Die setzten ihn sogleich zur Red,
Warum er so was malen tat.
Da doch der Saal und seine Wand
Gehörten nur für Narrenhänd;
Er sollte sich nicht lassen verführen
Und nun auch Bank und Tische beschmieren;
Er sollte bei seinen Tafeln bleiben
Und hübsch mit seinem Pinsel schreiben.
Und sagten ihm von dieser Art
Noch viel Verbindlichs in den Bart.
Er sprach darauf bescheidentlich:
Eure gute Meinung beschämet mich.
Es freut mich mehr nichts auf der Welt,
Als wenn euch je mein Werk gefällt.
Da aber aus eigenem Beruf
Gott der Herr allerlei Tier' erschuf.
Daß auch sogar das wüste Schwein,
Kröten und Schlangen vom Herren sein,
Und er auch manches nur ebauchiert
Und gerade nicht alles ausgeführt
(Wie man den Menschen denn selbst nicht schart
Und nur en gros betrachten darf):
So hab ich, als ein armer Knecht
Vom sündlich menschlichen Geschlecht,
Von Jugend auf allerlei Lust gespürt
Und mich in allerlei exerziert;
Und so durch Übung und dtirch Glück
Gelang mir, sagt ihr, manches Stück.
Nun dächt ich, nach vielem Rennen und Laufen
Dürft einer auch einmal verschnaufen.
Ohne daß jeder gleich, der wohl ihm wollt,
Ihn 'nen faulen Bengel heißen sollt.
Drum ist mein Wort zu dieser Frist,
32 6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wie's allezeit gewesen ist:
Mit keiner Arbeit hab ich geprahlt,
Und was ich gemalt hab, hab ich gemalt.
DER NEUE AMOR
AMOR, nicht das Kind, der Jüngling, der Psychen
verführte,
Sah im Olympus sich um, frech und der Siege gewohnt;
Eine Göttin erblickt' er, vor allen die herrlichste Schöne,
Venus Urania wars, und er entbrannte für sie.
Ach! die Heilige selbst, sie widerstand nicht dem Werben,
Und der Verwegene hielt fest sie im Arme bestrickt.
Da entstand aus ihnen ein neuer lieblicher Amor,
Der dem Vater den Sinn, Sitte der Mutter verdankt.
Immer findest du ihn in holder Musen Gesellschaft,
Und sein reizender Pfeil stiftet die Liebe der Kunst.
DIE ihrem Mann allein gewährt vergnügte Stimden,
Ich gehe noch herum! ich hab sie nicht gefunden.
[In das Album der Fürstin Amalie Gallitzin.]
UNTERSCHIEDEN ist nicht das Schöne vom Guten;
das Schöne
Ist nur das Gute, das sich lieblich verschleiert uns zeigt.
DAS WIEDERSEHN
Er
SÜSSE Freundin, noch Einen, nur Einen Kuß noch ge-
währe
Diesen Lippen-! Warum bist du mir heute so karg?
Gestern blühte wie heute der Baum, wir wechselten Küsse
Tausendfältig; dem Schwärm Bienen verglichst du sie ja.
Wie sie den Blüten sich nahn imd saugen, schweben und
wieder
Saugen, und lieblicher Ton süßen Genusses erschallt.
1788/93 WEIMAR 327
Alle noch üben das holde Geschäft. Und wäre der Früh-
ling
Uns vorübergeflohn, eh sich die Blüte zerstreut?
Sie
Träume, Heblicher Freund, nur immer! rede von gesteml
Gerne hör ich dich an, drücke dich redlich ans Herz.
Gestern, sagst du?— Es war, ich weiß, ein köstliches
Gestern;
Worte verklangen im Wort, Küsse verdrängten den Kuß.
Schmerzlich wars, zu scheiden am Abende, traurig die
lange
Nacht von gestern auf heut, die den Getrennten gebot.
Doch der Morgen kehret zurück. Ach! daß mir indessen
Zehnmal, leider! der Baum Blüten und Früchte ge-
bracht!
1 794-1 797 WEIMAR
FRÜHLINGSORAKEL
DU prophetscher Vogel du,
Blütensänger, o Coucou!
Bitten eines jungen Paares
In der schönsten Zeit des Jahres
Höre, liebster Vogel du;
Kann es hoffen, ruf ihm zu:
Dein Coucou, dein Coucou,
Immer mehr Coucou, Coucou.
Hörst du! ein verliebtes Paar
Sehnt sich herzlich zum Altar;
Und es ist bei seiner Jugend
Voller Treue, voller Tugend.
Ist die Stimde denn noch nicht voll?
Sag, wie lange es warten soll!
Horch! Coucou! Horch! Coucou!
Immer stille! Nichts hinzu!
Ist es doch nicht rmsre Schuld!
Nur zwei Jahre noch Geduld!
Aber, wenn wir uns genommen,
Werden Pa-pa-papas kommen?
Wisse, daß du uns erfreust,
Wenn du viele prophezeist.
Eins! Coucou! Zwei! Coucou!
Immer weiter Coucou, Coucou, Cou.
Haben wir wohl recht gezählt,
Wenig am Halbdutzend fehlt.
Wenn wir gute Worte geben,
Sagst du wohl, wie lang wir leben?
Freilich, wir gestehen dirs.
Gern zum längsten trieben wirs.
Cou Coucou, Cou Coucou,
Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou.
Leben ist ein großes Fest,
Wenn sichs nicht berechnen läßt.
Sind wir nun zusammen blieben,
Bleibt denn auch das treue Lieben?
332 LYRISCHE DICHTUNGEN
Könnte das zu Ende gehn,
War doch alles nicht mehr schön.
Cou Coucou, Cou Coucou :|:
Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou.
(Mit Grazie in infinitum)
ERSTE EPISTEL
JETZT, da jeglicher liest, und viele Leser das Buch nur
Ungeduldig durchblättern und, selbst die Feder er-
greifend.
Auf das Büchlein ein Buch mit seltner Fertigkeit pfropfen,
Soll auch ich, du willst es, mein Freund, dir über das
Schreiben
Schreibend, die Menge vermehren und meine Meimmg
verkünden.
Daß auch andere wieder darüber meinen, und immer
So ins Unendliche fort die schwankende Woge sich wälze.
Doch so fähret der Fischer dem hohen Meer zu, sobald ihm
Günstig der Wind und der Morgen erscheint; er treibt
sein Gewerbe,
Wenn auch hundert Gesellen die blinkende Fläche durch-
kreuzen.
Edler Freund, du wünschest das Wohl des Menschen- |
geschlechtes, 1
Unserer Deutschen besonders und ganz vorzüglich des
nächsten
Bürgers, und fürchtest die Folgen gefährlicher Bücher;
wir haben
Leider* oft sie gesehen. Was sollte man, oder was könnten ,
Biedere Männer vereint, was könnten die Herrscher be-
wirken?
Ernst und wichtig erscheint mir die Frage, doch triflft sie
mich eben
In vergnüglicher Stimmung. Im warmen heiteren Wetter
Glänzet fruchtbar die Gegend, mir bringen liebliche Lüfte
Über die wallende Flut süß duftende Kühlung herüber.
Und dem Heitern erscheint die Welt auch heiter, und ferne
Schwebt die Sorge mir nur in leichten Wölkchen vorüber.
1794/7 WEIMAR 333
Was mein leichter Griffel entwirft, ist leicht zu verlöschen,
Und viel tiefer präget sich nicht der Eindruck der Lettern,
Die, so sagt man, der Ewigkeit trotzen. Freilich an viele
Spricht die gedruckte Kolumne; doch bald, wie jeder sein
Antlitz,
Das er im Spiegel gesehen, vergißt, die behaglichen Züge,
So vergißt er das Wort, wenn auch von Erze gestempelt.
Reden schwanken so leicht herüber hinüber, wenn viele
Sprechen und jeder nur sich im eigenen Worte, sogar auch
Nur sich selbst im Worte vernimmt, das der andere sagte.
Mit den Büchern ist es nicht anders. Liest doch nur jeder
Aus dem Buch sich heraus, und ist er gewaltig, so liest er
In das Buch sich hinein, amalgamiert sich das Fremde.
Ganz vergebens strebst du daher, durch Schriften des
Menschen
Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu wenden;
Aber bestärken kannst du ihn wohl in seiner Gesinnung,
Oder, war er noch neu, in dieses ihn tauchen und jenes.
Sag ich, wie ich es denke, so scheint durchaus mir: es
bildet
Nur das Leben den Mann, und wenig bedeuten die Worte.
Denn zwar hören wir gern, was imsre Meinung bestätigt,
Aber das Hören bestimmt nicht die Meinung; was uns
zuwider
Wäre, glaubten wir wohl dem künstlichen Redner; doch
eilet
Unser befreites Gemüt, gewohnte Bahnen zu suchen.
Sollen wir freudig horchen und willig gehorchen, so mußt du
Schmeicheln. Sprichst du zum Volke, zu Fürsten und
Königen, allen
Magst du Geschichten erzählen, worin als wirklich er-
scheinet.
Was sie wünschen und was sie selber zu leben begehrten.
Wäre Homer von allen gehört, von allen gelesen,
Schmeichelt' er nicht dem Geiste sich ein, es sei auch
der tlörer,
334 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wer er sei, und klinget nicht immer im hohen Paläste^
In des Königes Zelt die Ilias herrlich dem Helden?
Hört nicht aber dagegen Ulyssens wandernde Klugheit
Auf dem Markte sich besser, da wo sich der Bürger ver-
sammelt?
Dort sieht jeglicher Held in Helm und Harnisch, es sieht
hier
Sich der Bettler sogar in seinen Lumpen veredelt.
Also hört ich einmal, am wohlgepflasterten Ufer
Jener Neptunischen Stadt, allwo man geflügelte Löwen
Göttlich verehrt, ein Märchen erzählen. Im Kreise ge-
schlossen, .
Drängte das horchende Volk sich um den. zerlumpten
Rhapsoden.
Einst, so sprach er, verschlug mich der Sturm ans Ufer
der Insel,
Die Utopien heißt. Ich weiß nicht, ob sie ein andrer
Dieser Gesellschaft jemals betrat; sie lieget im Meere
Links von Herkules' Säulen. Ich ward gar freundlich
empfangen;
In ein Gasthaus führte man mich, woselbst ich das beste
Essen tmd Trinken fand und weiches Lager und Pflege.
So verstrich ein Monat geschwind. Ich hatte des Kummers
Völlig vergessen und jeghcher Not; da fing sich im stillen
Aber die Sorge nun an: wie wird die Zeche dir leider
Nach der Mahlzeit bekommen? Denn nichts enthielte der
Säckel.
Reiche mir weniger! bat ich den Wirt; er brachte nur
immer
Desto mehr. Da wuchs mir die Angst, ich konnte nicht
länger
Essen und sorgen, und sagte zuletzt: Ich bitte, die Zeche
Billig zu machen, Herr Wirt! Er aber mit finsterem Auge
Sah von der Seite mich an, ergriff den Knittel und
schwenkte
Unbarmherzig ihn über mich her und traf mir die Schultern,
Traf den Kopf und hätte beinah mich zu Tode geschlagen.
1794/7 WEIMAR 335
Eilend lief ich davon und suchte den Richter; man holte
Gleich den Wirt, der ruhig erschien und bedächtig ver-
setzte:
Also muß es allen ergehn, die das heilige Gastrecht
Unserer Insel verletzen und, unanständig und gottlos,
Zeche verlangen vom Manne, der sie doch höflich bewirtet.
Sollt ich solche Beleidigung dulden im eigenen Hause?
Nein! es hätte fürwahr statt meines Herzens ein Schwamm
nur
Mir im Busen gewohnt, wofern ich dergleichen gelitten.
Darauf sagte der Richter zu mir: Vergesset die Schläge,
Denn Ihr habt die Strafe verdient, ja schärfere Schmerzen;
Aber wollt Ihr bleiben und mitbewohnen die Insel,
Müsset Ihr Euch erst würdig beweisen und tüchtig zum
Bürger.
Ach! versetzt ich, mein Herr, ich habe leider mich niemals
Gerne zur Arbeit gefügt. So hab ich auch keine Talente,
Die den Menschen bequemer ernähren; man hat mich im
Spott nur
Hans Ohnsorge genannt und mich von Hause vertrieben.
O, so sei uns gegrüßt! versetzte der Richter; du sollst dich
Oben setzen zu Tisch, wenn sich die Gemeine versammelt.
Sollst im Rate den Platz, den du verdienest, erhalten.
Aber hüte dich wohl, daß nicht ein schändlicher Rückfall
Dich zur Arbeit verleite, daß man nicht etwa das Grabscheit
Oder das Ruder bei dir im Hause finde, du wärest
Gleich auf immer verloren und ohne Nahrung und Ehre.
Aber auf dem Markte zu sitzen, die Arme geschlungen
Über dem schwellenden Bauch, zu hören lustige Lieder
Unserer Sänger, zu sehn die Tänze der Mädchen, der
Knaben
Spiele, das werde dir Pflicht, die du gelobest und schwörest.
So erzählte der Mann, und heiter waren die Stirnen
Aller Hörer geworden, und alle wünschten des Tages
Solche Wirte zu finden, ja solche Schläge zu dulden.
336 LYRISCHE DICHTUNGEN
ZWEITE EPISTEL
WÜRDIGER Freund, du runzelst die Stirn; dir schei-
nen die Scherze
Nicht am rechten Orte zu sein; die Frage war ernsthaft,
Und besonnen verlangst du die Antwort; da weiß ich,
beim Himmel!
Nicht, wie eben sich mir der Schalk im Busen bewegte.
Doch ich fahre bedächtiger fort. Du sagst mir: So möchte
Meinetwegen die Menge sich halten im Leben und Lesen,
Wie sie könnte; doch denke dir nur die Töchter im Hause,
Die mir der kuppelnde Dichter mit allem Bösen bekannt
macht.
Dem ist leichter geholfen, versetz ich, als wohl ein andrer
Denken möchte. Die Mädchen sind gut und machen sich
gerne
Was zu schaffen. Da gib nur dem einen die Schlüssel zum
Keller,
Daß es die Weine des Vaters besorge, sobald sie, vom
Winzer
Oder vom Kaufmann geliefert, die weiten Gewölbe be-
reichern.
Manches zu schaffen hat ein Mädchen, die vielen Gefäße,
Leere Fässer und Flaschen in reinlicher Ordnung zu halten.
Dann betrachtet sie oftdes schäumenden Mostes Bewegung,
Gießt das Fehlende zu, damit die wallenden Blasen
Leicht die Öffnung des Fasses erreichen, trinkbar und helle
Endlich der edelste Saft sich künftigen Jahren vollende.
Unermüdet ist sie alsdann, zu füllen, zu schöpfen,
Daß stets geistig der Trank und rein die Tafel belebe.
Laß der andern die Küche zum Reich; da gibt es, wahr-
haftig!
Arbeit genug, das tägliche Mahl durch Sommer und Winter
Schmackhaft stets zu bereiten und ohne Beschwerde des
Beutels.
Denn im Frühjahr sorget sie schon, im Hofe die Küchlein
Bald zu erziehen imd bald die schnatternden Enten zu
füttern.
1794/7 WEIMAR 337
Alles, was ihr die Jabrszeit gibt, das bringt sie beizeiten
Dir auf den Tisch und weiß mit jeglichem Tage die Speisen
Klug zu wechseln, und reift nur eben der Sommer die
Früchte,
Denkt sie an Vorrat schon für den Winter. Im kühlen
Gewölbe
Gärt ihr der kräftige Kohl, und reifen im Essig die Gurken;
Aber die luftige Kammer bewahrt ihr die Gaben Pomonens.
Gerne nimmt sie das Lob vom Vater und allen Geschwistern;
Und mißlingt ihr etwas, dann ists ein größeres Unglück,
Als wenn dir ein Schuldner entläuft und den Wechsel
zurückläßt.
Immer ist so das Mädchen beschäftigt und reifet im stillen
Häuslicher Tugend entgegen, den klugen Mann zu be-
glücken.
Wünscht sie dann endlich zu lesen, so wählt sie gewißlich
ein Kochbuch,
Deren hunderte schon die eifrigen Pressen uns gaben.
Eine Schwester besorget den Garten, der schwerlich zur
Wildnis,
Deine Wohnung romantisch und feucht zu umgeben, ver-
dammt ist,
Sondern in zierliche' Beete geteilt, als Vorhof der Küche,
Nützliche Kräuter ernährt und jugendbeglückende Früchte.
Patriarchalisch erzeuge so selbst dir ein kleines gedrängtes
Königreich und bevölkre dein Haus mit treuem Gesinde.
Hast du der Töchter noch mehr, die liebersitzen und stille
Weibliche Arbeit verrichten, da ists noch besser; die Nadel
Ruht im Jahre nicht leicht: denn, noch so häuslich im
Hause,
Mögen sie öffentlich gern als müßige Damen erscheinen.
Wie sich das Nähen imd Flicken vermehrt, das W^aschen
und Biegein,
Hundertfältig, seitdem in weißer arkadischer Hülle
Sich das Mädchen gefällt, mit langen Röcken und Schleppen
Gassen kehret und Gärten, und Staub erreget im Tanzsaal.
Wahrlich! wären mir nur der Mädchen ein Dutzend im
Hause,
GOETHE XIV aa.
33» LYRISCHE DICHTUNGEN
Niemals war ich verlegen um Arbeit, sie machen sich
Arbeit
Selber genug; es sollte kein Buch im Laufe des Jahres
Über die Schwelle mir kommen, vom Bücherverleiher ge-
sendet.
[Bruchstück einer Epistel]
Auch die undankbare Natur der menschlichen Seele
Immer zu weiden, mit Gutem zu füllen und immer zu
sättgen.
Was nur wiederkehrend die Kreise des wandlenden Jahres
Auch an Früchten uns bringen und mannigfaltiger Anmut
Denn der Körper verlangt und ist bequem zu ersättgen:
Fülle bringt ihm das Jahr an wiederkehrenden Früchten,
Und die Erde ernähret ihm tausendfältige Nahrung.
Auch es ist ihm vergönnt, sich in dem Garten der Liebe
Reichlich zu weiden imd freudenvertauschend sich schön
zu erquicken.
Aber die Seele begehrt, und sie wird nimmer befriedigt.
Denn sie bildet sich ein, sie sei von höherem Ursprung,
Durch ein unwürdiges Band an ihren Gatten gefesselt.
Da beträgt sie sich übel im Hause; die hohen Verwandten
Liegen ihr immer im Sinn, und Sehnen nach Palästen
Läßt ihr keine Ruh und raubt ihr den zärtlichen Anteil
An dem stilleren Haushalt und an der engeren Wohnung;
Ja, sie verachtet sogar die eigenen Kinder des Gatten. .,.
MEERES STILLE
TIEFE Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regimg ruht das Meer, '^
Und bekümmert sieht der Schififer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der Ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.
1794/7 WEIMAR 339
GLÜCKLICHE FAHRT
DIE Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!
MIGNON
HEISS mich nicht reden, heiß mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht.
Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf
Die finstre Nacht, vmd sie muß sich erhellen;
Der harte Fels schließt seinen Busen auf,
Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen.
Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh,
Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen;
Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu,
Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.
HARFENSPIELER
AN die Türen will ich schleichen,
Still und sittsam will ich stehn;
Fromme Hand wird Nahrung reichen.
Und ich werde weitergehn.
Jeder wird sich glücklich scheinen.
Wenn mein Bild vor ihm erscheint;
Eine Träne wird er weinen,
Und ich weiß nicht, was er weint.
340 LYRISCHE DICHTUNGEN
PHILINE
SINGET nicht in Trauertönen
Von der Einsamkeit der Nacht;
Nein, sie ist, o holde Schönen,
Zur Geselligkeit gemacht.
Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die schönste Hälfte war,
Ist die Nacht das halbe Leben,
Und die schönste Hälfte zwar.
Könnt ihr euch des Tages freuen,
Der nur Freuden unterbricht?
Er ist gut, sich zu zerstreuen,
Zu was anderm taugt er nicht.
Aber wenn in nächtger Stunde
Süßer Lampe Dämmrung fließt,
Und vom Mund zum nahen Munde
Scherz und Liebe sich ergießt;
Wenn der rasche lose Knabe,
Der sonst wild und feurig eilt,
Oft bei einer kleinen Gabe
Unter leichten Spielen weilt;
Wenn die Nachtigall Verliebten
Liebevoll ein Liedchen singt.
Das Gefangnen und Betrübten
Nur wie Ach und Wehe klingt:
Mit wie leichtem Herzensregen
Horchet ihr der Glocke nicht.
Die mit zwölf bedächtgen Schlägen
Ruh imd Sicherheit verspricht!
Darum an dem langen Tage
Merke dir es, liebe Brust:
Jeder Tag hat seine Plage,
Und die Nacht hat ihre Lust.
1794/7 WEIMAR 341
AN DIE ERWÄHLTE
HAND in Hand! und Lipp auf Lippe!
Liebes Mädchen, bleibe treu!
Lebe wohl! und manche Klippe
Fährt dein Liebster noch vorbei;
Aber wenn er einst den Hafen,
Nach dem Sturme, wieder grüßt,
Mögen ihn die Götter strafen,
Wenn er ohne dich genießt.
Frisch gewagt ist schon gewonnen,
Halb ist schon mein Werk vollbracht!
Sterne leuchten mir wie Sonnen,
Nur dem Feigen ist es Nacht.
War ich müßig dir zur Seite,
Drückte noch der Kummer mich;
Doch in aller dieser Weite
Wirk ich rasch und nur für dich.
Schon ist mir das Tal gefunden.
Wo wir einst zusammen gehn
Und den Strom in Abendstunden
Sanft hinunter gleiten sehn.
Diese Pappeln auf den Wiesen,
Diese Buchen in dem Hain!
Ach, und hinter allen diesen
Wird doch auch ein Hüttchen sein.
NÄHE DES GELIEBTEN
ICH denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
342 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O wärst du da!
WER KAUFT LIEBESGÖTTER?
VON allen schönen Waren,
Zum Markte hergefahren.
Wird keine mehr behagen,
Als die wir euch getragen
Aus fremden Ländern bringen.
O höret, was wir singen!
Und seht die schönen Vögel,
Sie stehen zum Verkauf.
Zuerst beseht den großen.
Den lustigen, den losen!
Er hüpfet leicht und munter
Von Baum und Busch herunter;
Gleich ist er wieder droben.
Wir wollen ihn nicht loben.
O seht den muntern Vogel!
Er steht hier zum Verkauf.
Betrachtet nun den kleinen,
Er will bedächtig scheinen,
Und doch ist er der lose.
So gut als wie der große;
Er zeiget meist im stillen
Den allerbesten Willen.
Der lose kleine Vogel,
Er steht hier zum Verkauf.
1794/7 WEIMAR 343
O seht das kleine Täubchen,
Das liebe Turtelweibchen!
Die Mädchen sind so zierlich,
Verständig und manierlich;
Sie mag sich gerne putzen
Und eure Liebe nutzen.
Der kleine zarte Vogel,
Er steht hier zum Verkauf.
Wir wollen sie nicht loben,
Sie stehn zu allen Proben.
Sie lieben sich das Neue;
Doch über ihre Treue
Verlangt nicht Brief und Siegel,
Sie haben alle Flügel.
Wie artig sind die Vögel,
Wie reizend ist der Kauf!
TRIUMPH DER SCHULE
WELCH erhabner Gedanke! Uns lehrt der unsterb-
liche Meister,
Künstlich zu teilen den Strahl, den wir nur einfach
gekannt.
DER GEGNER
NEU ist der Einfall doch nicht, man hat ja selber den
höchsten,
Einzigsten, reinsten BegriflF Gottes in Teile geteilt.
VOSSENS ALMANACH
IMMER zu, du redlicher Voß! Beim neuen Kalender
Nenne der Deutsche dich doch, der dich im Jahre
vergißt.
DEUTSCHE MONATSCHRIFT
DEUTSCH in Künsten gewöhnlich heißt mittelmäßig!
und bist du,
Deutscher Monat, vielleicht auch so ein deutsches Pro-
dukt
k
344 LYRISCHE DICHTUNGEN
G. D. Z.
DICH, o Dämon! erwart ich und deine herrschenden
Launen,
Aber im härenen Sack schleppt sich ein Kobold dahin.
URANIA
DEINEN heiligen Namen kann nichts entehren, und
wenn ihn
Auf sein Sudelgefäß Ewald, der frömmelnde, schreibt.
MERKUR
WIELAND zeigt sich nur selten, doch sucht man gern
die Gesellschaft,
Wo sich Wieland auch nur selten, der Seltene, zeigt.
HÖREN. ERSTER JAHRGANG
EINIGE wandeln zu ernst, die andern schreiten ver-
wegen,
Wenige gehen den Schritt, wie ihn das Publikum hält.
MINERVA
TROCKEN bist du und ernst, doch immer die würdige
Göttin,
Und so leihest du auch gerne den Namen dem Heft.
JOURNAL DES LUXUS UND DER MODEN
DU bestrafest die Mode, bestrafest den Luxus, und
beide
Weißt du zu fördern, du bist ewig des Beifalls gewiß.
DIESER MUSENALMANACH
NUN erwartet denn auch für seine herzlichen Gaben,
Liebe Kollegen, von euch unser Kalender den
Dank.
1794/7 WEIMAR 345
ARCHIV DER ZEIT
UNGLÜCKSELIGE Zeit! Wenn aus diesem Archiv
dich die Nachwelt
Schätzet, wie bettelhaft stehst du, wie hektisch vor ihr.
FLORA
FLORA Deutschlands Töchtern gewidmet. O! brächte
Pomona,
Brächte Hymen doch auch Früchte den Guten herbei.
ALLGEMEINE LITERATUR -ZEITUNG
BLIEBE das Echte nur stehen auf deinen Kolumnen,
verschwände
Schiefes und Halbes! Alsdann wäre die Gabe zu groß.
FICHTES WISSENSCHAFTSLEHRE
WAS nicht Ich ist, sagst du, ist nur ein Nicht-Ich.
Getroflfen,
Freund! So dachte die Welt längst und so handelte sie.
(.. TASCHENBUCH
VIELE Läden und Häuser sind offen in südlichen Län-
dern,
Und man sieht das Gewerb, aber die Armut zugleich.
f XENIEN
von Schiller und Goetht
DER ÄSTHETISCHE TORSCHREIBER
HALT, Passagiere! Wer seid ihr? Wes Standes und
Charakteres:
Niemand passieret hier durch, bis er den Paß mir ge-
zeigt.
I
346 LYRISCHE DICHTUNGEN
XENIEN
DISTICHEN sind wir. Wir geben uns nicht für mehr
noch für minder.
Sperre du immer, wir ziehn über den Schlagbaum hin-
weg.
VISITATOR
OFFNET die Koffers. Ihr habt doch nichts Kontre-
bandes geladen?
Gegen die Kirche? den Staat? Nichts von französischem
Gut?
XENIEN
KOFFERS führen wir nicht. Wir führen nicht mehr,
als zwei Taschen
Tragen, und die, wie bekannt, sind bei Poeten nicht
schwer. ^
]
DER MANN MIT DEM KLINGELBEUTEL ^
MESSIEURS! Es ist der Gebrauch: wer diese Straße ,,
bereiset.
Legt für die Dummen was, für die Gebrechlichen ein.
HELF GOn^
DAS verwünschte Gebettel! Es haben die vorderen
Kutschen
Reichlich für uns mit bezahlt. Geben nichts. Kutscher, "
fahr zu.
DER GLÜCKSTOPF
HIER ist Messe, geschwind, packt aus und schmücket
die Bude,
Kommt, Autoren, und zieht, jeder versuche sein Glück.
DIE KUNDEN
WENIGE Treffer sind gewöhnlich in solchen Butiken;
Doch die Hoffnung treibt frisch und die Neu-
gier herbei.
J
I
1794/7 WEIMAR 347
DAS WIDERWÄRTIGE
DICHTER und Liebende schenken sich selbst, doch
Speise voll Ekel!
Dringt die gemeine Natur sich zum Genüsse dir auf!
DAS DESIDERATUM
HÄTTEST du Phantasie und Witz und Empfindung
imd Urteil,
Wahrlich, dir fehlte nicht viel, Wieland und Lessing zu
M sein!
AN EINEN GEWISSEN MORALISCHEN DICHTER
JA, der Mensch ist ein ärmlicher Wicht, ich weiß — doch
das wollt ich
Eben vergessen, und kam, ach, wie gereut michs, zu dir.
FÜR TÖCHTER EDLER HERKUNFT
TÖCHTERN edler Geburt ist dieses Werk zu emp-
fehlen.
Um zu Töchtern der Lust schnell sich befördert zu sehn.
DER KUNSTGRIFF
WOLLT ihr zugleich den Kindern der Welt und den
Frommen gefallen:
Malet die Wollust — nur malet den Teufel dazu.
DER TELEOLOG
WELCHE Verehrung verdient der Weltenschöpfer,
der gnädig.
Als er den Korkbaum schuf, gleich auch die Stöpsel
erfand!
DER ANTIQUAR
WAS ein christliches Auge nur sieht, erblick ich im
Marmor:
Zeus und sein ganzes Geschlecht grämt sich und fürchtet
den Tod.
348 LYRISCHE DICHTUNGEN
DER KENNER
ALTE Vasen und Urnen! Das Zeug wohl könnt ich
entbehren;
Doch ein Majolika-Topf machte mich glücklich und reich.
ERREURS ET VfiRITfi
IRRTUM wolltest du bringen und Wahrheit, o Bote von
Wandsbeck;
Wahrheit, sie war dir zu schwer; Irrtum, den brachtest
du fort!
DER PROPHET
SCHADE, daß die Natur nur einen Menschen aus dir schuf,
Denn zum würdigen Mann war und zum Schelmen
der Stoff.
DAS AMALGAMA
ALLES mischt die Natur so einzig und innig, doch hat sie
Edel- imd Schalksinn hier, ach! nur zu innig ver-
mischt.
DER ERHABENE STOFF
DEINE Muse besingt, wie Gott sich der Menschen er-
barmte,
Aber ist das Poesie, daß er erbärmlich sie fand?
BELSAZER EIN DRAMA
KÖNIG Belsazer schmaust in dem ersten Akte, der
König
Schmaust in dem zweiten, es schmaust fort bis zu Ende
der Fürst.
GEWISSE ROMANHELDEN
OHNE das mindeste nur dem Pedanten zu nehmen, er-
schufst du,
Künstler wie keiner mehr ist, einen vollendeten Geck.
1794/7 WEIMAR 349
PFARRER CYLLENIUS
STILL doch von deinen Pastoren und ihrem Zofen-
französisch,
Auch von den Zofen nichts mehr mit dem Pastoren-
latein!
I
JAMBEN
JAMBE nennt man das Tier mit einem kurzen und langen
Fuß, und so nennst du mit Recht Jamben das hinkende
Werk.
NEUSTE SCHULE
EHMALS hatte man Einen Geschmack. Nun gibt es Ge-
schmäcke;
Aber sagt mir, wo sitzt dieser Geschmäcke Geschmack?
AN DEUTSCHE BAULUSTIGE
KAMTSCH ADALISCH lehrt man euch bald die Zim-
mer verzieren,
Und doch ist manches bei euch schon kamtschadalisch
genug.
AFFICHE
STILLE kneteten wir Salpeter, Kohlen und Schwefel,
Bohrten Röhren; gefall nun auch das Feuerwerk
euch.
ZUR ABWECHSLUNG
EINIGE steigen als leuchtende Kugeln, und andere
zünden,
Manche auch werfen wir nur spielend, das Aug zu er-
freun.
DER ZEITPUNKT
EINE große Epoche hat das Jahrhundert geboren,
Aber der große Moment findet ein kleines Geschlecht.
350 LYRISCHE DICHTUNGEN
COLONES ZEITALTER
OB die Menschen im ganzen sich bessern? Ich glaub es,
denn einzeln,
Suche man, ,wie man auch will, sieht man doch gar
nichts davon.
MANSO, VON DEN GRAZIEN
HEXEN lassen sich wohl durch schlechte Sprüche
zitieren,
Aber die Grazie kommt nur auf der Grazie Ruf.
TASSOS JERUSALEM, VON DEMSELBEN
EIN asphaltischer Sumpf bezeichnet hier noch die Stätte,
Wo Jerusalem stand, das uns Torquato besang.
DIE KUNST, ZU LIEBEN
AUCH zum Lieben bedarfst du der Kunst? Unglück-
licher Manso,
Daß die iVa/wr auch nichts, gar nichts für dich noch getan!
DER SCHULMEISTER ZU BRESLAU
IN langweiligen Versen und abgeschmackten Gedanken
Lehrt ein Präzeptor uns hier, wie man gefällt und ver-
führt.
AMOR ALS SCHULKOLLEGE
WAS das entsetzlichste sei von allen entsetzlichen
Dingen?
Ein Pedant, den es juckt, locker und lose zu sein.
DER ZWEITE OVID
ARMER Naso, hättest du doch wie Manso geschrieben,
Nimmer, du guter Gesell, hättest du Tomi gesehn.
DAS UNVERZEIHLICHE
ALLES kann mißlingen, wir könnens ertragen, ver-
geben;
Nur nicht, was sich bestrebt, reizend imd lieblich zu sein.
1794/7 WEIMAR 351
PROSAISCHE REIMER
WIELAND, wie reich ist dein Geist! Das kann man
nun erst empfinden,
Sieht man, wie fad und wie leer dein caput mortuutn ist.
^ JEAN PAUL RICHTER
HIELTEST du deinen Reichtum nur halb so zu Rate,
wie jener
Seine Armut, du wärst unsrer Bewimderung wert.
AN SEINEN LOBREDNER
MEINST du, er werde größer, wenn du die Schultern
ihm leihest?
Er bleibt klein wie zuvor, du hast den Höcker davon.
FEINDLICHER EINFALL
FORT ins Land der Philister, ihr Füchse mit brennen-
den Schwänzen,
jbt Und verderbet der Herrn reife papierene Saat!
NEKROLOG
UNTER allen, die von uns berichten, bist du mir der
liebste;
t. Wer sich lieset in dir, liest dich, zum Glücke nicht mehr.
" BIBLIOTHEK SCHÖNER WISSENSCHAFTEN
JAHRELANG schöpfen wir schon in das Sieb und brüten
den Stein aus,
Aber der Stein wird nicht warm, aber das Sieb wird
nicht voll.
DIESELBE
INVALIDEN Poeten ist dieser Spittel gestiftet,
Gicht imd Wassersucht wird hier von der Schwind-
sucht gepflegt.
DIE NEUESTEN GESCHMACKSRICHTER
DICHTER, ihr armen, was müßt ihr nicht alles hören,
damit nur
^ Sein Exerzitium schnell lese gedruckt der Student!
I
352 LYRISCHE DICHTUNGEN
AN SCHWÄTZER UND SCHMIERER
TREIBET das Handwerk nur fort, wir könnens euch
freilich nicht legen;
Aber nihig, das glaubt, treibt ihr es künftig nicht mehr.
GUERRE OUVERTE
LANGE neckt ihr uns schon, doch immer heimlich und
tückisch;
Krieg verlangtet ihr ja, führt ihn mm offen, den Krieg.
AN GEWISSE KOLLEGEN
ÖGT ihr die schlechten Regenten mit strengen
Worten verfolgen,
Aber schmeichelt doch auch schlechten Autoren nicht
mehr!
M
AN DIE HERREN N. O. P.
EUCH bedaur ich am meisten, ihr wähltet gerne das Gute,
Aber euch hat die Natur gänzlich das Urteil versagt.
DER KOMMISSARIUS DES JÜNGSTEN GERICHTS
NACH Kalabrien reist er, das Arsenal zu besehen.
Wo man die Artillerie gießt zu dem Jüngsten Ge-
richt.
KANT UND SEINE AUSLEGER
IE doch ein einziger Reicher so viele Bettler in
Nahrung
Setzt! Wenn die Könige baun. haben die Kärrner zu tun.
V7
J-B.
STEIL wohl ist er, der Weg zur Wahrheit, und schlüpfrig
zu steigen,
Aber wir legen ihn doch nicht gern auf Eseln zurück.
DIE STOCKBLINDEN
BLINDE, weiß ich wohl, fühlen, und Taube sehen viel
schärfer;
Aber mit welchem Organ philosophiert denn das Volk?
1794/7 WEIMAR 353
F ANALYTIKER
IST denn die Wahrheit ein Zwiebel, von dem man die
Häute nur abschält?
Was ihr hinein nicht gelegt, ziehet ihr nimmer heraus.
DER GEIST UND DER BUCHSTABE
^
LANGE kann man mit Marken, mit Rechenpfennigen
zahlen;
J Endlich, es hilft nichts, ihr Herrn, muß man den Beutel
doch ziehn.
WISSENSCHAFTLICHES GENIE
WIRD der Poet nur geboren? Der Philosoph wirds
nicht minder.
Alle Wahrheit zuletzt wird nur gebildet, geschaut.
DIE BORNIERTEN KÖPFE
ETWAS nützet ihr doch: die Vernunft vergißt des Ver-
standes
Schranken so gern, und die stellet ihr redlich uns dar.
BEDIENTENPFLICHT
REIN zuerst sei das Haus, in welchem die Königin
einzieht ;
Frisch denn, die Stuben gefegt! dafür, ihr Herrn, seid
ihr da.
UNGEBÜHR
ABER, erscheint sie selbst — hinaus vor die Türe,
Gesinde!
Auf den Sessel der Frau pflanze die Magd sich nicht
hin.
WISSENSCHAFT
EINEM ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem
andern
Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt.
GOETHE XI V 33.
354 LYRISCHE DICHTUNGEN
AN KANT
VORNEHM nennst du den Ton der neuen Propheten?
Ganz richtig;
Vornehm philosophiert, heißt: wie Roture gedacht.
DER KURZWEILIGE PHILOSOPH
EINE spaßhafte Weisheit doziert hier ein lustiger Dok-
tor,
Bloß dem Namen nach Ernst ^ und in dem lustigsten
Saal.
VERFEHLTER BERUF
SCHADE, daß ein Talent hier auf dem Katheder ver-
hallet,
Das auf höherm Gerüst hätte zu glänzen verdient.
DAS PHILOSOPHISCHE GESPRÄCH
EINER, das höret man wohl, spricht nach dem andern,
doch keiner
Mit dem andern; wer nennt zwei Monologen Gespräch?
DAS PRIVILEGIUM
DICHTER und Kinder, man gibt sich mit beiden nur
ab, um zu spielen;
Nim, so erboset euch nicht, wird euch die Jugend zu
laut.
J
LITERARISCHER ZODIAKUS
ETZO, ihr Distichen, nehmt euch zusammen, es tut
sich der Tierkreis
Grauend euch auf; mir nach, Kinder! wir müssen hin-
durch.
ZEICHEN DES WIDDERS
AUF den Widder stoßt ihr zunächst, den Führer der
Schafe;
Aus dem Dykischen Pferch springet er trotzig hervor.
, 1794/7 WEIMAR 355
* ZEICHEN DES STIERS
NEBENAN gleich empfängt euch sein Namensbruder;
mit stumpfen
Hörnern, weicht ihr nicht aus, stößt euch dtx Hallische
Ochs.
ZEICHEN DES FUHRMANNS
ALSOBALD knallet in G** des Reiches würdiger
Schwager;
Zwar er nimmt euch nicht mit, aber er fährt doch vorbei.
ZEICHEN DER ZWILLINGE
KOMMT ihr den Zwillingen nah, so sprecht nur: Ge-
lobet sei J —
C — ! "In Ewigkeit" gibt man zimi Gruß euch zurück.
ZEICHEN DES BARS
NÄCHST daran strecket der Bär zu K** die bleier-
nen Tatzen
Gegen euch aus, doch er fängt euch nur die Fliegen
vom Kleid.
ZEICHEN DES KREBSES
GEHT mir dem Krebs in B*** aus dem Weg; manch
lyrisches Blümchen,
Schwellend in üppigem Wuchs, kneipte die Schere zu
Tod.
ZEICHEN DES LÖWEN
JETZO nehmt euch in acht vor dem wackem Eutini-
schen Leuen,
Daß er mit griechischem Zahn euch nicht verwunde
den Fuß.
ZEICHEN DER JUNGFRAU
BÜCKET euch, wie sichs geziemt, vor der zierlichen Jung-
frau zu Weimar-,
Schmollt sie auch oft— wer verzeiht Launen der Grazie
nicht?
3S6 LYRISCHE DICHTUNGEN
ZEICHEN DES RABEN
VOR dem Raben nur sehet euch vor, der hinter ihr
krächzet;
Das Nekrologische Tier setzt auf Kadaver sich nur.
LOCKEN DER BERENICE
SEHET auch, wie ihr in S*** den groben Fäusten ent-
schlüpfet,
Die Berenices Haar striegeln mit eisernem Kamm.
ZEICHEN DER WAGE
JETZO wäre der Ort, daß ihr die Wage beträtet;
Aber dies Zeichen ward längst schon am Himmel ver-
mißt.
ZEICHEN DES SKORPIONS
ABER nun kommt ein böses Insekt aus G — b— n her,
Schmeichelnd naht es; ihr habt, flieht ihr nicht
eilig, den Stich.
OPHIUCHUS
DROHEND hält euch die Schlang jetzt Ophiuchus
entgegen;
Fürchtet sie nicht, es ist nur der getrocknete Balg
ZEICHEN DES SCHÜTZEN
SEID ihr da glücklich vorbei, so naht euch dem zielen-
den Hofrat
Schütz nur getrost, er liebt und er versteht auch den
Spaß.
GANS
LASST sodann ruhig die Gans in L***g und G**a
gagagen;
Die beißt keinen, es quält nur ihr Geschnatter das Ohr.
ZEICHEN DES STEINBOCKS
IM Vorbeigehn stutzt mir den alten Berlinischen Stein-
bock;
Das verdrießt ihn; so gibts etwas zu lachen fürs Volk.
I
1704/7 WEIMAR 357
ZEICHEN DES PEGASUS
ABER seht ihr in B**** den Grad^ ad Parnassum, so
bittet
Höflich ihm ab, daß ihr euch eigene Wege gewählt.
ZEICHEN DES WASSERMANNS
ÜBRIGENS haltet euch ja von dem Dr***r Wasser-
mann ferne,
Daß er nicht über euch her gieße den Elbestrom aus.
ERIDANUS
AN des Eridanus Ufern imigeht mir die furchtbare
Waschfrau,
Welche die Sprache des Teut säubert mit Lauge und
Sand.
FISCHE
SEHT ihr in Leipzig die Fischlein, die sich in Sulzers
Zisterne
Regen, so fangt euch zur Lust einige Grundein heraus.
DER FLIEGENDE FISCH
NECKT euch in Breslau der fliegende Fisch, erwar-
tets geduldig;
In sein wäßrigtes Reich zieht ihn Neptun bald hinab.
GLÜCK AUF DEN WEG
MANCHE Gefahren umringen euch noch, ich hab sie
verschwiegen;
Aber wir werden uns noch aller erinnern — niu: zu!
DIE AUFGABE
WEM die Verse gehören? Ihr werdet es schwerlich
erraten;
Sondert, wenn ihr nun könnt, o Chorizonten, auch hier!
358 LYRISCHE DICHTUNGEN
WOHLFEILE ACHTUNG
SELTEN erhaben und groß und selten würdig der Liebe,
Lebt er doch immer, der Mensch, und wird geehrt
und geliebt.
DAS DEUTSCHE REICH
DEUTSCHLAND? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land
nicht zu finden;
Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.
z
DEUTSCHER NATIONALCHARAKTER
UR Nation euch zu bilden, ihr hofifet es, Deutsche,
vergebens;
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.
DONAU IN B**
BACCHUS der lustige führt mich und Komus der fette
durch reiche
Triften, aber verschämt bleibet die Charis zurück.
AN DEN LESER
LIES uns nach Laune, nach Lust, in trüben, in fröhlichen
Stunden,
Wie uns der gute Geist, wie uns der böse gezeugt.
V
GEWISSEN LESERN
lELE Bücher genießt ihr, die ungesalzen; verzeihet,
Daß dies Büchelchen uns überzusalzen beliebt.
z
DIALOGEN AUS DEM GRIECHISCHEN
UR Erbauung andächtiger Seelen hat F*** S***,
Graf und Poet und Christ, diese Gespräche ver-
deutscht.
A
DER ERSATZ
LS du die griechischen Götter geschmäht, da warf
dich Apollo
Von dem Parnasse; dafür gehst du ins Himmelreich ein.
1794/7 WEIMAR 359
DER MODERNE HALBGOTT
CHRISTLICHER Herkules, du ersticktest so gerne die
Riesen;
Aber die heidnische Brut steht, Herkuliskus! noch fest.
I
CHARIS
ST dies die Frau des Künstlers Vulkan? Sie spricht von
dem Handwerk,
Wie es des Roturiers adliger Hälfte geziemt.
w
NACHBILDUNG DER NATUR
AS nur Einer vermag, das sollte nur Einer uns
schildern:
Voß nur den Pfarrer und nur Iffland den Förster allein.
NACHÄFFER
ABER da meinen die Pfuscher, ein jeder Schwarzrock
und Grünrock
Sei, auch an und für sich, unsrer Beschauung schon wert.
1
KLINGKLANG
N der Dichtkunst hat er mit Worten herzlos geklingelt,
In der Philosophie treibt er es pfäffisch so fort.
AN GEWISSE UMSCHOPFER •
"V TICHTS soll werden das Etwas, daß Nichts sich zu
1 N Etwas gestalte;
Laß das Etwas nur sein! nie wird zu Etwas das Nichts.
AUFMUNTERUNG
DEUTSCHLAND fragt nach Gedichten nicht viel; ihr
kleinen Gesellen,
Lärmt, bis jeglicher sich wundernd ans Fenster begibt.
A
DAS BRÜDERPAAR
LS Zentauren gingen sie einst durch poetische Wälder,
Aber das wilde Geschlecht hat sich geschwinde be-
kehrt.
36o LYRISCHE DICHTUNGEN
TT**
HÖRE den Tadler! Du kannst, was er noch vermißt,
dir erwerben;
Jenes, was nie sich erwirbt, freue dich! gab dir Natur.
DER LEVIATHAN UND DIE EPIGRAMME
FÜRCHTERLICH bist du im Kampf, nur brauchst du
etwas viel Wasser;
Aber versuch es einmal, Fisch, in den Lüften mit tms.
LUISE VON VOSS
WAHRLICH, es füllt mit Wonne das Herz, dem Ge-
sänge zu horchen.
Ahmt ein Sänger, wie der. Töne des Altertums nach.
JUPITERS KETTE
HÄNGEN auch alle Schmierer tmd Reimer sich an dich,
sie ziehen
Dich nicht hinunter; doch du ziehst sie auch schwerlich
hinauf.
AUS EINER DER NEUESTEN EPISTELN
KLOPSTOCK, der ist mein Mann, der in neue Phrasen
gestoßen,
Was er im höllischen Pfuhl Hohes und Großes vernahm.
B**S TASCHENBUCH
EINE Kollektion von Gedichten.^ Eine Kollekte
Nenn es, der Armut zulieb und bei der Armut gemacht.
EIN DEUTSCHES MEISTERSTÜCK
ALLES an diesem Gedicht ist vollkommen, Sprache,
Gedanke,
Rhythmus; das Einzige nur fehlt noch: es ist kein Gedicht.
UNSCHULDIGE SCHWACHHEIT
UNSRE Gedichte nur triflft dein Spott?" O schätzet
euch glücklich,
Daß das Schlimmste an euch eure Erdichtungen sind.
^ 1794/7 WEIMAR 361
i
DAS NEUESTE AUS ROM
RAUM und Zeit hat man wirklich gemalt; es steht zu
erwarten,
Daß man mit ähnlichem Glück nächstens die Tugend
tms tanzt.
DEUTSCHES LUSTSPIEL
tten wir wohl, wir hätten Fratz
Leider helfen sie nur selbst zur Komödie nichts.
^T^OREN hätten wir wohl, wir hätten Fratzen die Menge;
DAS MÄRCHEN
MEHR als zwanzig Personen sind in dem Märchen
geschäftig.
"Nun, und was machen sie denn alle?" Das Märchen,
mein Freund.
FRIVOLE NEUGIER
DAS verlohnte sich auch, den delphischen Gott zu be-
mühen,
Daß er dir sage, mein Freund, wer der Armenier war.
BEISPIELSAMMLUNG
NICHT bloß Beispielsammlung, nein, selber ein war-
nendes Beispiel,
Wie man nimmermehr soll sammeln für guten Ge-
schmack.
MIT ERLAUBNIS
"K TIMMS nicht übel, daß nun auch deiner gedacht wird!
1 N Verlangst du
Das Vergnügen umsonst, daß man den Nachbar vexiert?
DER SPRACHFORSCHER
ANATOMIEREN magst du die Sprache, doch nur ihr
Kadaver;
Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skal-
pell.
362 LYRISCHE DICHTUNGEN
GESCHICHTE EINES DICKEN MANNES
(Man sehe die Rezension davon in der N. deutschen Bibliothek.)
DIESES Werk ist diirchaus nicht in Gesellschaft zu
lesen,
Da es, wie Rezensent rühmet, die Blähungen treibt.
ANEKDOTEN VON FRIEDRICH H.
VON dem unsterblichen Friedrich, dem Einzigen,
handelt in diesen
Blättern der zehenmalzehn tausendste sterbliche Fritz.
LITERATURBRIEFE
AUCH Nicolai schrieb an dem trefflichen Werk? Ich
wills glauben;
Mancher Gemeinplatz auch steht in dem trefiflichen
Werk.
GEWISSE MELODIEN
DIES ist Musik fürs Denken! Solang man sie hört,
bleibt man eiskalt;
Vier, fünf Stunden daraufmacht sie erst rechten Effekt.
I
ÜBERSCHRIFTEN DAZU
FROSTIG und herzlos ist der Gesang, doch Sänger und
Spieler
. Werden oben am Rand höflich zu fühlen ersucht.
DER BÖSE GESELLE
DICHTER, bitte die Musen, vor ihm dein Lied zu be-
wahren!
Auch dein leichtestes zieht nieder der schwere Gesang.
KARL VON KARLSBERG
WAS der berühmte Verfasser des 'Menschlichen
Elends' verdiene?
Sich in der Charit^ gratis verköstigt zu sehn.
1794/7 WEIMAR 363
i SCHRIFTEN FÜR DAMEN UND KINDER
BIBLIOTHEK für das andre Geschlecht, nebst Fabeln
für Kinder":
Also für Kinder nicht, nicht für das andre Geschlecht.
DIESELBE
IMMER für Weiber und Kinder! Ich dächte, man schriebe
für Männer
Und überließe dem Mann Sorge für Frau und für Kind!
GESELLSCHAFT VON SPRACHFREUNDEN
Owie schätz ich euch hoch! Ihr bürstet sorglich die
Kleider
Unsrer Autoren, und wem fliegt nicht ein Federchen an?
DER PURIST
SINNREICH bist du, die Sprache von fremden Wörtern
zu säubern;
Nun, so sage doch, Freund, wie man Pedant uns
verdeutscht.
VERNÜNFTIGE BETRACHTUNG
WARUM plagen wir einer den andern? Das Leben
zerrinnet,
Und es versammelt uns nur einmal wie heute die Zeit.
AN**
GERNE plagt ich auch dich, doch es will mir mit dir
nicht gelingen;
Du bist zum Ernst mir zu leicht, bist für den Scherz
mir zu plump.
AN***
NEIN! Du erbittest mich nicht. Du hörtest dich gerne
verspottet.
Hörtest du dich nur genannt; darum verschon ich dich,
Freund.
I
364 LYRISCHE DICHTUNGEN
GARVE
HÖR ich über Geduld dich, edler Leidender, reden,
O wie wird mir das Volk frömmelnder Schwätzer
verhaßt.
AUF GEWISSE ANFRAGEN
jB dich der Genius ruft? Ob du dem rufenden folgest:
wenn du mich fragst — nein! Folge dem rufen-
den nicht.
OB die
Ja,
STOSSGEBET
VOR dem Aristokraten in Lumpen bewahrt mich, ihr
Götter,
Und vor dem Sanscülott auch mit Epauletten und Stern.
DISTINKTIONSZEICHEN
UNBEDEUTEND sind doch auch manche von euren
Gedichtchen!-
Freilich, zu jeglicher Schrift braucht man auch Komma
und Punkt.
DIE ADRESSEN
ALLES ist nicht für alle, das wissen wir selber; doch
nichts ist
Ohne Bestimmung, es nimmt jeder sich selbst sein
Paket.
SCHÖPFUNG DURCH FEUER
ARME basaltische Säulen! Ihr solltet dem Feuer ge-^
hören, .'|
Und doch sah euch kein Mensch je aus dem Feuer
entstehn.
MINERALOGISCHER PATRIOTISMUS
JEDERMANN schürfte bei sich auch nach Basalten und
Lava,
Denn es klinget nicht schlecht: hier ist vulkanisch
Gebirg!
1794/7 WEIMAR 365
KURZE FREUDE
ENDLICH zog man sie wieder ins alte Wasser herunter,
Und es löscht sich nun bald dieser entzündete Streit.
DIE MÖGLICHKEIT
LIEGT der Irrtum nur erst, wie ein Grundstein, unten
im Boden,
Immer baut man darauf, nimmermehr kommt er an Tag.
WIEDERHOLUNG
HUNDERTMAL werd ichs euch sagen und tausendmal:
Irrtum ist Irrtum!
Ob ihn der größte Mann, ob ihn der kleinste beging.
WER GLAUBTS?
NEWTON hat sich geirrt?" Ja, doppelt und dreifach!
"Und wie denn?"
Lange steht es gedruckt, aber es liest es kein Mensch.
DER WELT LAUF
DRUCKEN fördert euch nicht, es unterdrückt euch
die Schule;
Aber nicht immer, imd dann geben sie schweigend
sich drein.
HOFFNUNG
ALLEN habt ihr die Ehre genommen, die gegen euch
zeugten;
Aber dem Märtyrer kehrt späte sie doppelt zurück.
EXEMPEL
SCHON Ein Irrlicht sah ich verschwinden, dich, Phlo-
giston! Bälde,
O Newtonisch Gespenst! folgst du dem Brüderchen nach.
DER LETZTE MÄRTYRER
AUCH mich bratet ihr noch als Huß vielleicht, aber
wahrhaftig!
Lange bleibet der Schwan, der es vollendet, nicht aus.
366 LYRISCHE DICHTUNGEN
MENSCHLICHKEITEN
LEIDLICH hat Newton gesehen, und falsch geschlossen;
am Ende
Blieb er, ein Brite, verstockt, schloß er, bewies er so fort.
UND ABERMALS MENSCHLICHKEITEN
SEINE Schüler hörten nun auf, zu sehn und zu schließen.
Referierten getrost, was er auch sah und bewies.
DER WIDERSTAND
ARISTOKRATISCH gesinnt ist mancher Gelehrte;
denn gleich ists,
Ob man auf Helm und Schild oder auf Meinungen ruht.
NEUESTE FARBENTHEORIE VON WÜNSCH
GELBROT und Grün macht das Gelbe, Grün und
Violblau das Blaue!
So wird aus Gurkensalat wirklich der Essig erzeugt!
DAS MITTEL
WARUM sagst du uns das in Versen?" Die Verse
sind wirksam;
Spricht man in Prosa zu euch, stopft ihr die Ohren
euch zu.
MORALISCHE ZWECKE DER POESIE
BESSERN, bessern soll uns der Dichter!" So darf denn
auf eurem
Rücken des Büttels Stock nicht einen Augenblick ruhn?
SEKTIONS -WUT
LEBEND noch exenterieren sie euch, und seid ihr
gestorben,
Passet im Nekrolog noch ein Prosektor euch auf.
KRITISCHE STUDIEN
SCHNEIDET, schneidet, ihr Herrn, durch Schneiden
lernet der Schüler;
Aber wehe dem Frosch, der euch den Schenkel muß leihn !
1794/7 WEIMAR 367
NATURFORSCHER UND TRANSZENDENTAL-
PHILOSOPHEN
FEINDSCHAFT sei zwischen euch, noch kommt das
Bündnis zu frühe;
Wenn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahr-
heit erkannt,
AN DIE VOREILIGEN VERBINDUNGSSTIFTER
JEDER wandle für sich und wisse nichts von dem
andern;
Wandeln nur beide gerad, finden sich beide gewiß.
DER TREUE SPIEGEL
REINER Bach, du entstellst nicht den Kiesel, du bringst
ihn dem Auge
Näher; so seh ich die Welt, ***, wenn du sie be-
schreibst.
NICOLAI
"X TICOLAI reiset noch immer, noch lang wird er reisen,
1 N Aber ins Land der Vernunft findet er nimmer
den Weg.
DER WICHTIGE
SEINE Meinung sagt er von seinem Jahrhundert, er
sagt sie.
Nochmals sagt er sie laut, hat sie gesagt und geht ab.
M
DER PLAN DES WERKS
EINE Reis* ist ein Faden, an dem ich drei Lustra
die Deutschen
Nützlich führe, so wie formlos die Form mirs gebeut.
FORMALPHILOSOPHIE
ALLEN Formen macht er den Krieg; er weiß wohl,
zeitlebens
Hat er mit Müh und Not Stoff nur zusammengeschleppt.
368 LYRISCHE DICHTUNGEN
DER TODFEIND
WILLST du alles vertilgen, was deiner Natur nicht
gemäß ist,
Nicolai, zuerst schwöre dem Schönen den Tod!
Q.
PHILOSOPHISCHE QUERKÖPFE
UERKOPF!" schreiet ergrimmt in unsere Wälder
Herr Nickel;
"Leerkopfl" schallt es darauf lustig zum Walde heraus.
EMPIRISCHER QUERKOPF
ARMER empirischer Teufel! Du kennst nicht einmal
das Dumme
In dir selber, es ist, ach! a priori so dumm.
DER QUELLENFORSCHER
NICOLAI entdeckt die Quellen der Donau! Welch
Wunder!
Sieht er gewöhnlich doch sich nach der Quelle nicht
um.
DERSELBE
NICHTS kann er leiden, was groß ist und mächtig; drum,
herrliche Donau,
Spürt dir der Häscher so lang nach, bis er seicht dich
ertappt.
N. REISEN XL BAND, S. 177.
A propos Tübingen! Dort sind Mädchen, die tragen
-^^ die Zöpfe
Lang geflochten; auch dort gibt man die Hören heraus.
DER GLÜCKLICHE
SEHEN möcht ich dich, Nickel, wenn du ein Späßchen
erhaschest
Und, von dem Fund entzückt, drauf dich im Spiegel
besiehst.
1794/7 WEIMAR 369
VERKEHRTE WIRKUNG
n ÜHRT sonst einen der Schlag, so stockt die Zunge
Iv gewöhnlich;
Dieser, so lange gelähmt, schwatzt nur geläufiger fort.
PFAHL IM FLEISCH
"V TENNE Lessing nur nicht, der Gute hat vieles ge-
1 N litten,
Und in des Märtyrers Kranz warst du ein schrecklicher
Dorn.
DIE HÖREN AN NICOLAI
UNSERE Reihen störtest du gern, doch werden wir
wandeln;
Und du tappe denn auch, plumper Geselle! so fort.
FICHTE UND ER
FREILICH tauchet der Mann kühn in die Tiefe des
Meeres,
Wenn du, auf leichtem Kahn, schwankest und Heringe
fängst.
BRIEFE ÜBER ÄSTHETISCHE BILDUNG
DUNKEL sind sie zuweilen, vielleicht mit Unrecht, o
Nickel!
Aber die Deutlichkeit ist wahrlich nicht Tugend an dir.
MODEPHILOSOPHIE
LÄCHERLICHSTER, du nennst das Mode, wenn
immer von neuem
' Sich der menschliche Geist ernstlich nach Bildung be-
strebt.
DAS GROBE ORGAN
WAS du mit Händen nicht greifst, das scheint dir
Blinden ein Unding,
Und betastest du was, gleich ist das Ding auch be-
schmutzt.
GOETHE XIV 24.
3 7 o LYRISCHE DICHTUNGEN
DER LASTTRÄGER
WEIL du vieles geschleppt und schleppst und
schleppen wirst, meinst du,
Was sich selber bewegt, könne vor dir nicht bestehn.
DIE WEIDTASCHE
REGET sich was, gleich schießt der Jäger; ihm schei-
net die Schöpfung,
Wie lebendig sie ist, nur für den Schnappsack gemacht.
DAS UNENTBEHRLICHE
KÖNNTE Menschenverstand doch ohne Vernunft nur
bestehen,
Nickel hätte fürwahr menschlichsten Menschenverstand.
w
DIE XENIEN
AS uns ärgert, du gibst mit langen entsetzlichen
Noten
Uns auch wieder heraus unter der Reiserubrik.
LUCRI BONUS ODOR
GRÖBLICH haben wir dich behandelt, das brauche
zum Vorteil
Und im zwölften Band schilt uns, da gibt es ein Blatt.
VORSATZ
DEN Philister verdrieße, den Schwärmer necke, den
Heuchler
Quäle der fröhliche Vers, der nur das Gute verehrt.
NUR ZEITSCHRIFTEN
PRANKREICH id&l er mit einer, ^z.%^TmtDeutsch-
"^ land gewaltig
Mit der andern, doch sind beide papieren und leicht!
DAS MOTTO
WAHRHEIT sag ich euch, Wahrheit und immer
Wahrheit, versteht sich:
Meine Wahrheit; denn sonst ist mir auch keine bekannt.
1794/7 WEIMAR 371
DER WÄCHTER ZIONS
MEINE Wahrheit bestehet im Bellen, besonders wenn
irgend
Wohlgekleidet ein Mann sich auf der Straße mir zeigt.
kj VERSCHIEDENE DRESSUREN
ARISTOKRATISCHE Hunde, sie knurren auf Bettler;
ein echter
Demokratischer Spitz klaflft nach dem seidenen Strumpf.
BÖSE GESELLSCHAFT
ARISTOKRATEN mögen noch gehn, ihr Stolz ist doch
höflich;
Aber du, löbliches Volk, bist so voll Hochmut und grob.
AN DIE OBERN
IMMER bellt man auf euch! Bleibt sitzen! Es wünschen
die Beller
Jene Plätze, wo man ruhig das Bellen vernimmt.
BAALSPFAFFEN
HEILIGE Freiheit! Erhabener Trieb der Menschen
zum Bessern!
Wahrlich, du konntest dich nicht schlechter mit Prie-
stern versehn!
VERFEHLTER BERUF
SCHRECKENSMÄNNER wären sie gerne, doch lacht
man in Deutschland
Ihres Grimmes, der nur mäßige Schriften zerfleischt.
AN MEHR ALS EINEN
ERST habt ihr die Großen beschmaust, nun wollt ihr
sie stürzen;
Hat man Schmarotzer doch nie dankbar dem Wirte
gesehn.
372 LYRISCHE DICHTUNGEN
DAS REQUISIT
LANGE werden wir euch noch ärgern und werden euch
sagen:
Rote Kappen, euch fehlt nur noch das Glöckchen zum
Putz.
VERDIENST
HAST du auch wenig genug verdient um die Bildung
der Deutschen,
Fritz Nicolai, sehr viel hast du dabei doch verdient.
N
UMWÄLZUNG
EIN, das ist doch zu arg! Da läuft auch selbst noch
der Kantor
Von der Orgel, imdach! pfuscht auf den Klaven des Staats.
DER HALBVOGEL
FLIEGEN möchte der Strauß; allein er rudert vergeblich,
Ungeschickt rühret der Fuß immer den leidigen Sand.
DER LETZTE VERSUCH
VIELES hast du geschrieben, der Deutsche wollt es
nicht lesen;
Gehn die Journale nicht ab, dann ist auch alles vorbei.
KUNSTGRIFF
SCHREIB die Journale nur anonym, so kannst du mit
vollen
Backen deine Musik loben, es merkt es kein Mensch.
DEM GROSSSPRECHER
ÖFTERS nahmst du das Maul schon so voll und konn-
test nicht wirken;
Auch jetzt wirkest du nichts, nimm nur das Maul nicht
so voll.
MOTTOS
SETZE nur immer Mottos auf deine Journale, sie zeigen
Alle die Tugenden an, die man an dir nicht bemerkt.
Hl
1794/7 WEIMAR 373
SEIN HANDGRIFF
AUSZUZIEHEN versteh ich und zu beschmutzen die
Schriften,
Dadurch mach ich sie mein, und ihr bezahlet sie mir.
DIE MITARBEITER
WIE sie die Glieder verrenken, die Armen! Aber
nach dieser
Pfeife zu tanzen, es ist auch, beim Apollo! kein Spaß.
UNMÖGLICHE VERGELTUNG
DEINE Kollegen verschreist und plünderst du! Dich
zu verschreien
Ist nicht nötig, und nichts ist auch zu plündern an dir.
DAS ZÜCHTIGE HERZ
GERN erlassen wir dir die moralische Delikatesse,
Wenn du die zehen Gebot' nur so notdürftig befolgst.
ABSCHEU
HEUCHLER, ferne von mir! Besonders du widriger
Heuchler,
Der du mit Grobheit glaubst Falschheit zu decken und
List.
DER HAUSIERER
JA, das fehlte nur noch zu der Entwicklung der Sache,
Daß als Krämer sich nun Kr** er nach Frankreich
begibt!
DEUTSCHLANDS REVANCHE AN FRANKREICH
MANCHEN Lakai schon verkauftet ihr uns als Mann
von Bedeutung;
Gut! wir spedieren euch hier Kr**** als Mann von
Verdienst.
DER PATRIOT
DASS Verfassung sich überall bilde! Wie sehr ists zu
wünschen,
Aber ihr Schwätzer verhelft uns zu Verfassungen nicht!
374 LYRISCHE DICHTUNGEN
DIE DREI STÄNDE
SAGT, wo steht in Deutschland der Sanscülott? In der
Mitte;
Unten und oben besitzt jeglicher, was ihm behagt.
DIE HAUPTSACHE
JEDEM Besitzer das Seine! und jedem Regierer den
Rechtsinn,
Das ist zu wünschen; doch ihr, beides verschafift ihr
uns nicht.
ANACHARSIS DER ZWEITE
ANACHARSIS dem Ersten nahmt ihr den Kopf weg,
der Zweite
Wandert nun ohne Kopf klüglich, Pariser, zu euch.
HISTORISCHE QUELLEN
AUGEN leiht dir der Blinde zu dem, was in Frankreich
geschiehet,
Ohren der Taube; du bist, Deutschland, vortrefflich
bedient.
DER ALMANACH ALS BIENENKORB
LIEBLICHEN Honig geb er dem Freund; doch nahet
sich täppisch
Der Philister, ums Ohr saus ihm der stechende Schwärm!
ETYMOLOGIE
OMINÖS ist dein Nam, er spricht dein ganzes Ver-
dienst aus: -|
Gerne verschafftest du, ging' es, dem Pöbel den Sieg.
AUSNAHME
ARUM tadelst du manchen nicht öffentlich?" Weil
er ein Freund ist.
Wie mein eigenes Herz tadl ich im stillen den Freund.
w
1794/7 WEIMAR 375
DIE INSEKTEN
WARUM schiltst du die einen so hundertfach?" Weil
das Geschmeiße,
Rührt sich der Wedel nicht stets, immer dich leckt und
dich sticht,
EINLADUNG
GLAUBST du denn nicht, man könnte die schwache
Seite dir zeigen?"
Tu es mit Laune, mit Geist, Freund, und wir lachen
zuerst.
WARNUNG
UNSRER liegen noch tausend im Hinterhalt; daß ihr
nicht etwa,
Rückt ihr zu hitzig heran, Schultern und Rücken ent-
blößt.
" ■ AN DIE PHILISTER
FREUT euch des Schmetterlings nicht: der Bösewicht
zeugt euch die Raupe,
Die euch den herrlichen Kohl, fast aus der Schüssel,
verzehrt.
HAUSRECHT
KEINEM Gärtner verdenk ichs, daß er die Sperlinge
scheuchet;
Doch nur Gärtner ist er, jene gebar die Natur.
CURRUS VIRUM MIRATUR INANES
WIE sie knallen, die Peitschen! Hilf Himmel! Jour-
nale! Kalender!
Wagen an Wagen! Wie viel Staub und wie wenig Ge-
päck!
KALENDER DER MUSEN UND GRAZIEN
USEN imd Grazien! oft habt ihr euch schrecklich
verirret,
Doch dem Pfarrer noch nie selbst die Perücke gebracht.
M
376 LYRISCHE DICHTUNGEN
SCHILLERS ALMANACH VON 1796
DU erhebest uns erst zu Idealen tmd stürzest
Gleich zur Natur uns zurück; glaubst du, wir danken
dir das?
DAS PAKET
MIT der Eule gesiegelt? Da kann Minerva nicht weit
sein!
Ich erbreche, da fällt "Von und für Deutschland" her-
aus.
DAS JOURNAL DEUTSCHLAND
ALLES beginnt der Deutsche mit Feierlichkeit, und
so zieht auch
Diesem deutschen Journal blasend ein Spielmann voran.
REICHSANZEIGER
EDLES Organ, durch welches das Deutsche Reich mit
sich selbst spricht!
Geistreich, wie es hinein schallet, so schallt es heraus.
A. D. PH.
WOCHE für Woche zieht der Bettelkarren durch
Deutschland,
Den auf schmutzigem Bock Jakob, der Kutscher, regiert.
z
A. D. B.
EHNMAL gelesne Gedanken auf zehnmal bedruck-
tem Papiere,
Auf zerriebenem Blei stumpfer und bleierner Witz.
A. D. Z.
i
AUF dem Umschlag sieht man die Charitinnen; doch
leider
Kehrt uns Aglaia den Teil, den ich nicht nennen darf, zu.
DER WOLFISCHE HOMER
SIEBEN Städte zankten sich drum, ihn geboren zu haben;
Nun, da der Wolf ihn zerriß, nehme sich jede ihr Stück.
1794/7 WEIMAR 377
WEIL du doch alles beschriebst, so beschreib uns
zu gutem Beschlüsse
Auch die Maschine noch, Freund, die dich so fertig
bedient.
HERR LEONHARD **
DEINEN Namen les ich auf zwanzig Schriften, und
dennoch
Ist es dein Name nur, Freund, den man in allen vermißt.
PANTHEON DER DEUTSCHEN, i. BAND.
DEUTSCHLANDS größte Männer und kleinste sind
hier versammelt;
Jene gaben den Stofif, diese die Worte des Buchs.
BORUSSIAS
SIEBEN Jahre nur währte der Krieg, von welchem du
singest:
Sieben Jahrhunderte, Freund, währt mir dein Helden-
gedicht.
GUTER RAT
ACCIPE facundi Culicem, studiose, Maronis,
Ne, nugis positis, arma virumque canas.
V
REINEKE FUCHS
OR Jahrhunderten hätte ein Dichter dieses gesungen?
Wie ist das möglich? Der Stoff ist ja von gestern
imd heut.
MENSCHENHASS UND REUE
MENSCHENHASS? Nein, davon verspürt ich beim
heutigen Stücke
Keine Regung; jedoch Reue, die hab ich gefühlt.
SCHINKS FAUST
FAUST hat sich leider schon oft in Deutschland dem
Teufel ergeben,
Doch so prosaisch noch nie schloß er den schrecklichen
Bund.
378 LYRISCHE DICHTUNGEN
AN MADAME B** UND IHRE SCHWESTERN
JETZT noch bist du Sibylle, bald wirst du Parze; doch,
furcht ich,
Hört ihr alle zuletzt gräßlich als Furien auf.
ALMANSARIS UND AMANDA
WARUM verzeiht mir Amanda den Scherz, und
Almansaris tobet?
Jene ist tugendhaft, Freund, diese beweiset, sie seis.
WÄRE Natur und Genie von allen Menschen ver-
ehret,
Sag, was bliebe, Phantast, denn für ein Publikum dir?
ERHOLUNGEN. ZWEITES STÜCK
DASS ihr seht, wie genau wir den Titel des Buches
erfüllen.
Wird zur Erholung hiemit euch die Vernichtung gereicht.
DEM ZUDRINGLICHEN
EIN vor allemal willst du ein ewiges Leben mir schafifen?
Mach im zeitlichen doch mir nicht die Weile so lang.
HÖCHSTER ZWECK DER KUNST
SCHADE fürs schöne Talent des herrlichen Künstlers!
O hätt er
Aus dem Marmorblock doch ein Kruzifix uns gemacht!
M
ZUM GEBURTSTAG
ÖGE dein Lebensfaden sich spinnen wie in der Prosa
Dein Periode, bei dem leider die Lachesis schläft.
UNTER VIER AUGEN
VIELE rühmen, sie habe Verstand; ich glaubs: für
den einen,
Den sie jedesmal liebt, hat sie auch wirklich Verstand.
N
1794/7 WEIMAR 379
CHARADE
ICHTS als dein Erstes fehlt dir, so wäre dein Zweites
genießbar;
Aber dein Ganzes, mein Freund, ist ohne Salz und
Geschmack.
FRAGE IN DEN REICHSANZEIGER, WILHELM
MEISTER BETREFFEND
ZU was Ende die welschen Namen für deutsche Per-
sonen?
Raubt es nicht allen Genuß an dem vortreflflichen
i Werk?
GOSCHEN AN DIE DEUTSCHEN DICHTER
IST nur erst Wieland heraus, so kommts an euch übrigen
alle,
Und nach der Lokation! Habt nur einstweilen Geduld!
VERLEGER VON P** SCHRIFTEN
EINE Maschine besitz ich, die selber denkt, was sie
drucket;
Obengenanntes Werk zeig ich zur Probe hier vor.
JOSEPHS n. DICTUM AN DIE BUCHHÄNDLER
EINEM Käsehandel verglich er eure Geschäfte?
Wahrlich, der Kaiser, man siehts, war auf dem
Leipziger Markt.
PREISFRAGE DER AKADEMIE NÜTZLICHER
WISSENSCHAFTEN
WIE auf dem u fortan der teure Schnörkel zu sparen?
Auf die Antwort sind dreißig Dukaten gesetzt.
HÖRSÄLE AUF GEWISSEN UNIVERSITÄTEN
PRINZEN und Grafen sind hier von den übrigen Hörern
gesondert.
Wohl! Denn trennte der Stand nirgends, er trennte
doch hier!
38o LYRISCHE DICHTUNGEN
DER VIRTUOSE
EINE hohe Noblesse bedien ich heut mit der Flöte,
Die, wie ganz Wien mir bezeugt, völlig wie Geige
sich hört.
SACHEN, SO GESUCHT WERDEN
Bedienten wünscht man zu haben, der
schreibet
Und orthographisch, jedoch nichts in Bell- Lettres getan
FR
w
FRANZOSISCHE LUSTSPIELE VON DYK
IR versichern auf Ehre, daß wir einst witzig ge-
wesen.
Sind wir auch hier, wir gestehns, herzlich geschmack-
los und fad.
BUCHHÄNDLER- ANZEIGE
NICHTS ist der Menschheit so wichtig, als ihre Bestim-
mung zu kennen;
Um zwölf Groschen Courant wird sie bei mir jetzt
verkauft.
AUKTION
DA die Metaphysik vor kurzem unbeerbt abging,
Werden die Dinge an sich morgen sub hasta ver-
kauft.
GOTTESURTEIL
(Zwischen einem Göttinger und Berliner.)
OFFNET die Schranken! Bringet zwei Särge! Trom-
peter, geblasen!
Almanachsritter, heraus gegen den Ritter vom Sporn!
z
SACHEN, SO GESTOHLEN WORDEN
(Immanuel Kant spricht.)
WANZIG Begriffe wurden mir neulich diebisch ent-
wendet;
Leicht sind sie kenntlich, es steht sauber mein I. K.
darauf.
1794/7 WEIMAR , 381
ANTWORT AUF OBIGEN AVIS
WENN nicht alles mich trügt, so hab ich besagte
Begriffe
In Herrn Jakobs zu Hall' Schriften vor kurzem gesehn.
SCHAUSPIELERIN
FURIOSE Geliebten sind meine Forcen im Schauspiel,
Und in der Coniidie glänz ich als Branntevveinfrau.
PROFESSOR HISTORIARUM
BREITER wird immer die Welt, und immer mehr
Neues geschiehet;
Ach! die Geschichte wird stets länger, und kürzer das
Brot!
REZENSION
SEHET, wie artig der Frosch nicht hüpft! Doch find
ich die hintern
Füße um vieles zu lang, so wie die vordem zu kurz.
LITERARISCHER ADRESSKALENDER
JEDER treibe sein Handwerk, doch immer steh es ge-
schrieben:
Dies ist das Handwerk, und der treibet das Handwerk
geschickt.
NEUSTE KRITIKPROBEN
NICHT viel fehlt dir, ein Meister nach meinen Be-
griffen zu heißen,
Nehm ich das Einzige aus, daß du verrückt phantasierst.
L
EINE ZWEITE
lEBLICH und zart sind deine Gefühle, gebildet dein
Ausdruck,
Eins nur tadl ich: du bist frostig von Herzen und matt.
EINE DRITTE
DU nur bist mir der würdige Dichter! Es kommt dir
auf eine
Platitüde nicht an, nur um natürlich zu sein.
382 . LYRISCHE DICHTUNGEN
v
SCHILLERS WÜRDE DER FRAUEN
ORN herein liest sich das Lied nicht zum besten; ich
les es von hinten,
Strophe für Strophe, und so nimmt es ganz artig sich aus.
PEGASUS, VON EBEN DEMSELBEN
MEINE zarte Natur schockiert das grelle Gemälde;
Aber, von Langbein gemalt, mag ich den Teufel
recht gem.
DAS UNGLEICHE VERHÄLTNIS
UNSRE Poeten sind seicht; doch das Unglück ließ'
sich vertuschen,
Hätten die Kritiker nicht, ach! so entsetzlich viel Geist.
NEUGIER
ETWAS wünscht ich zu sehn: ich wünschte einmal von
den Freunden,
Die das Schwache so schnell finden, das Gute zu sehn!
GELEHRTE ZEITUNGEN
WIE die Nummern des Lotto, so zieht man hier die
Autoren,
Wie sie kommen, nur daß niemand dabei was gewinnt.
ÜBERTREIBUNG UND EINSEITIGKEIT
DASS der Deutsche doch alles zu einem Äußersten
treibet.
Für Natur und Vernunft selbst, für die nüchterne,
schwärmt!
V
NEUESTE BEHAUPTUNG
ÖLLIG charakterlos ist die Poesie der Modernen,
Denn sie verstehen bloß, charakteristisch zu sein.
GRIECHISCHE UND MODERNE TRAGÖDIE
UNSRE Tragödie spricht ziun Verstand, drum zerreißt
sie das Herz so;
Jene setzt in Affekt, darum beruhigt sie so!
II 794/7 WEIMAR 383
ENTGEGENGESETZTE WIRKUNG
WIR Modernen, wir gehn erschüttert, gerührt aus
dem Schauspiel;
Mit erleichterter Brust hüpfte der Grieche heraus.
DIE HÖCHSTE HARMONIE
OEDIPUS reißt die Augen sich aus, Jokaste erhenkt
sich.
Beide schuldlos; das Stück hat sich harmonisch gelöst.
AUFGELÖSTES RÄTSEL
ENDLICH ist es heraus, warum ims Hamlet so anzieht:
Weil er, merket das wohl, ganz zur Verzweiflung
uns bringt.
GEFÄHRLICHE NACHFOLGE
FREUNDE, bedenket euch wohl, die tiefere, kühnere
Wahrheit
Laut zu sagen, sogleich stellt man sie euch auf den Kopf.
M
XENIEN
USE, wo führst du uns hin? Was, gar zu den Manen
hinunter?
Hast du vergessen, daß wir nur Monodistichen sind?
MUSE
DESTO besser! Geflügelt wie ihr, dünnleibig und luftig,
Seele mehr als Gebein, wischt ihr als Schatten hin-
durch.
ACHERONTA MOVEBO
HÖLLE, jetzt nimm dich in acht, es kommt ein Reise -
beschreiber,
. Und die Publizität deckt auch den Acheron auf.
STERILEMQUE TIBI PROSERPINA VACCAM
HEKATE! Keusche! Dir Schlacht ich 'Die Kunst, zu
lieben' von Manso;
Jungfer noch ist sie, sie hat nie was von Liebe gewußt.
384 LYRISCHE DICHTUNGEN
ELPENOR
MUSS ich dich hier schon treffen, Elpenor? Du bist
mir gewaltig
Vorgelaufen! Und wie? Gar mit gebrochnem Genick?
UNGLÜCKLICHE EILFERTIGKEIT
ACH, wie sie "Freiheit" schrien und "Gleichheit", ge-
schwind wollt ich folgen,
Und weil die Trepp mir zu lang deuchte, so sprang ich
vom Dach.
ACHILLES
VORMALS im Leben ehrten wir dich wie einen der
Götter;
Nun du tot bist, so herrscht über die Geister dein Geist.
L
TROST
ASS dich den Tod nicht reuen, Achill! Es lebet dein
Name
In der Bibliothek schöner Szientien hoch.
SEINE ANTWORT
LIEBER möcht ich fürwahr dem Ärmsten als Acker-
knecht dienen.
Als des Gänsegeschlechts Führer sein, wie du erzählst.
FRAGE
DU verkündige mir von meinen jimgen Nepoten,
Ob in der Literatur beide noch walten vmd wie?
ANTWORT
FREILICH walten sie noch \md bedrängen hart die Tro-""
janer,
Schießen manchmal auch wohl blind in das Blaue hinein.
FRAGE
MELDE mir auch, ob du Kunde vom alten Peleus ver-
nähmest.
Ob er noch weit geehrt in den Kalendern sich liest?
1794/7 WEIMAR 385
ANTWORT
ACH! ihm mangelt leider die spannende Kraft und die
Schnelle,
Die einst des G*** herrliche Saiten belebt.
AJAX
AJAX, Telamons Sohn! So mußtest du selbst nach dem
Tode
Noch forttragen den Groll wegen der Rezension?
TANTALUS
JAHRELANG steh ich so hier, zur Hippokrene gebücket.
J Lechzend vor Durst; doch der Quell, will ich ihn
kosten, zerrinnt.
PHLEGYASQUE MISERRIMUS OMNES ADMONET
Oich Tor! Ich rasender Tor! Und rasend ein jeder.
Der. auf des Weibes Rat horchend, den Freiheits-
baum pflanzt!
DIE DREIFARBIGE KOKARDE
WER ist der Wütende da, der durch die Hölle so
brüllet
Und mit grimmiger Faust sich die Kokarde zerzaust:
AGAMEMNON
BÜRGER Odysseus! Wohl dir! Bescheiden ist deine Ge-
mahlin,
Strickt dir die Strümpfe und steckt keine drei Farben
dir an!
PORPHYROGENETA, DEN KOPF UNTER DEM ARME
KÖPFE schaffet euch an, ihr Liebden! Tut es beizeiten!
Wer nicht hat, er verliert auch, was er hat^ noch
dazu!
SISYPHUS
AUCH noch hier nicht zur Ruh, du Unglückseiger!
Noch immer
Rollst du bergauf wie einst, da du regiertest, den Stein!
GOETHE XIV 25.
386 LYRISCHE DICHTUNGEN
SULZER
HÜBEN über den Urnen! Wie anders ists, als wir dach-
ten!
Mein aufrichtiges Herz hat mir Vergebung erlangt.
HALLER
ACH! Wie schrumpfen allhier die dicken Bände zu-
sammen,
Einige werden belohnt, aber die meisten verziehn.
MOSES MENDELSSOHN
JA! Du siehst mich unsterblich!— "Das hast du uns ja
in dem Phädon
Längst bewiesen."— Mein Freund, freue dich, daß du es
siehst!
DER JUNGE WERTHER
WORAUF lauerst du hier?"— Ich erwarte den dum-
men Gesellen,
Der sich so abgeschmackt über mein Leiden gefreut.
EDLER Schatten, du zürnst?"— Ja, über den lieblosen
Bruder,
Der mein modernd Gebein lasset im Frieden nicht ruhn.
DIOSKUREN
EINEN wenigstens hofft ich von euch hier unten zu finden;
Aber beide seid ihr sterblich, drum lebt ihr zugleich.
UNVERMUTETE ZUSAMMENKUNFT
SAGE, Freund, wie find ich denn dich in des Todes
Behausung?
Ließ ich doch frisch und gesimd dich in Berlin noch
zurück!
DER LEICHNAM
ACH, das ist niu: mein Leib, der in Almanachen noch'
lungeht;
Aber es schiffte schon längst über den Lethe der Geist
1
1794/7 WEIMAR 387
PEREGRINUS PROTEUS
SIEHESl' du Wieland, so sag ihm: ich lasse mich schön-
stens bedanken,
Aber er tat mir zuviel Ehr an, ich war doch ein Lump.
LUCIAN VON SAMOSATA
~\ TUN, Freund, bist du versöhnt mit den Philosophen?
1 N Du hast sie
Oben im Leben, das weiß Jupiter! tüchtig geneckt."
GESTÄNDNIS
REDE leiser, mein Freund. Zwar hab ich die Narren
gezüchtigt,
Aber mit vielem Geschwätz oft auch die Klugen geplagt.
ALCIBIADES
KOMMST du aus Deutschland? Sieh mich doch an, ob
ich wirklich ein solcher
Hasenfuß bin, als bei euch man in Gemälden mich zeigt?
MARTIAL
XENIEN nennet ihr euch? Ihr gebt euch für Küchen -
präsente?
Ißt mau denn, mit Vergimst, spanischen Pfeflfer bei euch?
XENIEN
"X TICHT doch! Aber es schwächten die vielen wäßrigten
1 N Speisen
So den Magen, daß jetzt Pfefifer imd Wermut nur hilft.
EINER AUS DEM CHOR
{Fängt an, zu rezitieren)
'AHRLICH, nichts Lustigers weiß ich, als wenn
die Tische recht voll sind
^on Gebacknem und Fleisch, imd wenn der Schenke
nicht versäumt." —
388 LYRISCHE DICHTUNGEN
T
VORSCHLAG ZUR GÜTE
EILT euch wie Brüder! Es sind der Würste gerade
zwei Dutzend,
Und wer Astyanax sang, nehme noch diese von mir.
MUSE ZU DEN XENIEN
ABER jetzt rat ich euch, geht, sonst kommt noch gar
der Gorgona
Fratze oder ein Band Oden von Haschka hervor.
A
AN DIE FREIER
LLES war nur ein Spiel! Ihr Freier lebt ja noch alle,
Hier ist der Bogen, und hier ist zu den Ringen
der Platz.
WAS in Frankreich vorbei ist, das spielen Deutsche
noch immer.
Denn der stolzeste Mann schmeichelt dem Pöbel und
kriecht.
PÖBEL! wagst du zu sagen. Wo ist der Pöbel?" Ihr
machtet.
Ging' es nach eurem Sinn, gerne die Völker dazu.
VOTIVTAFELN
von Schiller und Goethe
DER MORALISCHE UND DER SCHÖNE
CHARAKTER
T\ EPRÄSENTANT ist jener der ganzen Geistergemeine,
fv. Aber das schöne Gemüt zählt schon allein für sich
selbst.
DER SCHÖNE GEIST UND DER SCHÖNGEIST
NUR das Leichtere trägt auf leichten Schultern der
Schöngeist,
Aber der schöne Geist trägt das Gewichtige leicht.
I 1794/7 WEIMAR 389
PHILISTER UND SCHÖNGEIST
JENER mag gelten, er dient doch als fleißiger Knecht
J noch der Wahrheit.
Aber dieser bestiehlt Wahrheit und Schönheit zugleich.
NATUR UND VERNUNFT
WÄRT ihr, Schwärmer, imstande, die Ideale zu
fassen,
O so verehrtet ihr auch, wie sichs gebührt, die Natur.
Wärt ihr, Philister, imstand, die Natur im Großen zu sehen.
Sicher führte sie selbst euch zu Ideen empor.
DAS SUBJEKT
WICHTIG wohl ist die Kunst und schwer, sich selbst
zu bewahren.
Aber schwieriger ist diese: sich selbst zu entfliehn.
ZUCHT
WAHRHEIT ist niemals schädlich , sie straft — und die
Strafe der Mutter
Bildet das schwankende Kind, wehret der schmeicheln-
den Magd.
DIE ZERGLIEDERER
SPALTET immer das Licht! Wie öfters strebt ihr zu
trennen.
Was euch allen zum Trutz Eins und ein Einziges bleibt.
DIE QUELLEN
TREFFLICHE Künste dankt man der Not und dankt
man dem Zufall,
Nur zur Wissenschaft hat keines von beiden geführt.
EMPIRIKER
DASS ihr den sichersten Pfad gewählt, wer möchte das
leugnen?
Aber ihr tappet nur blind auf dem gebahntesten Pfad.
390 LYRISCHE DICHTUNGEN
THEORETIKER
IHR verfahrt nach Gesetzen, auch würdet ihrs sicherlich
treffen,
Wäre der Obersatz nur, wäre der Untersatz wahr!
LETZTE ZUFLUCHT
VORNEHM schaut ihr im Glück auf den blinden Em-
piriker nieder,
Aber, seid ihr in Not, ist er der delphische Gott.
DIE SYSTEME
PRÄCHTIG habt ihr gebaut. Du lieber Himmel! Wie
treibt man,
Nun er so königlich erst wohnet, den Irrtum heraus!
DIE VIELWISSER
I seid ihr und kenne
Aber der Horizont decket manch Sternbild euch zu.
\ STRONOMEN seid ihr und kennet viele Gestirne,
MORALISCHE SCHWÄTZER
WIE sie mit ihrer reinen Moral uns, die Schmutzi-
gen, quälen!
Freilich, der groben Natur dürfen sie gar nichts vertraun!
Bis in die Geisterwelt müssen sie fiiehn, dem Tier zu
entlaufen.
Menschlich können sie selbst auch nicht das Mensch-
lichste tim.
Hätten sie kein Gewissen, und spräche die Pflicht nicht
so heilig,
Wahrlich, sie plünderten selbst in der Umarmung die
Braut.
DER STRENGLING UND DER FRÖMMLING
JENER fodert durchaus, daß dir das Gute mißfalle.
Dieser will gar, daß du liebst, was dir von Herzen
mißfällt.
Muß ich wählen, so seis in Gottes Namen die Tugend,
Denn ich kann einmal nicht lieben, was abgeschmackt ist.
J
1794/7 WEIMAR 391
THEOPHAGEN
DIESEN ist alles Genuß. Sie essen Ideen, und bringen
In das Himmelreich selbst Messer und Gabel hinauf.
FRATZEN
FROMME gesunde Natur! Wie stellt die Moral dich an
Pranger!
Heiige Vernunft! Wie tief stürzt dich der Schwärmer
herab!
MORAL DER PFLICHT UND DER LIEBE
JEDE, wohin sie gehört! Erhabene Seelen nur kleidet
Jene, die andere steht schönen Gemütern nur an.
Aber Widrigers kenn ich auch nichts, als wenn sich durch
Bande
Zarter geistiger Lieb Grobes mit Grobem vermählt;
Und verächtlicher nichts als die Moral der Dämonen
In dem Munde des Volks, dem noch die Menschlichkeit
fehlt.
DER PHILOSOPH UND DER SCHWÄRMER
TENER steht auf der Erde, doch schauet das Auge zum
J Himmel;
Dieser, die Augen im Kot, recket die Beine hinauf.
DAS IRDISCHE BÜNDEL
HIMMELAN flögen sie gern, doch hat auch der Körper
sein Gutes,
Und man packt es geschickt hinten dem Seraph noch auf.
w
DER WAHRE GRUND
AS sie im Himmel wohl suchen, das, Freunde, will
ich euch sagen:
Vorderhand suchen sie nur Schutz vor der höllischen
Glut.
DIE TRIEBFEDERN
IMMER treibe die Furcht den Sklaven mit eisernem Stabe;
Freude, führe du mich immer an rosichtem Band.
392 LYRISCHE DICHTUNGEN
WAHRHEIT
EINE nur ist sie für alle, doch siehet sie jeder verschieden;
Daß es Eines doch bleibt, macht das Verschiedene
wahr.
SCHÖNHEIT
SCHÖNHEIT ist ewig nur Eine, doch mannigfach wech-
selt das Schöne;
Daß es wechselt, das macht eben das Eine nur schön.
BEDINGUNG
EWIG strebst du umsonst, dich dem Göttlichen ähnlich
zu machen,
Hast du das Göttliche nicht erst zu dem Deinen gemacht.
DER VORZUG
J WER das Herz zu siegen, ist groß, ich verehre den
^^ Tapfern;
Aber wer durch sein Herz sieget, er gilt mir doch mehr.
DIE ERZIEHER
BÜRGER erzieht ihr der sittlichen Welt; wir wollten
euch loben,
Stricht ihr sie nur nicht zugleich aus der empfindenden
aus.
DAS GÖTTLICHE
WÄRE sie unverwelklich, die Schönheit, ihr könnte
nichts gleichen;
Nichts, wo die göttliche blüht, weiß ich der göttlichen
gleich.
Ein Unendliches ahndet, ein Höchstes erschafft die Ver-
nunft sich:
In der schönen Gestalt lebt es dem Herzen, dem Blick.
VERSTAND
BILDEN wohl kann der Verstand, doch der tote kann
nicht beseelen.
Aus dem Lebendigen quillt alles Lebendige nur.
\
1794/7 WEIMAR 393
PHANTASIE
SCHAFFEN wohl kann sie den Stoflf, doch die wilde kann
nicht gestalten,
Aus dem Harmonischen quillt alles Harmonische nur.
DICHTUNGSKRAFT
DASS dein Leben Gestalt, dein Gedanke Leben ge-
winne,
Laß die belebende Kraft stets auch die bildende sein.
WITZ UND VERSTAND
DER ist zu furchtsam, jener zu kühn; nur dem Genius
ward es,
In der Nüchternheit kühn, fromm in der Freiheit zusein.
ABERWITZ UND WAHNWITZ
U" BERSPRINGT sich der Witz, so lachen wir über den
Toren;
Gleitet der Genius aus, ist er dem Rasenden gleich.
DER UNTERSCHIED
LÄCHELND sehn wir den Tänzer auf glatter Ebene
straucheln.
Aber auf ernstlichem Seil wer mag den Schwindelnden
sehn ?
LEHRE AN DEN KUNSTJÜNGER
DASS du der Fehler schlimmsten, die Mittelmäßigkeit,
meidest,
Jüngling, so meide doch ja keinen der andern zu früh!
DAS MITTELMÄSSIGE UND DAS GUTE
WILLST du jenem den Preis verschaffen, zähle die
Fehler;
Willst du dieses erhöhn, zähle die Tugenden ab.
394 LYRISCHE DICHTUNGEN
DAS PRIVILEGIUM
BLÖSSEN gibt nur das Reiche dem Tadel, am Werke
der Armut
Ist nichts Schlechtes, es ist Gutes daran nichts zu sehn.
N
DIE SICHERHEIT
UR das feurige Roß, das mutige, stürzt auf der Renn-
bahn,
Mit bedächtigem Paß schreitet der Esel daher.
GENIALISCHE KRAFT
ALLE Schöpfung ist Werk der Natur. Von Jupiters
Throne
Zuckt der allmächtige Strahl, nährt und erschüttert die
Welt.
Pflanzet über die Häuser die leitenden Spitzen undKetten,
Über die ganze Natur wirkt die allmächtige Kraft.
DELIKATESSE IM TADEL
WAS heißt zärtlicher Tadel? Der deine Schwäche
verschonet?
Nein, der deinen Begriff von dem Vollkommenen stärkt.
DER BERUFENE RICHTER
WER ist zum Richter bestellt? Nur der Bessere? Nein,
wem das Gute
Über das Beste noch gilt, der ist zum Richter bestellt.
AXT ****
DU vereinigest jedes Talent, das den Autor vollendet;
O entschließe dich, Freund, nichts als ein Leser
zu sein.
DAS MITTEL
WILLST du in Deutschland wirken als Autor, so trifl
sie nur tüchtig,
Denn zum Beschauen des Werks finden sich wenige nur.
1794/7 WEIMAR 395
DIE UNBERUFENEN
TADELN ist leicht, erschaifen so schwer; ihr Tadler
des Schwachen,
Habt ihr das Treffliche denn auch zu belohnen ein Herz?
DIE BELOHNUNG
WAS belohnet den Meister? Der zart antwortende
Nachklang
Und der reine Reflex aus der begegnenden Brust.
DAS GEWÖHNLICHE SCHICKSAL
HAST du an liebender Brust das Kind der Empfindung
gepfleget,
Einen Wechselbalg nur gibt dir der Leser zurück.
'I
DER WEG ZUM RUHME
GLÜCKLICH nenn ich den Autor, der in der Höhe
den Beifall
Findet; der deutsche muß nieder sich bücken dazu.
BEDEUTUNG
WAS bedeutet dein Werk?" so fragt ihr den Bildner
des Schönen;
Frager, ihr habt nur die Magd, niemals die Göttin ge-
sehn.
AN DIE MORALISTEN
LEHRET! das ziemet euch wohl, auch wir verehren
die Sitte;
Aber die Muse läßt sich nicht gebieten von euch.
Nicht von dem Architekt erwart ich melodische Weisen,
Und, Moralist, von dir nicht zu dem Epos den Plan.
Vielfach sind die Kräfte des Menschen; o daß sich doch
jede
Selbst beherrsche, sich selbst bilde zum herrlichsten aus!
396 LYRISCHE DICHTUNGEN
DEUTSCHE KUNST
GABE von oben her ist, was wir Schönes in Künsten
besitzen,
Wahrlich, von unten herauf bringt es der Grund nicht
hervor.
Muß der Künstler nicht selbst den Schößling von außen
sich holen?
Nicht aus Rom und Athen borgen die Sonne, die Luft?
TOTE SPRACHEN
TOTE Sprachen nennt ihr die Sprache des Flaccus und
Pindar,
Und von beiden nur kommt, was in der unsrigen lebt!
DEUTSCHER GENIUS
RINGE, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechi-
scher Schönheit!
Beides gelang dir, doch nie glückte der gallische Sprung.
VIER JAHRESZEITEN
FRÜHLING
AUF, ihr Distichen, frisch! Ihr muntern lebendigen
Knaben!
Reich ist Garten und Feld! Blumen zum Kranze herbei!
REICH ist an Blumen die Fltur; doch einige sind nur
dem Auge,
Andre dem Herzen nur schön; wähle dir, Leser, nun
selbst!
ROSENKNOSPE, du bist dem blühenden Mädchen
gewidmet,
Die als die Herrlichste sich, als die Bescheidenste zeigt.
■X /TELE der Veilchen zusammengeknüpft, das Strauß -
V chen erscheinet
Erst als Blume; du bist, häusliches Mädchen, gemeint.
1794/7 WEIMAR 397
EINE kannt ich, sie war wie die Lilie schlank, und ihr
Stolz war
Unschuld; herrlicher hat Salomo keine gesehn.
SCHÖN erhebt sich der Aglei, und senkt das Köpfchen
herunter.
Ist es Gefühl: oder ists Mutwill? Ihr ratet es nicht.
VIELE duftende Glocken, o Hyazinthe, bewegst du;
Aber die Glocken ziehn, wie die Gerüche, nicht an.
NACHTVIOLE, dich geht man blendenden Tage vor-
über;
Doch bei der Nachtigall Schlag hauchest du köstlichen
Geist.
TUBEROSE, du ragest hervor und ergetzest im Freien;
Aber bleibe vom Haupt, bleibe vom Herzen mir
fern!
FERN erblick ich den Mohn; er glüht. Doch komm ich
dir näher,
Ach! so seh ich zu bald, daß du die Rose nur lügst.
TULPEN, ihr werdet gescholten von sentimentalischen
Kennern;
Aber ein lustiger Sinn wünscht auch ein lustiges Blatt.
NELKEN, wie find ich euch schön! Doch alle gleicht
ihr einander,
Unterscheidet euch kaum, und ich entscheide mich nicht.
PRANGT mit den Farben Aurorens, Ranunkeln, Tulpen
und Astern!
Hier ist ein dunkles Blatt, das euch an Dufte beschämt.
KEINE lockt mich, Ranunkeln, von euch, und keine
begehr ich;
Aber im Beete vermischt sieht euch das Auge mit Lust.
398 LYRISCHE DICHTUNGEN
SAGT! was füllet das Zimmer mit Wohlgerüchen? Reseda,
Farblos, ohne Gestalt, stilles, bescheidenes Kraut.
z
lERDE wärst du der Gärten; doch wo du erscheinest,
da sagst du:
Ceres streute mich selbst aus mit der goldenen Saat.
DEINE liebliche Kleinheit, dein holdes Auge, sie sagen
Immer: Vergiß mein nicht! immer: Vergiß nur nicht
mein!
SCHWÄNDEN dem inneren Auge die Bilder sämtlicher
Blumen,
Eleonore, dein Bild brächte das Herz sich hervor.
SOMMER
GRAUSAM erweiset sich Amor an mir! O spielet, ihr
Musen,
Mit den Schmerzen, die er, spielend, im Busen erregt!
MANUSKRIPTE besitz ich, wie kein Gelehrter noch
König;
Denn mein Liebchen, sie schreibt, was ich ihr dichtete,
mir.
WIE im Winter die Saat nur langsam keimet, im
Sommer
Lebhaft treibet und reift, so war die Neigung zu dir.
IMMER war mir das Feld und der Wald, und der Fels
und die Gärten
Nur ein Raum, und du machst sie, Geliebte, zum Ort.
"n AUM und Zeit, ich empfind es, sind bloße Formen
fv. des Anschauns,
Da das Eckchen mit dir, Liebchen, imendlich mir
scheint.
1794/7 WEIMAR 399
SORGE! sie steiget mit dir zu Roß, sie steiget zu SchiflFe;
Viel zudringlicher noch packet sich Amor uns auf.
NEIGUNG besiegen ist schwer; gesellet sich aber Ge-
wohnheit,
Wurzelnd, allmählich zu ihr, unüberwindlich ist sie.
WELCHE Schrift ich zwei-, ja dreimal hinterein-
ander
Lese? Das herzliche Blatt, das die Geliebte mir schreibt.
SIE entzückt mich, und täuschet vielleicht. O Dichter
und Sänger,
Mimen! lerntet ihr doch meiner Geliebten was ab!
ALLE Freude des Dichters, ein gutes Gedicht zu er-
schafifen,
Fühle das liebliche Kind, das ihn begeisterte, mit.
EIN Epigramm sei zu kurz, mir etwas Herzlichs zu sagen?
Wie, mein Geliebter, ist nicht kürzer der herzliche
Kuß?
KENNST du das herrliche Gift der unbefriedigten
Liebe?
Es versengt und erquickt, zehret am Mark und erneuts.
KENNST du die herrliche Wirkvmg der endlich be-
friedigten Liebe?
Körper verbindet sie schön, wenn sie die Geister befreit.
D
AS ist die wahre Liebe, die immer vmd immer sich
gleichbleibt,
Wenn man ihr alles gewährt, wenn man ihr alles versagt.
ALLES wünscht ich zu haben, um mit ihr alles zu
teilen;
Alles gab ich dahin, war sie, die Einzige, mein.
400 LYRISCHE DICHTUNGEN
KRÄNKEN ein liebendes Herz, und schweigen müssen:
geschärfter
Können die Qualen nicht sein, die Rhadamanth sich
ersinnt.
WARUM bin ich vergänglich, o Zeus? so fragte die
Schönheit.
Macht ich doch, sagte der Gott, nur das Vergängliche
schön.
UND die Liebe, die Blumen, der Tau vuid die Jugend
vernahmens;
Alle gingen sie weg, weinend, von Jupiters Thron.
LEBEN muß man und lieben; es endet Leben imd
Liebe.
Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zu-
gleich!
HERBST
RICHTET den herrschenden Stab auf Leben und
Handeln, und lasset
Amom, dem lieblichen Gott, doch mit der Muse das
Spiel!
LEHRET! Es ziemet euch wohl, auch wir verehren
die Sitte;
Aber die Muse läßt nicht sich gebieten von euch.
"\ TIMM dem Prometheus die Fackel, beleb, o Muse, die
1 N Menschen!
Nimm sie dem Amor, und rasch quäl imd beglücke,
wie er!
ALLE Schöpfung ist Werk der Natur. Von Jupiters
Throne
Zuckt der allmächtige Strahl, nährt und erschüttert die
Welt.
1794/7 WEIMAR 401
FREUNDE, treibet nur alles mit Ernst und Liebe; die
beiden
Stehen dem Deutschen so schön, den ach! so vieles
entstellt.
KINDER werfen den Ball an die Wand und fangen ihn
wieder;
Aber ich lobe das Spiel, wirft mir der Freund ihn zurück.
IMMER strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein
Ganzes
Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes
dich an.
WÄRT ihr, Schwärmer, imstande, die Ideale zu
fassen,
O! so verehrtet ihr auch, wie sichs gebührt, die Natur.
WEM zu glauben ist, redlicher Freund, das kann ich
dir sagen:
Glaube dem Leben; es lehrt besser als Redner und Buch.
SCHÄDLICHE Wahrheit, ich ziehe sie vor dem nütz-
lichen Irrtum.
Wahrheit heilet den Schmerz, den sie vielleicht uns
erregt.
SCHADET ein Irrtum wohl.- Nicht immer! aber das Irren,
Immer schadets. Wie sehr, sieht man am Ende des
Wegs.
FREMDE Kinder, wir lieben sie nie so sehr als die
eignen;
Irrtum, das eigene Kind, ist uns dem Herzen so nah.
IRRTUM verläßt uns nie; doch ziehet ein höher Bedürfnis
Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.
GLEICH sei keiner dem andern; doch gleich sei jeder
dem Höchsten.
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.
GOETHE XIV 26.
402 LYRISCHE DICHTUNGEN
WARUM will sich Geschmack und Genie so selten
vereinen?
Jener furchtet die Kraft, dieses verachtet den Zaum.
FORTZUPFLANZEN die Welt, sind alle vemünftgen
Diskurse
Unvermögend; durch sie kommt auch kein Kunstwerk
hervor.
WELCHEN Leser ich wünsche? Den unbefangen-
sten, der mich,
Sich und die Welt vergißt, und in dem Buche nur lebt.
DIESER ist mir der Freund, der mit mir Strebendem
wandelt;
Lädt er zum Sitzen mich ein, stehl ich für heute mich
weg.
WIE beklag ich es tief, daß diese herrliche Seele,
Wert, mit zum Zwecke zu gehn, mich nur als
Mittel begreift!
PREISE dem Kinde die Puppen, wofür es begierig die
Groschen
Hinwirft; wahrlich, du wirst Krämern und Kindern ein
Gott.
WIE verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im
Menschen
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.
AUF das empfindsame Volk hab ich nie was gehalten;
es werden.
Kommt die Gelegenheit, nur schlechte Gesellen daraus.
FRANZTUM drängt in diesen verworrenen Tagen, wie
ehmals
Luthertum es getan, ruhige Bildtmg zurück.
A V 70 Parteien entstehn, hält jeder sich hüben und
drüben;
Viele Jaihre vergehn, eh sie die Mitte vereint.
1
1794/7 WEIMAR 403
WILLST du, mein Sohn, frei bleiben, so lerne was
Rechtes, und halte
Dich genügsam, und nie blicke nach oben hinauf!
WER ist der edlere Mann in jedem Stande? Der
stets sich
Neiget zum Gleichgewicht, was er auch habe voraus.
WISST ihr, wie auch der Kleine was ist? Er mache
das Kleine
Recht; der Große begehrt just so das Große zu tun.
w
AS ist heilig? Das ists, was viele Seelen zusammen
Bindet; band es auch nur leicht, wie die Binse
den Kranz.
WAS ist das Heiligste? Das, was heut und ewig die
Geister,
Tiefer und tiefer gefühlt, immer nur einiger macht.
WER ist das würdigste Glied des Staats? Ein wackerer
Bürger;
Unter jeglicher Form bleibt er der edelste Stoff.
WER ist denn wirklich ein Fürst? Ich hab es immer
gesehen:
Der nur ist wirklich Fürst, der es vermochte zu sein.
FEHLET die Einsicht oben, der gute Wille von unten.
Führt sogleich die Gewalt, oder sie endet den Streit.
REPUBLIKEN hab ich gesehn, und das ist die beste,
Die dem regierenden Teil Lasten, nicht Vorteil ge-
währt.
BALD, es kenne nur jeder den eigenen, gönne dem an-
dern
Seinen Vorteil, so ist ewiger Friede gemacht.
KEINER bescheidet sich gern mit dem Teile, der ihm
gebühret.
Und so habt ihr den Stoff immer und ewig zum Krieg.
404 LYRISCHE DICHTUNGEN
ZWEIERLEI Arten gibt es, die treffende Wahrheit zu
sagen:
Öffentlich immer dem Volk, immer dem Fürsten ge-
heim.
WENN du laut den einzelnen schiltst, er wird sich
verstecken,
Wie sich die Menge verstockt, wenn du im ganzen sie
lobst.
DU bist König und Ritter und kannst befehlen und
streiten;
Aber zu jedem Vertrag rufe den Kanzler herbei.
KLUG imd tätig und fest, bekannt mit allem, nach oben
Und nach unten gewandt, sei er Ministerund bleibs.
WELCHEN Hofmann ich ehre? Den klarsten und
feinsten! Das andre,
Was er noch sonst besitzt, kommt ihm als Menschen
zugut.
B du der Klügste seist, daran ist wenig gelegen;
Aber der Biederste sei, so wie bei Rate, zu Haus.
o
o
B du wachst, das kümmert uns nicht, wofern du nur
singest.
Singe, Wächter, dein Lied schlafend, wie mehrere tun.
WINTER
WASSER ist Körper, undBoden der Fluß. Das neuste
Theater
Tut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf.
WAHRLICH, es scheint nur ein Traum! Bedeutende
Bilder des Lebens
Schweben, lieblich imd ernst, über die Fläche dahin.
I
EINGEFROREN sahen wir so Jahrhimderte starren,
Menschengefühl xmd Vernunft schlich nur verborgen
am Grimd.
j^ 1794/7 WEIMAR 405
"\ TUR die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des
1 N Lebens;
Ist sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr.
ALLE streben und eilen und suchen und fliehen ein-
ander;
Aber alle beschränkt freimdlich die glättere Bahn.
DURCH einander gleiten sie her, die Schüler imd Mei-
ster,
Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält.
JEDER zeigt hier, was er vermag; nicht Lob und nicht
Tadel
Hielte diesen zurück, förderte jenen zum Ziel.
EUCH, Präkonen des Pfuschers, des Meisters Verklei-
nerer, wünscht ich
Mit ohnmächtiger Wut stumm hier am Ufer zu sehn.
LEHRLING, du schwankest und zauderst und scheuest
die glättere Fläche.
Nur gelassen! du wirst einst noch die Freude der Bahn.
WILLST du schon zierlich erscheinen, imd bist nicht
sicher? Vergebens!
Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmut hervor.
FALLEN ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler,
Wie der Meister; doch stürzt dieser gefährlicher hin.
STÜRZT der rüstigste Läufer der Bahn, so lacht man
am Ufer,
Wie man bei Bier und Tabak über Besiegte sich hebt.
GLEITE fröhlich dahin, gib Rat dem werdenden Schüler,
Freue des Meisters dich, und so genieße des Tags.
SIEHE, schon nahet der Frühhng; das strömende Wasser
verzehret
Unten, der sanftere Blick oben der Sonne das Eis.
4o6 LYRISCHE DICHTUNGEN
DIESES Geschlecht ist hinweg, zerstreut die bunte Ge-
sellschaft;
Schiffern und Fischern gehört wieder die wallende Flut.
SCHWIMME, du mächtige Scholle, nur hin! uad kommst
du als Scholle
Nicht hinunter, du kommst doch wohl als Tropfen ins
Meer.
MIGNON
SO laßt mich scheinen, bis ich werde;
Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!
Ich eile von der schönen Erde
Hinab in jenes feste Haus.
Dort ruh ich eine kleine Stille,
Dann öffnet sich der frische Blick,
Ich lasse dann die reine Hülle,
Den Gürtel und den Kranz zurück.
Und jene himmlischen Gestalten,
Sie fragen nicht nach Mann und Weib,
Und keine Kleider, keine Falten
Umgeben den verklärten Leib.
Zwar lebt ich ohne Sorg und Mühe,
Doch fühlt ich tiefen Schmerz genung.
Vor Kummer altert ich zu frühe —
Macht mich auf ewig wieder jung!
[An die Herzogin Luise]
SKLAVEN sollten wir haben in deiner Gegenwart.^ Alle, '
Fürstin, machest du frei, alle verbindest du dir.
[In Ifflands Stammbuch]
lEL von Künsten und Künstlern wird immer in
Deutschland gesprochen;
Angeschaut haben wir nun Künstler und Künste zu-^
gleich.
V
1794/7 WEIMAR 407
DIE SPRÖDE
AN dem reinsten Frühlingsmorgen
Ging die Schäferin mid sang,
Jung und schön und ohne Sorgen,
Daß es durch die Felder klang,
So la la! le ralla!
Thyrsis bot ihr für ein Mäulchen
Zwei, drei Schäfchen gleich am Ort.
Schalkhaft blickte sie ein Weilchen,
Doch sie sang und lachte fort,
So la la! le ralla!
Und ein andrer bot ihr Bänder,
Und der dritte bot sein Herz;
Doch sie trieb mit Herz und Bändern
So wie mit den Lämmern Scherz,
Nur la la! le ralla!
DIE BEKEHRTE
BEI dem Glänze der Abendröte
Ging ich still den Wald entlang,
Dämon saß und blies die Flöte,
Daß es von den Felsen klang,
So la la!
Und er zog mich, ach, an sich nieder
Küßte mich so hold, so süß.
Und ich sagte: Blase wieder!
Und der gute Junge blies,
So la la!
Meine Ruhe ist nun verloren,
Meine Freude floh davon.
Und ich höre vor meinen Ohren
Immer nur den alten Ton,
So la la, le ralla!
u. s. w.
4o8 LYRISCHE DICHTUNGEN
ALEXIS UND DORA
ACH! unaufhaltsam strebet das Schiff mit jedem Mo-
mente
Durch die schäumende Flut weiter und weiter hinaus!
Langhin furcht sich die Gleise des Kiels, worin die Delphine
Springend folgen, als flöh ihnen die Beute davon.
Alles deutet auf glückliche Fahrt: der ruhige Bootsmann
Ruckt am Segel gelind, das sich für alle bemüht;
Vorwärts dringt der SchiflFenden Geist, wie Flaggen imd
Wimpel;
Einer nur steht rückwärts traurig gewendet am Mast,
Sieht die Berge schon blau, die scheidenden, sieht in das
Meer sie
Niedersinken, es sinkt jegliche Freude vor ihm.
Auch dir ist es verschwunden, das Schiff, das deinen Alexis,
Dir, o Dora, den Freund, ach! dir den Bräutigam raubt.
Auch du blickest vergebens nach mir. Noch schlagen die
Herzen
Füreinander, doch ach! nun aneinander nicht mehr.
Einziger Augenblick, in welchem ich lebte! du wiegest
Alle Tage, die sonst kalt mir verschwindenden, auf.
Ach! nur im Augenblick, im letzten, stieg mir ein Leben
Unvermutet in dir, wie von den Göttern, herab.
Nur umsonst verklärst du mit deinem Lichte den Äther;
Dein allleuchtender Tag, Phöbus, mir ist er verhaßt.
In mich selber kehr ich zurück; da will ich im stillen
Wiederholen die Zeit, als sie mir täglich erschien.
War es möglich, die Schönheit zu sehn und nicht zu emp-
finden.^
Wirkte der himmlische Reiz nicht auf dein stumpfes
Gemüt?
Klage dich. Armer, nicht an! — So legt der Dichter ein
Rätsel,
Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung
ins Ohr:
Jeden freuet die seltne, der zierHchen Bilder Verknüpfung,
Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung ver-
wahrt;
1
|| 1794/7 WEIMAR 409
Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes Gemüt auf
Und erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn.
Ach, warum so spät, o Amor, nahmst du die Binde,
Die du ums Aug mir geknüpft, nahmst sie zu spät mii
hinweg!
Lange schon harrte befrachtet das Schifif auf günstige Lüfte;
Endlich strebte der Wind glücklich vom Ufer ins Meer.
Leere Zeiten der Jugend! und leere Träume der Zukunft!
Ihr verschwindet, es bleibt einzig die Stunde mir nur.
Ja, sie bleibt, es bleibt mir das Glück! ich halte dich, Dora!
Und die Hoffnvmg zeigt, Dora, dein Bild mir allein.
Öfter sah ich zum Tempel dich gehn, geschmückt und
gesittet,
Und das Mütterchen ging feierlich neben dir her.
Eilig warst du und frisch, zu Markte die Früchte zu tragen.
Und vom Brunnen, wie kühn! wiegte dein Haupt das
Gefäß.
Da erschien dein Hals, erschien dein Nacken vor allen.
Und vor allen erschien deiner Bewegungen Maß.
Oftmals hab ich gesorgt, es möchte der Krug dir entstürzen ,
Doch er hielt sich stet auf dem geringelten Tuch.
Schöne Nachbarin, ja, so war ich gewohnt dich zu sehen.
Wie man die Sterne sieht, wie man den Mond sich be-
schaut,
Sich an ihnen erfreut, imd innen im ruhigen Busen
Nicht der entfernteste Wunsch, sie zu besitzen, sich regt.
Jahre, so gingt ihr dahin! Nur zwanzig Schritte getrennet
Waren die Häuser, imd nie hab ich die Schwelle be-
rührt.
Und nun trennt uns die gräßliche Flut! Du lügst nur den
Himmel,
Welle! dein herrliches Blau ist mir die Farbe der Nacht.
Alles rührte sich schon; da kam ein Knabe gelaufen
An mein väterlich Haus, rief mich zum Strande hinab:
Schon erhebt sich das Segel, es flattert im Winde, so
sprach er.
Und gelichtet, mit Kraft, trennt sich der Anker vom Sand;
Komm, Alexis, o komm! Da drückte der wackere Vater,
Würdig, die segnende Hand mir auf das lockige Haupt-
4IO LYRISCHE DICHTUNGEN
Sorglich reichte die Mutter ein nachbereitetes Bündeh
Glücklich kehre zurück! riefen sie, glücklich und reich!
Und so sprang ich hinweg, das Bündelchen unter dem Arme,
An der Mauer hinab, fand an der Türe dich stehn
Deines Gartens. Du lächeltest mir und sagtest: Alexis!
Sind die Lärmenden dort deine Gesellen der Fahrt?
Fremde Küsten besuchest du nun, und köstliche Waren
Handelst du ein, und Schmuck reichen Matronen der
Stadt.
Aber bringe mir auch ein leichtes Kettchen; ich will es
Dankbar zahlen: so oft hab ich die Zierde gewünscht!
Stehen war ich geblieben und fragte, nach Weise des
Kaufmanns,
Erst nach Form und Gewicht deiner Bestellung genau.
Gar bescheiden erwogst du den Preis! da blickt ich in-
dessen
Nach dem Halse, des Schmucks unserer Königin wert.
Heftiger tönte vom Schiff das Geschrei; da sagtest du
freundlich:
Nimm aus dem Garten noch einige Früchte mit dir!
Nimm die reifsten Orangen, die weißen Feigen; das Meer ,
bringt "^-i
Keine Früchte, sie bringl jegliches Land nicht hervor. '
Und so trat ich herein. Du brachst nun die Früchte ge-
schäftig.
Und die goldene Last zog das geschürzte Gewand.
Öfters bat ich: es sei nun genug! und immer noch eine
Schönere Frucht fiel dir, leise berührt, in die Hand.
EndHch kamst du zur Laube hinan; da fand sich ein Körb-
chen,
Und die Myrte bog blühend sich über uns hin.
Schweigend begannest du nun geschickt die Früchte zu
ordnen:
Erst die Orange, die schwer ruht, als ein goldener Ball,
Dann die weichliche Feige, die jeder Druck schon ent-
stellet;
Und mit Myrte bedeckt ward und geziert das Geschenk.
Aber ich hob es nicht auf; ich stand. Wir sahen einander
In die Augen, und mir ward vor dem Auge so trüb.
1794/7 ^VEIMAR 4ii
Deinen Busen fühlt ich an meinem! Den herrhchen Nacken,
Ihn umschlang nun mein Arm, tausendmal küßt ich den
Hals;
Mir sank über die Schulter dein Haupt, nun knüpften auch
deine
Lieblichen Arme das Band um den Beglückten herum.
Amors Hände fühlt ich: erdrückt' uns gewaltig zusammen,
Und aus heiterer Luft donnert' es dreimal; da floß
Häufig die Träne vom Aug mir herab, du weintest, ich
weinte,
Und vor Jammer und Glück schien uns die Welt zu
vergehn.
Immer heftiger rief es am Strand; da wollten die Füße
Mich nicht tragen, ich rief: Dora! und bist du nicht
mein?
Ewig! sagtest du leise. Da schienen unsere Tränen,
Wie durch göttliche Luft, leise vom Auge gehaucht.
Näher rief es: Alexis! Da blickte der suchende Knabe
Durch die Türe herein. Wie er das Körbchen empfing!
Wie er mich trieb! Wie ich dir die Hand noch drückte! —
Zu Schifife
Wie ich gekommen? Ich weiß, daß ich ein Trunkener
schien.
Und so hielten mich auch die Gesellen, schonten den
Kranken;
Und schon deckte der Hauch trüber Entfernung die
Stadt.
Ewig! Dora, lispeltest du; mir schallt es im Ohre
Mit dem Donner des Zeus! Stand sie doch neben dem
Thron,
Seine Tochter, die Göttin der Liebe; die Grazien standen
Ihr zur Seiten! Er ist götterbekräftigt, der Bund!
O so eile denn, Schiff, mit allen günstigen Winden!
Strebe, mächtiger Kiel, trenne die schäumende Flutl
Bringe dem fremden Hafen mich zu, damit mir der Gold-
schmied
In der Werkstatt gleich ordne das himmlische Pfand.
Wahrlich! zur Kette soll das Kettchen werden, o Dora!
Neunmal umgebe sie dir, locker gewunden, den Hals!
412 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ferner schaff ich noch Schmuck, den mannigfaltigsten;
goldne
Spangen sollen dir auch reichlich verzieren die Hand:
Da wetteifre Rubin und Smaragd, der liebliche Saphir
Stelle dem Hyazinth sich gegenüber, und Gold
Halte das Edelgestein in schöner Verbindung zusammen.
O wie den Bräutigam freut, einzig zu schmücken die
Braut!
Seh ich Perlen, so denk ich an dich; bei jeghchem Ringe
Kommt mir der länglichen Hand schönes Gebild in den
Sinn.
Tauschen will ich und kaufen; du sollst das Schönste von
allem
Wählen; ich widmete gern alle die Ladung nur dir.
Doch nicht Schmuck und Juwelen allein verschafft dein
Geliebter:
Was ein häusliches Weib freuet, das bringt er dir auch.
Feine wollene Decken mit Purpursäumen, ein Lager
Zu bereiten, das uns traulich und weichlich empfängt;
Köstlicher Leinwand Stücke. Du sitzest und nähest und
kleidest
Mich und dich und auch wohl noch ein Drittes darein.
Bilder der Hoffnung, täuschet mein Herz! O mäßiget,
Götter,
Diesen gewaltigen Brand, der mir den Busen durchtobt!
Aber auch sie verlang ich zurück, die schmerzliche Freude,
Wenn die Sorge sich kalt, gräßlich gelassen, mir naht.
Nicht der Erinnyen Fackel, das Bellen der höllischen Hunde
Schreckt den Verbrecher so in der Verzweiflung Gefild,
Als das gelaßne Gespenst mich schreckt, das die Schöne
von fern mir
Zeiget: die Türe steht wirklich des Gartens noch auf!
Und ein anderer kommt! Für ihn auch fallen die Früchte!
Und die Feige gewährt stärkenden Honig auch ihm!
Lockt sie auch ihn nach der Laube? und folgt er,^ O macht
mich, ihr Götter,
Blind, verwischet das Bild jeder Erinnrung in mir!
Ja, ein Mädchen ist sie! imd die sich geschwinde dem einen
Gibt, sie kehret sich auch schnell zu dem andern herum.
1794/7 WEIMAR 413
Lache nicht diesmal, Zeus, der frech gebrochenen Schwüre!
Donnere schrecklicher! Triff! — Halte die Blitze zurück!
Sende die schwankenden Wolken mir nach! Im nächtlichen
Dunkel
Trefife dein leuchtender Blitz diesen unglücklichen Mast!
Streue die Planken umher und gib der tobenden Welle
Diese Waren, und mich gib den Delphinen zum Raub! —
Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu schildern,
Wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender Brust.
Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor geschlagen;
Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch.
MUSEN UND GRAZIEN IN DER MARK
Owie ist die Stadt so wenig;
Laßt die Maurer künftig ruha'
Unsre Bürger, unser König
Könnten wohl was Bessers tun.
Ball und Oper wird uns töten;
Liebchen, komm auf meine Flur,
Denn besonders die Poeten,
Die verderben die Natur.
O wie freut es mich, mein Liebchen,
Daß du so natürlich bist;
Unsre Mädchen, rmsre Bübchen
Spielen künftig auf dem Mist!
Und axii unsern Promenaden
Zeigt sich erst die Neigung stark.
Liebes Mädchen! laß ims waden,
Waden noch durch diesen Quark.
Dann im Sand uns zu verlieren,
Der uns keinen Weg versperrt!
Dich den Anger hin zu führen.
Wo der Dorn das Röckchen zerrt!
Zu dem Dörfchen laß uns schleichen
Mit dem spitzen Turme hier;
Welch ein Wirtshaus sondergleichen!
Trocknes Brot und saures Bier!
L
414 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sagt mir nichts von gutem Boden,
Nichts vom Magdeburger Land!
Unsre Samen, unsre Toten
Ruhen in dem leichten Sand.
Selbst die Wissenschaft verlieret
Nichts an ihrem raschen Lauf,
Denn bei uns, was vegetieret.
Alles keimt getrocknet auf.
Geht es nicht in unserm Hofe
Wie im Paradiese zu?
Statt der Dame, statt der Zofe
Macht die Henne glu! glu! glu!
Uns beschäftigt nicht der Pfauen,
Nur der Gänse Lebenslauf;
Meine Mutter zieht die grauen,
Meine Frau die weißen auf.
Laß den Witzling uns bestichein!
Glücklich, wenn ein deutscher Mann
Seinem Freunde Vetter Micheln
Guten Abend bieten kann.
Wie ist der Gedanke labend:
Solch ein Edler bleibt uns nah!
Immer sagt man: Gestern abend
War doch Vetter Michel da!
Und in unsem Liedern keimet
Silb aus Silbe, Wort aus Wort.
Ob sich gleich auf deutsch nichts reimet.
Reimt der Deutsche dennoch fort.
Ob es kräftig oder zierlich,
Geht uns so genau nicht an;
Wir sind bieder und natürlich.
Und das ist genug getan.
EINE nicht hält mich zurück, gar zwei sinds, die mii
gebieten.
1
1794/7 WEIMAR 415
KOMM nur von Giebichenstein, von Malepartus! Du
bist doch
Reineke nicht, du bist doch nur halb Bär und halb Wolf.
DER CHINESE IN ROM
EINEN Chinesen sah ich in Rom; die gesamten Gebäude
Alter und neuerer Zeit schienen ihm lästig und schwer.
Ach! so seufzt' er, die Armen! ich hoffe, sie sollen begreifen,
Wie erst Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt,
Daß an Latten und Pappen, Geschnitz und bunter Ver-
goldung
Sich des gebildeten Augs feinerer Sinn nur erfreut. —
Siehe, da glaubt ich, im Bilde so manchen Schwärmer zu
schauen.
Der sein luftig Gespinst mit der soliden Natiir
Ewigem Teppich vergleicht, den echten, reinen Gesunden
Krank nennt, daß ja nur ^r heiße, der Kranke, gesund.
HERMANN UND DOROTHEA
ALSO das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich
begeistert,
Daß Martial sich zn mir auch, der verwegne, gesellt?
Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu hüten,
Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt."
Daß ich Natur und Kunst zu schaun mich treulich bestrebe,
Daß kein Name mich täuscht, daß mich kein Dogma
beschränkt?
Daß nicht des Lebens bedingender Drang mich, den Men-
schen, verändert,
Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht?
Solcher Fehler, die du, o Muse, so emsig gepfleget,
Zeihet der Pöbel mich; Pöbel nur sieht er in mir.
Ja, sogar der Bessere selbst, gutmütig und bieder,
Will mich anders; doch du, Muse, befiehlst mir allein.
Denn du bist es allein, die noch mir die innere Jugend
Frisch erneuest, und sie mir bis zu Ende versprichst.
Aber verdopple nunmehr, o Göttin, die heilige Sorgfalt!
Ach! die Scheitel umwalltreichlichdie Locke nicht mehr:
4 1 6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Dabedarfman der Kränze, sich selbst und andre zu täuschen;
Kränzte doch Cäsar selbst nur aus Bedürfnis das Haupt.
Hast du ein Lorbeerreis mir bestimmt, so laß es am Zweige
Weiter grünen, und gib einst es dem Würdigern hin;
Aber Rosen winde genug zum häuslichen Kranze,
Bald als Lilie schlingt silberne Locke sich durch.
Schüre die Gattin das Feuer, auf reinlichem Herde zu
kochen!
Werfe der Knabe das Reis, spielend, geschäftig dazu!
Laß im Bechernicht fehlen den Wein! Gesprächige Freunde,
Gleichgesinnte, herein! Kränze, sie warten auf euch.
Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen
Homeros
Kühn ims befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn.
Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit
dem Einen?
Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.
Darum boret das neuste Gedicht! Noch einmal getrunken!
Euch besteche der Wein, Freundschaft und Liebe das
Ohr.
Deutschen selber fuhr ich euch zu, in die stillere Wohnung,
Wo sich, nah der Natur, menschlich der Mensch noch
erzieht. .
Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise M
Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband.
Auch die traurigen Bilder der Zeit, sie führ ich vorüber;
Aber es siege der Mut in dem gesunden Geschlecht.
Hab ich euch Tränen ins Auge gelockt, imd Lust in die
Seele
Singend geflößt, so kommt, drücket mich herzHch ans
Herz!
Weise denn sei das Gespräch! Uns lehret Weisheit am
Ende
Das Jahrhundert; wen hat das Geschick nicht geprüft:
Blicket heiterer nun auf jene Schmerzen zurücke,
Wenn euch ein fröhlicher Sinn manches entbehrlich
erklärt.
Menschen lernten wir kennen und Nationen; so laßt uns,
• Unser eigenes Herz kennend, uns dessen erfreun.
üi
1794/7 WEIMAR 417
AUCH erscheint ein Herr F* rlietorisch, grimmig-
ironisch,
Seltsam gebärdet er sich, plattdeutsch, im Zeitungs-
format.
SfiANCE
HIER ists, wo unter eignem Namen
Die Buchstaben sonst zusammenkamen.
Mit Scharlachkleidern angetan,
Saßen die Selbstlauter obenan:
A, E, I, O und U dabei.
Machten gar ein seltsam Geschrei.
Die Mitlauter kamen mit steifen Schritten,
Mußten erst um Erlaubnis bitten:
Präsident A war ihnen geneigt.
Da wurd ihnen denn der Platz gezeigt;
Andre aber, die mußten stehn,
Als Pe-Ha und Te-Ha und solches Getön.
Dann gabs ein Gerede, man weiß nicht wie:
Das nennt man eine Akademie.
HAUS -PARK
LIEBE Mutter, die Gespielen
Sagen mir schon manche Zeit,
Daß ich besser sollte fühlen,
Was Natur im Freien beut.
Bin ich hinter diesen Mauern,
Diesen Hecken, diesem Buchs,
Wollen sie mich nur bedauern
Neben diesem alten Jux.
Solche schroffe grüne Wände
Ließen sie nicht länger stehn;
Kann man doch von einem Ende
Gleich bis an das andre sehn.
Von der Schere fallen Blätter,
Fallen Blüten, welch ein Schmerz!
Asmus, unser lieber Vetter,
Nennt es puren Schneiderscherz.
GOETHE XIV 27.
4 1 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Stehn die Pappeln doch so prächtig
Um des Nachbars Gartenhaus;
Und bei uns wie niederträchtig
Nehmen sich die Zwiebeln aus!
Wollt ihr nicht den Wunsch erfüllen—
Ich bescheide mich ja wohl!
Heuer nur, um Gottes willen,
Liebe Mutter, keinen Kohl!
ALEXIS UND DORA
Alexis
SAG, wie kommst du zu dem Besen
Und, was schlimmer ist, zum Reim?
Dora
Bin in Halberstadt gewesen
Bei dem guten Vater Gleim.
DER SCHATZGRÄBER
ARM am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und, zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.
Und so zog ich Kreis' um KLreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze;
Schwarz imd stürmisch war die Nacht.
Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
j
1794/7 WEIMAR 419
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es Zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten:
Heller wards mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.
Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht: es kann der Knabe
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.
Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens:
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.
DER NEUE PAUSIAS UND SEIN BLUMENMÄDCHEN
Pausias von Sicyon, der Maler, war als Jüngling in Glyceren, seine
Mitbürgerin, verliebt, welche Blumenkränze zu winden einen sehr
erfinderischen Geist hatte. Sie wetteiferten miteinander, und er
brachte die Nachahmung der Blumen zur größten Mannigfaltigkeit.
Endlich malte er seine Geliebte, sitzend, mit einem Kranze be-
schäftigt. Dieses Bild wurde für eins seiner besten gehalten und die
Kranzwinderin oder Kranzhändlerin genannt, weil Glycere sich auf
diese Weise als ein armes Mädchen ernährt hatte. Lucius LucuUus
kaufte eine Kopie in Athen für zwei Talente. {Plinius, Historia
aaturalis XXXV, 11.)
Sie
SCHÜTTE die Blumen nur her, zu meinen Füßen und
deinen!
Welch ein chaotisches Bild holder Verwirrung du streust!
420 LYRISCHE DICHTUNGEN
Er
Du erscheinest als Liebe, die Elemente zu knüpfen;
Wie du sie bindest, so wird nun erst ein Leben daraus.
Sie
Sanft berühre die Rose, sie bleib im Körbchen verborgen;
Wo ich dich finde, mein Freund, öffentlich reich ich sie dir.
Er
Und ich tu, als kennt ich dich nicht, und danke dir freund-
lich;
Aber dem Gegengeschenk weichet die Geberin aus,
Sie
Reiche die Hyazinthe mir nun, und reiche die Nelke,
Daß die frühe zugleich neben der späteren sei.
Er
Laß im blumigen Kreise zu deinen Füßen mich sitzen,
Und ich fülle den Schoß dir mit der lieblichen Schar.
Sie
Reiche den Faden mir erst; dann sollen die Garten-
verwandten,
Die sich von ferne nur sahn, nebeneinander sich freun.
Er
Was bevvundr ich zuerst? was zuletzt? die herrlichen
Blumen?
Oder der Finger Geschick? oder der Wählerin Geist?
Sie
Gib auch Blätter, den Glanz der blendenden Blumen zu
mildern:
Auch das Leben verlangt ruhige Blätter im Kranz.
Er
Sage, was wählst du so lange bei diesem Strauße? Gewiß ist
Dieser jemand geweiht, den du besonders bedenkst.
Sie
Hundert Sträuße verteil ich des Tags, und Kränze di
Menge;
Aber den schönsten doch bring ich am Abende dir.
I
17 94/7 WEIMAR 421
Er
Ach! wie wäre der Maler beglückt, der diese Gewinde
Malte, das blumige Feld, ach! und die Göttin zuerst!
Sie
Aber doch mäßig beglückt ist der, mich dünkt, der am
Boden
Hier sitzt, dem ich den Kuß reichend noch glücklicher
bin.
Er
Ach, Geliebte, noch Einen! Die neidischen Lüfte des
Morgens
Nahmen den ersten sogleich mir von den Lippen hinweg.
Sie
Wie der Frühling die Blumen mir gibt, so geb ich die
Küsse
Gern dem Geliebten; und hier sei mit dem Kusse der
Kranz!
Er
Hätt ich das hohe Talent des Pausias glücklich empfangen:
Nachzubilden den Kranz, war ein Geschäfte des Tags!
Sie
Schön ist er wirklich. Sieh ihn nur an! Es wechseln die
schönsten
Kinder Florens um ihn, bunt und gefällig, den Tanz.
Er
In die Kelche versenkt ich mich dann und erschöpfte den
süßen
Zauber, den die Natur über die Kronen ergoß.
Sie
Und so fand ich am Abend noch frisch den gebundenen
Kranz hier;
Unverwelklich sprach uns von der Tafel er an.
Er
Ach, wie fühl ich mich arm und unvermögend! wie wünscht
ich
Festzuhalten das Glück, das mir die Augen versengt!
42 2 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sie
Unzufriedener Mann! Du bist ein Dichter, und neidest
Jenes Alten Talent? Brauche das deinige doch!
Er
Und erreicht wohl der Dichter den Schmelz der farbigen
Blumen:
Neben deiner Gestalt bleibt nur ein Schatten sein Wort!
Sie
Aber vermag der Maler wohl auszudrücken: Ich liebe?
Nur dich lieb ich, mein Freund! lebe für dich nur allein!
Er
Ach! und der Dichter selbst vermag nicht zu sagen: Ich
liebe!
Wie du, himmlisches Kind, süß mir es schmeichelst ins
Ohr.
Sie
Viel vermögen sie beide; doch bleibt die Sprache des Kusses,
Mit der Sprache des Blicks, nur den Verliebten ge-
schenkt.
Er
Du vereinigest alles; du dichtest und malest mit Blumen:
Florens Kinder sind dir Farben und Worte zugleich.
Sie
Nur ein vergängliches Werk entwindet der Hand sich des
Mädchens
Jeden Morgen: die Pracht welkt vor dem Abende schon.
Er 3^
Auch so geben die Götter vergängliche Gaben, und locken
Mit erneutem Geschenk immer die Sterblichen an.
Sie
Hat dir doch kein Strauß, kein Kranz des Tages gefehlet,
Seit dem ersten, der dich mir so von Herzen verband.
Er
Ja, noch hängt er zu Hause, der erste Kranz, in der Kammer,
Welchen du mir, den Schmaus lieblich umwandelnd,
gereicht.
& 1794/7 WEIMAR 423
Sie
Da ich den Becher dir kränzte, die Rosenknospe hineinfiel,
i- Und du trankest, und riefst: Mädchen, die Bhimen sind
Gift!
Er
Und dagegen du sagtest: Sie sind voll Honig, die Blumen;
Aber die Biene nur findet die Süßigkeit aus.
Sie
Und der rohe Timanthergriffmich und sagte: Die Hummeln
r Forschen des herrlichen Kelchs süße Geheimnisse wohl?
' Er
Und du wandtest dich weg, und wolltest fliehen; es stürzten
Vor dem täppischen Mann Körbchen und Blumen hinab.
Sie
Und du riefst ihm gebietend: Das Mädchen laß nur! die
Sträuße,
So wie das Mädchen selbst, sind für den feineren Sinn.
Er
Aber fester hielt er dich nur, es grinste der Lacher,
Und dein Kleid zerriß oben vom Nacken herab.
Sie
Und du warfst in begeisterter Wut den Becher hinüber,
Daß er am Schädel ihm, häßlich vergossen, erklang.
Er
Wein und Zorn verblendeten mich; doch sah ich den weißen
Nacken, die herrliche Brust, die du bedecktest, im Blick.
Sie
Welch ein Getümmel ward tmd ein Aufstand! Purpurn
das Blut lief.
Mit dem Weine vermischt, greulich dem Gegner vom
Haupt.
Dich nur sah ich, nur dich am Boden knieend, verdrießlich;
Mit der einen Hand hieltst das Gewand du hinauf.
424 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sie
Ach, da flogen die Teller nach dir! Ich sorgte, den adeln
Fremdling träfe der Wurf kreisend geschwungnen Me-
talls.
Er
Und doch sah ich nur dich, wie rasch mit der anderen
Hand du
Körbchen, Blumen und Kranz sammeltest unter dem
Stuhl.
Sie
Schützend tratest du vor, daß nicht mich verletzte der Zufall,
Oder der zornige Wirt, weil ich das Mahl ihm gestört.
Er
Ja, ich erinnre mich noch; ich nahm den Teppich wie einer.
Der auf dem linken Arm gegen den Stier ihn bewegt.
Sie
Ruhe gebot der Wirt und sinnige Freunde. Da schlüpft ich
Sachte hinaus- nach dir wendet ich immer den Blick.
Er
Ach, du warst mir verschwunden! Vergebens sucht ich in,,
allen 1
Winkeln des Hauses herum, sowie auf Straßen und Markt. '
Sie
Schamhaft blieb ich verborgen. Das unbescholtene Mäd-
chen,
Sonst von den Bürgern geliebt, war nun das Märchen
des Tags.
Er
Blumen sah ich genug und Sträuße, Kränze die Menge;
Aber du fehltest mir, aber du fehltest der Stadt.
Sie
Stille saß ich zu Hause. Da blätterte los sich vom Zweif
Manche Rose, so auch dorrte die Nelke dahin.
Er
Mancher Jüngling sprach auf dem Platz: Da liegen die
Blumen!
Aber die Liebliche fehlt, die sie verbände zum Kranz.
1794/7 WEIMAR 425
Sie
Kränze band ich indessen zu Haus, und ließ sie verwelken,
■ ' Siehst du? da hangen sie noch, neben dem Herde, fürdich.
Er
Auch so welkte der Kranz, dein erstes Geschenk! Ich ver-
gaß nicht
Ihn im Getümmel, ich hing neben dem Bett mir ihn auf.
Sie
Abends betrachtet ich mir die welkenden, saß noch und
weinte,
Bis in der dunkelen Nacht Farbe nach Farbe verlosch.
Er
Irrend ging ich umher und fragte nach deiner Behausung;
Keiner der Eitelsten selbst konnte mir geben Bescheid.
Sie
Keiner hat je mich besucht, und keiner weiß die entlegne
Wohnung; die Größe der Stadt birget die Ärmere leicht.
Er
Irrend lief ich umher und flehte zur spähenden Sonne:
Zeige mir, mächtiger Gott, wo du im Winkel ihr scheinst!
Sie
Große Götter hörten dich nicht; doch Penia hört' es.
Endlich trieb die Not nach dem Gewerbe mich aus.
Er
Trieb nicht noch dich ein anderer Gott, den Beschützer
zu suchen?
Hatte nicht Amor für uns wechselnde Pfeile getauscht?
Sie
Spähend sucht ich dich auf bei vollem Markt, und ich sah
dich!
Er
Und es hielt das Gedräng keines der Liebenden auf.
Sie
Schnell wir teilten das Volk, wir kamen zusammen, du
standest.
426 LYRISCHE DICHTUNGEN
Er
Und du standest vor mir, ja! und wir waren allein.
Sie
Mitten unter den Menschen! sie schienen nur Sträucher
und Bäume,
Er
Und mir schien ihr Getös nur ein Geriesel des Quells.
Sie
Immer allein sind Liebende sich in der größten Ver-
sammlung;
Aber sind sie zu zwein, stellt auch der Dritte sich ein.
Er
Amor, ja! er schmückt sich mit diesen herrlichen Kränzen.
Schütte die Blumen nun doch fort, aus dem Schöße
den Rest!
Sie
Nun, ich schüttle sie weg, die schönen. In deiner Um-
armung,
Lieber, geht mir auch heut wieder die Sonne nur auf.
NACHGEFÜHL
WENN die Reben wieder blühen,
Rühret sich der Wein im Fasse;
Wenn die Rosen wieder glühen,
Weiß ich nicht, wie mir geschieht.
Tränen rinnen von den Wangen,
Was ich tue, was ich lasse;
Nur ein unbestimmt Verlangen
Fühl ich, das die Brust durchglüht.
Und zuletzt muß ich mir sagen,
Wenn ich mich bedenk und fasse,
Daß in solchen schönen Tagen
Doris einst für mich geglüht.
1794/7 WEIMAR 427
ABSCHIED
ZU lieblich ists, ein Wort zu brechen,
Zu schwer die vvohlerkannte Pflicht,
Und leider kann man nichts versprechen,
Was unserm Herzen widerspricht.
Du übst die alten Zauberlieder,
Du lockst ihn, der kaum ruhig war.
Zum Schaukelkahn der süßen Torheit wieder,
Erneust, verdoppelst die Gefahr.
Was suchst du mir dich zu verstecken!
Sei offen, flieh nicht meinen Blick!
Früh oder spät mußt ichs entdecken.
Und hier hast du dein Wort zurück.
Was ich gesollt, hab ich vollendet.
Durch mich sei dir von nun an nichts verwehrt;
Allein verzeih dem Freund, der sich nun von dir wendet
Und still in sich zurücke kehrt.
AN MIGNON
ÜBER Tal und Fluß getragen.
Ziehet rein der Sonne Wagen.
Ach, sie regt in ihrem Lauf,
So wie deine, meine Schmerzen,
Tief im Herzen,
Immer morgens wieder auf.
Kaum will mir die Nacht noch frommen,
Denn die Träume selber kommen
Nun in trauriger Gestalt,
Und ich fühle dieser Schmerzen,
Still im Herzen
Heimlich bildende Gewalt.
Schon seit manchen schönen Jahren
Seh ich unten Schiffe fahren,
Jedes kommt an seinen Ort;
42 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Aber ach, die steten Schmerzen,
Fest im Herzen,
Schwimmen nicht im Strome fort.
Schön in Kleidern muß ich kommen,
Aus dem Schrank sind sie genommen,
Weil es heute Festtag ist;
Niemand ahnet, daß von Schmerzen
Herz im Herzen
Grimmig mir zerrissen ist.
Heimlich muß ich immer weinen,
Aber freundlich kann ich scheinen
Und sogar gesund und rot;
Wären tödlich diese Schmerzen
Meinem Herzen,
Ach, schon lange war ich tot.
LEGENDE
ALS noch, verkannt und sehr gering,
Unser Herr auf der Erde ging,
Und viele Jünger sich zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden.
Liebt' er sich gar über die Maßen,
Seinen Hof zu halten auf der Straßen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer besser und freier spricht.
Er Heß sie da die höchsten Lehren
Aus seinem heiligen Munde hören;
Besonders durch Gleichnis und Exempel
Macht' er einen jeden Markt zum Tempel.
So schlendert' er in Geistes Ruh
Mit ihnen einst einem Städtchen zu,
Sah etwas blinken auf der Straß,
Das ein zerbrochen Hufeisen was.
Er sagte zu Sankt Peter drauf:
Heb doch einmal das Eisen auf!
Sankt Peter war nicht aufgeräumt,
Er hatte soeben im Gehen geträumt,
1794/7 WEIMAR 429
So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt:
Denn im Kopf hat das keine Schranken;
Das waren so seine liebsten Gedanken.
Nun war der Fund ihm viel zu klein,
Hätte müssen Krön und Scepter sein;
Aber wie sollt er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
Und tut, als hätt ers nicht gehört.
Der Herr, nach seiner Langmut, drauf
Hebt selber das Hufeisen auf
Und tut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen.
Geht er vor eines Schmiedes Tür,
Nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen,
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen.
Kauft ihrer, so wenig oder so viel,
Als man für einen Dreier geben will,
Die er sodann nach seiner Art
Ruhig im Ärmel aufbewahrt.
Nun gings zum andern Tor hinaus.
Durch Wies und Felder ohne Haus,
Auch war der Weg von Bäumen bloß;
Die Sonne schien, die Hitz war groß.
So daß man viel an solcher Statt
Für einen Trunk Wasser gegeben hätt.
Der Herr geht immer voraus vor allen,
Läßt unversehens eine Kirsche fallen.
Sankt Peter war gleich dahinter her.
Als wenn es ein goldner Apfel war;
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr, nach einem kleinen Raum,
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
Womach Sankt Peter schnell sich bückt.
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
430 LYRISCHE DICHTUNGEN
Das dauert eine ganze Zeit.
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
Tatst du zur rechten Zeit dich regen,
Hättst dus bequemer haben mögen.
Wer geringe Ding wenig achtet,
Sich um geringere Mühe macht.
DIE BRAUT VON KORINTH
NACH Korinthus von Athen gezogen
Kam ein Jüngling, dort noch unbekannt
Einen Bürger hofft' er sich gewogen;
Beide Väter waren gastverwandt,
Hatten frühe schon
Töchterchen xmd Sohn
Braut und Bräutigam voraus genannt.
Aber wird er auch willkommen scheinen,
Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft?
Er ist noch ein Heide mit den Seinen,
Und sie sind schon Christen und getauft.
Keimt ein Glaube neu,
Wird oft Lieb und Treu
Wie ein böses Unkraut ausgerauft.
Und schon lag das ganze Haus im stillen,
Vater, Töchter, nur die Mutter wacht;
Sie empfängt den Gast mit bestem Willen,
Gleich ins Prunkgemach wird er gebracht.
Wein tmd Essen prangt,
Eh er es verlangt:
So versorgend wünscht sie gute Nacht.
Aber bei dem wohlbestellten Essen
Wird die Lust der Speise nicht erregt;
Müdigkeit läßt Speis und Trank vergessen,
Daß er angekleidet sich aufs Bette legt;
Und er schlummert fast,
Als ein seltner Gast
Sich zur offnen Tür herein bewegt.
1794/7 WEIMAR 431
Denn er sieht, bei seiner Lampe Schimmer
Tritt, mit weißem Schleier und Gewand,
Sittsam still ein Mädchen in das Zimmer,
Um die Stirn ein schwarz- und goldnes Band.
Wie sie ihn erblickt,
Hebt sie, die erschrickt.
Mit Erstaunen eine weiße Hand.
Bin ich, rief sie aus, so fremd im Hause,
Daß ich von dem Gaste nichts vernahm.*
Ach, so hält man mich in meiner Klause!
Und nun überfällt mich hier die Scham.
Ruhe nur so fort
Auf dem Lager dort.
Und ich gehe schnell, so wie ich kam.
Bleibe, schönes Mädchen! ruft der Knabe,
Rafft von seinem Lager sich geschwind:
Hier ist Ceres', hier ist Bacchus' Gabe,
Und du bringst den Amor, liebes Kind!
Bist vor Schrecken blaß!
Liebe, komm und laß,
Laß uns sehn, wie froh die Götter sind.
Ferne bleib, o Jüngling! bleibe stehen;
Ich gehöre nicht den Freuden an.
Schon der letzte Schritt ist, ach! geschehen
Durch der guten Mutter kranken Wahn,
Die genesend schwur:
Jugend und Natur
Sei dem Himmel künftig Untertan.
Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat sogleich das stille Haus geleert.
Unsichtbar wird Einer nur im Himmel,
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;
Opfer fallen hier.
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört.
432 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und er fragt und wäget alle Worte,
Deren keines seinem Geist entgeht.
Ist es möglich, daß am stillen Orte
Die geliebte Braut hier vor mir steht?
Sei die Meine nur!
Unsrer Väter Schwur
Hat vom Himmel Segen uns erfleht.
Mich erhältst du nicht, du gute Seele!
Meiner zweiten Schwester gönnt man dich.
Wenn ich mich in stiller Klause quäle.
Ach! in ihren Armen denk an mich,
Die an dich nur denkt.
Die sich liebend kränkt;
In die Erde bald verbirgt sie sich.
Nein! bei dieser Flamme seis geschworen,
Gütig zeigt sie Hymen uns voraus;
Bist der Freude nicht und mir verloren,
Kommst mit mir in meines Vaters Haus.
Liebchen, bleibe hier!
Feire gleich mit mir
Unerwartet unsern Hochzeitschmaus.
Und schon wechseln sie der Treue Zeichen;
Golden reicht sie ihm die Kette dar.
Und er will ihr eine Schale reichen,
Silbern, künstlich, wie nicht eine war.
Die ist nicht für mich;
Doch, ich bitte dich,
Eine Locke gib von deinem Haar.
Eben schlug die dumpfe Geisterstunde,
Und nun schien es ihr erst wohl zu sein.
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den dunkel blutgefärbten Wein;
Doch vom Weizenbrot,
Das er freundlich bot.
Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.
1794/7 WEIMAR 433
Und dem Jüngling reichte sie die Schale,
Der, wie sie, nun hastig lüstern trank.
Liebe fordert er beim stillen Mahle;
Ach, sein armes Herz war liebekrank.
Doch sie widersteht,
Wie er immer fleht,
Bis er weinend auf das Bette sank.
Und sie kommt imd wirft sich zu ihm nieder:
Ach, wie ungern seh ich dich gequält!
Aber, ach! berührst du meine Glieder,
Fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt.
Wie der Schnee so weiß,
Aber kalt wie Eis
Ist das Liebchen, das du dir erwählt.
Heftig faßt er sie mit starken Armen,
Von der Liebe Jugendkraft durchmannt:
Hoffe doch, bei mir noch zu erwarmen.
Wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!
Wechselhauch und Kuß!
Liebes Überfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt.^
Liebe schließet fester sie zusammen,
Tränen mischen sich in ihre Lust;
Gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
Eins ist nur im andern sich bewußt.
Seine Liebeswut
Wärmt ihr starres Blut,
Doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.
Unterdessen schleichet auf dem Gange
Häuslich spät die Mutter noch vorbei.
Horchet an der Tür und horchet lange,
Welch ein sonderbarer Ton es sei:
Klag- und Wonnelaut
Bräutigams und Braut,
Und des Liebestammeins Raserei.
GOETHE XIV 28.
434 LYRISCHE DICHTUNGEN
Unbeweglich bleibt sie an der Türe,
Weil sie erst sich überzeugen muß,
Und sie hört die höchsten Liebesschvvüre,
Lieb und Schmeichelworte, mit Verdruß-
Still! der Hahn erwacht! —
Aber morgen Nacht
Bist du wieder da?— und Kuß auf Kuß.
Länger hält die Mutter nicht das Zürnen,
Öffnet das bekannte Schloß geschwind:—
Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
Die dem Fremden gleich zu Willen sind?—
So zur Tür hinein.
Bei der Lampe Schein
Sieht sie — Gott! sie sieht ihr eigen Kind.
Und der Jüngling will im ersten Schrecken
Mit des Mädchens eignem Schleierflor,
Mit dem Teppich die Geliebte decken;
Doch sie windet gleich sich selbst hervor.
Wie mit Geists Gewalt
Hebet die Gestalt
Lang und langsam sich im Bett empor.
Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte,
So mißgönnt Ihr mir die schöne Nacht!
Ihr vertreibt mich von dem warmen Orte.
Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?
Ists Euch nicht genug,
Daß ins Leichentuch,
Daß Ihr früh mich in das Grab gebracht?
Aber aus der schwerbedeckten Enge
Treibet mich ein eigenes Gericht,
Eurer Priester summende Gesänge
Und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
Nicht, wo Jugend fühlt;
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.
1794/7 WEIMAR 435
Dieser Jüngling war mir erst versprochen,
Als noch Venus' heitrer Tempel stand.
Mutter, habt Ihr doch das Wort gebrochen,
Weil ein fremd, ein falsch Geliibd Euch band!
Doch kein Gott erhört,
Wenn die Mutter schwört,
Zu versagen ihrer Tochter Hand.
Aus dem Grabe werd ich ausgetrieben,
Noch zu suchen das vermißte Gut,
Noch den schon verlornen Mann zu lieben
Und zu saugen seines Herzens Blut.
Ists um den geschehn,
Muß nach andern gehn,
Und das junge Volk erliegt der Wut.
Schöner Jüngling! kannst nicht länger leben;
Du versiechest mm an diesem Ort.
Meine Kette hab ich dir gegeben;
Deine Locke nehm ich mit mir fort.
Sieh sie an genau!
Morgen bist du grau,
Und nur bratm erscheinst du wieder dort.
Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du;
Öffne meine bange kleine Hütte,
Bring in Flammen Liebende zur Ruh!
Wenn der Funke sprüht.
Wenn die Asche glüht,
Eilen wir den alten Göttern zu.
DER GOTT UND DIE BAJADERE
Indische Legende
MAHADÖH, der Herr der Erde,
Kommt herab zum sechsten Mal,
Daß er unsersgleichen werde.
Mit zu fühlen Freud und Qual.
436 LYRISCHE DICHTUNGEN
Er bequemt sich, hier zu wohnen,
Läßt sich alles selbst geschehn.
Soll er strafen oder schonen,
Muß er Menschen menschlich sehn.
Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
Die Großen belauert, auf Kleine geachtet,
Verläßt er sie abends, um weiter zu gehn.
Als er nun hinausgegangen,
Wo die letzten Häuser sind,
Sieht er, mit gemalten Wangen,
Ein verlornes schönes Kind.
Grüß dich, Jungfrau! — Dank der Ehre!
Wart, ich komme gleich hinaus —
Und wer bist du? — Bajadere,
Und dies ist der Liebe Haus.
Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen,
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich, und reicht ihm den Strauß.
Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
Lebhaft ihn ins Haus hinein.
Schöner Fremdling, lampenhelle
Soll sogleich die Hütte sein.
Bist du müd, ich will dich laben.
Lindern deiner Füße Schmerz.
Was du willst, das sollst du haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz.
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden
Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz.
Und er fordert Sklavendienste;
Immer heitrer wird sie nur.
Und des Mädchens frühe Künste
Werden nach und nach Natur.
Und so stellet auf die Blüte
Bald und bald die Frucht sich ein;
Ist Gehorsam im Gemüte,
Wird nicht fern die Liebe sein.
1794/7 WEIMAR 437
Aber, sie schärfer und schärfer zu prüfen,
Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.
Und er küßt die bunten Wangen,
Und sie fühlt der Liebe Qual,
Und das Mädchen steht gefangen,
Und sie weint zum erstenmal;
Sinkt zu seinen Füßen nieder,
Nicht ma Wollust noch Gewinst,
Ach! und die gelenken Glieder,
Sie versagen allen Dienst.
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier
Bereiten den dunklen behaglichen Schleier
Die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst.
Spät entschlummert unter Scherzen,
Früh erwacht nach kurzer Rast,
Findet sie an ihrem Herzen
Tot den vielgeliebten Gast.
Schreiend stürzt sie auf ihn nieder,
Aber nicht erweckt sie ihn;
Und man trägt die starren Glieder
Bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester, die Totengesänge,
Sie raset und rennet und teilet die Menge.
Wer bist du? was drängt zu der Grube dich hin?
Bei der Bahre stürzt sie nieder,
Ihr Geschrei durchdringt die Luft:
Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
Dieser Glieder Götterpracht?
Mein! er war es, mein vor allen!
Ach, nur Eine süße Nacht!
Es singen die Priester: Wir tragen die Alten,
Nach langem Ermatten und spätem Erkalten,
Wir tragen die Jugend, noch eh sies gedacht.
43» LYRISCHE DICHTUNGEN
Höre deiner Priester Lehre:
Dieser war dein Gatte nicht.
Lebst du doch als Bajadere,
Und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der Schatten
In das stille Totenreich;
Nur die Gattin folgt dem Gatten:
Das ist Pflicht und Ruhm zugleich.
Ertöne, Drommete, zu heihger Klage!
O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage.
O nehmet den Jüngling in Flammen zu euch:
So das Chor, das ohn Erbarmen
Mehret ihres Herzens Not;
Und mit ausgestreckten Armen
Springt sie in den heißen Tod.
Doch der Götter-Jüngling hebet
Aus der Flamme sich empor.
Und in seinen Armen schwebet
Die Geliebte mit hervor.
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder;
Unsterbh'che heben verlorene Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor.
AN SCHILLER
mit einer kleinen mineralogischen Sammlung
DEM Herren in der Wüste bracht
Der Satan einen Stein
Und sagte: Herr, durch deine Macht
Laß es ein Brötchen sein!
Von vielen Steinen sendet dir
Der Freund ein Musterstück,
Ideen gibst du bald dafür
Ihm tausendfach zurück.
'1
H
1794/7 WEIMAR 439
DER ZAUBERLEHRLING
AT der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort' und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wimder auch.
Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten LumpenhüUenj
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopfl
Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
440 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!
Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! —
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein.
Nein, nicht länger
Kann ichs lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!
O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen.
Steh doch wieder still!
Willsts am Ende
Gar nicht lassen.*
Will dich fassen.
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten.
1794/7 WEIMAR 441
Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!
Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!
Und sie laufen! Naß und nässer
Wirds im Saal vmd auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! —
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd ich nun nicht los.
"In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
Ruft euch niu-, zu diesem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.'-
1797
REISE IN DIE SCHWEIZ
DER EDELKx\ABE Ui\D DIE MÜLLERIN
Edelknabe
WOHIN: Wohin?
Schöne Müllerin!
Wie heißt du:
Müllerin
Liese.
Edelknabe
Wohin denn? Wohin,
Mit dem Rechen in der Hand?
Müllerin
Auf des Vaters Land,
Auf des Vaters Wiese.
Edelknabe
Und gehst so allein?
Müllerin
Das Heu soll herein,
Das bedeutet der Rechen.
Und im Garten daran
Fangen die Birnen zu reifen an,
Die will ich brechen.
Edelknabe
Ist nicht eine stille Laube dabei?
Müllerin
Sogar ihrer zwei,
An beiden Ecken.
Edelknabe
Ich komme dir nach,
Und am heißen Mittag
Wollen wir uns drein verstecken.
Nicht wahr, im grünen vertravdichen Haus—
Müllerin
Das gäbe Geschichten.
Edelknabe
Ruhst du in meinen Armen aus?
446 LYRISCHE DICHTUNGEN
Müllerin
Mitnichten!
Denn wer die artige Müllerin küßt,
Auf der Stelle verraten ist.
Euer schönes dunkles Kleid
Tat mir leid
So weiß zu färben.
Gleich und gleich! so allein ists recht!
Darauf will ich leben und sterben.
Ich liebe mir den Müllerknecht;
An dem ist nichts zu verderben.
DER JUNGGESELL UND DER MÜHLBACH
Gesell
WO willst du, klares Bächlein, hin
So munter?
Du eilst mit frohem, leichtem Sinn
Hinunter.
Was suchst du eilig in dem Tal.^
So höre doch und sprich einmal!
Bach
Ich war ein Bächlein, Junggesell;
Sie haben
Mich so gefaßt, damit ich schnell
Im Graben
Zur Mühle dort hinunter soll,
Und immer bin ich rasch und voll.
Gesell
Du eilest mit gelaßnem Mut
Zur Mühle,
Und weißt nicht, was ich junges Blut
Hier fühle.
Es blickt die schöne Müllerin
Wohl freundlich manchmal nach dir hin?
J
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 447
Bach
Sie öfifnet früh beim Morgenlicht
Den Laden
Und kommt, ihr liebes Angesicht
Zu baden.
Ihr Busen ist so voll und weiß;
Es wird mir gleich zum Dampfen heiß.
Gesell
Kann sie im Wasser Liebesglut
Entzünden,
Wie soll man Ruh mit Fleisch imd Blut
Wohl finden?
Wenn man sie einmal nur gesehn.
Ach! immer muß man nach ihr gehn.
Bach
Dann stürz ich auf die Räder mich
Mit Brausen,
Und alle Schaufeln drehen sich
Im Sausen.
Seitdem das schöne Mädchen schafft,
Hat auch das Wasser beßre Kraft.
Gesell
Du Armer, fühlst du nicht den Schmerz,
Wie andre?
Sie lacht dich an und sagt im Scherz:
Nun wandre!
Sie hielte dich wohl selbst zurück
Mit einem süßen Liebesblick?
Bach
Mir wird so schwer, so schwer, vom Ort
Zu fließen:
Ich krümme mich nur sachte fort
Durch Wiesen;
Und kam es erst auf mich nur an,
Der Weg war bald zurückgetan.
448 LYRISCHE DICHTUNGEN
Gesell
Geselle meiner Liebesqual,
Ich scheide;
Du murmelst mir vielleicht einmal
Zur Freude.
Geh, sag ihr gleich und sag ihr oft,
Was still der Knabe wünscht und hofift.
DER MÜLLERIN REUE
Jüngling
NUR fort, du braune Hexe, fort!
Aus meinem gereinigten Hause,
Daß ich dich, nach dem ernsten Wort,
Nicht zause!
Was singst du hier für Heuchelei
Von Lieb und stiller Mädchentreu?
Wer mag das Märchen hören!
Zigeunerin
Ich singe von des Mädchens Reu
Und langem, heißem Sehnen;
Denn Leichtsinn wandelte sich in Treu
Und Tränen.
Sie fürchtet der Mutter Drohen nicht mehr,
Sie fürchtet des Bruders Faust nicht so sehr,
Als den Haß des herzlich Geliebten.
Jüngling
Von Eigennutz sing und von Verrat,
Von Mord imd diebischem Rauben;
Man wird dir jede falsche Tat
Wohl glauben.
Wenn sie Beute verteilt, Gewand und Gut,
Schlimmer als je ihr Zigeuner tut,
Das sind gewohnte Geschichten.
Zigeunerin
"Ach weh! ach weh! Was hab ich getan!
Was hilft mir nun das Lauschen!
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 449
Ich hör an meine Kammer heran
Ihn rauschen.
Da klopfte mir hoch das Herz, ich dacht;
O hättest du doch die Liebesnacht
Der Mutter nicht verraten!"
Jüngling
Ach, leider! trat ich auch einst hinein
Und ging verfuhrt im stillen:
Ach, Süßchen! laß mich zu dir ein
Mit Willen!
Doch gleich entstand ein Lärm und Geschrei,
Es rannten die tollen Verwandten herbei
Noch siedet das Blut mir im Leibe.
Zigeunerin
"Kommt nun dieselbige Stunde zurück,
Wie still michs kränket und schmerzet!
Ich habe das nahe, das einzige Glück
Verscherzet.
Ich armes Mädchen, ich war zu jung!
Es war mein Bruder verrucht genung.
So schlecht an dem Liebsten zu handeln."
Der Dichter
So ging das schwarze Weib in das Haus,
In den Hof zur springenden Quelle;
Sie wusch sich heftig die Augen aus.
Und helle
Ward Aug und Gesicht, und weiß und klar
Stellt sich die schöne Müllerin dar
Dem erstaunt- erzürnten Knaben.
Müllerin
Ich furchte fürwahr dein erzürnt Gesicht,
Du Süßer, Schöner und Trauter!
Und Schlag imd Messerstiche nicht;
Nur lauter
Sag ich von Schmerz imd Liebe dir
Und will zu deinen Füßen hier
Nun leben oder auch sterben.
GOETHE XIV ,9.
450 LYRISCHE DICHTUNGFN
Jüngling
O Neigung, sage, wie hast du so tief
Im Herzen dich verstecket?
Wer hat dich, die verborgen schlief,
Gewecket?
Ach, Liebe, du wohl unsterblich bist!
Nicht kann Verrat und hämische List
Dein göttlich Leben töten,
Müllerin
Liebst du mich noch so hoch und sehr,
Wie du mir sonst geschworen.
So ist uns beiden auch nichts mehr
Verloren,
Nimm hin das vielgeliebte Weib!
Den jimgen unberührten Leib,
Es ist nun alles dein eigen!
Beide
Nun, Sonne, geh hinab und hinauf!
Ihr Sterne, leuchtet imd dunkelt!
Es geht ein Liebesgestim mir auf
Und funkelt.
Solange die Quelle springt und rinnt.
So lange bleiben wir gleichgesinnt.
Eins an des andern Herzen.
AMYNTAS
NIKIAS, trefflicher Mann, du Arzt des Leibs mid der
Seele!
Krank, ich bin es fürwahr; aber dein Mittel ist hart.
Ach! mir schwanden die Kräfte dahin, dem Rate zu folgen;
Ja, und es scheinet der Freund schon mir ein Gegner
zu sein.
Widerlegen kann ich dich nicht; ich sage mir alles,
Sage das härtere Wort, das du verschweigest, mir auch.
Aber, ach! das Wasser entstürzt der Steile des Felsens
Rasch, und die Welle des Bachs halten Gesänge nicht
auf.
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 451
Rast nicht unaufhaltsam der Sturm? und wälzet die Sonne
Sich, von dem Gipfel des Tags, nicht in die Wellen
hinab?
Und so spricht mir rings die Natur: Auch dubist, Amyntas,
Unter das strenge Gesetz ehrner Gewalten gebeugt.
Runzle die Stime nicht tiefer, mein Freimd, imd höre
gefällig.
Was mich gestern ein Baum, dort an dem Bache, ge-
lehrt.
Wenig Äpfel trägt er mir nur, der sonst so beladne;
Sieh, der Efeu ist schuld, der ihn gewaltig umgibt.
Und ich faßte das Messer, das krummgebogene, scharfe,
Trennte schneidend, imd riß Ranke nach Ranken herab;
Aber ich schauderte gleich, als, tief erseufzend und kläglich,
Aus den Wipfeln zu mir lispelnde Klage sich goß:
O verletze mich nicht! den treuen Gartengenossen,
Dem du als Knabe, so früh, manche Genüsse verdankt.
O verletze mich nicht! du reißest mit diesem Geflechte,
Das du gewaltig zerstörst, grausam das Leben mir aus.
Hab ich nicht selbst sie genährt, und sanft sie herauf mir
erzogen?
Ist v/ie mein eigenes Laub nicht mir das ihre verwandt?
Soll ich nicht lieben die Pflanze, die, meiner einzig be-
dürftig.
Still mit begieriger Kraft mir um die Seite sich schlingt?
Tausend Ranken wurzelten an, mit tausend und tausend
Fasern senket sie fest mir in das Leben sich ein.
Nahrung nimmt sie von mir; was ich bedürfte, genießt sie.
Und so saugt sie das Mark, sauget die Seele mir aus.
Nur vergebens nähr ich mich noch; die gewaltige Wurzel
Sendet lebendigen Safts, ach! nur die Hälfte hinauf.
Denn der gefährliche Gast, der geliebteste, maßet behende
Unterweges die Kraft herbstlicher Früchte sich an.
Nichts gelangt zur Krone hinauf; die äußersten Wipfel
. Dorren, es dorret der Ast über dem Bache schon hin.
Ja, die Verräterin ists! sie schmeichelt mir Leben und
Güter,
Schmeichelt die strebende Kraft, schmeichelt die Hoff-
nung mir ab.
452 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sie nur fühl ich, nur sie, die umschlingende, freue der
Fesseln,
Freue des tötenden Schmucks fremder Umlaubimg mich
nur.
Halte das Messer zurück! o Nikias, schone den Armen,
Der sich in liebender Lust, willig gezwungen, verzehrt!
Süß ist jede Verschwendung; o laß mich der schönsten
genießen!
Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat?
EUPHROSYNE
AUCH von des höchsten Gebirgs beeisten zackigen
Gipfeln
Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne hin-
weg.
Lange verhüllt schon Nacht das Tal und die Pfade des
Wandrers,
Der, am tosenden Strom, auf zu der Hütte sich sehnt.
Zu dem Ziele des Tags, der stillen hirtlichen Wohnimg;
Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus.
Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch heute
Segnend kränze das Haupt mir mit dem heiligen Mohn!
Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber
Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold?
Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und
Klüfte?
Denn kein irdischer Glanz ist es, der wandelnde, dort.
Näher wälzt sich die Wolke, sie glüht. Ich staune dem
Wunder!
Wird der rosige Strahl nicht ein bewegtes Gebild?
Welche Göttin nahet sich mir? und welche der Musen
Suchet den treuen Freund, selbst in dem grausen Geklüft?
Schöne Göttin! enthülle dich mir, tmd täusche, verschwin-
dend,
Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte Gemüt.
Nenne, wenn du es darfst vor einem Sterblichen, deinen
Göttlichen Namen; wo nicht: rege bedeutend mich auf,
J
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 453
jDaß ich fühle, welche du seist von den ewigen Töchtern
ft^ Zeus', und der Dichter sogleich preise dich würdig im
'' Lied.
''Kennst du mich, Guter, nicht mehr? Und käme diese Ge-
stalt dir,
Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes Gebild?
Zwar der Erde gehör ich nicht mehr, und trauernd ent-
schwang sich
Schon der schaudernde Geist jugendlich frohem Genuß;
Aber ich hoffte mein Bild noch fest in des Freundes Er-
innrung
Eingeschrieben, und noch schön durch die Liebe ver-
klärt.
Ja, schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt es die Träne:
Euphrosyne, sie ist noch von dem Freunde gekannt.
Sieh, die Scheidende zieht durch Wald und grauses Ge-
birge,
Sucht den wandernden Mann, ach! in der Feme noch
auf;
Sucht den Lehrer, den Freimd, den Vater, blicket noch
einmal
Nach dem leichten Gerüst irdischer Freuden zurück.
Laß mich der Tage gedenken, da mich, das Kind, du dem
Spiele,
Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht.
Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren Um-
stands;
Ach, wer ruft nicht so gern Unwiederbringliches an!
Jenes süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage,
Ach, wer schätzt ihn genug, diesen vereilenden Wert!
Klein erscheinet es nun, doch ach! nicht kleinlich dem
Herzen;
Macht die Liebe, die Kunst jegliches Kleine doch groß.
Denkst du der Stunde noch wohl, wie auf dem Bretter-
gerüste
Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt.'
Knabe schien ich, ein rührendes Kind, du nanntest mich
Arthur,
Und belebtest in mir britisches Dichter- Gebild,
454 LYRISCHE DICHTUNGEN
Drohtestmitgrimmiger Glut den armen Augen und wandtest
Selbst den tränenden Blick, innig getäuschet, hinweg.
Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges Leben,
Das die verwegene Flucht endlich dem Knaben entriß.
Freundlich faßtest du mich, den Zerschmetterten, trugst
mich von dannen,
Und ich heuchelte lang, dir an dem Busen, den Tod.
Endlich schlug die Augen ich auf, und sah dich, in ernste,
Stille Betrachtung versenkt, über den Liebling geneigt.
Kindlich strebt ich empor und küßte die Hände dir dankbar,
Reichte zum reinen Kuß dir den gefälligen Mund,
Fragte: Warum, mein Vater, so ernst? und hab ich gefehlet,
O! so zeige mir an, wie mir das Beßre gelingt.
Keine Mühe verdrießt mich bei dir, und alles und jedes
Wiederhol ich so gern, wenn du mich leitest und lehrst.
Aber du faßtest mich stark und drücktest mich fester im
Arme,
Und es schauderte mir tief in dem Busen das Herz.
Nein! mein liebliches Kind, so riefst du, alles und jedes,
Wie du es heute gezeigt, zeig es auch morgen der Stadt.
Rühre sie alle, wie mich du gerührt, und es fließen zum
Beifall
Dir von dem trockensten Aug herrliche Tränen herab.
Aber am tiefsten trafst du doch mich, den Freimd, der im
Arm dich
Hält, den selber der Schein früherer Leiche geschreckt.
Ach, Natur, wie sicher und groß in allem erscheinst du!
Himmel und Erde befolgt ewiges, festes Gesetz:
Jahre folgen auf Jahre, dem Frühling reichet der Sommer,
Und dem reichlichen Herbst traulich der Winter die
Hand.
Felsen stehen gegründet, es stürzt sich das ewige Wasser
Aus der bewölkten Kluft schäumend und brausend hinab.
Fichten grünen so fort, und selbst die entlaubten Gebüsche
Hegen, im Winter schon, heimliche Knospen am Zweig.
Alles entsteht und vergeht nach Gesetz; doch über des
Menschen
Leben, dem köstlichen Schatz, herrschet ein schwanken-
des Los.
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 455
Nicht dem blühenden nickt der willig scheidende Vater,
Seinem trefif liehen Sohn, freundlich vom Rande der
Gruft;
Nicht der Jüngere schließt dem Älteren immer das Auge,
Das sich willig gesenkt, kräftig dem Schwächeren zu.
Öfter, ach! verkehrt das Geschick die Ordnung der Tage:
Hilflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst,
Steht, ein beschädigter Stamm, dem rings zerschmetterte
Zweige
Um die Seiten umüer strömende Schloßen gestreckt.
Und so, liebliches Kind, durchdrang mich die tiefe Be-
trachtung,
Als du, zur Leiche verstellt, über die Arme mir hingst;
Aber freudig seh ich dich mir in dem Glänze der Jugend,
Vielgeliebtes Geschöpf, wieder am Herzen belebt.
Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe! Das Mädchen
Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran.
Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben
Bilde, bei jeglichem Schritt steigenden Lebens, die
Kunst.
Sei mir lange zur Lust, und eh mein Auge sich schließet.
Wünsch ich dein schönes Talent glücklich vollendet
zu sehn. —
Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen Stunde!
Deutend entwickelt ich mich an dem erhabenen Wort.
O wie sprach ich so gerne zum Volk die rührenden Reden,
Die du, voller Gehalt, kindlichen Lippen vertraut!
O wie bildet ich mich an deinen Augen, und suchte
Dich im tiefen Gedräng staunender Hörer heraus!
Doch dort wirst du nun sein, und stehn, und nimmer be-
wegt sich
Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick.
Du vernimmst sie nicht mehr, die Töne des wachsenden
Zöglings,
Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! gestimmt.
Andere kommen und gehn; es werden dir andre gefallen.
Selbst dem großen Talent drängt sich ein größeres nach.
Aber du, vergesse mich nicht! Wenn eine dir jemals
Sich im verwormen Geschäft heiter entgegen bewegt^
456 LYRISCHE DICHTUNGEN
Deinem Winke sich fügt, an deinem Lächeln sich freuet
Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt,
Wenn sie Mühe nicht spart noch Fleiß, wenn tätig der
Kräfte,
Selbst bis zur Pforte des Grabs, freudiges Opfer sie
bringt —
Guter! dann gedenkest du mein, und rufest auch spät noch:
Euphrosyne, sie ist wieder erstanden vor mir!
Vieles sagt ich noch gern; doch ach! die Scheidende weilt
nicht.
Wie sie wollte; mich führt streng ein gebietender Gott.
Lebe wohl! schon zieht michs dahin in schwankendem
Eilen.
Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mir
ihn:
Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn!
Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod.
Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias
Reiche, massenweis. Schatten vom Namen getrennt;
Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet,
Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.
Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet,
Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir.
Mild empfängt sie mich dann, und nennt mich; es winken
die hohen
Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am
Thron.
Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber,
Auch Euadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl.
Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter gesandte.
Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick.
Wenn Antigene kommt, die schwesterlichste der Seelen,
Und Polyxena, trüb noch von dem bräutlichen Tod,
Seh ich als Schwestern sie an xmd trete würdig zu ihnen;
Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie.
Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine Gesänge,
Ja, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt." —
Also sprach sie, und noch bewegte der liebliche Mund sich.
Weiter zu reden; allein schwirrend versagte der Ton.
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 457
Denn aus dem Purpurgewölk, dem schwebenden, immer
bewegten,
Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor;
Mild erhob er den Stab und deutete: wallend verschlangen
Wachsende Wolken, im Zug, beide Gestalten vor mir.
Tiefer liegt die Nacht um mich her; die stürzenden Wasser
Brausen gewaltiger nun neben dem schlüpfrigen Pfad.
Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender Jammer,
Und ein moosiger Fels stützet den Sinkenden nur.
Wehmut reißt durch die Saiten der Brust, die nächtlichen
Tränen
Fließen; und über dem Wald kündet der Morgen sich an.
SCHWEIZERALPE
WAR doch gestern dein Haupt noch so braun wie die
Locke der Lieben,
Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt;
Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die Gipfel,
Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel er-
goß.
Jugend, ach! ist dem Alter so nah, durchs Leben ver-
bunden.
Wie ein beweglicher Traum Gestern imd Heute ver-
band.
DAS BLÜMLEIN WUNDERSCHÖN
Lied des gefangnen Grafen
Graf
ICH kenn ein Blümlein Wunderschön
Und trage darnach Verlangen;
Ich möcht es gerne zu suchen gehn,
Allein ich bin gefangen.
Die Schmerzen sind mir nicht gering;
Denn als ich in der Freiheit ging,
Da hatt ich es in der Nähe.
Von diesem ringsum steilen Schloß
Laß ich die Augen schweifen
458 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und kanns vom hohen Turmgeschoß
Mit Blicken nicht ergreifen;
Und wer mirs vor die Augen brächt,
Es wäre Ritter oder Knecht,
Der sollte mein Trauter bleiben.
Rose
Ich blühe schön, und höre dies
Hier unter deinem Gitter.
Du meinest mich, die Rose, gewiß,
Du edler, armer Ritter!
Du hast gar einen hohen Sinn,
Es herrscht die Blumenkönigin
Gewiß auch in deinem Herzen.
Graf
Dein Purpur ist aller Ehren wert
Im grünen Überkleide;
Darob das Mädchen dein begehrt,
Wie Gold und edel Geschmeide.
Dein Kranz erhöht das schönste Gesicht:
Allein du bist das Blümchen nicht,
Das ich im stillen verehre.
Lilie
Das Röslein hat gar stolzen Brauch
Und strebet immer nach oben;
Doch wird ein liebes Liebchen auch
Der Lilie Zierde loben.
Wems Herze schlägt in treuer Brust
Und ist sich rein, wie ich, bewußt,
Der hält mich wohl am höchsten.
Graf
Ich nenne mich zwar keusch imd rein,
Und rein von bösen Fehlen;
Doch muß ich hier gefangen sein
Und muß mich einsam quälen.
Du bist mir zwar ein schönes Bild
Von mancher Jungfrau, rein imd mild:
Doch weiß ich noch was Liebers.
1797 REISE IN DIE SCHWEIZ 459
Nelke
Das mag wohl ich, die Nelke, sein,
Hier in des Wächters Garten,
Wie würde sonst der Alte mein
Mit so viel Sorge warten?
Im schönen Kreis der Blätter Drang,
Und Wohlgeruch das Leben lang,
Und alle tausend Farben.
Graf
Die Nelke soll man nicht verschmähn,
Sie ist des Gärtners Wonne:
Bald muß sie in dem Lichte stehn,
Bald schützt er sie vor Sonne;
Doch was den Grafen glücklich macht,
Es ist nicht ausgesuchte Pracht:
Es ist ein stilles Blümchen.
Veilchen
Ich steh verborgen und gebückt
Und mag nicht gerne sprechen,
Doch will ich, weil sichs eben schickt,
Mein tiefes Schweigen brechen.
Wenn ich es bin, du guter Mann,
Wie schmerzt michs, daß ich hinauf nicht kann
Dir alle Gerüche senden.
Graf
Das gute Veilchen schätz ich sehr:
Es ist so gar bescheiden
Und duftet so schön; doch brauch ich mehr
In meinem herben Leiden.
Ich will es euch nur eingestehn:
Auf diesen dürren Felsenhöhn
Ist 's Liebchen nicht zu finden.
Doch wandelt imten, an dem Bach,
Das treuste Weib der Erde
Und seufzet leise manches Ach,
Bis ich erlöset werde.
46o LYRISCHE DICHTUNGEN
Wenn sie ein blaues Blümchen bricht
Und immer sagt: Vergiß mein nicht!
So fühl ichs in der Ferne.
Ja, in der Ferne fühlt sich die Macht,
Wenn zwei sich redlich lieben;
Drum bin ich in des Kerkers Nacht
Auch noch lebendig blieben.
Und wenn mir fast das Herze bricht,
So ruf ich nur: Vergiß mein nicht!
Da komm ich wieder ins Leben.
1798-1805 WEIMAR
I
WEISSAGUNGEN DES BAKIS
WAHNSINN nift man dem Kalchas, und Wahnsinn
ruft man Kassandren,
Eh man nach Ilion zog, wenn man von Ilion kommt.
Wer kann hören das Morgen und Übermorgen? Nicht Einer!
Denn, was gestern und ehgestem gesprochen— wer hörts?
LANG und schmal ist ein Weg. Sobald du ihn gehest,
so wird er
Breiter; aber du ziehst Schlangengewinde dir nach.
Bist du ans Ende gekommen, so werde der schreckliche
Kjioten
Dir zur Blume, und du gib sie dem Ganzen dahin.
NICHT Zukünftiges nur verkündet Bakis; auchjetztnoch
Still Verborgenes zeigt er, als ein Kundiger, an.
Wünschelruten sind hier, sie zeigen am Stamm nicht die
Schätze;
Nur in der fühlenden Hand regt sich das magische Reis.
WENN sich der Hals des Schwanes verkürzt und,
mit Menschengesichte,
Sich der prophetische Gast über den Spiegel bestrebt,
Läßt den silbernen Schleier die Schöne dem Nachen ent-
fallen.
Ziehen dem Schwimmenden gleich goldene Ströme sich
nach.
ZWEIE seh ich! den Großen! ich seh den Größern!
Die beiden
Reiben, mit feindlicher Kraft, einer den andern sich auf.
Hier ist Felsen und Land, und dort sind Felsen und Wellen!
Welcher der Größere sei, redet die Parze nur aus.
KOMMT ein wandernder Fürst, auf kalter Schwelle zu
schlafen,
Schlinge Ceres den Kranz, stille verflechtend, um ihn;
Dann verstummen die Hunde; es wird ein Geier ihn wecken.
Und ein tätiges Volk freut sich des neuen Geschicks.
464 LYRISCHE DICHTUNGEN
SIEBEN gehn verhüllt, und sieben mit offnem Gesichte.
Jene furchtet das Volk, fürchten die Großen der Welt.
Aber die andern sinds, die Verräter! von keinem erforschet;
Denn ihr eigen Gesicht birget als Maske den Schalk.
GESTERN war es noch nicht, und weder heute noch
morgen
Wird es, imd jeder verspricht Nachbarn und Freunden
es schon;
Ja, er verspricht es den Feinden. So edel gehn wir ins neue
Säclum hinüber, und leer bleibet die Hand und der
Mund.
MÄUSE laufen zusammen auf offnem Markte; der Wan-
drer
Kommt, auf hölzernem Fuß, vierfach und klappernd
heran.
Fliegen die Tauben der Saat in gleichem Momente vorüber:
Dann ist, Tola, das Glück unter der Erde dir hold.
EINSAM schmückt sich, zu Hause, mit Gold und Seide
die Jungfrau;
Nicht vom Spiegel belehrt, fühlt sie das schickliche
Kleid.
Tritt sie hervor, so gleicht sie der Magd; nur Einer von
allen
Kennt sie; es zeiget sein Aug ihr das vollendete Bild.
JA, vom Jupiter rollt ihr, mächtig strömende Fluten,
Über Ufer und Damm, Felder tmd Gärten mit fort.
Einen seh ich! Er sitzt und harfeniert der Verwüstung;
Aber der reißende Strom nimmt auch die Lieder hinweg.
MÄCHTIG bist du! gebildet zugleich, und alles ver-
neigt sich,
Wenn du, mit herrlichem Zug, über den Markt dich be-
wegst.
Endlich ist er vorüber. Da lispelt fragend ein jeder:
War denn Gerechtigkeit auch in der Tugenden Zug.^
1798/1805 WEIMAR 465
MAUERN seh ich gestürzt, und Mauern seh ich er-
richtet,
Hier Gefangene, dort auch der Gefangenen viel,
Ist vielleicht nur die Welt ein großer Kerker? und frei ist
Wohl der Tolle, der sich Ketten zu Kränzen erkiest.
LASS mich ruhen, ich schlafe.— "Ich aber wache."—
Mitnichten! —
"Träumst du?"— Ich werde geliebt!— "Freilich, du redest
im Traum." —
Wachender, sage, was hast du?— "Da sieh nur alle die
Schätze!"—
Sehen soll ich? Ein Schatz, wird er mit Augen gesehn?
SCHLÜSSEL liegen im Buche zerstreut, das Rätsel zu
lösen,
Denn der prophetische Geist ruft den Verständigen an.
Jene nenn ich die Klügsten, die leicht sich vom Tage be-
lehren
Lassen; es bringt wohl der Tag Rätsel und Lösung zu-
gleich.
AUCH Vergangenes zeigt euch Bakis; denn selbst das
Vergangne
Ruht, verblendete Welt, oft als ein Rätsel vor dir.
Wer das Vergangene kennte, der wüßte das Künftige; beides
Schließt an heute sich rein, als ein Vollendetes, an.
TUN die Himmel sich auf und regnen, so träufelt das
Wasser
Über Felsen und Gras, Mauern und Bäume zugleich.
Kehret die Sonne zurück, so verdampfet vom Steine die
Wohltat;
Nur das Lebendige hält Gabe der Göttlichen fest.
SAG, was zählst du?— "Ich zähle, damit ich die Zehne
begreife.
Dann ein andres Zehn, Hundert und Tausend her-
nach."—
GOETHE xrv ,o.
466 LYRISCHE DICHTUNGEN
Näher kommst du dazu, sobald du mir folgest.— "Und
wie denn?" —
Sage zur Zehne: sei zehn! Dann sind die Tausende dein.
HAST du die Welle gesehen, die über das Ufer ein-
her schlug?
Siehe die zweite, sie kommt! rollet sich sprühend schon
aus!
Gleich erhebt sich die dritte! Fürwahr, du wartest ver-
gebens.
Daß die letzte sich heut ruhig zu Füßen dir legt.
EINEM möcht ich gefallen! so denkt das Mädchen; den
zweiten
Find ich edel und gut, aber er reizet mich nicht.
Wäre der dritte gewiß, so wäre mir dieser der Liebste.
Ach, daß der Unbestand immer das Lieblichste bleibt!
BLASS erscheinest du mir, und tot dem Auge. Wie rufet
du,
Aus der innem Kjaft, heiliges Leben empor?
"War ich dem Auge vollendet, so könntest du ruhig ge-
nießen;
Nur der Mangel erhebt über dich selbst dich hinweg."
ZWEIMAL färbt sich das Haar; zuerst aus dem Blonden
ins Braime,
Bis das Braune sodann silbergediegen sich zeigt.
Halb errate das Rätsel! so ist die andere Hälfte
Völlig dir zu Gebot, daß du die erste bezwingst.
WAS erschrickst du? — "Hinweg, hinweg mit diesen
Gespenstern!
Zeige die Blume mir doch; zeig mir ein Menschen-
gesicht!—
Ja, nun seh ich die Blumen; ich sehe die Menschenge-
sichter— "
Aber ich sehe dich nun selbst als betrognes Gespenst.
1 798/1805 WEIMAR 467
EINER rollet daher; es stehen ruhig die Neune:
Nach vollendetem Lauf liegen die Viere gestreckt.
Helden finden es schön, gewaltsam trefiend zu wirken;
Denn es vermag nur ein Gott, Kegel und Kugel zu sein.
WIEVIEL Äpfel verlangst du für diese Blüten?— "Ein
Tausend;
Denn der Blüten sind wohl zwanzig der Tausende hier.
Und von zwanzig nur Einen, das find ich billig." — Du bist
schon
Glücklich, wenn du dereinst Einen von Tausend be-
hältst.
SPRICH, wie ward ich die Sperlinge los? so sagte der
Gärtner:
Und die Raupen dazu, ferner das Käfergeschlecht,
Maulwvurf, Erdfloh, Wespe, die Würmer, das Teufelsge-
züchte?—
"Laß sie nur alle, so frißt einer den anderen auf."
KLINGELN hör ich: es sind die lustigen Schlittenge-
läute.
Wie sich die Torheit doch selbst in der Kälte noch rührt!
"Klingeln hörst du? Mich deucht, es ist die eigene Kappe,
Die sich am Ofen dir leis um die Ohren bewegt."
SEHT den Vogel! er fliegt von einem Baume zum andern,
Nascht mit geschäftigem Pick imter den Früchten
umher.
Frag ihn, er plappert auch wohl, imd wird dir offen ver-
sichern,
Daß er der hehren Natur herrliche Tiefen erpickt.
EINES kenn ich verehrt, ja angebetet zu Fuße;
Auf die Scheitel gestellt, wird es von jedem verflucht.
Eines kenn ich, und fest bedruckt es zufrieden die Lippe:
Doch in dem zweiten Moment ist es der Abscheu der
Welt.
468 LYRISCHE DICHTUNGEN
DIESES ist es, das Höchste, zu gleicher Zeit das Ge-
meinste;
Nun das Schönste, sogleich auch das Abscheulichste
nun.
Nur im Schlürfen genieße du das, und koste nicht tiefer:
Unter dem reizenden Schaum sinket die Neige zu Grund.
EIN beweglicher Körper erfreut mich, ewig gewendet
Erst nach Norden, und dann ernst nach der Tiefe
hinab.
Doch ein andrer gefällt mir nicht so; er gehorchet den
Winden,
Und sein ganzes Talent löst sich in Bücklingen auf.
EWIG wird er euch sein der Eine, der sich in Viele
Teilt, und Einer jedoch, ewig der Einzige bleibt.
Findet in Einem die Vielen, empfindet die Vielen wie
Einen;
Und ihr habt den Beginn, habet das Ende der Kirnst.
AN DEN NEUEN SANKT ANTONIUS
HERR Bruder,
Welch ein Luder
Bringst du in deine Einsiedelei!
Ohne Zweifel,
Dich versucht der Teufel.
Gott steh uns bei!
DEUTSCHER PARNASS
UNTER diesen
Lorbeerbüschen ,
Auf den Wiesen,
An den frischen
Wasserfällen
Meines Lebens zu genießen,
Gab Apoll dem heitern Knaben,
Und so haben
1 798/1805 WEIMAR 469
Mich, im stillen,
Nach des Gottes hohem Willen
Hehre Musen auferzogen,
Aus den hellen
Silberquellen
Des Pamassus mich erquicket
Und das keusche, reine Siegel
Auf die Lippen mir gedrücket.
Und die Nachtigall umkreiset
Mich mit dem bescheidnen Flügel.
Hier in Büschen, dort auf Bäumen
Ruft sie die verwandte Menge,
Und die himmlischen Gesänge
Lehren mich von Liebe träumen.
Und im Herzen wächst die Fülle
Der gesellig edlen Triebe,
Nährt sich Freimdschaft, keimet Liebe,
Und Apoll belebt die Stille
Seiner Täler, seiner Höhen.
Süße laue Lüfte wehen.
Alle, denen er gewogen,
Werden mächtig angezogen.
Und ein Edler folgt dem andern.
Dieser kommt mit munterm Wesen
Und mit oflöiem, heitrem Blicke;
Diesen seh ich ernster wandeln;
Und ein andrer, kaum genesen.
Ruft die alte Kraft zurücke;
Denn ihm drang durch Mark imd Leben
Die verderblich holde Flamme,
Und was Amor ihm entwendet,
Kann Apoll nur wiedergeben:
Ruh und Lust und Harmonien
Und ein kräftig rein Bestreben.
Auf, ihr Brüder,
Ehrt die Lieder!
Sie sind gleich den guten Taten.
470 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wer kann besser als der Sänger
Dem verirrten Freunde raten?
Wirke gut, so wirkst du länger,
Als es Menschen sonst vermögen.
Ja! ich höre sie von weiten,
Ja! sie greifen in die Saiten,
Mit gewaltgen Götterschlägen
Rufen sie zu Recht und Pflichten
Und bewegen,
Wie sie singen, wie sie dichten,
Zum erhabensten Geschäfte,
Zu der Bildung aller Kräfte.
Auch die holden Phantasien
Blühen
Ringsumher auf allen Zweigen,
Die sich balde.
Wie im holden Zauberwalde,
Voller goldnen Früchte beugen.
Was wir fühlen, was wir schauen
In dem Land der höchsten Wonne,
Dieser Boden, diese Sonne
Locket auch die besten Frauen.
Und der Hauch der lieben Musen
Weckt des Mädchens zarten Busen,
Stimmt die Kehle zum Gesänge,
Und mit schön gefärbter Wange
Singet sie schon würdge Lieder,
Setzt sich zu den Schwestern nieder,
Und es singt die schöne Kette,
Zart und zarter, um die Wette.
Doch die eine
Geht alleine
Bei den Buchen,
Unter Linden,
Dort zu suchen,
Dort zu finden,
Was im stillen Morgenhaine
1798/1805 WEIMAR 471
Amor schalkisch ihr entwendet,
Ihres Herzens holde Stille,
Ihres Busens erste Fülle.
Und sie traget in die grünen
Schattenwälder,
Was die Männer nicht verdienen,
Ihre lieblichen Gefühle;
Scheuet nicht des Tages Schwüle,
Achtet nicht des Abends Kühle
Und verliert sich in die Felder.
Stört sie nicht auf ihren Wegen!
Muse, geh ihr still entgegen!
Doch was hör ich? Welch ein Schall
Überbraust den Wasserfall?
Sauset heftig durch den Hain?
Welch ein Lärmen, welch ein Schrein?
Ist es möglich, seh ich recht?
Ein verwegenes Geschlecht
Dringt ins Heiligtum herein.
Hier hervor
Strömt ein Chor!
Liebeswut,
Weinesglut
Rast im Blick,
Sträubt das Haar!
Und die Schar,
Mann und Weib —
Tigerfell
Schlägt umher —
Ohne Scheu
Zeigt den Leib.
Und Metall,
Rauher Schall,
Grellt ins Ohr.
Wer sie hört,
Wird gestört.
Hier hervor
472 LYRISCHE DICHTUNGEN
Drängt das Chor;
Alles flieht,
Wer sie sieht.
Ach, die Büsche sind geknickt!
Ach, die Blumen sind erstickt
Von den Sohlen dieser Brut.
Wer begegnet ihrer Wut?
Brüder, laßt uns alles wagen!
Eure reine Wange glüht.
Phöbus hilft sie uns verjagen,
Wenn er unsre Schmerzen sieht;
Und uns Waffen
Zu verschaffen,
Schüttert er des Berges Wipfel,
Und vom Gipfel
Prasseln Steine
Durch die Haine.
Brüder, faßt sie mächtig aufl
Schloßenregen
Ströme dieser Brut entgegen
Und vertreib aus unsem milden,
Himmelreinen Lustgefilden
Diese Fremden, diese Wilden!
Doch was seh ich?
Ist es möglich?
Unerträglich
Fährt es mir durch alle Glieder,
Und die Hand
Sinket von dem Schwünge nieder.
Ist es möglich:
Keine Fremden!
Unsre Brüder
Zeigen ihnen selbst die Wege!
O die Frechen!
Wie sie mit den Klapperblechen
Selbst voraus im Takte ziehn!
Gute Brüder, laßt uns fliehn!
1798/180 5 WEIMAR 473
Doch ein Wort zu den Verwegnen!
Ja, ein Wort soll euch begegnen,
Kräftig wie ein Donnerschlag.
Worte sind des Dichters Waffen;
Will der Gott sich Recht verschaffen,
Folgen seine Pfeile nach.
War es möglich, eure hohe
Götterwürde
Zu vergessen! Ist der rohe,
Schwere Thyrsus keine Bürde
Für die Hand, auf zarten Saiten
Nur gewöhnet hinzugleiten.^
Aus den klaren Wasserfällen,
Aus den zarten Rieselwellen
Tränket ihr
Gar Silens abscheulich Tier.i*
Dort entweiht es Aganippen
Mit den rohen, breiten Lippen,
Stampft mit ungeschickten Füßen,
Bis die Wellen trübe fließen.
O wie möcht ich gern mich täuschen?
Aber Schmerzen fühlt das Ohr;
Aus den keuschen,
Heilgen Schatten
Dringt verhaßter Ton hervor.
Wild Gelächter
Statt der Liebe süßem Wahn!
Weiberhasser und -Verächter
Stimmen ein TriumphHed an.
Nachtigall und Turtel fliehen
Das so keusch erwärmte Nest,
Und in wütendem Erglühen
Hält der Faun die Nymphe fest.
Hier wird ein Gewand zerrissen,
Dem Genüsse folgt der Spott,
Und zu ihren frechen Küssen
Leuchtet mit Verdruß der Gott.
474 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ja, ich sehe schon von weiten
Wolkenzug und Dunst und Rauch.
Nicht die Leier nur hat Saiten,
Saiten hat der Bogen auch.
Selbst den Busen des Verehrers
Schlittert das gewaltge Nahn,
Denn die Flamme des Verheerers
Kündet ihn von weiten an.
O vernehmt noch meine Stimme,
Meiner Liebe Bruderwort!
Fliehet vor des Gottes Grimme,
Eilt aus unsern Grenzen fort!
Daß sie wieder heilig werde,
Lenkt hinweg den wilden Zug!
Vielen Boden hat die Erde,
Und unheiligen genug.
Uns umleuchten reine Sterne,
Hier nur hat das Edle Wert.
Doch wenn ihr aus rauher Ferne
Wieder einst zu uns begehrt.
Wenn euch nichts so sehr beglücket.
Als was ihr bei ims erprobt,
Euch nicht mehr ein Spiel entzücket.
Das die Schranken übertobt:
Kommt als gute Pilger wieder,
Steiget froh den Berg heran,
Tiefgefühlte Reuelieder
Künden uns die Brüder an,
Und ein neuer Kranz umwindet
Eure Schläfe feierlich.
Wenn sich der Verirrte findet.
Freuen alle Götter sich.
Schneller noch als Lethes Fluten
Um der Toten stilles Haus
Löscht der Liebe Kelch den Guten
Jedes Fehls Erinnrung aus.
Alles eilet euch entgegen,
Und ihr kommt verklärt heran,
1798/1805 WEIMAR 475
Und man fleht um euem Segen;
Ihr gehört uns doppelt an!
DIE MUSAGETEN
OFT in tiefen Wintemächten
Rief ich an die holden Musen:
Keine Morgenröte leuchtet,
Und es will kein Tag erscheinen;
Aber bringt zur rechten Stimde
Mir der Lampe fromm Geleuchte,
Daß es, statt Auror und Phöbus,
Meinen stillen Fleiß belebe!
Doch sie ließen mich im Schlafe,
Dumpf und unerquicklich, liegen.
Und nach jedem späten Morgen
Folgten ungenutzte Tage.
Da sich nun der Frühling regte,
Sagt ich zu den Nachtigallen:
Liebe Nachtigallen, schlaget
Früh, o früh! vor meinem Fenster,
Weckt mich aus dem vollen Schlafe,
Der den Jüngling mächtig fesselt.
Doch die lieberfüllten Sänger
Dehnten nachts vor meinem Fenster
Ihre süßen Melodien,
Hielten wach die liebe Seele,
Regten zartes, neues Sehnen
Aus dem neugerührten Busen.
Und so ging die Nacht vorüber,
Und Aurora fand mich schlafen,
Ja, mich weckte kaum die Sonne.
Endlich ist es Sommer worden,
Und beim ersten Morgenschimmer
Reizt mich aus dem holden Schlummer
Die geschäftig frühe Fliege.
Unbarmherzig kehrt sie wieder,
Wenn auch oft der halb Erwachte
476 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ungeduldig sie verscheuchet,
Lockt die unverschämten Schwestern,
Und von meinen Augenlidern
Muß der holde Schlaf entweichen.
Rüstig spring ich von dem Lager,
Suche die geliebten Musen,
Finde sie im Buchenhaine,
Mich gefällig zu empfangen,
Und den leidigen Insekten
Dank ich manche goldne Stunde.
Seid mir doch, ihr Unbequemen,
Von dem Dichter hochgepriesen
Als die wahren Musageten.
DIE METAMORPHOSE DER PFLANZEN
DICH verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung
Dieses Blumengewühls über dem Garten umher;
Viele Namen hörest du an, und immer verdränget
Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.
Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern;
Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,
Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin,
Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! —
Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die
Pflanze,
Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.
Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde
Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt
Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten,
Gleich den zartesten Bau keimender Blätter empfiehlt.
Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes
Vorbild
Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und
faibios;
Trocken erhält so der Kern riihiges Leben bewahrt,
Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,
Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
1 798/1805 WEIMAR 477
Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung,
Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das
Kind.
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet,
Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.
Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt
sich,
Ausgebildet, du siehsts, immer das folgende Blatt,
Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile,
Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung,
Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt.
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche,
Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein.
Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen, die
Bildung
An imd lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.
Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,
Und gleich zeigt die Gestalt zartere Wirkungen an.
Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke.
Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.
Blattlos aber imd schnell erhebt sich der zartere Stengel,
Und ein W^undergebild zieht den Betrachtenden an.
Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne
Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.
Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende Kelch
sich.
Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.
Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung,
Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft.
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die
Blume
Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter be-
wegt.
Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkün-
dung.
Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand;
Und zusammen zieht es sich schnell; die zartesten Formen,
Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt.
4 7 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen,
Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar.
Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig,
Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.
Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime,
Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt.
Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte;
Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an.
Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlange.
Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.
Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten Gewim-
mel,
Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.
Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze,
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,
Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile ge-
schäftig.
Bildsam andre der Mensch selbst die bestimmte Ge-
stalt.
O, gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekannt-
schaft
Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß,
Freundschaft sich mit Macht aus unserm Innern enthüllte,
Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt.
Denke, wie mannigfach bald die, bald jene Gestalten,
Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!
Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe
Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen
auf.
Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem An-
schaun
Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt.
1 798/1805 WEIMAR 479
SOLDATENLIED ZU WALLENSTEINS LAGER
ES leben die Soldaten,
Der Bauer gibt den Braten,
Der Winzer gibt den Most,
Das ist Soldatenkost.
Trallerallallallalla.
Der Bürger muß uns backen,
Den Adel muß man zwacken.
Sein Knecht ist unser Knecht,
Das ist Soldatenrecht.
Trallerallallallalla.
In Wäldern gehn wir pirschen
Nach allen alten Hirschen
Und bringen frank imd frei
Den Männern das Geweih.
Trallerallallallalla.
Heut schwören wir der Hanne
Und morgen der Susanne,
Die Lieb ist immer neu,
Das ist Soldatentreu.
Trallerallallallalla.
Wir schmausen wie Dynasten,
Und morgen heißt es fasten;
Früh reich imd abends bloß.
Das ist Soldatenlos.
Trallerallallallalla.
Wer hat, der muß nur geben;
Wer nichts hat, der soll leben.
Der Ehmann hat das Weib,
Und wir den Zeitvertreib.
Trallerallallallalla.
Es heißt bei unsem Festen:
Gestohlen schmeckt am besten!
Unrechtes Gut macht fett.
Das ist Soldatengebet.
TrallerallallallaUa.
48o LYRISCHE DICHTUNGEN
DIE ZERSTÖRUNG MAGDEBURGS
O Magdeburg die Stadt,
Die schöne Mädchen hat,
Die schöne Fraun und Mädchen hat,
O Magdeburg die Stadt.
Da alles steht im Flor,
Der Tilly zieht davor.
Durch Garten und durch Felder Flor
Der Tilly zieht davor.
Der Tilly steht dadraus.
Wer rettet Stadt und Haus?
Geh, Lieber, geh zum Tor hinaus
Und schlag dich mit ihm draus.
Es hat noch keine Not,
So sehr er tobt und droht;
Ich küsse deine Wänglein rot,
Es hat noch keine Not.
Die Sehnsucht macht mich bleich.
Warum bin ich denn reich?
Dein Vater ist vielleicht schon bleich.
Du, Kind, du machst mich weich.
O Mutter, gib mir Brot!
Ist denn der Vater tot?
O Mutter, gib ein Stückchen Brot!
O welche große Not!
Dein Vater lieb ist hin.
Die Bürger alle fliehn;
Schon fließt das Blut die Straße hin,
Wo fliehn wir hin, wohin?
Die Kirche stürzt in Graus,
Da droben brennt das Haus.
Es qualmt das Dach, schon flammts heraus;
Nur auf die Straß hinaus!
1 798/1805 WEIMAR 481
Ach, keine Rettung mehr!
In Straßen rast das Heer;
Es rast mit Flammen hin und her.
Ach, keine Rettung mehr!
Die Häuser stürzen ein.
Wo ist das Mein und Dein!
Das Bündelchen, es ist nicht dein,
Du flüchtig Mägdelein.
I
' Die Weiber bangen sehr.
Die Mägdlein noch viel mehr.
Was lebt, ist keine Jungfer mehr;
So raset Tillys Heer.
DIE BURG VON OTRANTO
Fortsetzungs-Weissagung
SIND die Zimmer sämtlich besetzt der Burg von Otranto,
Kommt, voll innigen Grimms, der erste Riesenbesitzer,
Stückweis an und verdrängt die neuen falschen Bewohner.
Wehe! den Fliehenden. Weh! den Bleibenden. Also ge-
schieht es.
ALS das heilige Blatt von Maros Grabe getrennt ward,
Naht' es, der Asche getreu, welkend polarischer
Nacht;
Aber im Lande bedeckt von Schnee ergrünt es aufs neue.
Bietet im welkenden Schmuck traulich den Grazien an.
PHÖBOS UND HERMES
DELOS' ernster Beherrscher und Majas Sohn, der ge-
wandte,
Rechteten heftig, es wünscht' jeder den herrlichen Preis.
Hermes verlangte die Leier, die Leier verlangt' auch
Apollon,
Doch vergeblich erfüllt Hoffnung den beiden das Herz.
GOETHE XIV 31.
482 LYRISCHE DICHTUNGEN
Denn rasch dränget sich Ares heran, gewaltsam ent-
scheidend,
Schlägt das goldene Spiel wild mit dem Eisen entzwei.
Hermes lacht unmäßig, der schadenfrohe; doch Phöbos
Und den Musen ergreift inniger Schmerz das Gemüt.
SPIEGEL DER MUSE
SICH zu schmücken begierig, verfolgte den rinnenden
Bach einst
Früh die Muse hinab, sie suchte die ruhigste Stelle.
Eilend und rauschend indes verzog die schwankende Fläche
Stets das bewegliche Bild; die Göttin wandte sich zürnend;
Doch der Bach rief hinter ihr drein und höhnte sie: Freilich
Magst du die Wahrheit nicht sehn, wie rein dir mein
Spiegel sie zeiget!
Aber indessen stand sie schon fern, am Winkel des Seees,
Ihrer Gestalt sich erfreuend, und rückte den Kranz sich
zurechte.
DIE ERSTE WALPURGISNACHT
Ein Druide
ES lacht der Mai!
Der Wald ist frei
Von Eis und Reifgehänge.
Der Schnee ist fort;
Am grünen Ort
Erschallen Lustgesänge.
Ein reiner Schnee
Liegt auf der Höh;
Doch eilen wir nach oben,
Begehn den alten heiigen Brauch,
Allvater dort zu loben.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
So wird das Herz erhoben.
Die Druiden
Die Flamme lodre durch den Rauch!
Begeht den alten heiigen Brauch,
17 98/1805 WEIMAR 483
Allvater dort zu loben!
Hinauf! hinauf nach oben!
Einer aus dem Volke
Könnt ihr so verwegen handeln?
Wollt ihr denn zum Tode wandeln?
Kennet ihr nicht die Gesetze
Unsrer harten Überwinder?
Rings gestellt sind ihre Netze
Auf die Heiden, auf die Sünder.
Ach, sie schlachten auf dem Walle
Unsre Weiber, unsre Kinder.
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.
Chor der Weiber
Auf des Lagers hohem Walle
Schlachten sie schon unsre Kinder.
Ach, die strengen Überwinder!
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.
Ein Druide
Wer Opfer heut
Zu bringen scheut,
Verdient erst seine Bande.
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei,
Und schichtet es zum Brande!
Doch bleiben wir
Im Buschrevier
Am Tage noch im stillen,
Und Männer stellen wir zur Hut
Um eurer Sorge willen.
Dann aber laßt mit frischem Mut
Uns unsre Pflicht erfüllen.
Chor der Wächter
Verteilt euch, wackre Männer, hier
Durch dieses ganze Waldrevier
484 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und wachet hier im stillen,
Wenn sie die Pflicht erfüllen.
Ein Wächter
Diese dumpfen Pfaffenchristen,
Laßt mis keck sie überlisten!
Mit dem Teufel, den sie fabeln,
Wollen wir sie selbst erschrecken.
Kommt! Mit Zacken und mit Gabeln
Und mit Glut und Klapperstöcken
Lärmen wir bei nächtger Weile
Durch die engen Felsenstrecken.
Kauz und Eule
Heul in unser Rundgeheule!
Chor der Wächter
Kommt mit Zacken und mit Gabeln,
Wie der Teufel, den sie fabeln,
Und mit wilden Klapperstöcken
Durch die leeren Felsenstrecken!
Kauz und Eule
Heul in imser Rundgeheule!
Ein Druide
So weit gebracht.
Daß wir bei Nacht
Allvater heimlich singen!
Doch ist es Tag,
Sobald man mag
Ein reines Herz dir bringen.
Du kannst zwar heut.
Und manche Zeit,
Dem Feinde viel erlauben.
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinge unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch,
Dein Licht, wer will es rauben?
Ein christlicher Wächter
Hilf, ach, hilf mir, Kriegsgeselle!
Ach, es kommt die ganze Hölle!
1 798/1805 WEIMAR 485
Sieh, wie die verhexten Leiber
Durch und durch von Flamme glühen!
Menschen- Wolf und Drachen- Weiber,
Die im Flug vorüberziehen!
Welch entsetzliches Getöse!
Laßt uns, laßt uns alle fliehen!
Oben flammt und saust der Böse,
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllen-Broden.
Chor der christlichen Wächter
Schreckliche, verhexte Leiber,
Menschen-Wölf und Drachen -Weiber!
Welch entsetzliches Getöse!
Sieh, da flammt, da zieht der Böse!
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllen-Broden.
Chor der Druiden
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinge unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch,
Dein Licht, wer kann es rauben!
AN DIE GÜNSTIGEN
DICHTER lieben nicht zu schweigen,^
Wollen sich der Menge zeigen.
Lob und Tadel muß ja sein!
Niemand beichtet gern in Prosa;
Doch vertraun wir oft sub Rosa
In der Musen stillem Hain.
Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte.
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.
486 LYRISCHE DICHTUNGEN
DER MUSENSOHN
DURCH Feld und Wald zu schweifen,
Mein Liedchen wegzupfeifen,
So gehts von Ort zu Ort!
Und nach dem Takte reget,
Und nach dem Maß beweget
Sich alles an mir fort.
Ich kann sie kaum erwarten,
Die erste Blum im Garten,
Die erste Blut am Baum.
Sie grüßen meine Lieder,
Und kommt der Winter wieder.
Sing ich noch jenen Traum.
Ich sing ihn in der Weite,
Auf Eises Läng und Breite,
Da blüht der Winter schön!
Auch diese Blüte schwindet,
Und neue Freude findet
Sich auf bebauten Höhn.
Denn wie ich bei der Linde
Das junge Völkchen finde,
Sogleich erreg ich sie.
Der stumpfe Bursche bläht sich,
Das steife Mädchen dreht sich
Nach meiner Melodie.
Ihr gebt den Sohlen Flügel
Und treibt durch Tal und Hügel
Den Liebling weit von Haus.
Ihr lieben holden Musen,
Wann ruh ich ihr am Busen
Auch endlich wieder aus?
AN LINA
LIEBCHEN, kommen diese Lieder
Jemals wieder dir zur Hand,
Sitze beim Klaviere nieder,
Wo der Freund sonst bei dir stand.
1 798/1805 WEIMAR 487
Laß die Saiten rasch erklingen
Und dann sieh ins Buch hinein;
Nur nicht lesen! immer singen!
Und ein jedes Blatt ist dein.
Ach, wie traurig sieht in Lettern,
Schwarz auf weiß, das Lied mich an,
Das aus deinem Mund vergöttern,
Das ein Herz zerreißen kann!
PARABELN*
I
EIN Meister einer ländHchen Schtde
Erhub sich einst von seinem Stuhle
Und hatte fest sich vorgenommen,
In bessere Gesellschaft zu kommen;
Deswegen er, im nahen Bad,
In den sogenannten Salon eintrat.
Verblüfft war er gleich an der Tür,
Als wenns ihm zu vornehm widerführ;
Macht daher dem ersten Fremden rechts
Einen tiefen Bückling, es war nichts Schlechts;
Aber hinten hätt er nicht vorgesehn,
Daß da auch wieder Leute stehn.
Gab einem zur Linken in den Schoß
Mit seinem Hintern einen derben Stoß.
Das hätt er schnell gern abgebüßt;
Doch wie er eilig den wieder begrüßt,
So stößt er rechts einen andern an.
Er hat wieder jemand was Leids getan.
Und wie ers diesem wieder abbittet,
Ers wieder mit einem andern verschüttet.
Und komplimentiert sich zu seiner Qual,
Von hinten und vorn, so durch den Saal,
* In den Ausgaben der Werke folgen der Überschrift die Worte:
Werden fortgesetzt bis zum Dutzend, wodurch man den hier an-
gedeuteten Charakter völlig zu umzeichnen hofft und zugleich
unserer Zeit, welche das Charakteristische der Kunst so sehr zu
schätzen weiß, einigen Dienst zu leisten glaubt.
488 LYRISCHE DICHTUNGEN
Bis ihm endlich ein derber Geist
Ungeduldig die Türe weist.
Möge doch mancher, in seinen Sünden,
Hievon die Nutzanwendung finden.
II
Da er nun seine Straße ging,
Dacht er: ich machte mich zu gering.
Will mich aber nicht weiter schmiegen;
Denn wer sich grün macht, den fressen die Ziegen.
So ging er gleich frisch querfeldein,
Und zwar nicht über Stock und Stein,
Sondern über Äcker und gute Wiesen,
Zertrat das alles mit latschen Füßen.
Ein Besitzer begegnet ihm so
Und fragt nicht weiter wie? noch wo?
Sondern schlägt ihn tüchtig hinter die Ohren.
Bin ich doch gleich wie neugeboren!
Ruft unser Wandrer hochentzückt.
Wer bist du. Mann, der mich beglückt?
Möchte mich Gott doch immer segnen,
Daß mir so fröhliche Gesellen begegnen!
JENE machen Partei; welch unerlaubtes Beginnen?
Aber unsre Partei, freilich, versteht sich von selbst.
FRÜCHTE bringet das Leben dem Mann; doch hangen
sie selten
Rot und lustig am Zweig, wie uns ein Apfel begrüßt.
ALLE Blüten müssen vergehn, daß Früchte beglücken;
Blüten und Frucht zugleich gebet ihr Musen allein.
DIESMAL streust du, o Herbst, nur leichte, welkende
Blätter;
Gib mir ein andermal schwellende Früchte dafür.
1 798/1805 WEIMAR 489
DAS SONETT
SICH in erneutem Kunstgebrauch zu üben,
Ist heiige Pflicht, die wir dir auferlegen:
Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen
Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben.
Denn eben die Beschränkung läßt sich Heben,
Wenn sich die Geister gar gewaltig regen;
Und wie sie sich denn auch gebärden mögen.
Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben.
So möcht ich selbst in künstlichen Sonetten,
In sprachgewandter Maße kühnem Stolze,
Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen;
Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten.
Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze,
Und müßte nun doch auch mitunter leimen.
NATUR und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden.
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ists mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann ims Freiheit geben.
490 LYRISCHE DICHTUNGEN
[In das Stammbuch seines Sohnes]
GÖNNERN reiche das Buch und reich es Freund- und
Gespielen,
Reich es dem Eilenden hin, der sich vorüber bewegt.
Wer des freundlichen Worts, des Namens Gabe dir spendet.
Häufet den edlen Schatz holden Erinnrens dir an.
SELBST erfinden ist schön; doch glücklich von andern
Gefundnes
Fröhlich erkannt und geschätzt, nennst du das weniger
dein?
w
AS den Jüngling ergreift, den Mann hält, Greise
noch labet.
Liebenswürdiges Kind, bleibe dein glückliches Teil.
ALTER gesellet sich gern der Jugend, Jugend zum
Alter;
Aber am liebsten bewegt Gleiches dem Gleichen sich zu.
DAUER IM WECHSEL
HIELTE diesen frühen Segen,
Ach, nur Eine Stimde fest!
Aber vollen Blütenregen
Schüttelt schon der laue West.
Soll ich mich des Grünen freuen.
Dem ich Schatten erst verdankt:
Bald wird Sturm auch das zerstreuen.
Wenn es falb im Herbst geschwankt.
Willst du nach den Früchten greifen,
Eilig nimm dein Teil davon!
Diese fangen an zu reifen.
Und die andern keimen schon;
Gleich mit jedem Regengiisse
Ändert sich dein holdes Tal,
Ach, und in demselben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweitenmal.
I
1 798/1805 WEIMAR 491
Du nun selbst! Was felsenfeste
Sich vor dir hervorgetan,
Mauern siehst du, siehst Paläste
Stets mit andern Augen an.
Weggeschwunden ist die Lippe,
Die im Kusse sonst genas,
Jener Fuß, der an der Klippe
Sich mit Gemsenfreche maß.
Jene Hand, die gern und milde
Sich bewegte, wohlzutun,
Das gegliederte Gebilde,
Alles ist ein andres nun.
Und was sich an jener Stelle
Ntin mit deinem Namen nennt,
Kam herbei wie eine Welle,
Und so eilts zum Element.
Laß den Anfang mit dem Ende
Sich in Eins zusammenziehn!
Schneller als die Gegenstände
Selber dich vorüberfliehn!
Danke, daß die Gunst der Musen
Unvergängliches verheißt.
Den Gehalt in deinem Busen
Und die Form in deinem Geist.
FRÜHZEITIGER FRÜHLING
TAGE der Wonne,
Kommt ihr so bald?
Schenkt mir die Sonne,
Hügel und Wald?
Reichlicher fließen
Bächlein zumal.
Sind es die Wiesen?
Ist es das Tal?
492 LYRISCHE DICHTUNGEN
Blauliche Frische!
Himmel und Höh!
Goldene Fische
Wimmeln im See.
Buntes Gefieder
Rauschet im Hain;
Himmlische Lieder
Schallen darein.
Unter des Grünen
Blühender Kraft
Naschen die Bienen
Summend am Saft.
Leise Bewegung
Bebt in der Luft,
Reizende Regtmg,
Schläfemder Duft.
Mächtiger rühret
Bald sich ein Hauch,
Doch er verlieret
Gleich sich im Strauch.
Aber zum Busen
Kehrt er zurück.
Helfet, ihr Musen,
Tragen das Glück!
Saget, seit gestern
Wie mir geschah?
Liebliche Schwestern,
Liebchen ist da!
ul:
einem Herren steht es gut,
was er befohlen, selber tut.
[In ein Stammbuch]
WEISE die Rose nicht ab von deinem Busen, sie
blühet
Noch auf der Wange dir, noch in dem Herzen dir auf.
1 798/1805 WEIMAR 493
LIEBE teilet die Freud und den Schmerz und fühlt
sich nur Liebe.
STIFTUNGSLIED
WAS gehst du, schöne Nachbarin,
Im Garten so allein?
Und wenn du Haus und Felder pflegst,
Will ich dein Diener sein.
Mein Bruder schlich zur Kellnerin
Und ließ ihr keine Ruh.
Sie gab ihm einen frischen Trunk
Und einen Kuß dazu.
Mein Vetter ist ein kluger Wicht,
Er ist der Köchin hold.
Den Braten dreht er für imd für
Um süßen Minnesold.
Die Sechse, die verzehrten dann
Zusammen ein gutes Mahl,
Und singend kam ein viertes Paar
Gesprungen in den Saal.
Willkommen! und Willkommen auch
Fürs wackre fünfte Paar,
Das voll Geschieht' und Neuigkeit
Und frischer Schwanke war.
Noch blieb für Rätsel, Witz und Geist
Und feine Spiele Platz;
Ein sechstes Pärchen kam heran,
Gefunden war der Schatz,
Doch eines fehlt' und fehlte sehr,
Was doch das Beste tut:
Ein zärtlich Pärchen schloß sich an,
Ein treues — nun wars gut.
Gesellig feiert fort und fort
Das imgestörte Mahl,
Und eins im andern freue sich
Der heiigen Doppelzahl.
494 LYRISCHE DICHTUNGEN
ZUM NEUEN JAHR
WISCHEN dem Alten,
z:
^Zwischen dem Neuen,
Hier uns zu freuen
Schenkt uns das Glück,
Und das Vergangne
Heißt mit Vertrauen
Vorwärts zu schauen,
Schauen zurück.
Stunden der Plage,
Leider, sie scheiden
Treue von Leiden,
Liebe von Lust;
Bessere Tage
Sammlen uns wieder,
Heitere Lieder
Stärken die Brust.
Leiden und Freuden,
Jener verschwundnen.
Sind die Verbundnen
Fröhlich gedenk.
O des Geschickes
Seltsamer Windung!
Alte Verbindung,
Neues Geschenk!
Dankt es dem regen.
Wogenden Glücke,
Dankt dem Geschicke
Männiglich Gut;
Freut euch des Wechsels
Heiterer Triebe,
Offener Liebe,
Heimlicher Glut!
Andere schauen
Deckende Falten
17 98/1805 WEIMAR 495
Über dem Alten
Traurig und scheu;
Aber uns leuchtet
Freundliche Treue;
Sehet, das Neue
Findet uns neu.
So wie im Tanze
Bald sich verschwindet,
Wieder sich findet
Liebendes Paar,
So durch des Lebens
Wirrende Beugung
Führe die Neigung
Uns in das Jahr.
ICH wüßte nicht, daß ich ein Grauen spürte
Vor jenen Alten in der Unterwelt;
Wenn nur nicht jede, die mir wohlgefällt.
Hier oben mich nach Wunsch regierte.
SELBSTBETRUG
DER Vorhang schwebet hin und her
Bei meiner Nachbarin.
Gewiß, sie lauschet überquer,
Ob ich zu Hause bin,
Und ob der eifersüchtge Groll,
Den ich am Tag gehegt.
Sich, wie er nun auf immer soll,
Im tiefen Herzen regt.
Doch leider hat das schöne Kind
Dergleichen nicht gefühlt.
Ich seh, es ist der Abendwind,
Der mit dem Vorhang spielt.
496 LYRISCHE DICHTUNGEN
KRIEGSERKLÄRUNG
WENN ich doch so schön war
Wie die Mädchen auf dem Land!
Sie tragen gelbe Hüte
Mit rosenrotem Band.
Glauben, daß man schön sei,
Dächt ich, ist erlaubt.
In der Stadt, ach! ich hab es
Dem Junker geglaubt.
Nun im Frühling, ach! ists
Um die Freuden getan;
Ihn ziehen die Dirnen,
Die ländlichen, an.
Und die Taill und den Schlepp
Verändr ich zur Stund;
Das Leibchen ist länger.
Das Röckchen ist rund.
Trage gelblichen Hut
Und ein Mieder wie Schnee,
Und sichle mit andern
Den blühenden Klee.
Spürt er imter dem Chor
Etwas Zierliches aus,
Der lüsterne Knabe,
Er winkt mir ins Haus.
Ich begleit ihn verschämt.
Und er kennt mich noch nicht,
Er kneipt mir die Wangen
Und sieht mein Gesicht.
Die Städterin droht
Euch Dirnen den Krieg,
Und doppelte Reize
Behaupten den Sieg.
1 798/1805 WEIMAR 497
RITTER KURTS BRAUTFAHRT
MIT des Bräutigams Behagen
Schwingt sich Ritter Kurt aufs Roß;
Zu der Trauung soUs ihn tragen
Auf der edlen Liebsten Schloß:
Als am öden Felsenorte
Drohend sich ein Gegner naht,
Ohne Zögern, ohne Worte
Schreiten sie zu rascher Tat.
Lange schwankt des Kampfes Welle,
Bis sich Kurt im Siege freut;
Er entfernt sich von der Stelle,
Überwinder und gebleut.
Aber was er bald gewahret
In des Busches Zitterschein!
Mit dem Säugling still gepaaret,
Schleicht ein Liebchen durch den Hain.
Und sie winkt ihm auf das Plätzchen:
Lieber Herr, nicht so geschwind!
Habt Ihr nichts an Euer Schätzchen,
Habt Ihr nichts für Euer Kind:
Ihn durchglühet süße Flamme,
Daß er nicht vorbei begehrt,
Und er findet mm die Amme,
Wie die Jungfrau, liebenswert.
Doch er hört die Diener blasen,
Denket nun der hohen Braut,
Und nun wird auf seinen Straßen
Jahresfest und Markt so laut.
Und er wählet in den Buden
Manches Pfand zu Lieb und Huld;
Aber ach! da kommen Juden
Mit dem Schein vertagter Schuld.
Und nun halten die Gerichte
Den behenden Ritter auf.
O verteufelte Geschichte!
GOETHE XIV 3».
498 LYRISCHE DICHTUNGEN
Heldenhafter Lebenslauf!
Soll ich heute mich gedulden?
Die Verlegenheit ist groß.
Widersacher, Weiber, Schulden,
Ach! kein Ritter wird sie los.
WANDRER UND PÄCHTERIN
Er
KANNST du, schöne Pächtrin ohnegleichen,
Unter dieser breiten Schattenlinde,
Wo ich Wandrer kurze Ruhe finde,
Labung mir für Durst und Hunger reichen?
Sie
Willst du. Vielgereister, hier dich laben.
Sauren Rahm und Brot und reife Früchte,
Nur die ganz natürlichsten Gerichte,
Kannst du reichlich an der Quelle haben.
Er
Ist mir doch, ich müßte schon dich kennen,
Unvergeßne Zierde holder Stunden!
Ähnlichkeiten hab ich oft gefunden;
Diese muß ich doch ein VVimder nennen.
Sie
Ohne Wunder findet sich bei Wandrern
Oft ein sehr erklärliches Erstaunen.
Ja, die Blonde gleichet oft der Braunen;
Eine reizet eben wie die andern.
Er
Heute nicht, fürwahr, zum ersten Male
Hat mirs diese Bildung abgewonnen!
Damals war sie Sonne aller Sonnen
In dem festlich aufgeschmückten Saale.
Sie
Freut es dich, so kann es wohl geschehen,
Daß man deinen Märchenscherz vollende:
Purpurseide floß von ihrer Lende,
Da du sie zum erstenmal gesehen.
r
1798/1805 WEIMAR 499
Er
Nein, fürwahr, das hast du nicht gedichtet!
Konnten Geister dir es offenbaren;
Von Juwelen hast du auch erfahren
Und von Perlen, die ihr Blick vernichtet.
Sie
Dieses eine ward mir wohl vertrauet:
Daß die Schöne, schamhaft, zu gestehen,
Und in Hoffnung, wieder dich zu sehen.
Manche Schlösser in die Luft erbauet.
Er
Trieben mich umher doch alle Winde!
Sucht ich Ehr und Geld auf jede Weise!
Doch gesegnet, wenn am Schluß der Reise
Ich das edle Bildnis wieder finde.
Sie
Nicht ein Bildnis, wirkUch siehst du jene
Hohe Tochter des verdrängten Blutes;
Nun im Pachte des verlaßnen Gutes
Mit dem Bruder freuet sich Helene.
Er
Aber diese herrlichen Gefilde,
Kann sie der Besitzer selbst vermeiden?
Reiche Felder, breite Wies- und Weiden,
Mächtge Quellen, süße Himmelsmilde.
Sie
Ist er doch in alle Welt entlaufen!
Wir Geschwister haben viel erworben;
Wenn der Gute, wie man sagt, gestorben,
Wollen wir das Hinterlaßne kaufen.
Er
Wohl zu kaufen ist es, meine Schöne!
Vom Besitzer hört ich die Bedinge;
Doch der Preis ist keineswegs geringe.
Denn das letzte Wort, es ist: Helene!
500 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sie
Könnt uns Glück und Höhe nicht vereinen!
Hat die Liebe diesen Weg genommen?
Doch ich seh den wackren Brader kommen;
Wenn ers hören wird, was kann er meinen?
HOCHZEITLIED
WIR singen und sagen vom Grafen so gern,
Der hier in dem Schlosse gehauset,
Da, wo ihr den Enkel des seligen Herrn,
Den heute vermählten, beschmauset.
Nun hatte sich jener im heiligen Krieg
Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg;
Und als er zu Hause vom Rösselein stieg.
Da fand er sein Schlösselein oben,
Doch Diener und Habe zerstoben.
Da bist du nun, Gräflein, da bist du zu Haus,
Das Heimische findest du schlimmer!
Zum Fenster da ziehen die Winde hinaus,
Sie kommen durch alle die Zimmer.
Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht?
So hab ich doch manche noch schlimmer vollbracht,
Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.
Drum rasch bei der mondlichen Helle
Ins Bett, in das Stroh, ins Gestelle.
Und als er im willigen Schlummer so lag,
Bewegt es sich unter dem Bette.
Die Ratte, die raschle, solange sie mag!
Ja, wenn sie ein Bröselein hätte!
Doch siehe! da stehet ein winziger Wicht,
Ein Zwerglein so zierlich mit Ampelen- Licht,
Mit Redner- Gebärden und Sprecher- Gewicht,
Zum Fuß des ermüdeten Grafen,
Der, schläft er nicht, möcht er doch schlafen.
Wir haben uns Feste hier oben erlaubt,
Seitdem du die Zimmer verlassen.
Und weil wir dich weit in der Ferne geglaubt,
1798/1805 WEIMAR 501
So dachten wir eben zu prassen.
Und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut,
So schmausen die Zwerge, behaglich und laut,
Zu Ehren der reichen, der niedlichen Braut.
Der Graf im Behagen des Traumes:
Bedienet euch immer des Raumes!
Da kommen drei Reiter, sie reiten hervor,
Die imter dem Bette gehalten;
Dann folget ein singendes, klingendes Chor
Possierlicher, kleiner Gestalten;
Und Wagen auf Wagen mit allem Gerät,
Daß einem so Hören als Sehen vergeht,
Wie's nur in den Schlössern der Könige steht;
Zuletzt auf vergoldetem Wagen
Die Braut imd die Gäste getragen.
So rennet nun alles in vollem Galopp
Und kürt sich im Saale sein Plätzchen;
Zum Drehen und Walzen und lustigen Hopp
Erkieset sich jeder ein Schätzchen.
Da pfeift es und geigt es imd klinget und klirrt,
Da ringelts und schleift es und rauschet und wirrt,
Da pisperts und knisterts und flisterts und schwirrt;
Das Gräflein, es blicket hinüber,
Es dünkt ihn, als lag er im Fieber.
Nun dappelts und rappelts und klapperts im Saal
Von Bänken und Stühlen und Tischen,
Da will nun ein jeder am festlichen Mahl
Sich neben dem Liebchen erfrischen;
Sie tragen die Würste, die Schinken so klein
Und Braten und Fisch und Geflügel herein,
Es kreiset beständig der köstliche Wein;
Das toset und koset so lange,
Verschwindet zuletzt mit Gesänge. —
Und sollen wir singen, was weiter geschehn,
So schweige das Toben und Tosen.
Denn was er, so artig, im Kleinen gesehn,
Erfuhr er, genoß er im Großen.
502 LYRISCHE DICHTUNGEN
Trompeten und klingender, singender Schall
Und Wagen und Reiter und bräutlicher Schwall,
Sie kommen und zeigen und neigen sich all,
Unzählige, selige Leute.
So ging es und geht es noch heute.
RÄTSEL
EIN Bruder ists von vielen Brüdern,
In allem ihnen völlig gleich,
Ein nötig Glied von vielen Gliedern
In eines großen Vaters Reich;
Jedoch erblickt man ihn nur selten,
Fast wie ein eingeschobnes Kind:
Die andern lassen ihn nur gelten
Da, wo sie unvermögend sind.
TISCHLIED
MICH ergreift, ich weiß nicht wie,
Himmlisches Behagen.
Will michs etwa gar hinauf
Zu den Sternen tragen?
Doch ich bleibe lieber hier,
Kann ich redlich sagen,
Beim Gesang und Glase Wein
Auf den Tisch zu schlagen.
Wundert euch, ihr Freunde, nicht,
Wie ich mich gebärde;
Wirklich ist es allerliebst
Auf der lieben Erde:
Darum schwör ich feierlich
Und ohn alle Fährde,
Daß ich mich nicht freventlich
Wegbegeben werde.
Da wir aber allzumal
So beisammen weilen,
Dächt ich, klänge der Pokal
Zu des Dichters Zeilen.
1 798/1805 WEIMAR 503
Gute Freunde ziehen fort,
Wohl ein hundert Meilen,
Darum soll man hier am Ort
Anzustoßen eilen.
Lebe hoch, wer Leben schafft!
Das ist meine Lehre.
Unser König denn voran,
Ihm gebührt die Ehre.
Gegen inn- und äußern Feind
Setzt er sich zur Wehre;
Ans Erhalten denkt er zwar,
Mehr noch, wie er mehre.
Nun begrüß ich sie sogleich,
Sie, die einzig Eine.
Jeder denke ritterlich
Sich dabei die Seine.
Merket auch ein schönes Kind,
Wen ich eben meine,
Nun, so nicke sie mir zu:
Leb auch so der Meine!
Freunden gilt das dritte Glas,
Zweien oder dreien,
Die mit uns am guten Tag
Sich im stillen freuen
Und der Nebel trübe Nacht
Leis und leicht zerstreuen;
Diesen sei ein Hoch gebracht,
Alten oder neuen.
Breiter wallet nun der Strom,
Mit vermehrten Wellen.
Leben jetzt im hohen Ton
Redliche Gesellen!
Die sich mit gedrängter Kraft
Brav zusammen stellen
In des Glückes Sonnenschein
Und in schlimmen Fällen.
S04 LYRISCHE DICHTUNGEN
Wie wir nun zusammen sind,
Sind zusammen viele.
Wohl gelingen denn, wie uns,
Andern ihre Spiele!
Von der Quelle bis ans Meer
Mahlet manche Mühle,
Und das Wohl der ganzen Welt
Ists, worauf ich ziele.
GENERALBEICHTE
LASSET heut im edeln Kreis
Meine Warnung gelten!
Nehmt die ernste Stimmung wahr,
Denn sie kommt so selten.
Manches habt ihr vorgenommen,
Manches ist euch schlecht bekommen,
Und ich muß euch schelten.
Reue soll man doch einmal
In der Welt empfinden!
So bekennt, vertraut und fromm.
Eure größten Sünden!
Aus des Irrtums falschen Weiten
Sammelt euch und sucht beizeiten
Euch zurecht zu finden.
Ja, wir haben, seis bekannt,
Wachend oft geträumet.
Nicht geleert das frische Glas,
Wenn der Wein geschäumet;
Manche rasche Schäferstunde,
Flüchtgen Kuß vom lieben Munde
Haben wir versäumet.
Still und maulfaul saßen wir.
Wenn Philister schwätzten,
Über göttlichen Gesang
Ihr Geklatsche schätzten.
17 98/180.5 WEIMAR 505
Wegen glücklicher Momente,
Deren man sich rühmen könnte,
Uns zur Rede setzten.
Willst du Absolution
Deinen Treuen geben,
Wollen wir nach deinem Wink
Unabläßlich streben.
Uns vom Halben zu entwöhnen
Und im Ganzen, Guten, Schönen
Resolut zu leben.
Den Philistern allzumal
Wohlgemut zu schnippen,
Jenen Perlenschaum des Weins
Nicht nur flach zu nippen,
Nicht zu liebeln leis mit Augen,
Sondern fest uns anzusaugen
An geliebte Lippen.
SCHÄFERS KLAGELIED
DA droben auf jenem Berge,
Da steh ich tausendmal,
An meinem Stabe gebogen,
Und schaue hinab in das Tal.
Dann folg ich der weidenden Herde,
Mein Hündchen bewahret mir sie.
Ich bin herunter gekommen
Und weiß doch selber nicht wie.
Da stehet von schönen Blumen
Die ganze Wiese so voll.
Ich breche sie, ohne zu wissen,
Wem ich sie geben soll.
Und Regen, Sturm und Gewitter
Verpaß ich unter dem Baum.
Die Türe dort bleibet verschlossen;
Denn alles ist leider ein Traum.
So6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Es stehet ein Regenbogen
Wohl über jenem Haus!
Sie aber ist weggezogen,
Und weit in das Land hinaus.
Hinaus in das Land und weiter,
Vielleicht gar über die See.
Vorüber, ihr Schafe, vorüber!
Dem Schäfer ist gar so weh.
DIE GLÜCKLICHEN GATTEN
NACH diesem Frühlingsregen,
Den wir so warm erfleht,
Weibchen, o sieh den Segen,
Der unsre Flur durchweht.
Nur in der blauen Trübe
Verliert sich fern der Blick;
Hier wandelt noch die Liebe,
Hier hauset noch das Glück.
Das Pärchen weißer Tauben,
Du siehst, es fliegt dorthin,
Wo um besonnte Lauben
Gefüllte Veilchen blühn.
Dort banden \vir zusammen
Den allerersten Strauß,
Dort schlugen unsre Flammen
Zuerst gewaltig a.us.
Doch als uns vom Altare,
Nach dem beliebten Ja,
Mit manchem jungen Paare
Der Pfarrer eilen sah,
Da gingen andre Sonnen
Und andre Monden auf.
Da war die Welt gewonnen
Für unsern Lebenslauf.
Und hunderttausend Siegel
Bekräftigten den Bund,
1 798/1805 WEIMAR 507
Im Wäldchen auf dem Hügel,
Im Busch am Wiesengrund,
In Höhlen, im Gemäuer
Auf des Geklüftes Höh,
Und Amor trug das Feuer
Selbst in das Rohr am See.
Wir wandelten zufrieden,
Wir glaubten uns zu zwei;
Doch anders wars beschieden.
Und sieh! wir waren drei;
Und vier und fünf und sechse,
Sie saßen um den Topf,
Und nun sind die Gewächse
Fast all uns übern Kopf.
Und dort in schöner Fläche
Das neugebaute Haus
Umschlingen Pappelbäche,
So freundlich siehts heraus.
Wer schaffte wohl da drüben
Sich diesen frohen Sitz?
Ist es, mit seiner Lieben,
Nicht unser braver Fritz?
Und wo im Felsengrunde
Der eingeklemmte Fluß
Sich schäumend aus dem Schlünde
Auf Räder stürzen muß:
Man spricht von Müllerinnen,
Und wie so schön sie sind;
Doch immer wird gewinnen
Dort hinten unser Kind.
Doch wo das Grün so dichte
Um Kirch und Rasen steht.
Da, wo die alte Fichte
Allein zum Himmel weht.
Da ruhet unsrer Toten
Frühzeitiges Geschick
5o8 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und leitet von dem Boden
Zum Himmel unsern Blick.
Es blitzen Waffenwogen
Den Hügel schwankend ab;
Das Heer, es kommt gezogen,
Das uns den Frieden gab.
Wer mit der Ehrenbinde
Bewegt sich stolz voraus?
Er gleichet unserm Kinde!
So kommt der Karl nach Haus.
Den liebsten aller Gäste
Bewirtet nun die Braut;
Sie wird am Friedensfeste
Dem Treuen angetraut.
Und zu den Feiertänzen
Drängt jeder sich herbei;
Da schmückest du mit Kränzen
Der jüngsten Kinder drei.
Bei Flöten und Schalmeien
Erneuert sich die Zeit,
Da wir uns einst im Reihen
Als junges Paar gefreut;
Und in des Jahres Laufe,
Die Wonne fühl ich schon!
Begleiten wir zur Taufe
Den Enkel imd den Sohn.
WELTSEELE
VERTEILET euch nach allen Regionen
Von diesem heiigen Schmaus!
Begeistert reißt euch durch die nächsten Zonen
Ins All und fiillt es aus!
Schon schwebet ihr in ungemeßnen Fernen
Den selgen Göttertraum,
Und leuchtet neu, gesellig, unter Sternen
Im lichtbesäten Raum.
i
1798/1805 WEIMAR 509
Dann treibt ihr euch, gewaltige Kometen,
Ins Weit und Weitr hinan;
Das Labyrinth der Sonnen und Planeten
Durchschneidet eure Bahn.
Ihr greifet rasch nach ungeformten Erden
Und wirket schöpfrisch jung,
Daß sie belebt und stets belebter werden
Im abgemeßnen Schwung.
Und kreisend fuhrt ihr in bewegten Lüften
Den wandelbaren Flor
Und schreibt dem Stein in allen seinen Grüften
Die festen Formen vor.
Nun alles sich mit göttlichem Erkühnen
Zu übertreffen strebt;
Das Wasser will, das unfruchtbare, grünen.
Und jedes Stäubchen lebt.
Und so verdrängt mit liebevollem Streiten
Der feuchten Qualme Nacht;
Nun glühen schon des Paradieses Weiten
In überbimter Pracht.
Wie regt sich bald, ein holdes Licht zu schauen,
Gestaltenreiche Schar,
Und ihr erstaunt, auf den beglückten Auen,
Nun als das erste Paar,
Und bald verlischt ein unbegrenztes Streben
Im selgen Wechselblick.
Und so empfangt mit Dank das schönste Leben
Vom All ins All zurück.
BERGSCHLOSS
DA droben auf jenem Berge,
Da steht ein altes Schloß,
Wo hinter Toren und Türen
Sonst lauerten Ritter und Roß.
5IO LYRISCHE DICHTUNGEN
Verbrannt sind Türen und Tore,
Und überall ist es so still;
Das alte verfallne Gemäuer
Durchklettr ich, wie ich nur will.
Hierneben lag ein Keller,
So voll von köstlichem Wein;
Nun steiget nicht mehr mit Krügen
Die Kellnerin heiter hinein,
Sie setzt den Gästen im Saale
Nicht mehr die Becher umher,
Sie füllt zum Heiligen Mahle
Dem Pfaffen das Fläschchen nicht mehr.
Sie reicht dem lüsternen Knappen
Nicht mehr auf dem Gange den Trank,
Und nimmt für flüchtige Gabe
Nicht mehr den flüchtigen Dank.
Denn alle Balken und Decken,
Sie sind schon lange verbrannt.
Und Trepp und Gang und Kapelle
In Schutt und Trümmer verwandt.
Doch als mit Zither und Flasche
Nach diesen felsigen Höhn
Ich an dem heitersten Tage
Mein Liebchen steigen gesehn,
Da drängte sich frohes Behagen
Hervor aus verödeter Ruh,
Da gings wie in alten Tagen
Recht feierlich wieder zu.
Als wären für stattliche Gäste
Die weitesten Räume bereit.
Als kam ein Pärchen gegangen
Aus jener tüchtigen Zeit.
Als stund in seiner Kapelle
Der würdige Pfaöe schon da
Und fragte: Wollt ihr einander?
Wir aber lächelten: Ja!
1 798/1805 WEIMAR 5"
Und tief bewegten Gesänge
Des Herzens innigsten Grund,
Es zeugte, statt der Menge,
Der Echo schallender Mund.
Und als sich gegen den Abend
Im stillen alles verlor,
Da blickte die glühende Sonne
Zum schroffen Gipfel empor.
Und Knapp und Kellnerin glänzen
Als Herren weit und breit;
Sie nimmt sich zum Kredenzen
Und er zum Danke sich Zeit.
NACHTGESANG
Ogib, vom weichen Pfühle,
Träumend, ein halb Gehör!
Bei meinem Saitenspiele
Schlafe! was willst du mehr?
Bei meinem Saitenspiele
Segnet der Sterne Heer
Die ewigen Gefühle;
Schlafe! was willst du mehr?
Die ewigen Gefühle
Heben mich, hoch und hehr,
Aus irdischem Gewühle;
Schlafe! was willst du mehr?
Vom irdischen Gewühle
Trennst du mich nur zu sehr,
Bannst mich in diese Kühle;
Schlafe! was willst du mehr?
Bannst mich in diese Kühle,
Gibst nur im Traum Gehör.
Ach, auf dem weichen Pfühle
Schlafe! was willst du mehr?
512 LYRISCHE DICHTUNGEN
w
SEHNSUCHT
AS zieht mir das Herz so?
Was zieht mich hinaus?
Und windet und schraubt mich
Aus Zimmer und Haus?
Wie dort sich die Wolken
Um Felsen verziehn!
Da möcht ich hinüber,
Da möcht ich wohl hin!
Nun wiegt sich der Raben
Geselliger Flug;
Ich mische mich drunter
Und folge dem Zug.
Und Berg und Gemäuer
Umfittichen wir;
Sie weilet da drunten,
Ich spähe nach ihr.
Da kommt sie und wandelt;
Ich eile sobald,
Ein singender Vogel,
Zum buschigen Wald.
Sie weilet und horchet
Und lächelt mit sich:
"Er singet so lieblich
Und singt es an mich."
Die scheidende Sonne
Verguldet die Höhn;
Die sinnende Schöne,
Sie läßt es geschehn.
Sie wandelt am Bache
Die Wiesen entlang,
Und finster und finstrer
Umschlingt sich der Gang;
Auf einmal erschein ich,
Ein blinkender Stern.
"Was glänzet da droben,
1798/1805 WEIMAR 513
So nah und so fem?"
Und hast du mit Staunen
Das Leuchten erblickt,
Ich lieg dir zu Füßen,
Da bin ich beglückt!
DES NEUEN ALCINOUS
erster Teil
LASST mir den Phäaker schlafen!
Jenen alten, jenen fernen;
Freunde! kommt in meinen Garten,
Den gefühlten, den modernen.
Freilich nicht vom besten Boden;
Doch in allerschönster Richtung,
Nächst an Jena, gegen Weimar,
Recht im Mittelpunkt der Dichtung.
Will dort unter Freundes -Zweigen
Und geschenkten Bäiunen leben;
Doch zu ganz gewisser Rührung
Steht der Kirchhof gleich daneben.
Doch weil hinten mancher Toter
An der dumpfen Mauer ranzet,
Hat daher der gute Loder
Lebensbäume hingepflanzet.
Der nicht gerne Geld vergeudet.
Der Direktor Graf von Soden,
Schickt für jedes Stück mir vierzehn
Stämmchen aus dem besten Boden.
Ob sie alle, wie in Franken
Und bei Sickler, frisch bekleiben,
Wird sich finden; wenn sie dorren,
Werd ich neue Stücke schreiben.
Hier an diesem Wege stehen
Die Verleger miteinander.
Diese Mispeln pflanzte Kummer,
Diesen Korkbaum schickte Sander.
GOETHE XIV 33.
514 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sollte dieser Kork nun freilich
Wie der Geber sich verdicken,
Mögen Enkel und Urenkel
Mit dem Weg zur Seite rücken.
Pflaumen hat er mir versprochen,
Der scharmante, kleine Merkel^
Und nun sind es Schlehen worden;
Meine Kinder, sind sie Ferkel?
Hahnebutten wählte Bötfger
Aus Pomonens bvmten Kindern;
Leidlich schmecken sie durchfrostet,
Doch sie kratzen mich im H
Kammerkätzchen, Kammermäuschen
Stifteten die schönsten Nelken;
Wieland gab ein Lorbeerreischen,
Doch es will bei mir verwelken.
Haselstauden will die Gräfin
Mir ein ganzes Wäldchen schenken,
Und sooft ich Nüsse knacke,
Will ich an die Freundin denken.
Auch aus Tiefurts Zauberhainen
Seh ich manches Reis mit Freuden;
Doch um einen Lilienstengel
Will man mich besonders neiden.
Und so pflanzten sie, mit Eifer,
Nah' und ferne, gute Seelen,
Und der Magistrat zu Naumburg
Ließ es nicht an Kirschen fehlen.
Zweiter Teil
Wenn ich nun im holden Haine
Unter meinen Freunden wandle,
Mögens meine Feinde haben,
Die als Kegel ich behandle.
1 798/1805 WEIMAR 515
Kommt nur her, geliebte Freunde!
Laßt uns schleudern, laßt uns schieben;
Seht nur, es ist jedem Kegel
Auch sein Name angeschrieben.
Da den Procerem der Mitte
Tauft ich mir zu Vater Kanten^
Hüben Fichte^ drüben Schelling,
Als die nächsten Geistsverwandten.
Brown steht hinten in dem Grunde,
Röschlaub aber trutzt mir vorne,
Und besonders diesen letzten
Hab ich immer auf dem Korne.
Dann die Schlegels und die Tiecke
Sollen durcheinander stürzen
Und durch ihre Purzelbäume
Mir die lange Zeit verkürzen.
Schieb ich Holz, da wird gejubelt:
Dreie! Fünfe! Sechse! Neune!
Immer stürz ich meine Feinde
Über ihre steifen Beine.
Aber weil durch ihren Frevel
Sie verdienen ewige Hölle,
Setzt sie der behende Junge
Immer wieder auf die Stelle.
Und so stürzen meine Feinde
Durch des Arms Geschick und Stärke;
Danun nannt ich auch die Kugeln
Nach den Namen meiner Werke.
Eine heißt die Sucht zu glänzen',
Und dann steigt es immer höher:
Das Jahrhundert nannt ich eine,
Eine den Hyperboreer.
Wie Alcinous behaglich
Könnt ich mich auf Rosen betten;
Doch das Weimarsche Theater
Schickt mir mit dem Westwind Kletten.
Si6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Und das Unkraut wächst behende,
Und aus jedem Distelkopfe
Seh ich eine Maske blicken,
Gräßlich mit behaartem Schöpfe.
Merkel schickt mir einen Boten,
Doch ich schweige, laß ihn warten;
Weiter geh ich, und er folgt mir
Gar bescheiden durch den Garten.
Und wie jener römsche König
Sich den höchsten Mohn erlesen,
Also fahr ich mit der Gerte
In das schnöde Distelwesen.
Alle die verdammten Köpfe,
Die so frech herüber gucken,
Sollen gleich vor meinen Hieben
Fallen oder niederducken.
Und der Bote merkt verwimdert
Mein geheinmisvolles Wandeln,
Geht und meldets meinem Freunde;
Dieser fängt nun an zu handeln.
Und so glänzen wir, mit Ehren,
Unter allen kritschen Mächten,
Die Verständgen, die Bescheidnen
Und besonders die Gerechten.
TEUTSCHER MERKUR, NEUNTES STUCK, 1802
TNS Teufels Namen,
XWas sind denn eure Namen!
Im Teutschen Merkur
Ist keine Spur
Von Vater Wieland,
Der steht auf dem blauen Einband;
Und unter dem verfluchtesten Reim
Der Name Gleim.
1 798/1805 WEIMAR 517
[Erklärung der XIV. Tafel des Werkes:
Naturhistorisches Bilder- und Lese-Buch oder Erzählungen übei
Gegenstände aus den drei Reichen der Natur. Von Jakob Glatz.'
NICHT auf der grünen Erde nur
Am heitren Sonnenschein
Erfreut sich mannigfach Natur;
Auch in die Felsen tief hinein
Zeigt sich der Form imd Farbe Spur.
Hier dürfens kleine Muster sein:
Vernimm, wie Quarz und Kalk so rein
In Säulen sich und Tafeln häutt;
Ein schmales, schön gefärbtes Band
Harmonisch durch Aen Jaspis läuft;
Ein millionenkörnger Sand
Als Fels durch alle Lande reicht:
Ein Pflanzenhaiifeji sich verkohlt,
Verschüttet, in der Erde zeigt.
Vernimm, daß, wer auf Berge steigt,
Meermuscheln oft herunterholt.
Und femer wird man dir erklären.
Wie du dereinst nach manchem sauem Schritt
Erfahren wirst, wohin Granit,
Porphyr imd Marmor auf der Welt gehören.
Hast du an Stein und Felsen dann genug,
Gleich werden dich Metalle reizen,
Nach denen Ktmst, Gewalt imd Trug
Mit unverwandter Mühe geizen.
Du findest in der Erde Schoß
Mit stillen, ahndungsvollen Freuden
Das Gold als ein metallisch Moos
Sich wachsend von dem Steine scheiden,
IDas Silber als Gesträuch, das Kupfer als Gestrippe.
Bewundrung stammelt deine Lippe,
Und neue Schätze werden bloß.
Wenn geometrisch Zinn und Blei
In Fläch und Ecke sich beschränken,
5 1 8 LYRISCHE DICHTUNGEN
So wird das Elsen oft sich frei
In Zapfen tropfend niedersenken.
Aus des Zinnobers roter Kraft
Läuft dir Merkur in Kügelchen entgegen,
Und was der Zink^ der Kobalt Gutes schafft,
Das weiß dein Lehrer auszulegen.
Was nun auf diesen Blättern fehlt,
Das zeigt er dir im Kabinette;
An seiner Hand besuche dann die Stätte,
Wo unverhüllt sich uns Natur verhehlt,
Die dich und jeden Stein beseelt.
VORSCHLAG ZUR GÜTE
Er
DU gefällst mir so wohl, mein liebes Kind^
Und wie wir hier beieinander sind,
So möcht ich nimmer scheiden;
Da war es wohl uns beiden.
Sie
Gefall ich dir, so gefällst du mir;
Du sagst es frei, ich sag es dir.
Eh nun! heiraten wir eben!
Das übrige wird sich geben.
Er
Heiraten, Engel, ist wunderlich Wort;
Ich meint, da müßt ich gleich wieder fort.
Sic
Was ists denn so großes Leiden?
Gehts nicht, so lassen wir uns scheiden.
DER NARR EPILOGIERT
MANCH gutes Werk hab ich verriebt,
Ihr nehmt das Lob, das kränkt mich nicht:
Ich denke, daß sich in der Welt
Alles bald wieder ins Gleiche stellt.
Lobt man mich, weil ich was Dummes gemacht,
1 798/1805 WEIMAR 519
Dann mir das Herz im Leibe lacht;
Schilt man mich, weil ich was Gutes getan,
So nehm ichs ganz gemächlich an.
Schlägt mich ein Mächtiger, daß es schmerzt,
So tu ich, als hätt er nur gescherzt;
Doch ist es einer von meinesgleichen,
Den weiß ich wacker durchzustreichen.
Hebt mich das Glück, so bin ich froh
Und sing in dulci Jubilo;
Senkt sich das Rad und quetscht mich nieder,
So denk ich: Nun, es hebt sich wieder!
Grille nicht bei Sommersonnenschein,
Daß es wieder werde Winter sein;
Und kommen die weißen Flockenscharen,
Da Heb ich mir das Schlittenfahren.
Ich mag mich stellen, wie ich will,
Die Sonne hält mir doch nicht still.
Und immer gehts den alten Gang
Das liebe lange Leben lang.
Der Knecht so wie der Herr vom Haus
Ziehen sich täglich an und aus;
Sie mögen sich hoch oder niedrig messen:
Müssen wachen, schlafen, trinken und essen.
Drum trag ich über nichts ein Leid.
Machts wie der Narr, so seid ihr gescheit!
B. UND K.
IHR möchtet gern den brüderlichen Schlegeln
Mit Beil imd Axt den Reisekahn zerstücken;
Allein sie lassen euch schon weit im Rücken
Und ziehen fort mit Rudern und mit Segeln.
Zwar war es billig, diesen frechen Vögeln
Auch tüchtig was am bimten Zeug zu flicken;
Doch euch, ihr Musenlosen, wirds nicht glücken,
Drum, Flegel, bleibt zu Haus mit euem Flegeln,
Dramatisch tanzt ein Esel vor Apollen
Und reichet traulich seinem Frexmd die Pratschen,
Dem Häßlichzerrer besserer Naturen.
520 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der liefert Hexen, jener liefert Huren,
Und beide hören sich aus einer vollen
Parterre -Kloak bejubeln und beklatschen.
Schämt euch, ihr Bessern, auch mit einzupatschen!
Die Müh, uns zu vernichten, ist verloren:
Wir kommen neugebärend, neugeboren.
TRIUMVIRAT
DEN Gott der Pfuschereien zu begrüßen,
Kam Leichtfuß, Genius der Zeit, gegangen:
Laß uns, mein Teurer, aneinander hangen
Wie Klett und Kleid; Pedanten mags verdrießen.
Wir ruhen bald von unsrer einzgen, süßen,
Planlosen Arbeit mit genährten Wangen;
Wenn Dilettanten- Skizzen einzig prangen,
Sei ernste Kirnst ins Fabelreich verwiesen.
An Schmierern fehlts nicht, nicht am Lob der Schmierer;
Der rühmt sich selbst, den preiset ein Verleger,
Der Gleiche den, der Pöbel einen Dritten;
Doch fehlt im ganzen noch ein Rädelsführer,
Ein unermüdlich unverschämter Präger
Papierner Münze. Da trat in die Mitten
Herr Überall, in Tag- und Monatstempeln
Den Lumpenbrei der Pfuscher und der Schmierer
Mit B f r zum Meisterwerk zu stempeln.
K. UND B.
DIE gründlichsten Schuften, die Gott erschuf,
Und zwar zu eigenstem Beruf,
Auf Deutschlands angebauten Gauen
Die Menge zu kirren und zu krauen.
Indem sie sagten Tag für Tag,
Was jeder gerne hören mag:
Der Nachbar sei brav in vielen Stücken ,
Doch könne man ihm auch am Zeuge flicken.
1 798/1805 WEIMAR 521
Vor ihnen beiden, wie vor Gott,
Sei alle Menschen-Tugend Spott,
Ja, wenn mans recht nimmt, gar ein Laster.
Das machte die Herren nicht verhaßter;
Denn Hinz und Kunz, an ihren Stellen,
Glaubten doch auch was vorzustellen.
GOTTHEITEN zwei, ich weiß nicht, wie sie heißen-
Denn ich bin nicht des Heidentums beflissen —
Von böser Art Gottheiten, wie wir wissen,
Die gern, was Gott und Mensch verband, zerreißen.
Die beiden also sagten: Laß versuchen,
Wie wir dem deutschen Volk ein Unheil bringen;
Sie mögen reden, schwätzen, tanzen, singen,
Sie müssen sich und all ihr Tun verfluchen.
Sie lachten gräßlich, fingen an zu formen
Schlecht schlechten Teig, und kneteten beflissen.
Figuren warens; aber wie ,
Das sind nun Bött'ger, Kotz'bue, die Enormen!
WELCH ein verehrendes Gedränge
Schließt den verfluchten Bött'ger ein?
Natürlich! Jeder aus der Menge
Wünscht sehnlich, so ein Mann zu sein.
Er sah fürwahr die Welt genau;
Doch schaut' er sie aus seinen Augen:
Deswegen konnte Mann und Frau
Auch nicht das Allermindste taugen.
Daß er aus Bosheit schaden mag,
Das ist ihm wohl erlaubt;
Doch fluch ich, daß er Tag für Tag
Auch noch zu nützen glaubt.
522 LYRISCHE DICHTUNGEN
TROST IN TRÄNEN
WIE kommts, daß du so traurig bist,
Da alles froh erscheint?
Man sieht dirs an den Augen an,
Gewiß, du hast geweint.
"Und hab ich einsam auch geweint,
So ists mein eigner Schmerz,
Und Tränen fließen gar so süß,
Erleichtem mir das Herz."
Die frohen Freunde laden dich,
O komm an unsre Brust!
Und was du auch verloren hast.
Vertraue den Verlust.
"Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht,
Was mich, den Armen, quält.
Ach nein, verloren hab ichs nicht,
So sehr es mir auch fehlt."
So rafie denn dich eilig auf.
Du bist ein junges Blut.
In deinen Jahren hat man Kraft
Und zum Erwerben Mut.
"Ach nein, erwerben kann ichs nicht,
Es steht mir gar zu fern.
Es weilt so hoch, es blinkt so schön.
Wie droben jener Stern."
Die Sterne, die begehrt man nicht,
Man freut sich ihrer Pracht,
Und mit Entzücken blickt man auf
In jeder heitern Nacht.
"Und mit Entzücken blick ich auf,
So manchen lieben Tag;
Verweinen laßt die Nächte mich,
Solang ich weinen mag."
1798/1805 WEIMAR 523
MAGISCHES NETZ
Zum ersten Mai 1803
SIND es Kämpfe, die ich sehe?
Sind es Spiele? sind es Wunder?
Fünf der allerliebsten Knaben
Gegen fünf Geschwister streitend,
Regelmäßig, taktbeständig.
Einer Zaubrin zu Gebote.
Blanke Spieße führen jene,
Diese flechten schnelle Fäden,
Daß man glaubt, in ihren Schlingen
Werde sich das Eisen fangen.
Bald gefangen sind die Spieße;
Doch im leichten Kriegestanze
Stiehlt sich einer nach dem andern
Aus der zarten Schleifenreihe,
Die sogleich den Freien haschet,
Wenn sie den Gebundnen löset.
So mit Ringen, Streiten, Siegen,
Wechselflucht und Wiederkehren
Wird ein künstlich Netz geflochten,
Himmelsflocken gleich an Weiße,
Die, vom Lichten in das Dichte,
Musterhafte Streifen ziehen.
Wie es Farben kaum vermöchten.
Wer empfängt nun der Gewänder
Allerwünschtes? Wen begünstigt
Unsre vielgeliebte Herrin
Als den anerkannten Diener?
Mich beglückt des holden Loses
Treu und still ersehntes Zeichen!
Und ich fühle mich umschlungen,
Ihrer Dienerschaft gewidmet.
Doch indem ich so behaglich.
Aufgeschmückt stolzierend wandle,
524 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sieh! da knüpfen jene Losen,
Ohne Streit, geheim geschäftig,
Andre Netze, fein und feiner,
Dämmrungsfäden, Mondenblicke,
Nachtviolenduft verwebend.
Eh wir nur das Netz bemerken,
Ist ein Glücklicher gefangen,
Den wir andern, den wir alle.
Segnend und beneidend, grüßen.
DIE PEST AN HERRN POSSELT
MAN sucht mich von des Meeres Strand,
Von Landes Grenze zu entfernen,
Doch hoflf ich sehr, dein Vaterland
Soll mich auch nächstens kennen lernen.
Der Bettler jammert wie der Fürst,
Die Kleinen heulen wie die Großen;
Doch hofif ich, daß du mich so höchlich preisen wirst
Wie meine Vettern, die Franzosen,
BIST du Gemündisches Silber, so fürchte den schwarzen
Probierstein;
Kotzebue, ach, warum hast du nach Rom dich verfügt?
ULTIMATUM
WOLLT', ich lebte noch hundert Jahr
Gesund und froh, wie ich meistens war;
Merkel, Spazier und Kotzebue
Hätten auch so lange keine Ruh,
Müßtens kollegialisch treiben,
Täglich ein Pasquill auf mich schreiben.
Das würde nun fürs nächste Leben
Sechsunddreißigtausend fünfhundert geben,
Und bei der schönen runden Zahl
Rechn ich die Schalttag nicht einmal.
Gern würd ich dieses holde Wesen
Zu Abend auf dem Nachtstuhl lesen,
1798/1805 WEIMAR 525
Grobe Worte, gelind Papier
Nach Würdigkeit bedienen hier;
Dann legt ich ruhig, nach wie vor.
In Gottes Namen mich aufs Ohr.
AN DEN PRINZEN VON LIGNE
IN früher Zeit, noch froh und frei.
Spielt ich und sang zu meinen Spielen;
Dann fings im Herzen an zu wühlen,
Ich fragte nicht, ob ich ein Dichter sei:
Doch, daß ich liebte, könnt ich fühlen.
So bleibt es noch. Ich weiß nicht viel
Von eignen dichterischen Taten.
Man sagt, mir sei als Ernst und Spiel
Nicht übel dies und Jens geraten.
Gern hör ich Gutes von der Kunst,
Der ich mein Leben treu geblieben;
Doch mich in meinen Fretmden lieben.
Dies, edler Mann, dies ist die schönste Gunst.
WIE du Vertrauen erweckst, o Genius anderer
Welten?
Mehr als der irdische Mann zeige dich selig und reich!
JOHANNIS-FEUER sei unverwehrt,
Die Freude nie verloren!
Besen werden immer stumpf gekehrt
Und Jungen immer geboren.
SIEH! das gebändigte Volk der lichtscheu muckenden
Kauze
Kutscht nun selber, o Kant, über die Wolken dich hin!
CAMPES LAOKOON
SCHON vom Gifte durchwühlt, gebissen und wieder-
gebissen,
Vater und Sohn! O! Weh! — Heilige Plastik! o weh!
526 LYRISCHE DICHTUNGEN
OFFEN zeigt sich die Pforte des bergabstürzenden
Waldstroms;
Doch in die offene kehrt nimmer das Wasser zurück. —
Ja doch! es kehret zurück! Schon steigt es in Wolken-
gebild auf,
Ziehet, erhöhtesten Schwungs, morgengerötet hinan.
[An die Herzogin Anna Amalia]
FREUNDLICH empfange das Wort laut ausgesprochner
Verehrung,
Das die Parze mir fast schnitt von den Lippen hinweg.
HALTE das Bild der Würdigen fest! Wie leuchtende
Sterne
Teilte sie aus die Natur durch den unendlichen Raum.
WER ist der glücklichste Mensch? Der fremdes Ver-
dienst zu empfinden
Weiß und am fremden Genuß sich wie am eignen zu
freun.
/'lELES gibt uns die Zeit und nimmts auch, aber der
/ Bessern
Holde Neigimg, sie sei ewig dir froher Genuß.
WAS auch als Wahrheit oder Fabel
In tausend Büchern dir erscheint,
Das alles ist ein Turm zu Babel,
Wenn es die Liebe nicht vereint.
WAR nicht das Auge sonnenhaft.
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Lag nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?
1798/1805 WEIMAR 527
PERFEKTIBILITÄT
MÖCHT ich doch wohl besser sein
Als ich bin! Was war es!
Soll ich aber besser sein,
Als du bist, so lehr es!
Möcht ich auch wohl besser sein
Als so mancher andre!
"Willst du besser sein als wir,
Lieber Freund, so wandre.''
i8o6-i8io WEIMAR
GOETHE XIV 34
IST erst eine dunkle Kammer gemacht
Und finstrer als ägyptische Nacht,
Durch ein gar winzig Löchlein bringe
Den feinsten Sonnenstrahl herein,
Daß er dann durch das Prisma dringe,
Alsbald wird er gebrochen sein.
Aufgedröselt, bei meiner Ehr,
Siehst ihn, als ob er ein Stricklein war.
Siebenfarbig statt weiß, oval statt rund.
Glaube hierbei des Lehrers Mimd:
Was sich hier auseinander reckt.
Das hat alles in Einem gesteckt.
Und dir, wie manchem seit himdert Jahr',
Wächst darüber kein graues Haar.
VANITAS! VANITATUM VANITAS!
ICH hab mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Drum ists so wohl mir in der Welt.
Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein,
Der stoße mit an, der stimme mit ein
Bei dieser Neige Wein.
Ich stellt mein Sach auf Geld und Gut.
Juchhe!
Darüber verlor ich Freud und Mut.
O weh!
Die Münze rollte hier imd dort,
Und hascht ich sie an einem Ort,
Am andern war sie fort.
Auf Weiber stellt ich nun mein Sach.
Juchhe!
Daher mir kam viel Ungemach.
O weh!
Die Falsche sucht' sich ein ander Teil,
Die Treue macht' mir Langeweil,
Die Beste war nicht feil.
532 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ich stellt mein Sach auf Reis' und Fahrt.
Juchhe!
Und ließ meine Vaterlandesart.
O weh!
Und mir behagt' es nirgends recht,
Die Kost war fremd, das Bett war schlecht,
Niemand verstand mich recht.
Ich stellt mein Sach auf Ruhm und Ehr.
Juchhe!
Und sieh! gleich hatt ein andrer mehr.
O weh!
Wie ich mich hatt hervorgetan.
Da sahen die Leute scheel mich an,
Hatte keinem recht getan.
Ich setzt mein Sach auf Kampf und Krieg.
Juchhe!
Und ims gelang so mancher Sieg.
Juchhe!
Wir zogen in Feindes Land hinein.
Dem Freunde sollts nicht viel besser sein,
Und ich verlor ein Bein.
Nun hab ich mein Sach auf Nichts gestellt.
Juchhe!
Und mein gehört die ganze Welt.
Juchhe!
Zu Ende geht nun Sang und Schmaus.
Nur trinkt mir alle Neigen aus;
Die letzte muß heraus!
AN SILVIEN
WENN die Zweige Wurzeln schlagen,
Wachsen, grünen, Früchte tragen,
Möchtest du dem Angedenken
Deines Freunds ein Lächeln schenken.
i8o6/io WEIMAR 533
UND wenn sie zuletzt erfrieren,
Weil man sie nicht wohl verschanzet,
Will sichs alsobald gebühren,
Daß man hofifend neue pflanzet.
[In das Stammbuch von Esther Stock, geb. Moritz]
WAS uns Günstiges in fernen Landen
Auch begegnet, sehnt, bei allem Glück,
Doch das Herz zu seiner Jugend Banden,
Zu dem heimschen Kreise sich zurück.
AN TISCHBEIN
ERST ein Deutscher, dann ein Schweizer,
Dann ein Berg- und Tal -Durchkreuzer,
Römer, dann Napolitaner,
Philosoph und doch kein Aner,
Dichter, fruchtbar allerorten.
Bald mit Zeichen, bald mit Worten,
Immer bleibest du derselbe
Von der Tiber bis zur Elbe!
Glück und Heil! so wie du strebest,
Leben! so wie du belebest,
So genieße! laß genießen!
Bis die Nymphen dich begrüßen,
Die sich in der Ilme baden
Und aufs freundlichste dich laden.
AN DENSELBEN
ALLES, was du denkst und sinnest.
Was du der Natur und Kunst
Mit Empfindung abgewinnest.
Drückst du aus durch Musengunst.
Farbe her! Dein Meisterwille
Schafft ein sichtliches Gedicht;
Doch, bescheiden in der Fülle,
Du verschmähst die Worte nicht.
534 LYRISCHE DICHTUNGEN
AN DENSELBEN
FÜR das Gute, für das Schöne,
Das du uns so reichlich sendest,
Möge jegliche Kamöne
Freude spenden, wie du spendest!
Möge dir, im nordschen Trüben,
Aller Guten, aller Lieben
Reine Neigung so bereiten,
Überall dich zu begleiten
Mit des Umgangs trauter Wonne,
Wie im heitern Land der Sonne!
AN DENSELBEN
STATT den Menschen in den Tieren
Zu verlieren,
Findest du ihn klar darin
Und belebst, als wahrer Dichter,
Schaf- vmd säuisches Gelichter
Mit Gesinnung wie mit Sinn.
Auch der Esel kommt zu Ehren
Und yaht uns weise Lehren.
Das, was BuflFon nur begonnen.
Kommt durch Tischbein an die Sonnen.
ZELEBRITÄT
AUF großen und auf kleinen Brücken
Stehn vielgestaltete Nepomuken
Von Erz, von Holz, gemalt, von Stein,
Kolossisch hoch imd puppisch klein.
Jeder hat seine Andacht davor.
Weil Nepomuk auf der Brücken das Leben verlor.
Ist einer nun mit Kopf und Ohren
Einmal zum Heiligen auserkoren,
Oder hat er unter Henkershänden
Erbärmlich müssen das Leben enden,
So ist er zur Qualität gelangt.
Daß er gar weit im Bilde prangt.
i8o6/io WEIMAR 535
Kupferstich, Holzschnitt tun sich eilen,
Ihn allen Welten mitzuteilen;
Und jede Gestalt wird wohl empfangen,
Tut sie mit seinem Namen prangen:
Wie es denn auch dem Herren Christ
Nicht ein Haar besser geworden ist.
Merkwürdig für die Menschenkinder,
Halb Heiliger, halb armer Sünder,
Sehn wir Herrn Werther auch allda
Prangen in Holzschnitts- Gloria.
Das zeugt erst recht von seinem Werte,
Daß mit erbärmlicher Gebärde
Er wird auf jedem Jahrmarkt prangen,
Wird in Wirtsstuben aufgehangen.
Jeder kann mit dem Stocke zeigen:
"Gleich wird die Kugel das Hirn erreichen!"
Und jeder spricht bei Bier und Brot:
"Gott seis gedankt, nicht wir sind tot!"
[Mephistopheles spricht]
SO war es schon in meinen Tagen:
Ein jeder schlägt gar hoch sich an.
Und würdest du sie alle fragen —
Das Wichtigste hat Er getan.
Es lastet schwer die schwere Last,
Die selber du zu tragen hast;
Und ob ein andrer ächzt und keicht,
Für dich ist seine Bürde leicht.
*
WAS Völker sterbend hinterlassen,
Das ist ein bleicher Schattenschlag:
Du siehst ihn wohl; ihn zu erfassen.
Läufst du vergebHch Nacht und Tag.
*
WER immerdar nach Schatten greift,
Kann stets nur leere Luft erlangen:
Wer Schatten stets auf Schatten häuft,
Sieht endlich sich von düstrer Nacht umfangen.
536 LYRISCHE DICHTUNGEN
[In ein Stammbuch]
ZU unsres Lebens oft getrübten Tagen
Gab uns ein Gott Ersatz für alle Plagen,
Daß unser Blick sich himmelwärts gewöhne,
Den Sonnenschein, die Tugend imd das Schöne.
DER Zeitungsleser sei gesegnet,
Der liest, was heute mir begegnet.
METAMORPHOSE DER TIERE
WAGT ihr, also bereitet, die letzte Stufe zu steigen
Dieses Gipfels, so reicht mir die Hand und öfihet
den freien
Blick ins weite Feld der Natur. Sie spendet die reichen
Lebensgaben umher, die Göttin; aber empfindet
Keine Sorge wie sterbliche Fraun um ihrer Gebomen
Sichere Nahrung; ihr ziemet es nicht: denn zwiefach
bestimmte
Sie das höchste Gesetz, beschränkte jegliches Leben,
Gab ihm gemeßnes Bedürfnis, und ungemessene Gaben,
Leicht zu finden, streute sie aus, und ruhig begünstigt
Sie das muntre Bemühn der vielfach bedürftigen Kinder;
Unerzogen schwärmen sie fort nach ihrer Bestimmung.
Zweck sein selbst ist jegliches Tier, vollkommen ent-
springt es
Aus dem Schoß der Natur und zeugt vollkommene Kinder.
Alle Glieder bilden sich aus nach ewgen Gesetzen,
Und die seltenste Form bewahrt im geheimen das Urbild.
So ist jeglicher Mund geschickt, die Speise zu fassen.
Welche dem Körper gebührt; es sei nun schwächlich und
zahnlos
Oder mächtig der Kiefer gezähnt, in jeglichem Falle
Fördert ein schicklich Organ den übrigen Gliedern die
Nahrung.
Auch bewegt sich jeglicher Fuß, der lange, der kurze.
Ganz harmonisch zum Sinne des Tiers und seinem Be-
dürfiiis.
i8o6/io WEIMAR 537
So ist jedem der Kinder die volle, reine Gesundheit
Von der Mutter bestimmt: denn alle lebendigen Glieder
Widersprechen sich nie und wirken aUe zum Leben.
Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des Tieres,
Und die Weise, zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten
Mächtig zurück. So zeigt sich fest die geordnete Bildimg,
Welche zum Wechsel sich neigt durch äußerlich wirkende
Wesen.
Doch im Innern befindet die Kraft der edlern Geschöpfe
Sich im heiligen Kreise lebendiger Bildung beschlossen.
Diese Grenzen erweitert kein Gott, es ehrt die Natur sie:
Denn nvir also beschränkt war je das Vollkommene möglich.
Doch im Inneren scheint ein Geist gewaltig zu ringen,
Wie er durchbräche den Kreis, Willkür zu schaffen den
Formen
Wie dem Wollen; doch was er beginnt, beginnt er ver-
gebens.
Denn zwar drängt er sich vor zu diesen Gliedern, zu jenen.
Stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben dagegen
Andere Glieder, die Last des Übergewichtes vernichtet
Alle Schöne der Form imd alle reine Bewegung.
Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen Vorzug
Irgend gegönnt, so frage nur gleich: wo leidet es etwa
Mangel anderswo? tmd suche mit forschendem Geiste;
Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel.
Denn so hat kein Tier, dem sämtliche Zähne den obem
Kiefer umzäunen, ein Hörn auf seiner Stime getragen.
Und daher ist den Löwen gehörnt der ewigen Mutter
Ganz unmöglich zu bilden, und böte sie alle Gewalt auf;
Denn sie hat nicht Masse genug, die Reihen der Zähne
Völlig zu pflanzen und auch Geweih und Hörner zu treiben.
Dieser schöne Begriff" von Macht imd Schranken, von
Willkür
Und Gesetz, von Freiheit und Maß, von beweglicher Ord-
nung,
Vorzug und Mangel erfreue dich hoch; die heilige Muse
Bringt harmonisch ihn dir, mit sanftem Zwange belehrend.
538 LYRISCHE DICHTUNGEN
Keinen hohem Begriff erringt der sittliche Denker,
Keinen der tätige Mann, der dichtende Künstler; der
Herrscher,
Der verdient, es zu sein, erfreut nur durch ihn sich der
Krone. i
Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur, du fühlest dich
fähig,
Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich
aufschwang,
Nachzudenken. Hier stehe nun still und wende die Blicke
Rückwärts, prüfe, vergleiche, imd nimm vom Munde der
Muse,
Daß du schauest, nicht schwärmst, die liebliche, volle
Gewißheit.
ZUEIGNUNG AN PRINZESS KAROLINE VON
SACHSEN-WEIMAR
DIESES Stammbuch, wie mans auch nimmt,
War eigentlich für 'nen Studenten bestimmt,
Der es auf akademischen Pfaden
Sich wählen sollt aus Hertels Laden;
Wie ichs denn auch — nicht guter Ding' —
Aus der hübschen Frau Hertel Hand empfing.
Denn guter Dinge könnt ich nicht sein;
Wir waren schon in den Oktober hinein.
Und preußische Scharen allzumal
Zertrappelten uns Berg vmd Tal,
Und damals war noch nichts verloren.
Ich kraute mir aber hinter den Ohren
Und setzte mich, wie vor alter Zeit,
Wieder an des Tales Wirklichkeit
Und wollte kühnlich mich erdreisten,
An der Saale das auch zu leisten.
Was an der Tepel ich trieb im Spiel;
Das war nun freilich gar nicht viel.
Kaum hatt ich aber ein paar Pappeln zeichnet
Und ein paar Berge mir angeeignet,
i8o6/io WEIMAR 539
Da brach die Sündflut auf einmal herein;
Es hätte nicht können schlimmer sein.
Wie aber nach dem Jüngsten Gericht,
Was vorgeschah, auch wieder geschieht,
Und über Wolken und unter Flammen
Freunde und Feinde kommen zusammen.
Und überall im höchsten Chor
Jeder Heilige, nach wie vor.
Hebt und trägt sein Marterinstrument,
Woran man ihn allein erkennt:
So werd ich auch wohl in Abrahams Schoß
Bleistift und Pinsel nicht werden los;
Bei vieler Lust und wenig Gaben
Werd ich doch nur gekritzelt haben.
Doch sei dem allen, wie es sei:
Kein Blatt im Buch ist überlei,
Auf beiden Seiten manche beschrieben
Und so nichts weiter übrig blieben,
Als daß du glaubst, das viele Papier,
Was auch drauf stehe, gehöre dir.
Und dazu hast du Fug und Macht,
Immer war dein dabei gedacht.
So steht dein Bild auch klar und glatt
In unserm Herzen auf jedem Blatt.
Und Liebe bleibt in unserm Gewinn
Ein beßrer Zeichner, als ich bin.
[In das Stammbucli von Karoline Bardua]
WIE wir dich in unsrer Mitte
Üben dein Talent gesehn,
Mögest du mit gleichem Schritte
Immer, immer vorwärts gehn.
AN URANIUS
HIMMEL, ach! so raft man aus,
Wenns uns schlecht geworden.
Himmel will verdienen sich
Pfafif- und Ritterorden.
540 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ihren Himmel finden viel'
In dem Weltgetümmel;
Jugend unter Tanz und Spiel
Meint, sie sei im Himmel.
Doch von dem Klaviere tönt
Ganz ein andrer Himmel;
Alle Morgen grüß ich ihn,
Nickt er mir vom Schimmel.
MÄCHTIGES ÜBERRASCHEN
EIN Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,
Dem Ozean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grimd zu Gründen,
Er wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.
Dämonisch aber stürzt mit einem Male—
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden—
Sich Oreas, Behagen dort zu finden,
Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.
Die Welle sprüht, und staunt zurück und weichet,
Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken;
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.
Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet;
Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.
FREUNDLICHES BEGEGNEN
IM weiten Mantel bis ans Kinn verhüllet,
Ging ich den Felsenweg, den schroffen, grauen,
Hernieder dann zu winterhaften Auen,
Unruhgen Sinns, zur nahen Flucht gewillet.
Auf einmal schien der neue Tag enthüllet:
Ein Mädchen kam, ein Himmel anzuschauen.
So musterhaft wie jene lieben Frauen
Der Dichterwelt, Mein Sehnen war gestillet.
i8o6/io WEIMAR 541
Doch wandt ich mich hinweg und ließ sie gehen
Und wickelte mich enger in die Falten,
Als wollt ich trutzend in mir selbst erwarmen;
Und folgt ihr doch. Sie stand. Da wars geschehen!
In meiner Hülle könnt ich mich nicht halten,
Die warf ich weg, sie lag in meinen Armen.
KURZ UND GUT
SOLLT ich mich denn so ganz an sie gewöhnen?
Das wäre mir zuletzt doch reine Plage.
Darum versuch ichs gleich am heutgen Tage
Und nahe nicht dem vielgewohnten Schönen.
Wie aber mag ich dich, mein Herz, versöhnen,
Daß ich im wichtgen Fall dich nicht befrage?
Wohlan! Komm her! Wir äußern tmsre Klage
In liebevollen, traurig heitern Tönen.
Siehst du, es geht! Des Dichters Wink gewärtig,
Melodisch klingt die durchgespielte Leier,
Ein Liebesopfer traulich darzubringen.
Du denkst es kaum, und sieh! das Lied ist fertig;
Allein was mm: — Ich dächt, im ersten Feuer
Wir eilten hin, es vor ihr selbst zu singen.
REISEZEHRUNG
ENTWÖHNEN sollt ich mich vom Glanz der Blicke,
Mein Leben sollten sie nicht mehr verschönen.
Was man Geschick nennt, läßt sich nicht versöhnen,
Ich weiß wohl, und trat bestürzt zurücke.
Nun wüßt ich auch von keinem weitem Glücke;
Gleich fing ich an, von diesen und von jenen
Notwendgen Dingen sonst mich zu entwöhnen:
Notwendig schien mir nichts als ihre Blicke.
Des Weines Glut, den Vielgenuß der Speisen,
Bequemlichkeit und Schlaf imd sonstge Gaben,
Gesellschaft wies ich wtg, daß wenig bliebe.
542 LYRISCHE DICHTUNGEN
So kann ich ruhig durch die Welt nun reisen:
Was ich bedarf, ist überall zu haben,
Und Unentbehrlichs bring ich mit — die Liebe.
ABSCHIED
WAR unersättlich nach viel tausend Küssen,
Und mußt mit Einem Kuß am Ende scheiden.
Nach herber Trenmmg tiefempfundnem Leiden
War mir das Ufer, dem ich mich entrissen,
Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüssen,
Solang ichs deutlich sah, ein Schatz der Freuden;
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden
An fernentwichnen, lichten Finsternissen.
Und endlich, als das Meer den Blick umgrenzte,
Fiel mir zurück ins Herz mein heiß Verlangen;
Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.
Da war es gleich, als ob der Himmel glänzte;
Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen.
Als hätt ich alles, was ich je genossen.
DIE LIEBENDE SCHREIBT
EIN Blick von deinen Augen in die meinen,
Ein Kuß von deinem Mund auf meinem Munde,
Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde,
Mag dem was anders wohl erfreulich scheinen?
Entfernt von dir, entfremdet von den Meinen,
Führ ich stets die Gedanken in die Runde,
Und immer treflfen sie auf jene Sttmde,
Die einzige; da fang ich an, zu weinen.
Die Träne trocknet wieder unversehens:
Er liebt ja, denk ich, her in diese Stille,
Und solltest du nicht in die Feme reichen?
Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens;
Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille,
Dein freundlicher, zu mir; gib mir ein Zeichen!
i8o6/io WEIMAR 543
DIE LIEBENDE ABERMALS
WARUM ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen:
Denn eigentlich hab ich dir nichts zu sagen;
Doch kommts zuletzt in deine lieben Hände.
Weil ich nicht kommen kann, soll, was ich sende,
Mein imgeteiltes Herz hinüber tragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.
Ich mag vom heutgen Tag dir nichts vertrauen.
Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen
Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:
So stand ich einst vor dir, dich anzuschauen,
Und sagte nichts. Was hätt ich sagen sollen?
Mein ganzes Wesen war in sich vollendet.
SIE KANN NICHT ENDEN
WENN ich nun gleich das weiße Blatt dir schickte.
Anstatt daß ichs mit Lettern erst beschreibe,
Ausfülltest dus vielleicht zum Zeitvertreibe
Und sendetests an mich, die Hochbeglückte.
Wenn ich den blauen Umschlag dann erblickte.
Neugierig schnell, wie es geziemt dem Weibe,
Riss' ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe;
Da las ich, was mich mündlich sonst entzückte:
Lieb Kindl Mein artig Herzt Mein einzig Wesen!
Wie du so freundlich meine Sehnsucht stilltest
Mit süßem Wort und mich so ganz verwöhntest.
Sogar dein Lispeln glaubt ich auch zu lesen,
Womit du liebend meine Seele fülltest
Und mich auf ewig vor mir selbst verschöntest.
544 LYRISCHE DICHTUNGEN
WARNUNG
AM Jüngsten Tag, wenn die Posaunen schallen
Und alles aus ist mit dem Erdeleben,
Sind wir verpflichtet, Rechenschaft zu geben
Von jedem Wort, das unnütz uns entfallen.
Wie wirds nun werden mit den Worten allen,
In welchen ich so liebevoll mein Streben
Um deine Gunst dir an den Tag gegeben.
Wenn diese bloß an deinem Ohr verhallen?
Darum bedenk, o Liebchen! dein Gewissen,
Bedenk im Ernst, wie lange du gezaudert.
Daß nicht der Welt solch Leiden widerfahre.
Werd ich berechnen imd entschuldgen müssen,
Was alles imnütz ich vor dir geplaudert.
So wird der Jüngste Tag zum vollen Jahre.
EPOCHE
IT Flammenschrift war innigst eingeschrieben
Petrarcas Brust vor allen andern Tagen
Karfreitag. Ebenso, ich darfs wohl sagen,
Ist mir Advent von Achtzehnhundertsieben.
m:
Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort, zu lieben
Sie, die ich früh im Herzen schon getragen,
Dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen,
Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.
Petrarcas Liebe, die unendlich hohe,
War leider unbelohnt und gar zu traurig,
Ein Herzensweh, ein ewiger Karfreitag;
Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe,
Süß, tmter Palmenjubel, wonneschaurig.
Der Herrin Ankunft mir, ein ewger Maitag.
i8o6/io WEIMAR 545
DAS MÄDCHEN SPRICHT
DU siehst so ernst, Geliebter! Deinem Bilde
Von Marmor hier möcht ich dich wohl vergleichen:
Wie dieses gibst du mir kein Lebenszeichen;
Mit dir verglichen zeigt der Stein sich milde.
Der Feind verbirgt sich hinter seinem Schilde,
Der Freund soll offen seine Stirn uns reichen.
Ich suche dich, du suchst mir zu entweichen;
Doch halte stand, wie dieses Kunstgebilde.
An wen von beiden soll ich nun mich wenden?
Sollt ich von beiden Kälte leiden müssen,
Da dieser tot und du lebendig heißest?
Kurz, um der Worte mehr nicht zu verschwenden,
So will ich diesen Stein so lange küssen,
Bis eifersüchtig du mich ihm entreißest.
NEMESIS
WENN dmrch das Volk die grimme Seuche wütet,
Soll man vorsichtig die Geseilschaft lassen.
Auch hab ich oft mit Zaudern und Verpassen
Vor manchen Influenzen mich gehütet.
Jnd obgleich Amor öfters mich begütet,
Mocht ich zuletzt mich nicht mit ihm befassen.
So ging mirs auch mit jenen Lacrimassen,
Als vier- und dreifach reimend sie gebrütet.
•^un aber folgt die Strafe dem Verächter,
Als wenn die Schlangenfackel der Erinnen
Von Berg zu Tal, von Land zu Meer ihn triebe.
ch höre wohl der Genien Gelächter;
Doch trennet mich von jeglichem Besinnen
Sonetten wut und Raserei der Liebe.
lOETHE XIV 35.
546 LYRISCHE DICHTUNGEN
Die Zweifelnden
IHR liebt, und schreibt Sonette! Weh der Grille!
Die Kraft des Herzens, sich zu offenbaren,
Soll Reime suchen, sie zusammenpaaren;
Ihr Kinder, glaubt, ohnmächtig bleibt der Wille.
Ganz ungebunden spricht des Herzens Fülle
Sich kaum noch aus: sie mag sich gern bewahren.
Dann Stürmen gleich durch alle Saiten fahren,
Dann wieder senken sich zu Nacht imd Stille.
Was quält ihr euch und uns, auf jähem Stege
Nur Schritt vor Schritt den lästgen Stein zu wälzen
Der rückwärts lastet, immer neu zu mühen?
Die Liebenden
Im Gegenteil, wir sind auf rechtem Wege!
Das AUerstarrste freudig aufzuschmelzen.
Muß Liebesfeuer allgewaltig glühen.
Mädchen
ICH zweifle doch am Ernst verschränkter Zeilen!
Zwar lausch ich gern bei deinen Silbespielen;
Allein mir scheint, was Herzen redlich fühlen.
Mein süßer Freund, das soll man nicht befeilen.
Der Dichter pflegt, um nicht zu langeweilen.
Sein Innerstes von Grund aus umzuwühlen;
Doch seine Wunden weiß er auszukühlen.
Mit Zauberwort die tiefsten auszuheilen.
Dichter
Schau, Liebchen, hin! Wie gehts dem Feuerwerker?
Drauf ausgelernt, wie man nach Maßen wettert,
Irrgänglich-klug miniert er seine Grüfte;
Allein die Macht des Elements ist stärker.
Und eh er sichs versieht, geht er zerschmettert
Mit allen seinen Künsten in die Lüfte.
i8o6/io WEIMAR 547
WACHSTUM
ALS kleines artges Kind nach Feld und Auen
Sprangst du mit mir, so manchen Frühlingsmorgen.
"Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen,
Möcht ich als Vater segnend Häuser bauen!"
Und als du anfingst, in die Welt zu schauen.
War deine Freude häusliches Besorgen.
"Solch eine Schwester! und ich war geborgen:
Wie könnt ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!"
Nun kann den schönen Wachstum nichts beschränken;
Ich fühl im Herzen heißes Liebetoben.
Umfass ich sie, die Schmerzen zu beschwichtgen?
Doch ach! nun muß ich dich als Fürstin denken:
Du stehst so schrofif vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.
WIRKUNG IN DIE FERNE
DIE Königin steht im hohen Saal,
Da brennen der Kerzen so viele;
Sie spricht zum Pagen: "Du läufst einmal
Und holst mir den Beutel zum Spiele.
Er liegt zur Hand
Auf meines Tisches Rand."
Der Knabe, der eilt so behende,
War bald an des Schlosses Ende.
Und neben der Königin schlürft zur Stund
Sorbett die schönste der Frauen.
Da brach ihr die Tasse so hart an dem Mund,
Es war ein Greuel zu schauen.
Verlegenheit! Scham!
Ums Prachtkleid ists getan!
Sie eilt und fliegt so behende
Entgegen des Schlosses Ende.
548 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der Knabe zurück zu laufen kam
Entgegen der Schönen in Schmerzen;
Es wüßt es niemand, doch beide zusamm,
Sie hegten einander im Herzen;
Und o des Glücks,
Des günstgen Geschicks!
Sie warfen mit Brust sich zu Brüsten
Und herzten und küßten nach Lüsten.
Doch endlich beide sich reißen los;
Sie eilt in ihre Gemächer,
Der Page drängt sich zur Königin groß
Durch alle die Degen und Fächer.
Die Fürstin entdeckt
Das Westchen befleckt:
Für sie war nichts unerreichbar,
Der Köngin von Saba vergleichbar.
Und sie die Hofmeisterin rufen läßt:
"Wir kamen doch neulich zu Streite,
Und Ihr behauptetet steif und fest.
Nicht reiche der Geist in die Weite;
Die Gegenwart nur,
Die lasse wohl Spur,
Doch niemand wirk in die Ferne,
Sogar nicht die himmlischen Sterne.
Nun seht! Soeben ward mir zur Seit
Der geistige Süßtrank verschüttet,
Und gleich darauf hat er dort hinten so weit
Dem Knaben die Weste zerrüttet. —
Besorg dir sie neu!
Und weil ich mich freu.
Daß sie mir zum Beweise gegolten.
Ich zahl sie! sonst wirst du gescholten."
z
1806/10 WEIMAR 549
CHARADE
WEI Worte sind es, kurz, bequem zu sagen.
Die wir so oft mit holder Freude nennen,
Doch keineswegs die Dinge deutlich kennen.
Wovon sie eigentlich den Stempel tragen.
Es tut gar wohl in jung- und alten Tagen,
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen;
Und kann man sie vereint zusammen nennen,
So drückt man aus ein seliges Behagen.
Nim aber such ich ihnen zu gefallen
Und bitte, mit sich selbst mich zu beglücken;
Ich hoffe still, doch hoff ichs zu erlangen:
Als Namen der Geliebten sie zu lallen,
In Einem Bild sie beide zu erblicken.
In Einem Wesen beide zu umfangen.
M
CHRISTGESCHENK
EIN süßes Liebchen! Hier in Schachtelwänden
Gar mannigfalt geformte Süßigkeiten.
Die Früchte sind es heiiger Weihnachtszeiten,
Gebackne nur, den Kindern auszuspenden!
Dir möcht ich dann mit süßem Redewenden
Poetisch Zuckerbrot zum Fest bereiten;
Allein was solls mit solchen Eitelkeiten?
Weg den Versuch, mit Schmeichelei zu blenden!
Doch gibt es noch ein Süßes, das vom Innern
Zum Innern spricht, genießbar in der Feme,
Das kann nur bis zu dir hinüber wehen.
Und fühlst du dann ein freundliches Erinnern,
Als blinkten froh dir wohlbekannte Sterne,
Wirst du die kleinste Gabe nicht verschmähen.
5 5 o LYRISCHE DICHTUNGEN
ZUM 21. JUNI, KARLSBAD i8o8
[An Silvie v. Ziegesar]
NICHT am Susquehanna, der durch Wüsten fließt,
Wo zum irdschen Manna geistges man genießt;
Nicht vom Gnadentale, nicht nach Herrenhut,
Wo beim Liebesmahle Tee man trinkt für Blut:
Nein! am Tepelstrande, von der großen Brück,
Wo die Mohrenbande schaut Sankt Nepomuk,
Zu dem Weißen Hirschen, der beständig rennt,
Ohne daß ein Pirschen seine Straße hemmt,
Eile dieses Blättchen munter und geschwind.
Wo im kurzen Bettchen ruht das liebe Kind.
Nennet mir beizeiten gleich den schönsten Tag,
So daß niemand streiten, niemand zweifeln mag.
"Meinst du den, wos Krippchen frömmlich bunt ge-
schmückt?
Den, wo sich am Püppchen Püppchen hoch entzückt?
Den vielleicht vor Fasten, wos am tollsten geht,
Wo man ohne Rasten sich mit Liebchen dreht?
Ist es Ostern? Pfingsten? Corpus Domini?
Freundchen! du besingst'n, frisch zur Melodie!"
Keiner ist der meine, der sich rücken läßt;
Einer ists, der Eine, dieser steht so fest.
Läßt er nah sich blicken, wünscht man ihn heran;
Hat man ihn im Rücken, gleich fängts Trauren an.
Bruder nicht, noch Schwester hat er für und für,
Und man glaubt, Silvester steh schon vor der Tür.
Drum mit Wohlbedachte grüßt ihn ehrenvoll,
Weil er, was er brachte, wohl \ms lassen soll.
Wird er gleich entweichen, wie nun Tage sind,
Läßt er seinesgleichen uns: das längste Kind.
Froh am schönen Feste solls in Karlsbad sein!
Ein paar hundert Gäste stellten schon sich ein.
Gleich soll jeder haben, was ihm konveniert;
Früh mit Wassergaben jeder wird traktiert,
Freuet sich nicht minder als beim größten Schmaus,
Denn er geht gesünder, als er kam, nach Haus.
i8o6/io WEIMAR 55 »
Liebliches Gedudel tönte gestern nacht;
Lustger ist der Sprudel heut schon aufgewacht.
Frischlich angefeuchtet steht der Fels umlaubt,
Kreuzes Panner leuchtet um das kahle Haupt.
HerzHch grüßt der Biedre dieses Tages Stern,
Hoch wird alles Niedre, Hohes neigt sich gern.
Der verschloßne Stolze grüßet heiter, mild;
Tätger wird Graf Bolze, Herr vom Goldnen Schild.
Doch sie kömmt geschritten! Schaut nur, wie sie steigt,
Wo sich auf Graniten manche Blume zeigt.
In den bunten Höhen eil ihr nachzugehn,
Wo die Orchideen und Dianthen stehn
Und Omithogalen, weiß und schlank wie sie.
Ihr zuliebe strahlen Lenz und Sommer hie.
Doch die Wetterkenner, zweifelnd stehn sie dort,
Wohlbedächtge Männer! Und du schreitest fort,
Pflückest junge Rosen, lächelst leichtem Stich;
Wie im Lande Gosen sonnt es rings um dich.
Reich an Strauß- und Kränzen, trotz dem Wolkengraus,
Bringst du die Exzellenzen ungenetzt nach Haus.
Folge so dir immer, wie sichs wölken mag,
Heitrer Sonnenschimmer, dir zum eignen Tag!
Trotz dem Wetterbübchen gehs dir jimgem Blut,
Tochter, Freundin, Liebchen, wie dus wert bist, gut!
EINER HOHEN REISENDEN
WOHIN du trittst, wird \ms verklärte Stunde,
Dir leuchtet Klarheit frisch vom Angesicht,
Vom Auge Gutheit, Lieblichkeit vom Munde,
Aus Wolken dringt ein reines Himmelslicht.
Der Ungeheuer Schwärm im Hintergrunde,
Er drängt, er droht, jedoch er schreckt dich nicht,
Wie du mit Freiheit imbefangen schreitest.
Das Herz erhebst und jeden Geist erweitest.
So wandelst du, dein Ebenbild zu schauen,
Das majestätisch uns von oben blickt,
Der Mütter Urbild, Königin der Frauen,
Ein Wimderpinsel hat sie ausgedrückt.
552 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ihr beugt ein Mann, mit liebevollem Granen,
Ein Weib die Knie, in Demut still entzückt;
Du aber kommst, ihr deine Hand zu reichen,
Als wärest du zu Haus bei deinesgleichen.
Doch schreite weiter, was auch hier sich finde,
Zum Lande hin, dem doch kein andres gleicht.
Wo uns Natur befreit, wie Kunst auch binde,
Der Geist sich stählt, wenn sich das Herz erweicht,
Vor stillem Schaun so Zeit- als Volksgewinde
Zum Abgrund wallt, zur Himmelshöhe steigt:
Dorthin gehörst du, die du schaffend strebest,
Die Trümmer herstellst, Totes neu belebest.
Führ uns indes durch blumenreiche Matten,
Am breiten Fluß durchs wohlbekannte Tal,
Wo Reben sich um Sonnenhügel gatten.
Der Fels dich schützt vor mächtgem Sonnenstrahl;
Genieße froh der engen Laube Schatten,
Der reinen Milch unschuldig würdges Mahl.
Und hier und dort vergönn, an deinen Blicken,
An deinem Wort uns ewig zu entzücken!
DER GOLDSCHMIEDSGESELL
ES ist doch meine Nachbarin
Ein allerliebstes Mädchen!
Wie früh ich in der Werkstatt bin,
Blick ich nach ihrem Lädchen.
Zu Ring und Kette poch ich dann
Die feinen goldnen Drähtchen.
Ach, denk ich, wann, und wieder, wann
Ist solch ein Ring für Käthchen?
Und tut sie erst die Schaltern auf.
Da kommt das ganze Städtchen
Und feilscht und wirbt mit hellem Häuf
Ums Allerlei im Lädchen.
i8o6/io WEIIVIAR 553
Ich feile; wohl zerfeil ich dann
Auch manches goldne Drähtchen.
Der Meister brummt, der harte Mann!
Er merkt, es war das Lädchen.
Und flugs, wie nur der Handel still,
Gleich greift sie nach dem Rädchen.
Ich weiß wohl, was sie spinnen will:
Es hofft das liebe Mädchen.
Das kleine Füßchen tritt und tritt;
Da denk ich mir das Wädchen,
Das Strumpfband denk ich auch wohl mit,
Ich schenkts dem lieben Mädchen.
Und nach den Lippen führt der Schatz
Das allerfein ste Fädchen.
O war ich doch an seinem Platz,
Wie küßt ich mir das Mädchen!
WALLSTEIN TRAGÖDIE EN CINQ ACTES
DER du des Lobs dich billig freuen solltest,
O! guter Constant, bleibe still!
Der Deutsche dankt dir nicht, er weiß wohl, was er will;
Der Franke weiß nicht, was du wolltest.
JOHANNA SEBUS
Zum Andenken der siebzehnjährigen Schönen Guten aus dem Dorfe
Brienen, die am 13. Januar 1809, bei dem Eisgange des Rheins und
dem großen Bruche des Dammes von Cleverham, Hilfe reichend
unterging
D
ER Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluten spülen, die Fläche saust.
"Ich trage dich, Mutter, durch die Flut,
Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut." —
"Auch uns bedenke, bedrängt wie wir sind,
Die Hausgenossin, drei arme Kind!
Die schwache Frau! ... Du gehst davon!" —
Sie trägt die Mutter durchs Wasser schon.
554 LYRISCHE DICHTUNGEN
"Zum Buhle da rettet euch! harret derweil;
Gleich kehr ich zurück, uns allen ist Heil.
Zum Bühl ists noch trocken und wenige Schritt;
Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!"
Der Damm zerschmilzt^ das Feld erbraust^
Die Fluten wühlen^ die Fläche saust.
Sie setzt die Mutter auf sichres Land,
Schön Suschen, gleich wieder zur Flut gewandt.
"Wohin: Wohin? Die Breite schwoll.
Des Wassers ist hüben und drüben voll.
Verwegen ins Tiefe willst du hinein!" —
"Äi? sollen und müssen gerettet sein!^^
Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.
Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg,
Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
Doch der und den Kindern kein Gewinn!
Der Damm verschwand, ein Meer erbrausts,
Den kleinen Hügel im Kreis ums aus ts.
Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
Das Hörn der Ziege faßt das ein',
So sollten sie alle verloren sein!
Schön Suschen steht noch strack und gut:
Wer rettet das junge, das edelste Blut!
Schön Suschen steht noch wie ein Stern;
Doch alle Werber sind alle fern.
Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf.
Keiti Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Turn den Ort.
Bedeckt ist alles mit Wasserschwall;
Doch Suschens Bild schwebt überall. —
i8o6/io WEIMAR 555
Das Wasser sinkt, das Land erscheint,
Und überall wird schön Suschen beweint. —
Und dem sei, wers nicht singt und sagt,
Im Leben und Tod nicht nachgefragt!
[In das Stammbuch von Bertha v. Loder]
WIE die Blüten heute dringen
Aus den aufgeschloßnen Zweigen,
Wie die Vögel heute singen
Aus diurchsichtigen Gesträuchen,
So begleitet reis' und lebe
Und so freundlich nimm und gebe.
VERSUS MEMORIALES
zu Verbreitimg imd Festhaltimg der zwei wichtigsten
natürlichen Systeme
Natürliches System der Erze nach Oleen
"^LINZE^ wenig Erz enthalten s',
Halde, nu! die sind Gesalzens;
Malme sind gut durchgesotten,
Gelfe hättens bald getroffen.
So, mit mancherlei Gescherze,
Hätten wir die alten Erze.
Natürliches System des Organisch-Gebacknen nach Knebel
Leber ist nicht wert des Schmalzes,
Hering hat zu viel des Salzes,
Frösche sind zum Frühlingsfeste,
Fische dennoch sind die beste.
Und mit diesen laß im Stiche
Niemals uns des Freimdes Küche!
[In das Stammbuch der Frau v. Berg, geb. v. Sievers]
WIE es dampft und braust und sprühet
Aus der imbekannten Gruft!
Von geheimem Feuer glühet
Heilsam Wasser, Erd und Luft.
F'.
556 LYRISCHE DICHTUNGEN
Hilfsbedürftge Schar vermehrt sich
Täglich um den Wunderort,
Und im stillen heilt und nährt sich
Unser Herz an Freundes Wort.
PROBLEM
WARUM ist alles so rätselhaft?
Hier ist das Wollen, hier ist die Kraft;
Das Wollen will, die Kraft ist bereit,
Und daneben die schöne, lange Zeit."
So seht doch hin, wo die gute Welt
Zusammenhält!
Seht hin, wo sie auseinanderfällt!
RECHENSCHAFT
Der Meister
FRISCH! der Wein soll reichlich fließen!
Nichts Verdrießlichs weh uns an!
Sage, willst du mitgenießen,
Hast du deine Pflicht getan?
Einer
Zwei recht gute junge Leute
Liebten sich nur gar zu sehr,
Gestern zärtlich, wütend heute.
Morgen war es noch viel mehr;
Senkte sie hier das Genicke,
Dort zerrauft' er sich das Haar;
Alles bracht ich ins Geschicke,
Und sie sind ein glücklich Paar.
Chor
Sollst uns nicht nach Weine lechzen!
Gleich das volle Glas heran!
Denn das Ächzen tmd das Krächzen
Hast du heut schon abgetan.
Einer
Warum weinst du, junge Waise?
"Gott! ich wünschte mir das Grab;
i8o6/io WEIMAR 55?
Denn mein Vormund, leise, leise,
Bringt mich an den Bettelstab."
Und ich kannte das Gelichter,
Zog den Schacher vor Gericht,
Streng und brav sind unsre Richter,
Und das Mädchen bettelt nicht.
Chor
Sollst uns nicht nach Weine lechzen!
Gleich das volle Glas heran!
Denn das Ächzen und das Krächzen
Hast du heut schon abgetan.
Einer
Einem armen, kleinen Kegel,
Der sich nicht besonders regt, .
Hat ein ungeheurer Flegel
Heute grob sich aufgelegt.
Und ich fühlte mich ein Mannsen,
Ich gedachte meiner Pflicht,
Und ich hieb dem langen Hansen
Gleich die Schmarre durchs Gesicht.
Chor
Sollst uns nicht nach Weine lechzen!
Gleich das volle Glas heran!
Denn das Ächzen und das Krächzen
Hast du heut schon abgetan.
Einer
Wenig hab ich nur zu sagen:
Denn ich habe nichts getan.
Ohne Sorgen, ohne Plagen
Nahm ich mich der Wirtschaft an;
Doch ich habe nichts vergessen.
Ich gedachte meiner Pflicht:
Alle wollten sie zu essen,
Und an Essen fehlt' es nicht.
Chor
Sollst uns nicht nach Weine lechzen!
Gleich das volle Glas heran!
558 LYRISCHE DICHTUNGEN
Denn das Ächzen und das Krächzen
Hast du heut schon abgetan.
Einer
Einer wollte mich erneuen,
Macht' es schlecht: verzeih mir Gott!
Achselzucken, Kümmereien!
Und er hieß ein Patriot.
Ich verfluchte das Gewäsche,
Rannte meinen alten Lauf.
Narre! wenn es brennt, so lösche,
Hats gebrannt, bau wieder auf!
Chor
Sollst uns nicht nach Weine lechzen!
Gleich das volle Glas heran!
Denn das Ächzen tmd das Krächzen
Hast du heut schon abgetan.
Meister
Jeder möge so verkünden.
Was ihm heute wohlgelang!
Das ist erst das rechte Zünden,
Daß entbrenne der Gesang.
Keinen Druckser hier zu leiden.
Sei ein ewiges Mandat!
Nur die Lumpe sind bescheiden.
Brave freuen sich der Tat.
Chor
Keiner soll nach Weine lechzen!
Gleich das volle Glas heran!
Denn das Ächzen und das Krächzen
Haben wir nun abgetan.
Drei Stimmen
Heiter trete jeder Sänger,
Hochwillkommen, in den Saal:
Denn nur mit dem Grillenfänger
Halten wirs nicht liberal;
Fürcliten hinter diesen Launen,
Diesem ausstaffierten Schmerz,
i8o6/io WEIMAR 559
Diesen trüben Augenbraunen
Leerheit oder schlechtes Herz.
Chor
Niemand soll nach Weine lechzen!
Doch kein Dichter soll heran,
Der das Ächzen und das Krächzen
Nicht zuvor hat abgetan!
ERGO BIBAMUS!
HIER sind wir versammelt zu löblichem Tun,
Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.
Die Gläser sie klingen, Gespräche sie ruhn,
Beherziget Ergo bibamus.
Das heißt noch ein altes, ein tüchtiges Wort,
Es passet zum ersten und passet so fort,
Und schallet ein Echo vom festlichen Ort,
Ein herrliches Ergo bibamus!
Ich hatte mein freundliches Liebchen gesehn,
Da dacht ich mir: Ergo bibamus.
Und nahte mich traulich, da ließ sie mich stehn;
Ich half mir und dachte: Bibamus.
Und wenn sie versöhnet euch herzet und küßt,
Und wenn ihr das Herzen und Küssen vermißt,
So bleibet nur, bis ihr was Besseres wißt,
Beim tröstlichen Ergo bibamus.
Mich ruft das Geschick von den Freunden hinweg;
Ihr Redlichen! Ergo bibamus.
Ich scheide von hinnen mit leichtem Gepäck,
Drum doppeltes Ergo bibamus.
Und was auch der Filz von dem Leibe sich schmorgt,
So bleibt für den Heitern doch immer gesorgt.
Weil immer dem Frohen der Fröhliche borgt;
Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.
Was sollen wir sagen zum heutigen Tag?
Ich dächte nur: Ergo bibamus.
Er ist nun einmal von besonderem Schlag,
Drum immer aufs neue: Bibamus.
56o LYRISCHE DICHTUNGEN
Er führet die Freude durchs offene Tor,
Es glänzen die Wolken, es teilt sich der Flor,
Da leuchtet ein Bildchen, ein göttliches, vor;
Wir klingen und singen: Bibamus.
KATZENPASTETE
BEWÄHRT den Forscher der Natur
Ein frei und ruhig Schauen,
So folge Meßkunst seiner Spur
Mit Vorsicht und Vertrauen.
Zwar mag in Einem Menschenkind
Sich beides auch vereinen;
Doch, daß es zwei Gewerbe sind,
Das läßt sich nicht verneinen.
Es war einmal ein braver Koch,
Geschickt im Appretieren;
Dem fiel es ein, er wollte doch
Als Jäger sich gerieren.
Er zog bewehrt zu grünem Wald,
Wo manches Wildbret hauste,
Und einen Kater schoß er bald,
Der junge Vögel schmauste.
Sah ihn für einen Hasen an
Und ließ sich nicht bedeuten,
Pastetete viel Würze dran
Und setzt' ihn vor den Leuten.
Doch manche Gäste das verdroß,
Gewisse feine Nasen:
Die Katze, die der Jäger schoß,
Macht nie der Koch zum Hasen.
i8o6/io WEIMAR 561
DAS TAGEBUCH
— aliam tenui, sed iam quum gaudia adirem,
Admonuit dominae deseruitque Venus.
[Tibull 1,5. V. 39. 40,
WIR hörens oft und glaubens wohl am Ende;
Das Menschenherz sei ewig unergründlich,
Und wie man auch sich hin und wider wende,
So sei der Christe wie der Heide sündlich.
Das Beste bleibt, wir geben uns die Hände
Und nehmens mit der Lehre nicht empfindlich;
Denn zeigt sich auch ein Dämon, uns versuchend,
So waltet was, gerettet ist die Tugend.
Von meiner Trauten lange Zeit entfernet,
Wie's öfters geht, nach irdischem Gewinne,
Und was ich auch gewonnen und gelernet.
So hatt ich doch nur immer Sie im Sinne;
Und wie zu Nacht der Himmel erst sich stemet,
Erinnrung uns umleuchtet ferner Minne:
So ward im Federzug des Tags Ereignis
Mit süßen Worten ihr ein freundlich Gleichnis.
Ich eilte nun zurück. Zerbrochen sollte
Mein Wagen mich noch eine Nacht verspäten;
Schon dacht ich mich, wie ich zu Hause rollte,
Allein da war Geduld und Werk vonnöten.
Und wie ich auch mit Schmied und Wagner tollte,
Sie hämmerten, verschmähten, viel zu reden.
Ein jedes Handwerk hat nun seine Schnurren.
Was blieb mir nun? Zu weilen und zu mturen.
So stand ich nun. Der Stern des nächsten Schildes
Berief mich hin, die Wohnung schien erträglich.
Ein Mädchen kam, des seltensten Gebildes,
Das Licht erleuchtend. Mir ward gleich behaglich.
Hausflur und Treppe sah ich als ein Mildes,
Die Zimmerchen erfreuten mich unsäglich.
Den sündigen Menschen, der im Freien schwebet—
Die Schönheit spinnt, sie ists, die ihn umwebet.
GOETHE XIV 36.
562 LYRISCHE DICHTUNGEN
Nun setzt ich mich zu meiner Tasch und Briefen
Und meines Tagebuchs Genauigkeiten,
Um so wie sonst, wenn alle Menschen schliefen,
Mir und der Trauten Freude zu bereiten;
Doch weiß ich nicht, die Tintenworte liefen
Nicht so wie sonst in alle Kleinigkeiten:
Das Mädchen kam, des Abendessens Bürde
Verteilte sie gewandt mit Gruß und Würde.
Sie geht und kommt; ich spreche, sie erwidert;
Mit jedem Wort erscheint sie mir geschmückter.
Und wie sie leicht mir nun das Huhn zergliedert,
Bewegend Hand und Arm, geschickt, geschickter-
Was auch das tolle Zeug in uns befiedert —
Genug, ich bin verworrner, bin verrückter.
Den Stuhl umwerfend, spring ich auf und fasse
Das schöne Kind; sie lispelt: "Lasse, lasse!
Die Muhme drunten lauscht, ein alter Drache,
Sie zählt bedächtig des Geschäfts Minute;
Sie denkt sich unten, was ich oben mache.
Bei jedem Zögern schwenkt sie frisch die Rute.
Doch schließe deine Türe nicht und wache.
So kommt die Mitternacht uns wohl zugute."
Rasch meinem Arm entwindet sie die Glieder,
Und eilet fort und kommt nur dienend wieder;
Doch blickend auch! So daß aus jedem Blicke
Sich himmlisches Versprechen mir entfaltet.
Den stillen Seufzer drängt sie nicht zurücke,
Der ihren Busen herrlicher gestaltet.
Ich sehe, daß am Ohr, um Hals und Gnicke
Der flüchtigen Röte Liebesblüte waltet.
Und da sie nichts zu leisten weiter findet,
Geht sie und zögert, sieht sich um, verschwindet.
Der Mitternacht gehören Haus und Straßen,
Mir ist ein weites Lager aufgebreitet,
Wovon den kleinsten Teil mir anzumaßen
Die Liebe rät, die alles wohl bereitet;
i8o6/io WEIMAR 563
Ich zaudre noch, die Kerzen auszublasen,
Nun hör ich sie, wie leise sie auch gleitet,
Mit gierigem Blick die Hochgestalt umschweif ich,
Sie senkt sich her, die Wohlgestalt ergreif ich.
Sie macht sich los: "'Vergönne, daß ich rede,
Damit ich dir nicht völlig fremd gehöre.
Der Schein ist wider mich; sonst war ich blöde.
Stets gegen Männer setzt ich mich zur Wehre.
Mich nennt die Stadt, mich nennt die Gegend spröde;
Nim aber weiß ich, wie das Herz sich kehre:
Du bist mein Sieger, laß dichs nicht verdrießen.
Ich sah, ich liebte, schwur dich zu genießen.
Du hast mich rein, und wenn ichs besser wüßte,
So gab ichs dir; ich tue, was ich sage."
So schließt sie mich an ihre süßen Brüste,
Als ob ihr niu: an meiner Brust behage.
Und wie ich Mund und Aug und Stime küßte,
So war ich doch in wunderbarer Lage:
Denn der so hitzig sonst den Meister spielet.
Weicht schülerhaft zurück und abgekühlet.
Ihr scheint ein süßes Wort, ein Kuß zu gnügen,
Als war es alles, was ihr Herz begehrte.
Wie keusch sie mir, mit liebevollem Fügen,
Des süßen Körpers Fülleform gewährte!
Entzückt und froh in allen ihren Zügen
Und ruhig dann, als wenn sie nichts entbehrte.
So ruht ich auch, gefällig sie beschauend.
Noch auf den Meister hoffend und vertrauend.
Doch als ich länger mein Geschick bedachte.
Von tausend Flüchen mir die Seele kochte,
Mich selbst verwünschend, grinsend mich belachte.
Nichts besser ward, wie ich auch zaudern mochte,
Da lag sie schlafend, schöner als sie wachte;
Die Lichter dämmerten mit langem Dochte.
Der Tages-Arbeit, jugendlicher Mühe
Gesellt sich gern der Schlaf und nie zu frühe.
564 LYRISCHE DICHTUNGEN
So lag sie himmlisch an bequemer Stelle,
Als wenn das Lager ihr allein gehörte,
Und an die Wand gedrückt, gequetscht zur Hölle,
Ohnmächtig jener, dem sie nichts verwehrte.
Vom Schlangenbisse fällt zunächst der Quelle
Ein Wandrer so, den schon der Durst verzehrte.
Sie atmet lieblich holdem Traum entgegen;
Er hält den Atem, sie nicht aufzuregen.
Gefaßt bei dem, was ihm noch nie begegnet,
Spricht er zu sich: So mußt du doch erfahren,
Warum der Bräutigam sich kreuzt und segnet,
Vor Nestelknüpfen scheu sich zu bewahren.
Weit lieber da, wos Hellebarden regnet,
Als hier im Schimpfl So war es nicht vor Jahren,
Als deine Herrin dir zum ersten Male
Vors Auge trat im prachterhellten Saale.
Da quoll dein Herz, da quollen deine Sinnen,
So daß der ganze Mensch entzückt sich regte.
Zum raschen Tanze trugst du sie von hinnen,
Die kaum der Arm und schon der Busen hegte,
Als wolltest du dir selbst sie abgewinnen;
Vervielfacht war, was sich für sie bewegte:
Verstand imd Witz und alle Lebensgeister
Und rascher als die andern jener Meister.
So immerfort wuchs Neigimg imd Begierde,
Brautleute wurden wir im frühen Jahre,
Sie selbst des Maien schönste Blum und Zierde;
Wie wuchs die Kraft zur Lust im jungen Paare!
Und als ich endlich sie zur Kirche führte,
Gesteh ichs nur, vor Priester und Altare,
Vor deinem Jammerkreuz, blutrünstiger Christe,
Verzeih mirs Gott, es regte sich der Iste.
Und ihr, der Brautnacht reiche Bettgehänge,
Ihr Pfühle, die ihr euch so breit erstrecktet,
Ihr Teppiche, die Lieb und Lustgedränge
Mit euren seidnen Fittichen bedecktet!
i8o6/io WEIMAR 565
Ihr Käfigvögel, deren Zwitscher- Sänge
Zu neuer Lust und nie zu früh uns wecktet!
Ihr kanntet uns, von euerm Schutz umfriedet,
Teilnehmend sie, mich immer unermüdet.
Und wie wir oft sodann im Raub genossen
Nach Buhlenart des Ehstands heiige Rechte,
Von reifer Saat umwogt, vom Rohr umschlossen,
An manchem Unort, wo ichs mich erfrechte,
Wir waren augenblicklich, unverdrossen
Und wiederholt bedient vom braven Knechte!
Verfluchter Knecht, wie unerwecklich liegst du!
Und deinen Herrn ums schönste Glück betriegst du.
Doch Meister Iste hat nun seine Grillen
Und läßt sich nicht befehlen, noch verachten,
Auf einmal ist er da, und ganz im stillen
Erhebt er sich zu allen seinen Frachten;
So steht es nun dem Wandrer ganz zu Willen,
Nicht lechzend mehr am Quell zu übernachten.
Er neigt sich hin, er will die Schläferin küssen,
Allein er stockt, er fühlt sich weggerissen.
Wer hat zur Kraft ihn wieder aufgestählet,
Als jenes Bild, das ihm auf ewig teuer.
Mit dem er sich in Jugendlust vermählet?
Dort leuchtet her ein frisch erquicklich Feuer,
Und wie er erst in Ohnmacht sich gequälet.
So wird nun hier dem Starken nicht geheuer;
Er schaudert weg, vorsichtig, leise, leise
Entzieht er sich dem holden Zauberkreise,
Sitzt, schreibt: "Ich nahte mich der heimischen Pforte,
Entfernen wollten mich die letzten Stunden,
Da hab ich nun, am sonderbarsten Orte,
Mein treues Herz aufs neue dir verbunden.
Zum Schlüsse findest du geheime Worte:
Die Krankheit erst bewähret den Gesunden.
Dies Büchlein soll dir manches Gute zeigen,
Das Beste nur muß ich zuletzt verschweigen,"
566 LYRISCHE DICHTUNGEN
Da kräht der Hahn. Das Mädchen schnell entwinde!
Der Decke sich und wirft sich rasch ins Mieder.
Und da sie sich so seltsam wiederfindet,
So stutzt sie, blickt und schlägt die Augen nieder:
Und da sie ihm zum letztenmal verschwindet,
Im Auge bleiben ihm die schönen Glieder.
Das Posthorn tönt, er wirft sich in den Wagen
Und läßt getrost sich zu der Liebsten tragen.
Und weil zuletzt bei jeder Di chtungs weise
Moralien uns ernstlich fördern sollen,
So will auch ich in so beliebtem Gleise
Euch gern bekennen, was die Verse wollen:
Wir stolpern wohl auf unsrer Lebensreise,
Und doch vermögen in der Welt, der tollen.
Zwei Hebel viel aufs irdische Getriebe:
Sehr viel die Pflicht, unendlich mehr die Liebe!
i8io
REISE NACH BÖHMEN
DER KAISERIN ANKUNFF
Den 6. Juni 1810
ZU des einzigen Tages Feste
Schmückt euch alle, windet Kränze!
Daß für Heimische, für Gäste
Herrlicher das Tal erglänze,
Dem ein neuer Frühling weht.
Väter, Mütter, Töchter, Söhne,
Aufl Ein frohes Lied ertöne.
Alles um euch her verschöne
Den Empfang der Majestät!
Hier im waldbewachsnen Tale,
Das so mancher Fremde segnet.
Weil mit heilsam heißer Schale
Die Genesimg ihm begegnet
Und ihm frisches Leben schafft,
Muß in tiefen Felsenschlünden
Feuer sich mit Wasser binden,
Klüften siedend sich entwinden;
Neue Kräfte wirkt die Kraft.
Dem Genesnen, dem Gesunden
Bieten sich so manche Schätze.
Daß der Freund den Freund gefunden,
Zeugen die erwählten Plätze,
Wie Erinnrung köstlich sei.
Und so wurden Wald und Wiese
Zum bewohnten Paradiese,
Daß ein jeglicher genieße.
Sich empfinde froh und frei.
Aber heute neu mit Machten
Sprudle, Quell, aus deinen Höhlen!
Faltet aus die frischen Prachten,
Ihr, des grünen Tals Juwelen,
Holde Blumen, euren Flor!
Und ihr Sprossen dieser Gauen,
Kinder, eilt, sie anzuschauen,
Blickt mit Wonne, mit Vertrauen
Zu der Herrlichen empor!
57° LYRISCHE DICHTUNGEN
Sie, die Tausenden gehöret,
Sie erwählt euch, sie ist euer!
Ihr umgebt sie unverwehret;
Gnädig gönnt sie dieser Feier
Mutterblicke hoch und mild.
Dränget euch, ihr jungen Scharen!
Dem, der früh solch Glück erfahren.
Wächst an Glanz, von Jahr zu Jahren,
Der Erinnrung Himmelsbild.
Was in segensreicher Enge
Diese Kaiserstadt umwallet.
Was in fröhlichem Gedränge
Seit Jahrhunderten erschallet.
Werde diesem Tag zuteil!
Alles Wohl, das hier gequollen,
Alle Lust, die hier erschollen.
Ruft herab mit feuervollen
Segenswünschen, ihr zum Heil!
DER KAISERIN BECHER
Den lo. Juni 1810
DICH, klein geblümt Gefäß, mit Schmuck und Leben
Des Blumenflores malerisch zu umwinden,
Ist zwar zu spät; doch unser Glück zu künden,
Soll nun von Worten dich ein Kranz umgeben.
Und möcht er auch so zierlich dich umschweben,
Wie ihn die Grazien, die Musen binden;
Rein auszusprechen, was wir rein empfinden,
Ist für den Dichter selbst vergebhch Streben.
Den Lippen, denen Huld und Gunst entquellen.
Von denen Freundlichkeit und Frohsinn wirken.
Hast du, beglückt Gefäß! dich nähern dürfen;
Gekostet haben sie die heißen Wellen. —
O möchten sie aus imsem Lustbezirken
Des Lebens Balsam frisch erquicklich schlürfen!
i8io REISE NACH BÖHMEN 571
DER KAISERIN PLATZ
Den 19. Juni 1810
WENN vor dem Glanz, der um die Herrin schwebet,
Das Volk sich teilt in drängendem Gewühle,
Dann gleich um sie sich neu zu sammeln strebet,
Stumm erst und staunend, dann im Hochgefühle
Mit Leberuf den Widerhall belebet:
So spreche nun die Nymphe dieser Kühle
Zu jedem still empfindenden Gemüte
Von ihrer Anmut, Heiterkeit und Güte.
Ehrwürdger Fels! der sich vom Himmelsblauen
Herab dem Tale reich bemoost vermählte,
Am schattengrünen Berg, ihr bunten Auen!
Die längst zum Bilde sich der Künstler wählte,
Ihr ließt euch stets geschmückt und fröhlich schauen;
Doch immer wars, als ob euch Eines fehlte:
Ntm sie auf euch mit Huld und Neigung blicket,
Nun wißt ihr erst, warum ihr euch geschmücket.
Die Sonne wird, o Nymphe! bald sich senken,
An die du mit uns allen dich verwöhnet;
Nicht ohne Schmerz läßt sie entfernt sich denken.
O möchte sie, nach der sich alles sehnet,
Hieher den Weg, froh wiederkehrend, lenken!
O möchtest du, wenn du dich neu verschönet.
In deinem zweigum wölbten, luftgen Saale
Sie wiedersehn, sie sehn mit dem Gemahle!
DER KAISERIN ABSCHIED
Den 22. Juni 18 10
LASSET uns die Nacht erhellen
Abermals mit bunten Feuern!
Die von Felsen, die von Wellen
Widerglänzend ihr beteuern
Unsrer treuen Wünsche Glut.
Abermals zur Morgenstunde
572 LYRISCHE DICHTUNGEN
Sammle sich die bunte Menge!
Stimme fröhliche Gesänge;
Von dem Herzen zu dem Munde
Ströme neuer Lebensmut!
Hörner schallen, Fahnen fliegen,
Trommeln künden frohe Feier;
Aber ach! auf allen Zügen
Liegt es wie der Wolkenschleier,
Der um Gipfel sich getan.
Und so sprichts aus trüben Blicken:
Sie, die unser sich bemeistert.
Uns erhoben, uns begeistert,
Ach! sie zieht in Augenblicken
Langsam scheidend berghinan.
Die, zu uns hemiedersteigend.
Mit uns wandelt unsre Pfade,
Unsrem Gruße freundlich neigend,
Die allseitig heitre Gnade,
Sie zu missen, welch ein Schmerz! —
Tröstet euch! auch sie empfindet,
Und die Muse solls euch sagen:
Denn die Muse darf es wagen.
Die das Innre wohl ergründet.
Auch zu blicken ihr ins Herz.
"An der Kluft, vom Fels umschlossen,
Dem der größte Schatz entquillet;
Bei dem Volk, das unverdrossen
Junggewohnte Pflicht erfüllet.
Allen dient um kleinen Lolm;
In dem menschenreichen Tale,
Dem von allen Ort- und Enden
Hilfsbedürftge zu sich wenden,
Herrsch ich nun im grünen Saale,
Herrsche von dem Blumenthron.
Und so seh ich Abgesandte
Vieler Völker, die mich ehren;
Freunde find ich, Nahverwandte,
iSio REISE NACH BÖHMEN 573
Die ganz eigens mir gehören,
Und so nenn ich alles mein.
Ja, durch Neigung mir verbunden.
Fühlt sich jeder aufgeheitert;
Auch mir ist das Herz erweitert,
Und die Freiheit dieser Stunden
Wird mir unvergeßlich sein.
Keine Blumen soll man streuen,
Da ich mit Bedauern scheide.
Geh, o Muse! sag den Treuen,
Daß ich selbst mit ihnen leide:
Schnell war mir die Stimde da.
Laßt verstummen alle Lieder;
Doch auf euren Lippen schwebet
Jener Wunsch, der mich belebet.
Wenn ihr lispelt: Kehre wieder!
Habt ihr gleich mein oflfnes Ja."
Auf denn, Muse! zu verkünden.
Was die Frau dir aufgetragen. —
Lasset alle Nebel schwinden!
Laßt die schönste Sonne tagen!
Weil ein jeder hoffen mag.
Die ihr traurig sie begleitet,
Eilt entzückt ihr dann entgegen;
Und ihr bringt auf neuen Wegen,
Kaiserlich umhergeleitet,
Sie herab am schönsten Tag.
[Von Goethe?]
SIEH, wir segnen dich, wir bringen
Dir ein bleibendes Geschick,
Und auf himmlisch reinen Schwingen
Rxihet über dir das Glück.
574 LYRISCHE DICHTUNGEN
BLUMENGRUSS
DER Strauß, den ich gepflücket,
Grüße dich vieltausendmal!
Ich habe mich oft gebücket,
Ach, wohl eintausendmal,
Und ihn ans Herz gedrücket
Wie hunderttausendmal!
MAILIED
ZWISCHEN Weizen und Korn,
Zwischen Hecken und Dorn,
Zwischen Bäumen und Gras,
Wo gehts Liebchen?
Sag mir das!
Fand mein Holdchen
Nicht daheim;
Muß das Goldchen
Draußen sein.
Grünt imd blühet
Schön der Mai,
Liebchen ziehet
Froh und frei.
An dem Felsen beim Fluß,
Wo sie reichte den Kuß,
Jenen ersten im Gras,
Seh ich etwas!
Ist sie das?
Owie lallt das Kind so faul!
Hat den Brei noch nicht verschluckt,
Den ihm die Mutter strich ins Maul
[An die Prinzessin Christine v. Ligne]
EIN klein Papier hast du mir abgewonnen,
Ich war auf größeres gefaßt;
Denn viel gewinnst du wohl, worauf du nicht gesonnen.
Worum du nicht gewettet hast.
i8io REISE NACH BÖHMEN 575
SIE saugt mit Gier verrätrisches Getränke
Unabgesetzt, vom ersten Zug verführt;
Sie fühlt sich wohl, und längst sind die Gelenke
Der zarten Beinchen schon paralysiert,
Nicht mehr gewandt, die Flügelchen zu putzen,
Nicht mehr geschickt, das Köpfchen aufzustutzen —
Das Leben so sich im Genuß verliert.
Zum Stehen kaum wird noch das Füßchen taugen;
So schlürft sie fort, imd mitten unterm Saugen
Umnebelt ihr der Tod die tausend Augen.
i8io-i8i2 WEIMAR
GOETHE XIV 37.
ANTIKRITIK
ARMER Tobis, tappst am Stabe
Siebenfarbiger Trödeleien,
Kannst dich jener Himmelsgabe
Reinen Lichtes nicht erfreuen;
Nicht erlustigen dich im Schatten,
Wo mit urgebotner Liebe
Licht und Finsternis sich gatten,
Zu verherrlichen die Trübe.
VVerd ihm doch die kräftge Salbe,
Diesem Armen, bald gesendet,
Dem die theoretische Schwalbe
Augenkraft und -Lust geblendet.
NEVVTONISCH Weiß den Kindern vorzuzeigen,
Die pädagogischem Ernst so gern sich neigen.
Trat einst ein Lehrer auf, mit Schwungrads Possen;
Auf selbem war ein Farbenkreis geschlossen.
Das dorlte nun. "Betracht es mir genau!
Was siehst du, Knaber" Nun, was seh ich? Grau!
"Du siehst nicht recht! Glaubst du, daß ich das leide?
Weiß, dummer Junge, Weiß! so sagts MoUweide.'"
GOTT, GEMÜT UND WELT
IN wenig Sttmden
Hat Gott das Rechte gefunden.
\v>
ER Gott vertraut,
Ist schon auferbaut.
SOGAR dies Wort hat nicht gelogen:
Wen Gott betriegt, der ist wohl betrogen.
DAS Unser Vater, ein schön Gebet,
Es dient und hilft in allen Nöten;
Wenn einer auch Vater Unser fleht.
In Gottes Namen, laß ihn beten.
5 8 o LYRISCHE DICHTUNGEN
ICH wandle auf weiter, bunter Flur
Ursprünglicher Natur;
Ein holder Born, in welchem ich bade,
Ist Überlieferung, ist Gnade.
WAS war ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemts, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
So daß, was in Ihm lebt und webt und ist.
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermißt.
IM Innern ist ein Universum auch;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Daß jeglicher das Beste, was er kennt.
Er Gott, ja seinen Gott benennt.
Ihm Himmel und Erden übergibt,
Ihn fürchtet, und womöglich liebt.
w
IE? Wann? und Wo? — Die Götter bleiben stumm!
Du halte dich ans Weil, und frage nicht Warum?
WILLST du ins Unendliche schreiten, 4
Geh nur im Endlichen nach allen Seiten. |
WILLST du dich am Ganzen erquicken,
So mußt du das Ganze im Kleinsten erblicken.
AUS tiefem Gemüt, aus der Mutter Schoß
Will manches dem Tage entgegen;
Doch soll das Kleine je werden groß.
So muß es sich rühren und regen.
DA, wo das Wasser sich entzweit,
Wird zuerst Lebendigs befreit.
UND wird das Wasser sich entfalten,
Sogleich wird sichs lebendig gestalten;
Da wälzen sich Tiere, sie trocknen zum Flor,
Und Pflanzen- Gezweige, sie dringen hervor.
i8io/2 WEIMAR 581
DURCHSICHTIG erscheint die Luft so rein,
Und trägt im Busen Stahl und Stein.
Entzündet werden sie sich begegnen;
Da wirds Metall und Steine regnen.
DENN was das Feuer lebendig erfaßt,
Bleibt nicht mehr Unform und Erdenlast.
Verflüchtigt wird es xmd unsichtbar,
Eilt hinauf, wo erst sein Anfang war.
UND so kommt wieder zur Erde herab,
Dem die Erde den Ursprung gab.
Gleicherweise sind wir auch gezüchtigt:
Einmal gefestet, einmal verflüchtigt.
UND wer durch alle die Elemente,
Feuer, Luft, Wasser und Erde, rennte,
Der wird zuletzt sich überzeugen.
Er sei kein Wesen ihresgleichen.
Wt;
AS will die Nadel nach Norden gekehrt?"
ch selbst zu finden, es ist ihr verwehrt.
DIE endliche Ruhe wird nur verspürt,
Sobald der Pol den Pol berührt.
DRUM danket Gott, ihr Söhne der Zeit,
Daß er die Pole für ewig entzweit.
MAGNETES Geheimnis, erkläre mir das!
Kein größer Geheimnis als Lieb und Haß.
WIRST du deinesgleichen kennen lernen,
So wirst du dich gleich wieder entfernen.
WARUM tanzen Bübchen mit Mädchen so gern?
Ungleich dem Gleichen bleibet nicht fern.
SIND Könige je zusammengekommen,
So hat man immer nur Unheil vernommen.
582 LYRISCHE DICHTUNGEN
DAGEGEN die Bauern in der Schenke
Prügeln sich gleich mit den Beinen der Bänke.
DER Amtmann schnell das Übel stillt,
Weil er nicht für ihresgleichen gilt.
SOLL dein Kompaß dich richtig leiten
Hüte dich vor Magnetstein', die dich begleiten.
VERDOPPELTE sich der Sterne Schein,
Das All wird ewig finster sein.
UND was sich zwischen beide stellt?"
Dein Auge, so wie die Körperwelt.
AN der Finsternis zusammengeschrunden,
Wird dein Auge vom Licht entbunden.
SCHWARZ und Weiß, eine Totenschau,
Vermischt ein niederträchtig Grau.
w
ILL Licht einem Körper sich vermählen,
Es wird den ganz durchsichtgen wählen.
D
U aber halte dich mit Liebe
An das Durchscheinende, das Trübe.
DENN steht das Trübste vor der Sonne,
Da siehst die herrlichste Purpur- Wonne.
UND will das Licht sich dem Trübsten entwinden,
So wird es glühend Rot entzünden.
UND wie das Trübe verdunstet und weicht,
Das Rote zum hellsten Gelb erbleicht.
IST endlich der Äther rein und klar,
Ist das Licht weiß, wie es anfangs war.
i8io/2 WEIMAR 583
STEHT vor dem Finstem milchig Grau,
Die Sonne bescheints, da wird es Blau.
AUF Bergen, in der reinsten Höhe,
Tief Rötlichblau ist Himmelsnähe.
DU staunest über die Königspracht,
Und gleich ist sammetschwarz die Nacht.
UND so bleibt auch, in ewigem Frieden,
Die Finsternis vom Licht geschieden.
DASS sie miteinander streiten können,
Das ist eine bare Torheit zu nennen.
SIE streiten mit der Körperwelt,
Die sie ewig auseinander hält.
SPRICHWÖRTLICH
WENN ich den Scherz will ernsthaft nehmen,
So soll mich niemand drum beschämen;
Und wenn ich den Ernst will scherzhaft treiben,
So werd ich immer derselbe bleiben.
DIE Lust, zu reden, kommt zu rechter Stunde,
Und wahrhaft fließt das Wort aus Herz imd Munde.
ICH sah mich um, an vielen Orten,
Nach lustigen gescheiten Worten;
An bösen Tagen mußt ich mich freuen,
Daß diese die besten Worte verleihen.
WILLST lustig leben,
Geh mit zwei Säcken,
Einen zum Geben,
Einen um einzustecken.
Da gleichst du Prinzen,
Plünderst imd beglückst Provinzen.
584 LYRISCHE DICHTUNGEN
AS in der Zeiten Bildersaal
Jemals ist trefiflich gewesen,
Das wird immer einer einmal
Wieder auffrischen und lesen.
Wi
NICHT jeder wandelt nur gemeine Stege:
Du siehst, die Spinnen bauen luftge Wege.
EIN Kranz ist gar viel leichter binden,
Als ihm ein würdig Haupt zu finden.
WIE die Pflanzen zu wachsen belieben,
Darin wird jeder Gärtner sich üben;
Wo aber des Menschen Wachstum ruht,
Dazu jeder selbst das Beste tut.
WILLST du dir aber das Beste tun.
So bleib nicht auf dir selber ruhn,
Sondern folg eines Meisters Sinn;
Mit ihm zu irren ist dir Gewinn.
BENUTZE redlich deine Zeit!
Willst was begreifen, suchs nicht weit.
ZWISCHEN heut und morgen
Liegt eine lange Frist;
Lerne schnell besorgen,
Da du noch munter bist.
DIE Tinte macht uns wohl gelehrt,
Doch ärgert sie, wo sie nicht hingehört.
Geschrieben Wort ist Perlen gleich;
Ein Tintenklecks ein böser Streich.
WENN man fürs Künftige was erbaut,
Schief wirds von vielen angeschaut.
Tust du was für den Augenblick,
Vor allem opfre du dem Glück.
i8io/2 WEIMAR 585
TU nur das Rechte in deinen Sachen;
Das andre wird sich von selber machen.
WENN jemand sich wohl im Kleinen deucht,
So denke: der hat ein Großes erreicht.
GLAUBE nur, du hast viel getan,
Wenn dir Geduld gewöhnest an.
WER sich nicht nach der Decke streckt,
Dem bleiben die Füße unbedeckt.
DER Vogel ist froh in der Luft gemutet.
Wenn es da unten im Neste brütet.
WENN ein kluger Mann der Frau befiehlt,
Dann sei es um ein Großes gespielt;
Will die Frau dem Mann befehlen,
So muß sie das Große im Kleinen wählen.
WELCHE Frau hat einen guten Mann,
Der sieht maus am Gesicht wohl an.
EINE Frau macht oft ein bös Gesicht,
Der gute Mann verdients wohl nicht.
EIN braver Mann! ich kenn ihn ganz genau:
Erst prügelt er, dann kämmt er seine Frau.
EIN schönes Ja, ein schönes Nein,
Nur geschwind! soll mir willkommen sein.
TANUAR, Februar, März,
J Du bist mein liebes Herz.
Mai, Juni, Juli, August,
Mir ist nichts mehr bewußt.
N
EU -MOND und geküßter Mund
Sind gleich wieder hell, und frisch und gesund.
M
IR gab es keine größre Pein,
War ich im Paradies allein.
586 LYRISCHE DICHTUNGEN
ES ließe sich alles trefflich schlichten,
Könnte man die Sachen zweimal verrichten.
NUR heute, heute nur laß dich nicht fangen,
z
T
\ So bist du hundertmal entgangen.
GEHTS in der Welt dir endlich schlecht,
Tu, was du willst, nur habe nicht recht.
ÜCHTGE den Hund, den Wolf magst du peitschen;
Graue Haare sollst du nicht reizen.
AM Flusse kannst du stemmen und häkeln;
Überschwemmung läßt sich nicht mäkeln.
AUSEND Fliegen hatt ich am Abend erschlagen;
Doch weckte mich Eine beim frühsten Tagen.
WÜSSTE nicht, was sie Bessers erfinden könnten,
Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.
LIEF' das Brot, wie die Hasen laufen.
Es kostete viel Schweiß, es zu kaufen.
WILL Vogelfang dir nicht geraten,
So magst du deinen Schuhu braten.
DU mußt dich niemals mit Schwur vermessen:
Von dieser Speise will ich nicht essen.
WER aber recht bequem ist und faul,
Flog dem eine gebratne Taube ins Maul,
Er würde höchlich sichs verbitten.
War sie nicht auch geschickt zerschnitten.
FREIGEBIG ist der mit seinen Schritten,
Der kommt, von der Katze Speck zu erbitten.
HAST deine Kastanien zu lange gebraten;
Sie sind dir alle zu Kohlen geraten.
D
D
1 8 10/2 WEIMAR 587
AS sind mir allzu böse Bissen,
An denen die Gäste erwürgen müssen.
AS ist eine von den großen Taten,
Sich in seinem eignen Fett zu braten.
GESOTTEN oder gebraten!
Er ist ans Feuer geraten.
GEBRATEN oder gesotten!
Ihr sollt nicht meiner spotten.
Was ihr euch heute getröstet,
Ihr seid doch morgen geröstet.
WER Ohren hat, soll hören;
Wer Geld hat, solls verzehren.
D
ER Mutter schenk ich,
Die Tochter denk ich.
KLEID' eine Säule,
Sie sieht wie ein Fräule.
SCHLAF ich, so schlaf ich mir bequem;
Arbeit ich, ja, ich weiß nicht wem.
GANZ und gar
Bin ich ein armer Wicht.
Meine Träume sind nicht wahr,
Und meine Gedanken geraten nicht.
m:
IT meinem Willen mags geschehn! —
Die Träne wird mir in dem Auge stehn.
WOHL unglückselig ist der Mann,
Der unterläßt das, was er kann.
Und unterfängt sich, was er nicht versteht;
Kein Wunder, daß er zugnmde geht.
DU trägst sehr leicht, wenn du nichts hast;
Aber Reichtum ist eine leichtere Last.
588 LYRISCHE DICHTUNGEN
ALLES in der Welt läßt sich ertragen,
Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.
w
AS räucherst du nun deinem Toten?
Hättst dus ihm so im Leben geboten!
JA! Wer eure Verehrung nicht kennte:
Euch, nicht ihm, baut ihr Monumente.
WILL einer in die Wüste predgen.
Der mag sich von sich selbst erledgen;
Spricht aber einer zu seinen Brüdern,
Dem werden sies oft schlecht erwidern.
LASS Neid und Mißgunst sich verzehren.
Das Gute werden sie nicht wehren.
Denn, Gott sei Dank! es ist ein alter Brauch:
Soweit die Sonne scheint, so weit erwärmt sie auch.
DAS Interim
Hat den Schalk hinter ihm.
Wie viel Schälke muß es geben,
Da wir alle ad Interim leben.
WAS fragst du viel: Wo wills hinaus?
Wo oder wie kanns enden?
Ich dächte, Freund, du bliebst zu Haus
Und sprächst mit deinen Wänden.
VIELE Köche versalzen den Brei;
Bewahr uns Gott vor vielen Dienern!
Wir aber sind, gesteht es frei,
Ein Lazarett von Medizinern.
IHR meint, ich hätt mich gewaltig betrogen;
Habs aber nicht aus den Fingern gesogen.
NOCH spukt der babylonsche Turm,
Sie sind nicht zu vereinen!
Ein jeder Mann hat seinen Wurm,
Kopernikus den seinen.
V
i8io/2 WEIMAR 589
DENN bei den alten, lieben Toten
Braucht man Erklärung, will man Noten;
Die Neuen glaubt man blank zu verstehn,
Doch ohne Dolmetsch wirds auch nicht gehn.
SIE sagen: Das mutet mich nicht an!
Und meinen, sie hättens abgetan.
IN meinem Revier
Sind Gelehrte gewesen;
Außer ihrem eignen Brevier
Konnten sie keines lesen.
lEL Rettungsmittel bietest du! was heißts?
Die beste Rettung: Gegenwart des Geists!
LASS nur die Sorge sein,
Das gibt sich alles schon;
Und fällt der Himmel ein.
Kommt doch eine Lerche davon.
DANN ist einer durchaus verarmt,
Wenn die Scham den Schaden umarmt.
DU treibst mirs gar zu toll,
Ich furcht, es breche!
Nicht jeden Wochenschluß
Macht Gott die Zeche.
DU bist sehr eilig, meiner Treu!
Du suchst die Tür, und läufst vorbei.
SIE glauben, miteinander zu streiten.
Und fühlen das Unrecht von beiden Seiten.
HABENS gekauft, es freut sie baß;
Eh mans denkt, so betrübt sie das.
WILLST du nichts Unnützes kaufen,
Mußt du nicht auf den Jahrmarkt laufen.
590 LYRISCHE DICHTUNGEN
ANGEWEILE ist ein böses Kraut,
^Aber auch eine Würze, die viel verdaut.
W
IRD uns eine rechte Qual zuteil,
Dann wünschen wir uns Langeweil.
DASS sie die Kinder erziehen könnten,
Müßten die Mütter sein wie Enten:
Sie schwämmen mit ihrer Brut in Ruh;
Da gehört aber freilich Wasser dazu.
DAS junge Volk, es bildet sich ein,
Sein Tauftag sollte der Schöpfungstag sein.
Möchten sie doch zugleich bedenken.
Was wir ihnen als Eingebinde schenken.
NEIN! heut ist mir das Glück erbost!"—
Du, sattle gut und reite getrost!
ÜBER ein Ding wird viel geplaudert,
Viel beraten und lange gezaudert,
Und endlich gibt ein böses Muß
Der Sache widrig den Beschluß.
EINE Bresche ist jeder Tag,
Die viele Menschen erstürmen.
Wer auch in die Lücke fallen mag,
Die Toten sich niemals türmen.
WENN einer schiffet und reiset,
Sammelt er nach imd nach immer ein,
Was sich am Leben, mit mancher Pein,
Wieder ausschälet imd weiset.
DER Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag,
Ein letztes Glück und einen letzten Tag.
DAS Glück deiner Tage
Wäge nicht mit der Goldwage.
Wirst du die Krämer-Wage nehmen.
So wirst du dich schämen und dich bequemen.
i8io/2 WEIMAR 591
HAST du einmal das Rechte getan
Und sieht ein Feind nur Scheeles daran,
So wird er gelegentlich, spät oder früh.
Dasselbe tun, er weiß nicht wie.
WILLST du das Gute tun, mein Sohn,
So lebe nur lange, da gibt sichs schon;
Solltest du aber zu früh ersterben,
Wirst du von Künftigen Dank erwerben.
w
AS gibt uns wohl den schönsten Frieden,
Als frei am eignen Glück zu schmieden?
LASST mir die jungen Leute nur
Und ergetzt euch an ihren Gaben!
Es will doch Großmama Natur
Manchmal einen närrischen Einfall haben.
UNGEBILDET waren wir unangenehm;
Jetzt sind uns die Neuen sehr unbequem.
w
O Anmaßung mir wohlgefällt?
An Kindern: denen gehört die Welt.
IHR zählt mich immer unter die Frohen;
Erst lebt ich roh, jetzt unter den Rohen.
Den Fehler, den man selbst geübt,
Man auch wohl an dem andern liebt.
WILLST du mit mir hausen.
So laß die Bestie draußen.
WOLLEN die Menschen Bestien sein,
So bringt nur Tiere zur Stube herein;
Das Widerwärtige wird sich mindern,
Wir sind eben alle von Adams Kindern.
M
IT Narren leben wird dir gar nicht schwer,
Erhalte nur ein Tollhaus um dich her.
592 LYRISCHE DICHTUNGEN
'AG mir, was ein Hypochondrist
>Für ein wunderlicher Kunstfreund ist.
In Bildergalerien geht er spazieren
Vor lauter Gemälden, die ihn vexieren.
DER Hypochonder ist bald kuriert,
Wenn euch das Leben recht kujoniert.
DU sollst mit dem Tode zufrieden sein,
Warum machst du dir das Leben zur Pein?
KEIN tolleres Versehn kann sein.
Gibst einem ein Fest und lädst ihn nicht ein.
D
A siehst du nun, wie's einem geht,
Weil sich der Beste von selbst versteht.
WENN ein Edler gegen dich fehlt.
So tu, als hättest dus nicht gezählt;
Er wird es in sein Schuldbuch schreiben
Und dir nicht lange im Debet bleiben.
SUCHE nicht vergebne Heilung!
Unsrer Krankheit schwer Geheimnis
Schwankt zwischen Übereilung
Und zwischen Versäumnis.
JA, schelte nur und fluche fort,
Es wird sich Beßres nie ergeben;
Denn Trost ist ein absurdes Wort:
Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht leben.
ICH soll nicht auf den Meister schwören.
Und immerfort den Meister hören!
Nein, ich weiß, er kann nicht lügen,
Will mich gern mit ihm betrügen.
MICH freuen die vielen Guten und Tüchtgen,
Obgleich so viele dazwischen helfen.
Die Deutschen wissen zu berichtgen,
Aber sie verstehen nicht nachzuhelfen.
i8io/2 WEIMAR 593
DU kommst nicht ins Ideen-Land!"
So bin ich doch am Ufer bekannt.
Wer die Inseln nicht zu erobern glaubt,
Dem ist Ankerwerfen doch wohl erlaubt.
MEINE Dichterglut war sehr gering,
Solang ich dem Guten entgegen ging;
Dagegen brannte sie lichterloh.
Wenn ich vor drohendem Übel floh.
ZART Gedicht, wie Regenbogen,
Wird nur auf dunklen Grund gezogen;
Darum behagt dem Dichtergenie
Das Element der Melancholie.
KAUM hatt ich mich in die Welt gespielt
Und fing an aufzutauchen.
Als man mich schon so vornehm hielt,
Mich zu mißbrauchen.
WER dem Publikum dient, ist ein armes Tier;
Er quält sich ab, niemand bedankt sich dafür.
GLEICH zu sein unter Gleichen,
Das läßt sich schwer erreichen:
Du müßtest, ohne Verdrießen,
Wie der Schlechteste zu sein dich entschließen.
MAN kann nicht immer zusammenstehn.
Am wenigsten mit großen Haufen.
Seine Freunde, die läßt man gehn.
Die Menge läßt man laufen.
DU magst an dir das Falsche nähren.
Allein wir lassen vms nicht stören;
Du kannst uns loben, kannst ims schelten,
Wir lassen es nicht für das Rechte gelten.
GOETHE XIV 38.
594 LYRISCHE DICHTUNGEN
MAN soll sich nicht mit Spöttern befassen;
Wer will sich für 'nen Narren halten lassen!
Darüber muß man sich aber zerreißen,
Daß man Narren nicht darf Narren heißen.
/^HRISTKINDLEIN trägt die Sünden der Welt,
V^Sankt Christoph das Kind über Wasser hält;
Sie haben es beid uns angetan,
Es geht mit uns von vornen an.
EFEU und ein zärtlich Gemüt
Heftet sich an imd grünt und blüht.
Kann es weder Stamm noch Mauer finden,
Es muß verdorren, es muß verschwinden.
z
lERLICH Denken tmd süß Erinnern
Ist das Leben im tiefsten Innern.
ICH träumt und liebte sonnenklar;
Daß ich lebte, ward ich gewahr.
WER recht will ttm, immer und mit Lust,
Der hege wahre Lieb in Sinn und Brust.
WANN magst du dich am liebsten bücken?-'
Dem Liebchen Frühlingsblume zu pflücken.
DOCH das ist gar kein groß Verdienst,
Denn Liebe bleibt der höchste Gewinst.
DIE Zeit, sie mäht so Rosen als Domen,
Aber das treibt immer wieder von vornen.
GENIESSE, was der Schmerz dir hinterließ!
Ist Not vorüber, sind die Nöte süß.
VIELE Lieb hab ich erlebet,
Wenn ich liebelos gestrebet;
Und Verdrießliches erworben.
Wenn ich fast für Lieb gestorben.
So du es zusammengezogen,
Bleibet Saldo dir gewogen.
i8io/2 WEIMAR 595
TUT dir jemand was zulieb,
Nur geschwinde, gib nur, gib.
Wenige getrost erwarten
Dankesblume aus stillem Garten.
DOPPELT gibt, wer gleich gibt,
Hundertfach, der gleich gibt.
Was man wünscht und liebt.
WARUM zauderst du so mit deinen Schritten?"
Nur ungern mag ich ruhn;
Will ich aber was Gutes tun,
Muß ich erst tun Erlaubnis bitten.
WAS willst du lange vigilieren.
Dich mit der Welt herumvexieren?
Nur Heiterkeit und grader Sinn
Verschafft dir endlichen Gewinn.
w
EM wohl das Glück die schönste Palme beut?
Wer freudig tut, sich des Getanen freut.
GLEICH ist alles versöhnt;
Wer redlich ficht, wird gekrönt.
DU wirkest nicht, alles bleibt so stiunpf.
Sei guter Dinge!
Der Stein im Sumpf
Macht keine Ringe.
IN des Weinstocks herrliche Gaben
Gießt ihr mir schlechtes Gewässer!
Ich soll immer unrecht haben,
Und weiß es besser.
WAS ich mir gefallen lasse?
Zuschlagen muß die Masse,
Dann ist sie respektabel;
Urteilen gelingt ihr miserabel.
596 LYRISCHE DICHTUNGEN
'S ist sehr schwer oft, zu ergründen,
/Warum wir das angefangen;
Wir müssen oft Belohnung finden,
Daß es uns schlecht ergangen.
SEH ich an andern große Eigenschaften,
Und wollen die an mir auch haften.
So werd ich sie in Liebe pflegen;
Gehts nicht, so tu ich was anders dagegen.
ICH, Egoist! — Wenn ichs nicht besser wüßte!
Der Neid, das ist der Egoiste;
Und was ich auch für Wege gelofFen,
Aufm Neidpfad habt ihr mich nie betroffen.
NICHT über Zeit- noch Landgenossen
Mußt du dich beklagen;
Nachbarn werden ganz andere Possen,
Und auch Künftige, über dich sagen.
IM Vaterlande
Schreibe, was dir gefällt:
Da sind Liebesbande,
Da ist deine Welt.
DRAUSSEN zu wenig oder zu viel.
Zu Hause nur ist Maß und Ziel.
WARUM werden die Dichter beneidet:
Weil Unart sie zuweilen kleidet,
Und in der Welt ists große Pein,
Daß wir nicht dürfen unartig sein.
SO kommt denn auch das Dichtergenie
Durch die Welt, und weiß nicht wie.
Guten Vorteil bringt ein heitrer Sinn;
Andern zerstört Verlust den Gewinn.
i8io/2 WEIMAR 597
IMMER denk ich: mein Wunsch ist erreicht,
Und gleich gehts wieder anders her!"
Zerstückle das Leben, du machst dirs leicht;
Vereinige es, und du machst dirs schwer.
BIST du denn nicht auch zugrunde gerichtet?
Von deinen Hoffnungen trifft nichts ein!"
Die Hoffnung ists, die sinnet und dichtet,
Und da kann ich noch immer lustig sein.
NICHT alles ist an Eins gebunden;
Seid niu: nicht mit euch selbst im Streit!
Mit Liebe endigt man, was man erfunden;
Was man gelernt, mit Sicherheit.
WER ims am strengsten kritisiert?
Ein Dilettant, der sich resigniert.
DURCH Vernünfteln wird Poesie vertrieben,
Aber sie mag das Vernünftige lieben.
W
O ist der Lehrer, dem man glaubt?"
Tu, was dir dein kleines Gemüt erlaubt.
GLAUBST dich zu kennen, wirst Gott nicht erkennen,
Auch wohl das Schlechte göttlich nennen.
WER Gott ahnet, ist hoch zu halten,
Denn er wird nie im Schlechten walten.
M
ACHTS einander nur nicht sauer;
Hier sind wir gleich, Baron und Bauer.
WARUM uns Gott so wohlgefällt:
Weil er sich uns nie in den Weg stellt.
W
IE wollten die Fischer sich nähren und retten,
Wenn die Frösche sämtlich Zähne hätten?
598 LYRISCHE DICHTUNGEN
WIE Kirschen und Beeren behagen,
Mußt du Kinder und Sperlinge fragen.
WARUM hat dich das schöne Kind verlassen? ' '
Ich kann sie darum doch nicht hassen:
Sie schien zu fürchten und zu fühlen,
Ich werde das Prävenire spielen.
GLAUBE mir gar imd ganz,
Mädchen, laß deine Bein' in Ruh;
Es gehört mehr zum Tanz
Als rote Schuh.
WAS ich nicht weiß,
Macht mich nicht heiß.
Und was ich weiß.
Machte mich heiß,
Wenn ich nicht wüßte,
Wie's werden müßte.
OFT, wenn dir jeder Trost entflieht,
Mußt du im stillen dich bequemen.
Nur dann, wenn dir Gewalt geschieht.
Wird die Menge an dir Anteil nehmen;
Ums Unrecht, das dir widerfährt.
Kein Mensch den Blick zur Seite kehrt.
w
AS ärgerst du dich über fälschlich Erhobne!
Wo gab es denn nicht Eingeschobne?
WORAUF alles ankommt? Das ist sehr simpel!
Vater, verfüge, ehs dein Gesind spürt!
Dahin oder dorthin flattert ein Wimpel,
Steuermann weiß, wohin euch der Wind führt.
EIGENHEITEN, die werden schon haften;
Kultiviere deine Eigenschaften.
i8io/2 WEIMAR 599
VIEL Gewohnheiten darfst du haben,
Aber keine Gewohnheit!
Dies Wort, unter des Dichters Gaben,
Halte nicht für Torheit.
DAS Rechte, das ich viel getan,
Das ficht mich nun nicht weiter an;
Aber das Falsche, das mir entschlüpft,
Wie ein Gespenst mir vor Augen hüpft.
GEBT mir zu tun,
Das sind reiche Gabenl
Das Herz kann nicht mhn,
Will zu schaffen haben.
IHRER viele wissen viel.
Von der Weisheit sind sie weit entfernt.
Andre Leute sind euch ein Spiel;
Sich selbst hat niemand ausgelernt.
MAN hat ein Schimpf- Lied auf dich gemacht;
Es hats ein böser Feind erdacht."
LASS sies nur immer singen.
Denn es wird bald verklingen.
DAUERT nicht so lang in den Landen
Als das: Christ ist erstanden.
DAS dauert schon 1800 Jahr
Und ein paar drüber, das ist wohl wahri
WER ist denn der souveräne Mann?
Das ist bald gesagt:
Der, den man nicht hindern kann,
Ob er nach Gutem oder Bösem jagt.
ENTZWEI' imd gebiete! Tüchtig Wort;
Verein' und leite! Beßrer Hort.
6oo LYRISCHE DICHTUNGEN
TAGST du einmal mich hintergehen,
LMerk ichs, so lass ichs wohl geschehen;
Gestehst du mirs aber ins Gesicht,
In meinem Leben verzeih ichs nicht.
M;
NICHT größern Vorteil wüßt ich zu nennen,
Als des Feindes Verdienst erkennen.
HAT man das Gute dir erwidert.-"
Mein Pfeil flog ab, sehr schön befiedert;
Der ganze Himmel stand ihm offen.
Er hat wohl irgendwo getroffen.
WAS schnitt dein Freund für ein Gesicht?"
Guter Geselle, das versteh ich nicht.
Ihm ist wohl sein süß Gesicht verleidet,
Daß er heut saure Gesichter schneidet.
IHR sucht die Menschen zu benennen
Und glaubt, am Namen sie zu kennen.
Wer tiefer sieht, gesteht sich frei.
Es ist was Anonymes dabei.
MANCHERLEI hast du versäumet:
Statt zu handeln, hast geträumet,
Statt zu danken, hast geschwiegen,
Solltest wandern, bliebest liegen."
NEIN, ich habe nichts versäumet!
Wißt ihr denn, was ich geträumet.-
Nun will ich zum Danke fliegen.
Nur mein Bündel bleibe liegen.
HEUTE geh ich. Komm ich wieder,
Singen wir ganz andre Lieder.
Wo so viel sich hoffen läßt,
Ist der Abschied ja ein Fest.
w
AS soll ich viel lieben, was soll ich viel hassen?
Man lebt nur vom leben lassen.
i8io/2 WEIMAR 60 1
NICHTS leichter, als dem Dürftigen schmeicheln;
Wer mag aber ohne Vorteil heucheln?
w
IE konnte der denn das erlangen?"
Er ist auf Fingerchen gegangen.
SPRICHWORT bezeichnet Nationen;
Mußt aber erst unter ihnen wohnen.
ERKENNE dich!— Was soll das heißen?
Es heißt: Sei nur! und sei auch nicht!
Es ist eben ein Spruch der lieben Weisen,
Der sich in der Kürze widerspricht.
ERKENNE dich!— Was hab ich da für Lohn?
Erkenn ich mich, so muß ich gleich davon.
A
LS wenn ich auf den Maskenball käme
Und gleich die Larve vom Angesicht nähme.
ANDRE zu kennen, das mußt du probieren,
Ihnen zu schmeicheln oder sie zu vexieren.
WARUM magst du gewisse Schriften nicht lesen?"
Das ist auch sonst meine Speise gewesen;
Eilt aber die Raupe sich einzuspinnen,
Nicht kann sie mehr Blättern Geschmack abgewinnen.
WAS dem Enkel so wie dem Ahn frommt,
Darüber hat man viel geträumet;
Aber worauf eben alles ankommt,
Das wird vom Lehrer gewöhnlich versäumet.
VERWEILE nicht, und sei dir selbst ein Traum,
Und wie du reisest, danke jedem Raum,
Bequeme dich dem Heißen wie dem Kalten;
Dir wird die Welt, du wirst ihr nie veralten.
OHNE Umschweife
Begreife,
Was dich mit der Welt entzweit;
Nicht will sie Gemüt, will Höflichkeit.
6o2 LYRISCHE DICHTUNGEN
GEMÜT muß verschleifen,
Höflichkeit läßt sich mit Händen greifen.
W
AS eben wahr ist allerorten,
Das sag ich mit ungescheuten Worten.
NICHTS taugt Ungeduld,
Noch weniger Reue;
Jene vermehrt die Schuld,
Diese schafft neue.
DASS von diesem wilden Sehnen,
Dieser reichen Saat von Tränen
Götterlust zu hoffen sei,
Mache deine Seele frei!
DER entschließt sich doch gleich,
Den heiß' ich brav imd kühn!
Er springt in den Teich,
Dem Regen zu entfliehn.
DASS Glück ihm günstig sei,
Was hilfts dem Stöfifel?
Denn regnets Brei,
Fehlt ihm der Löffel.
DICHTER gleichen Bären,
Die immer an eignen Pfoten zehren.
DIE Welt ist nicht aus Brei und Mus geschaflfenj
Deswegen haltet euch nicht wie Schlarafifen;
Harte Bissen gibt es zu kauen:
Wir müssen erwürgen oder sie verdauen.
EIN kluges Volk wohnt nah dabei.
Das immerfort sein Bestes wollte;
Es gab dem niedrigen Kirchturm Brei,
Damit er größer werden sollte.
i8io/2 WEIMAR 603
SECHSUNDZWANZIG Groschen gilt mein Taler!
Was heißt ihr mich denn einen Prahler?
Habt ihr doch andre nicht gescholten,
Deren Groschen einen Taler gegolten.
NIEDERTRÄCHTIGERS wird nichts gereicht,
Als wenn der Tag den Tag erzeugt.
w
AS hat dir das arme Glas getan?
Sieh deinen Spiegel nicht so häßlich an.
LIEBESBÜCHER und Jahrgedichte
Machen bleich und hager;
Frösche plagten, sagt die Geschichte,
Pharaonem auf seinem JL,ager.
SO schließen wir, daß in die Läng
Euch nicht die Ohren gellen;
Vemimft ist hoch. Verstand ist streng,
Wir rasseln drein mit Schellen.
DIESE Worte sind nicht alle in Sachsen,
Noch auf meinem eignen Mist gewachsen;
Doch, was für Samen die Fremde bringt,
Erzog ich im Lande gut gedüngt.
UND selbst den Leuten du bon ton
Ist dieses Büchlein lustig erschienen:
Es ist kein Globe de Compression^
Sind lauter Flatterminen.
ANNONCE
EIN Hündchen wird gesucht.
Das weder murrt, noch beißt,
Zerbrochene Gläser frißt
Und Diamanten "
GLÜCKSELIG ist, wer Liebe rein genießt,
Weil doch zuletzt das Grab so Lieb als Haß verschließt.
6o4 LYRISCHE DICHTUNGEN
ES ist ein schlechter Zeitvertreib,
Ramdohr- und Speth- und Schreibergeschreib;
Was sie alles gegen mich sagen.
Wird wohl am Abend vorgetragen.
Wie nickt das Haupt, wie schmeckt die Ruh,
Kommt nun noch Atterbom dazu.
*
Derselbe setzt sich zu Gericht,
Hat gar eine eigne Kunstgeschicht.
*
Das hören wii alles ohne Scherz
In jener Gesellschaft für Geist und Herz.
SO soll die orthographische Nacht
Doch endlich auch ihren Tag erfahren;
Der Freund, der so viel Worte macht.
Er will es an den Buchstaben sparen.
DAS BLUMENCHOR
Zum 30. Januar 181 2
WIR begegnen dem Entzücken,
Wie es jeder fühlen mag.
Und mit kindlich heitern Blicken
Grüßen wir den schönsten Tag.
DIE Blumen, in den Wintertagen,
Versammeln froh sich hier zuhauf,
Mit heitern Blicken uns zu sagen:
An ihrem Fest blüht alles auf.
ZUM 16. FEBRUAR 18 12
WER Marmor hier und Erz und Elfenbein erblickt.
Und was noch sonst von Stoff die edle Kunst be-
schickt,
Der denkt: Wie möchten wir mit emsigem Fleiß
Und treuem Sinn das alles umgestalten.
In tausend Bildern ihren hohen Preis
Und unsre Liebe zu entfalten!
i8io/2 WEIMAR 605
GROSS IST DIE DIANA DER EPHESER
Apostelgeschichte 19, 39
ZU Ephesus ein Goldschmied saß
In seiner Werkstatt, pochte,
So gut er könnt, ohn Unterlaß,
So zierlich ers vermochte.
Als Knab und Jüngling kniet' er schon
Im Tempel vor der Göttin Thron
Und hatte den Gürtel unter den Brüsten,
Worin so manche Tiere nisten,
Zu Hause treulich nachgefeilt,
Wie's ihm der Vater zugeteilt;
Und leitete sein kimstreich Streben
In frommer Wirkung durch das Leben.
Da hört er denn auf einmal laut
Eines Gassenvolkes Windesbraut,
Als gäbs einen Gott so im Gehirn,
Da! hinter des Menschen alberner Stirn,
Der sei viel herrlicher als das Wesen,
An dem wir die Breite der Gottheit lesen.
Der alte Künstler horcht nur auf.
Läßt seinen Knaben auf den Markt den Lauf,
Feilt immer fort an Hirschen und Tieren,
Die seiner Gottheit Kniee zieren.
Und hofft, es könnte das Glück ihm walten,
Ihr Angesicht würdig zu gestalten.
*
Wills aber einer anders halten,
So mag er nach Belieben schalten;
Nur soll er nicht das Handwerk schänden,
Sonst wird er schlecht und schmählich enden.
l8l2
REISE NACH BÖHMEN
IHRO DES KAISERS VON ÖSTERREICH MAJESTÄT
ER kommt! Er naht! — Wie fühlt bei diesem Schalle
Die Seele gleich sich ahnungsvoll bedingt!
Doch schon befreien sich die Herzen alle
Durch Leberuf, davon der Fels erklingt.
Nun, Muse! streue gleich auf die im Schwalle
Bewegte Volksflut, die den Herrn umringt,
Den Samen aus zu würdiger Beachtung
Des Augenblicks und ewiger Betrachtung.
Denn wendet er in seinen weiten Reichen
Den Blick umher nach mannigfaltgem Gut,
So übersieht er Fülle sondergleichen,
Die über allem ausgebreitet ruht;
Wo Ebne sich verflächet. Berge steigen,
Der Ähre Gold, der edlen Rebe Blut,
Und scharenweis zum Nutzen eingehändigt
Der Tiere Herden, die der Mensch gebändigt.
Und wo die großen Flüsse sich ergießen
Durch überbreites, reichbebautes Land,
Mit schnellen Fluten manche Städte grüßen,
Dort hält er gern das Auge hingewandt.
Nun lass er auch des Vaterblicks genießen
Die tiefe Stadt, die kühn sich unterwand,
In enge Schlucht sich notgednmgen setzte,
Vielleicht die kleinste, keineswegs die letzte.
Weil dieses Tal, von Bergen rings umfriedet,
Ein ungeheures Wunder sich erzeugt.
Wo heimlich, seit Urjahren unermüdet,
Heilsam Gewässer durch die Klüfte schleicht,
In tiefen Höhlen ohne Feuer siedet
Und ohne Fall hoch in die Lüfte steigt
Und, wenn des Wirkens Leidenschaft gestillet,
Die Felsen bildet, denen es entquillet.
In tiefer Wildnis dieser Täler schreckte
Des Jägers Hom die scheuen Wilde kaum.
Er war es, der den Wunderquell entdeckte.
Und Böhmens Karl belebt den stummen Raum.
OOETHE XIV 39.
6io LYRISCHE DICHTUNGEN
Ein jeder» der zu bauen sich erkeckte
Auf heißem Boden, an der Schlünde Saum,
Und ferneher nun die Erkrankten ladet,
Sieht sich mit Wald und Feld und Trift begnadet.
So hat fortan, mit immer regem Streben,
Natur und Kunst viel Tausenden genützt.
Was Gott dem Bürger in die Hand gegeben,
Wenn es der Fürst begünstigt und beschützt,
Dann bleibt fürwahr ein unverwüstlich Leben,
Indem der Sohn dem Vater nachbesitzt.
Geschlechter widerstehn der größten Plage
Und blühn und wachsen bis zum spätsten Tage.
Vollständig ist jedoch kein Glück zu nennen,
Wenn bei so manchem Gut das höchste fehlt;
Wir durften das nur in der Feme kennen,
Und Jahre haben wir umsonst gezählt.
Erst heute mögen wir getrost bekennen,
Wie solch ein Mangel uns bisher gequält;
Heut fühlen wir entbehrter Regvmg Wonne:
Der Blick des Herrn, er ist die zweite Sonne.
Erhabne Gegenwart! die heute gründet,
Was lange schon der Wunsch im stillen war.
Beamte, Bürger, wechselseits entzündet,
Beeifem sich im neuen Jubeljahr,
Und jeder macht die Kraft, die er sich findet.
Nach allen Seiten tätig offenbar.
Und nun erscheint, damit der Herr sich freue,
Das Alte fest und lebenvoll das Neue.
Selbst jener wilde Quell, den tief im Grunde
Kein Menschenwitz und keine Kraft beschwor,
Ergrimmt nicht mehr am eingezwängten Schlünde,
Ihm läßt die Weisheit nun ein offnes Tor;
Damit der fernste Pilger hier gesunde,
Wirft sprudelnd frei er volle Kraft hervor.
Zerreißt nicht mehr die selbstgewölbten Decken;
Nur heilen will er künftig, nicht erschrecken.
1 8 1 2 REISE NACH BÖHMEN 6 1 1
Und wo die Brunnen lau und milder wallen,
Befiehlt der Herr, soll es auch heiter sein.
Schon richten sich empor geraume Hallen,
Behauner Stamm fiigt sich geviertem Stein.
Des Herren Preis wird stets daselbst erschallen:
Er gab uns diesen Raum, er lud uns ein!
Uns wird die Not nicht mehr zusammendrängen,
Behaglich soll das Wandeln sich verlangen.
Von seines Auges mildem Blick entbrennet
Ein heilig Feuer, das tms nie entweicht;
Und wie man erst des Sommers Kräfte kennet.
Wenn sich im Herbst der Trauben Fülle zeigt,
So zeige sich, wenn er von uns getrennet,
Der Segen wirksam, den er uns gereicht,
Und werde so, beim glücklichsten Ereignis,
Die kleine Stadt des großen Reiches Gleichnis.
IHRO DER KAISERIN VON ÖSTERREICH
MAJESTÄT
WIE lange harren wir gewisser Kunde!
Wie ist das Zweifeln bang, die Hoffnung süß!
Noch schwebt sie vor, die unwillkommne Stunde,
Da uns die Frau, die herrliche, verließ
Und ims das letzte Wort vom Gnadenmunde
Die Wiederkehr, die baldige, verhieß;
Wir sollten ja in diesem stillen Tale
Sie wiedersehn, sie sehn mit dem Gemahle.
Doch solch ein Wort läßt immer noch in Sorgen,
Und leider waren wir zu sehr verwöhnt;
Erinnerten an jedem heitren Morgen,
Wie sie ims einst den schönsten Tag verschönt
Und unser Leben, häuslich sonst verborgen.
Mit Herrlichkeit der Majestät gekrönt.
Es war geschehn! Sie war tms nun entrissen.
Und wo sie ging, wird man sie stets vermissen.
6 1 2 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der starre Fels, er scheint sich noch zu neigen
Vor ihrer Hoheit, ihrer Majestät;
Die Stämme wiegen sich, in allen Zweigen
Von ihrer Anmut lind imd leis umweht;
Die Blumen, die ihr Haupt im Grünen beugen,
Erhebens forschend, wo vielleicht sie geht?
Und mit den Büschen, die ihr Blüten streuen,
Wetteifern all die Herzen ihrer Treuen.
Und wenn sie sich im weiten Reich beweget.
Nach jeder Richtung wird sogleich gefragt;
Wenn dann der Weg sie in die Ferne traget,
Vereitelt Hoffen bitterlich beklagt.
Und immer neu die Hoffnung aufgereget:
Sie wird erfüllen, was sie zugesagt;
Erst soll es ihr und dem Gemahle glücken,
Die Tochter und den Eidam zu erblicken.
Es ist geschehn! Im seligsten Momente
Begegnet sich der liebevolle Blick,
Und was die Donau ernst und schmerzlich trennte,
Gibt wonnevoll die Elbe nun zurück.
Wer ist es, ders in Worte fassen könnte?
Begünstigt ist der Höchsten größtes Glück,
Im Drang der ahnungsvollsten Weltgewühle
Die elterHchen, kindlichen Gefühle.
Auf hoher Burg sodann ein festlich Prangen
Erhebt den Geist und überrascht den Sinn:
Denn Böhmens Hauptstadt soll das Glück erlangen,
Des höchsten Anblicks einzigen Gewinn;
Der Vater will die Tochter dort empfangen,
Der Kaiser Ostreichs Frankreichs Kaiserin.
So wird er sie am Tag der Freude führen.
Die herrhch Fremdgewordne, zu den Ihren.
So nah gerückt sollt es vorüberrollen,
Ein Glück, das dann wohl immer sich verliert?
Nein! Ihr versagt es nicht den Hoffnungsvollen,
Sie rufen aus, was sie im Tiefsten rührt:
1 8 1 2 REISE NACH BÖHMEN 6 1 3
Wie unsre Brunnen immer treu gequollen,
So unser Herz dem, der das Szepter führt,
Und unser Tun, wie wir die Gäste pflegen,
Verdienet seinen Blick und seinen Segen.
Nun endlich meldet würdevoll Geläute
Der Majestäten feierliches Nahn,
Und an des Berges ausgeglichner Seite
Rückt schon der Zug den Kaiserweg heran;
Die Menge schwillt in wogenhafter Breite,
Zu seiner Herrscher Blick drängt sie hinan.
Verstumme, Lied! und laßt in vollen Chören
Den Freuderuf entzückten Busens hören!
IHRO DER KAISERIN VON FRANKREICH
MAJESTÄT
SIEHT man den schönsten Stern die Nacht erhellen,
So wird das Auge wie das Herz erquickt;
Doch wenn, in seltnen, langersehnten Fällen,
Ein herrliches Gestirn zum andern rückt.
Die nahverwandten Strahlen sich gesellen,
Dann weilt ein jeder schauend, hochentzückt;
So unser Blick, wie er hinauf sich wendet,
Wird vom Verein der Majestät geblendet.
Wir denken noch, wie sie hin weggezogen,
Der Eltern Lust, die holde Friedensbraut;
Schon beugten sich des Rheines edle Wogen,
Die beiden Ufer lächelten vertraut;
So freut die Erde sich am Himmelsbogen
Von farbigen Juwelen aufgebaut.
Der, wenn er schon vor tmsern Augen schwindet.
Den Frieden sichert, den er angekündet.
Im neuen Reich empfängt sie das Behagen
Von Millionen, die aus düstrer Nacht
Aufschauen wieder zu gesunden Tagen,
Zum festen Leben abermals erwacht.
6 1 4 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ein jeder fühlt sein Herz gesichert schlagen
Und staunet nun, denn alles ist vollbracht:
Die holde Braut in lebensreichem Scheine —
Was Tausende verwirrten, löst der Eine.
Worüber trüb Jahrhunderte gesonnen,
Er übersiehts in hellstem Geisteslicht,
Das Kleinliche ist alles weggeronnen,
Nur Meer und Erde haben hier Gewicht;
Ist jenem erst das Ufer abgewonnen.
Daß sich daran die stolze Woge bricht.
So tritt durch weisen Schluß, durch Machtgefechte
Das feste Land in alle seine Rechte.
Und wenn dem Helden alles zwar gelungen.
Den das Geschick zum Günstling auserwählt,
Und ihm vor allen alles aufgedrungen,
Was die Geschichte jemals aufgezählt,
Ja reichlicher, als Dichter je gesungen! —
Ihm hat bis jetzt das Höchste noch gefehlt;
Nun steht das Reich gesichert wie gerundet,
Nun fühlt er froh im Sohne sich gegründet.
Und daß auch diesem eigne Hoheit gnüge,
Ist Roma selbst zur Wächterin bestellt.
Die Göttin, hehr, an ihres Königs Wiege,
Denkt abermal das Schicksal einer Welt.
Was sind hier die Trophäen aller Siege,
Wo sich der Vater in dem Sohn gefällt?
Zusammen werden sie des Glücks genießen.
Mit milder Hand den Janustempel schließen.
Sie, die zum Vorzug einst als Braut gelanget,
Vermittlerin nach Götterart zu sein,
Als Mutter, die, den Sohn im Arme, pranget,
Befördre neuen, dauernden Verein;
Sie kläre, wenn die Welt im Düstem banget.
Den Himmel auf zu ewgem Sonnenschein!
Uns sei durch sie dies letzte Glück beschieden—
Der alles wollen kann, will auch den Frieden.
i8i 2 REISE NACH BÖHMEN 615
ELEONORE
WENNS jemand ziemt, zu sprechen mit Vertrauen,
So ziemt es mir: ich stelle heut den Chor
Gebildeter und liebevoller Frauen,
Der sich so gern um sie versammelt, vor.
Mir ist vergönnt, an ihr hinaufzuschauen,
Mich zu erquicken an dem frischen Flor,
Der jede Stunde neuen Wert betätigt
Und Frauenwürde ewiglich bestätigt.
UND wärst du auch zum fernsten Ort,
Zur kleinsten Hütte durchgedrungen,
Was hilft es dir? du findest dort
Tabak und böse Zungen.
AN HERRN ABBATE BONDI
AUS jenen Ländern echten Sonnenscheines
Beglückten oft mich Gaben der Gefilde:
Agrumen reizend, Feigen süß rmd milde.
Der Mandeln Milch, die Feuerkraft des Weines.
So manches Musenwerk erregte meines
Nordländschen Geistes innigste Gebilde,
Wie an Achilleus' lebensreichem Schilde
Erfreut ich mich des günstigsten Vereines.
Und daß ich mich daran begnügen könnte,
War mir sogar ein Kunstbesitz bereitet,
Erquickend mich durch Anmut wie durch Stärke.
Doch nichts erschien im größeren Momente,
Voll innem Werts, von so viel Glück begleitet.
Als durch Luisen, Bondi, deine Werke.
DEN ZUDRINGLICHEN
WAS nicht zusammengeht, das soll sich meiden!
Ich hindr euch nicht, wos euch beliebt, zu weiden:
Denn ihr seid neu imd ich bin alt geboren.
Macht, v/as ihr wollt; nur laßt mich ungeschoren!
i8i2-i8i3 WEIMAR
DER LIEBENDEN, VERGESSLICHEN
zum Geburtstage
DEM schönen Tag sei es geschrieben!
Oft glänze dir sein heitres Licht.
Uns hörest du nicht auf zu lieben,
Doch bitten wir: Vergiß uns nicht!
DEN ORIGINALEN
EIN Quidam sagt: "Ich bin von keiner Schule;
Kein Meister lebt, mit dem ich buhle;
Auch bin ich weit davon entfernt,
Daß ich von Toten was gelernt."
Das heißt, wenn ich ihn recht verstand:
"Ich bin ein Narr auf eigne Hand."
GEGENWART
ALLES kündet dich an!
Erscheinet die herrliche Sonne,
Folgst du, so hoff ich es, bald.
Trittst du im Garten hervor,
So bist du die Rose der Rosen,
Lilie der Lilien zugleich.
Wenn du im Tanze dich regst,
So regen sich alle Gestirne
Mit dir und um dich umher.
Nacht! und so war es denn Nacht!
Nun überscheinst du des Mondes
Lieblichen, ladenden Glanz.
Ladend und lieblich bist du,
Und Blumen, Mond xmd Gestirne
Huldigen, Sonne, nur dir.
Sonne! so sei du auch mir
Die Schöpferin herrlicher Tage;
Leben und Ewigkeit ists.
620 LYRISCHE DICHTUNGEN
[An Amalie Wolff, geb. Malcolmi]
ERLAUBT sei dir, in mancherlei Gestalten
Das junge Volk und die ehrwürdgen Alten
Zum besten, wie es dir beliebt, zu halten:
Und Phädra, wütend, leidenschaftlich groß;
Elisabeth, so lieb-, als schonungslos;
Messinas Fürstin, fest, wenn das Geschick bricht;
Jungfrau, gestählt, nur gegen Liebesblick nicht;
Klärchen zuletzt, die jeden so verführt,
Daß er den Kopf wie Belgiens Held verliert.
Der Wechsel bilde dein beglücktes Reich,
Bleibst du nur uns, den Freimden, immer gleich. .
LASST geschafifne Ritter kämpfen,
Reiche retten. Feinde dämpfen,
Wie so manche Lanze brach.
Tilget, edle Legionen,
Tief bedrängter Nationen
Langertragne, dumpfe Schmach!
Listges Weichen, falsche Flucht,
Waffen gegen Eifersucht,
Mächtiger als Lanz und Stahl.
Mußt dich ja des Trugs nicht schämen:
Leisetreten, klug Benehmen,
Sie betören den Rival.
DIE Wolle, sie ist gut und fein.
Jedoch die Arbeit nicht zu loben,
Mag leidlich gekrempelt, gesponnen sein.
Aber abscheulich schlecht gewoben.
Was man von Reinhard sagen kann,
Das sagt man nicht von Böttigers Witze:
War jener ein gevierter Mann,
Der ist ein Drehdorl auf der Spitze.
Zwar Böttiger macht gar manchen Knicks,
Doch oft passiert ihm auch ein Knacks:
Mit griechschen Namen ist er fix,
Doch schlecht verdankt es ihm Demonax.
1
i8i2/3 WEIMAR 621
DIE LUSTIGEN VON WEIMAR
DONNERSTAG nach Belvedere,
Freitag gehts nach Jena fort:
Denn das ist, bei meiner Ehre,
Doch ein allerliebster Ort!
Samstag ists, worauf wir zielen,
Sonntag rutscht man auf das Land;
Zwätzen, Burgau, Schneidemühlen
Sind ims alle wohlbekannt,
Montag reizet uns die Bühne;
Dienstag schleicht dann auch herbei,
Doch er bringt zu stiller Sühne
Ein Rapuschchen frank rmd frei.
Mittwoch fehlt es nicht an Rührung,
Denn es gibt ein gutes Stück;
Donnerstag lenkt die Verfühnmg
Uns nach Belveder' zurück.
Und es schlingt unvmterbrochen
Immer sich der Freudenkreis
Durch die zweiundfunfzig Wochen,
Wenn mans recht zu führen weiß.
Spiel und Tanz, Gespräch, Theater,
Sie erfrischen unser Blut;
Laßt den Wienern ihren Prater;
Weimar, Jena, da ists gut!
PARABEL
IN einer Stadt, wo Parität
Noch in der alten Ordnung steht.
Da, wo sich nämlich Katholiken
Und Protestanten ineinander schicken,
Und, wie's von Vätern war erprobt.
Jeder Gott auf seine Weise lobt,
Da lebten wir Kinder Lutheraner
Von etwas Predigt und Gesang,
Waren aber dem Kling und Klang
Der Kathohken nur zugetaner:
62 2 LYRISCHE DICHTUNGEN
Denn alles war doch gar zu schön,
Bunter und lustiger anzusehn.
Dieweil nun Aflfe, Mensch und Kind
Zur Nachahmung geboren sind,
Erfanden wir, die Zeit zu kürzen,
Ein auserlesnes Pfaffenspiel:
Zum Chorrock, der uns wohlgefiel,
Gaben die Schwestern ihre Schürzen;
Handtücher, mit Wirkwerk schön verziert,
Wurden zur Stola travestiert;
Die Mütze mußte den Bischof zieren,
Von Goldpapier mit vielen Tieren.
So zogen wir nun im Ornat
Durch Haus und Garten, früh und spat,
Und wiederholten ohne Schonen
Die sämtlichen heiligen Funktionen;
Doch fehlte noch das beste Stück.
Wir wußten wohl, ein prächtig Läuten
Habe hier am meisten zu bedeuten;
Und nun begünstigt uns das Glück:
Denn auf dem Boden hing ein Strick.
Wir sind entzückt, und wie wir diesen
Zum Glockenstrang sogleich erkiesen.
Ruht er nicht einen Augenblick:
Denn wechsehid eilten wir Gesqhwister,
Einer ward um den andern Küster,
Ein jedes drängte sich hinzu.
Das ging nun allerliebst vonstatten,
Und weil wir keine Glocken hatten.
So sangen wir Bum Baum dazu.
*
Vergessen, wie die ältste Sage,
War der unschuldge Kinderscherz;
Doch grade diese letzten Tage
Fiel er mit einmal mir aufs Herz:
Da sind sie ja, nach allen Stücken,
Die neupoetischen Katholiken!
i5i2/3 WEIMAR 623
IHRO KAISERLICHEN HOHEIT DER FRAU
ERBGROSSHERZOGIN VON SACHSEN-WEIMAR
UND -EISENACH
Z
U würdiger Umgebung deines Bildes,
Wie es mir immerfort im Geiste waltet,
Wählt ich in Tagen, wo der Frühling schaltet.
Des Gartens Blumen, Blumen des Gefildes.
Dann schien der Rand des Achilleischen Schildes,
So reich er war, nicht reich genug gestaltet;
Ja, würd ein Purpurteppich umgefaltet.
Darauf gesät der Sterne blendend Mildes.
Nun aber wird ein zierlich Heft geschmücket.
Ein treuer Diener widmets deiner Hoheit,
Und du vergönnest mir die erste Weihe.
Wie Sprech ich aus, wie sehr mich das beglücket?
Jetzt fühl ich erst in neubelebter Froheit:
Die schönsten Kränze winden Lieb und Treue.
STAMMBUCHS- WEIHE
MUNTRE Gärten lieb ich mir,
Viele Blumen drinne.
Und du hast so einen hier,
Merk ich wohl, im Sinne.
Mögen Wünsche für dein Glück
Tausendfach erscheinen;
Grüße sie mit heitrem Blick,
Und voran die meinen.
TRAUERREGLEMENT
DIESES Heft Persönlichkeiten
Spar ich euch auf späte Zeiten:
Scheidend will ich nicht betrüben,
Ihr sollt lachen, meine Lieben.
i8i3
REISE NACH BÖHMEN
GOETHE XIV 40.
DER GETREUE ECKART
O wären wir weiter, o war ich zu Haus!
Sie kommen. Da kommt schon der nächthche Graus;
Sie sinds, die unholdigen Schwestern.
Sie streifen heran und sie finden uns hier,
Sie trinken das mühsam geholte, das Bier,
Und lassen nur leer uns die Krüge.
So sprechen die Kinder und drücken sich schnell;
Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell:
Nur stille, Kind! Kinderlein, stille!
Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd,
Und laßt ihr sie trinken, wie's jeder behagt.
Dann sind sie euch hold, die Unholden.
Gesagt so geschehn! und da naht sich der Graus
Und siehet so grau und so schattenhaft aus.
Doch schlürft es und schlampft es aufs beste.
Das Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer;
Nun saust es und braust es, das wütige Heer,
Ins weite Getal und Gebirge.
Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell.
Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell:
Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig. —
Wir kriegen nun Schelten und Streich' bis aufs Blut.—
Nein keineswegs, alles geht herrlich und gut.
Nur schweiget imd horchet wie Mäuslein.
Und der es euch anrät und der es befiehlt,
Er ist es, der gern mit den Kindelein spielt.
Der alte Getreue, der Eckart.
Vom Wundermann hat man euch immer erzählt,
Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt,
Die habt ihr nun köstlich in Händen.
Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug
Ein jedes den Eltern bescheiden genug
Und harren der Schlag und der Schelten,
Doch siehe, man kostet: Ein herrliches Bier!
Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier.
Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.
628 LYRISCHE DICHTUNGEN
Das Wunder, es dauert zum morgenden Tag.
Doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
Wie ists mit den Krügen ergangen?
Die Mäuslein, sie lächeln, im stillen ergetzt;
Sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt.
Und gleich sind vertrocknet die Krüge.
Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht
Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht,
So horchet und folget ihm pünktlich!
Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut,
Verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut;
Dann füllt sich das Bier in den Krügen.
DER TOTENTANZ
DER Türmer, der schaut zumitten der Nacht
Hinab auf die Gräber in Lage;
Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht.
Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,
In weißen und schleppenden Hemden.
Das reckt nun, es will sich ergetzen sogleich.
Die Knöchel zur Runde, zum Kranze,
So arm imd so jung, und so alt und so reich;
Doch hindern die Schleppen am Tanze.
Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut,
Sie schütteln sich alle, da liegen zerstreut
Die Hemdelein über den Hügeln.
Nim hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,
Gebärden da gibt es vertrackte;
Dann klipperts und klapperts mitunter hinein,
Als schlug man die Hölzlein zum Takte.
Das kommt nun dem Türmer so lächerhch vor;
Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:
Geh! hole dir einen der Laken.
i8i 3 REISENACH BÖHMEN 629
Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell
Nun hinter geheiligte Türen.
Der Mond, und noch immer er scheinet so hell
Zum Tanz, den sie schauderlich führen.
Doch endlich verlieret sich dieser und der,
Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher,
Und husch ist es unter dem Rasen.
Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt
Und tappet und grapst an den Grüften;
Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt,
Er wittert das Tuch in den Lüften.
Er rüttelt die Turratür, sie schlägt ihn zurück.
Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück,
Sie blinkt von metallenen Kreuzen.
Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht,
Da gilt auch kein langes Besinnen;
Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht
Und klettert von Zinne zu Zinnen.
Nun ists um den armen, den Türmer getan!
Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan.
Langbeinigen Spinnen vergleichbar.
Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt,
Gern gab er ihn wieder, den Laken.
Da häkelt—jetzt hat er am längsten gelebt—
Den Zipfel ein eiserner Zacken,
Schon trübet der Mond sich, verschwindenden Scheins,
Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins,
Und unten zerschellt das Gerippe.
GEWOHNT, GETAN
ICH habe geliebet, nun lieb ich erst recht!
Erst war ich der Diener, nun bin ich der Knecht.
Erst war ich der Diener von allen;
Nun fesselt mich diese scharmante Person,
Sie tut mir auch alles zur Liebe, zum Lohn,
Sie kann nur allein mir gefallen.
630 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ich habe geglaubet, nun glaub ich erst recht! 1
Und geht es auch wunderlich, geht es auch schlecht, ^
Ich bleibe beim gläubigen Orden:
So düster es oft und so dunkel es war
In drängenden Nöten, in naher Gefahr,
Auf einmal ists lichter geworden.
Ich habe gespeiset, nun speis ich erst gut!
Bei heiterem Sinne, mit fröhlichem Blut
Ist alles an Tafel vergessen.
Die Jugend verschlingt nur, dann sauset sie fort;
Ich liebe, zu tafeln am lustigen Ort,
Ich kost und ich schmecke beim Essen.
Ich habe getrunken, nun trink ich erst gern!
Der Wein, er erhöht uns, er macht uns zum Herrn
Und löset die sklavischen Zungen.
Ja, schonet niu: nicht das erquickende Naß:
Denn schwindet der älteste Wein aus dem Faß,
So altem dagegen die jungen.
Ich habe getanzt und dem Tanze gelobt.
Und wird auch kein Schleifer, kein Walzer getobt,
So drehn wir ein sittiges Tänzchen.
Und wer sich der Blumen recht viele verflicht,
Und hält auch die ein und die andere nicht,
Ihm bleibet ein munteres Kjänzchen.
Drum frisch nur aufs neue! Bedenke dich nicht:
Denn wer sich die Rosen, die blühenden, bricht.
Den kitzeln fürwahr nur die Dornen.
So heute wie gestern, es flimmert der Stern;
Nur halte von hängenden Köpfen dich fern
Und lebe dir immer von vornen.
DIE WANDELNDE GLOCKE
ES war ein Kind, das wollte nie
Zur Kirche sich bequemen,
Und Sonntags fand es stets ein Wie,
Den Weg ins Feld zu nehmen.
1 8 1 3 REISE NACH BÖHMEN 631
Die Mutter sprach: Die Glocke tönt,
Und so ist dirs befohlen,
Und hast du dich nicht hingewöhnt,
Sie kommt vmd wird dich holen.
Das Kind, es denkt: Die Glocke hängt
Da droben auf dem Stuhle.
Schon hats den Weg ins Feld gelenkt,
Als lief es aus der Schule.
Die Glocke Glocke tönt nicht mehr.
Die Mutter hat gefackelt.
Doch welch ein Schrecken hinterher!
Die Glocke kommt gewackelt.
Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum;
Das arme Kind im Schrecken,
Es lauft, es kommt als wie im Traum;
Die Glocke wird es decken.
Doch nimmt es richtig seinen Husch,
Und mit gewandter Schnelle
Eilt es durch Anger, Feld und Busch
Zur Kirche, ztu: Kapelle.
Und jeden Sonn- und Feiertag
Gedenkt es an den Schaden,
Läßt durch den ersten Glockenschlag,
Nicht in Person sich laden.
MEMENTO
KANNST dem Schicksal widerstehen,
Aber manchmal gibt es Schläge;
Wills nicht aus dem Wege gehen,
Ei! so geh du aus dem Wege!
EIN ANDRES
MUSST nicht widerstehn dem Schicksal,
Aber mußt es auch nicht fliehen!
Wirst du ihm entgegengehen,
Wirds dich freundlich nach sich ziehen.
i8i3 WEIMAR
UND REISE NACH ILMENAU
DIE ZWEI MARIEN
T\ER hats den Engeln, der den Teufeln abgelauscht;
•^-^Franzos und Deutscher haben die Rollen getauscht.
IM VORÜBERGEHN
ICH ging im Felde
JLSo für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Da stand ein Blümchen
Sogleich so nah,
Daß ich im Leben
Nichts lieber sah.
Ich wollt es brechen,
Da sagt es schleunig:
Ich habe Wurzeln,
Die sind gar heimlich.
Im tiefen Boden
Bin ich gegründet;
Drum sind die Blüten
So schön gerundet.
Ich kann nicht liebeln,
Ich kann nicht schranzen;
Mußt mich nicht brechen,
Mußt mich verpflanzen.
*
Ich ging im Walde
So vor mich hin;
Ich war so heiter,
Wollt immer weiter —
Das war mein Sinn.
GEFUNDEN
ICH ging im Walde
So für mich hin.
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
6s6 LYRISCHE DICHTUNGEN
Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.
Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?
Ich grubs mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ichs
Am hübschen Haus.
Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
DA sind sie wieder,
Die losen Dinger!
An hübschen Händchen
Gar sechs der Finger!
Es rühmt das Volk sich
Als Zeitgefährte
Und ziert gar lieblich
Geschorne Barte.
Kein Schneider kleidet
So viele Nackte,
Wenn er auch Höllen
Aus Höllen packte.
Sie wären H . . . .,
Wenn man sie würbe;
Doch ist ihr Leibchen
Nur 2:ar zu mürbe.
i8i3 WEIMAR 637
Man ignorieret,
Woher sie kamen.
Ich nannte zweimal
Schon ihren Namen.
OFFNE TAFEL
VIELE Gäste wünsch ich heut
Mir zu meinem Tische!
Speisen sind genug bereit,
Vögel, Wild und Fische.
Eingeladen sind sie ja,
Habens angenommen.
Hänschen, geh und sieh dich um!
Sieh mir, ob sie kommen!
Schöne Kinder hoff ich nun,
Die von gar nichts wissen,
Nicht, daß es was Hübsches sei,
Einen Freund zu küssen.
Eingeladen sind sie all,
Habens angenommen.
Hänschen, geh und sieh dich um!
Sieh mir, ob sie kommen!
Frauen denk ich auch zu sehn,
Die den Ehegatten,
Ward er immer brummiger,
Immer lieber hatten.
Eingeladen wurden sie,
Habens angenommen.
Hänschen, geh imd sieh dich uml
Sieh mir, ob sie kommen!
Junge Herrn berief ich auch,
Nicht im mindsten eitel,
Die sogar bescheiden sind
Mit gefülltem Beutel;
Diese bat ich sonderlich,
Habens angenommen.
Hänschen, geh und sieh dich um!
Sieh mir, ob sie kommen!
638 LYRISCHE DICHTUNGEN
Männer lud ich mit Respekt,
Die auf ihre Frauen
Ganz allein, nicht neben aus
Auf die Schönste schauen.
Sie erwiderten den Gruß,
Habens angenommen.
Hänschen, geh und sieh dich um!
Sieh mir, ob sie kommen!
Dichter lud ich auch herbei,
Unsre Lust zu mehren,
Die weit lieber ein fremdes Lied
Als ihr eignes hören.
Alle diese stimmten ein,
Habens angenommen.
Hänschen, geh und sieh dich um!
Sieh mir, ob sie kommen!
Doch ich sehe niemand gehn,
Sehe niemand rennen!
Suppe kocht und siedet ein,
Braten will verbrennen.
Ach, wir habens, furcht ich nun,
Zu genau genommen!
Hänschen, sag, was meinst du wohl?
Es wird niemand kommen.
Hänschen, lauf und säume nicht,
Ruf mir neue Gäste!
Jeder komme, wie er ist.
Das ist wohl das beste!
Schon ists in der Stadt bekannt,
Wohl ists aufgenommen.
Hänschen, mach die Türen auf:
Sieh nur, wie sie kommen!
i8i3 WEIMAR 639
BALLADE
HEREIN, o du Guter! du Alter, herein!
Hier unten im Saale, da sind wir allein,
Wir wollen die Pforte verschließen.
Die Mutter, sie betet; der Vater im Hain
Ist gangen, die Wölfe zu schießen.
O sing uns ein Märchen, o sing es uns oft,
Daß ich und der Bruder es lerne;
Wir haben schon längst einen Sänger gehofft —
Die Kinder, sie hören es gerne.
Im nächtlichen Schrecken, im feindlichen Graus
Verläßt er das hohe, das herrliche Haus,
Die Schätze, die hat er vergraben.
Der Graf nun so eilig zum Pförtchen hinaus.
Was mag er im Arme denn haben:
Was birget er unter dem Mantel geschwind,^
Was trägt er so rasch in die Ferne. ^
Ein Töchterlein ist es, da schläft nun das Kind —
Die Kinder, sie hören es gerne.
Nun hellt sich der Morgen, die Welt ist so weit.
In Tälern und Wäldern die Wohnung bereit,
In Dörfern erquickt man den Sänger.
So schreitet und heischt er undenkliche Zeit,
Der Bart wächst ihm länger und länger;
Doch wächst in dem Arme das liebliche Kind,
Wie unter dem glücklichsten Sterne,
Geschützt in dem Mantel vor Regen und Wind —
Die Kinder, sie hören es gerne.
Und immer sind weiter die Jahre gerückt,
Der Mantel entfärbt sich, der Mantel zerstückt,
Er könnte sie länger nicht fassen.
Der Vater, er schaut sie, wie ist er beglückt!
Er kann sich für Freude nicht lassen;
So schön und so edel erscheint sie zugleich.
Entsprossen aus tüchtigem Kerne,
Wie macht sie den Vater, den teuren, so reich —
Die Kinder, sie hören es gerne.
640 LYRISCHE DICHTUNGEN
Da reitet ein fürstlicher Ritter heran,
Sie recket die Hand aus, der Gabe zu nahn;
Almosen will er nicht geben.
Er fasset das Händchen so kräftiglich an:
Die will ich, so ruft er, aufs Leben!
Erkennst du, erwidert der Alte, den Schatz,
Erhebst du zur Fürstin sie gerne;
Sie sei dir verlobet auf grünendem Platz—
Die Kinder, sie hören es gerne.
Sie segnet der Priester am heiligen Ort;
Mit Lust imd mit Unlust nun ziehet sie fort,
Sie möchte vom Vater nicht scheiden.
Der Alte, er wandelt nun hier und bald dort,
Er traget in Freuden sein Leiden.
So hab ich mir Jahre die Tochter gedacht,
Die Enkelein wohl in der Ferne;
Sie segn ich bei Tage, sie segn ich bei Nacht—
Die Kinder, sie hören es gerne.
Er segnet die Kinder; da polterts am Tor,
Der Vater, da ist er! Sie springen hervor,
Sie können den Alten nicht bergen —
Was lockst du die Kinder! du Bettler! du Tor!
Ergreift ihn, ihr eisernen Schergen!
Zum tiefsten Veriies den Verwegenen fort!
Die Mutter vemimmts in der Ferne,
Sie eilet, sie bittet mit schmeichelndem Wort—
Die Kinder, sie hören es gerne.
Die Schergen, sie lassen den Würdigen stehn,
Und Mutter und Kinder, sie bitten so schön;
Der fürstliche Stolze verbeißet
Die grimmige Wut, ihn entrüstet das Flehn,
Bis endlich sein Schweigen zerreißet:
Du niedrige Brut! du vom Bettlergeschlechtl
Verfinsterung fürstlicher Sterne!
Ihr bringt mir Verderben! Geschieht mir doch recht-
Die Kinder, sie hörens nicht gerne.
i8i3 WEIMAR 641
Noch stehet der Alte mit herrlichem Blick,
Die eisernen Schergen, sie treten zurück,
Es wächst nur das Toben und Wüten.
Schon lange verflucht ich mein ehliches Glück,
Das sind nun die Früchte der Blüten!
Man leugnete stets, und man leugnet mit Recht,
Daß je sich der Adel erlerne;
Die Bettlerin zeugte mir Bettlergeschlecht —
Die Kinder, sie hörens nicht gerne.
Und wenn euch der Gatte, der Vater verstößt
Die heiligsten Bande verwegentlich löst.
So kommt zu dem Vater, dem Ahnen!
Der Bettler vermag, so ergraut und entblößt,
Euch herrliche Wege zu bahnen.
Die Burg, die ist meine! Du hast sie geraubt,
Mich trieb dein Geschlecht in die Ferne;
Wohl bin ich mit köstlichen Siegeln beglaubt! —
Die Kinder, sie hören es gerne.
Rechtmäßiger König, er kehret zurück.
Den Treuen verleiht er entwendetes Glück,
Ich löse die Siegel der Schätze. —
So rufet der Alte mit freundlichem Blick:
Euch künd ich die milden Gesetze.
Erhole dich, Sohn! Es entwickelt sich gut,
Heut einen sich sehge Sterne;
Die Fürstin, sie zeugte dir fürstliches Blut—
Die Kinder, sie hören es gerne.
REGEN UND REGENBOGEN
AUF schweres Gewitter und Regenguß
Blick' ein Philister zum Beschluß
Ins weiterziehende Grause nach.
Und so zu seinesgleichen sprach:
Der Donner hat uns sehr erschreckt,
Der Blitz die Scheunen angesteckt,
Und das war unsrer Sünden Teil!
Dagegen hat, zu frischem Heil,
GOETHE XIV 4«.
642 LYRISCHE DICHTUNGEN
Der Regen fruchtbar uns erquickt
Und für den nächsten Herbst beglückt.
Was kommt nun aber der Regenbogen
An grauer Wand herangezogen?
Der mag wohl zu entbehren sein,
Der bunte Trug! der leere Schein!
Frau Iris aber dagegen sprach:
Erkühnst du dich zu meiner Schmach?
Doch bin ich hier ins All gestellt
Als Zeugnis einer bessern Welt,
Für Augen, die vom Erdenlauf
Getrost sich wenden zum Himmel auf
Und in der Dünste trübem Netz
Erkennen Gott und sein Gesetz.
Drum wühle du, ein andres Schwein,
Nur immer den Rüssel in den Boden hinein
Und gönne dem verklärten Blick
An meiner Herrlichkeit sein Glück.
ANGEBINDE ZUR RÜCKKEHR
DIE Freundin war hinausgegangen,
Um in der Welt sich umzutun;
Nun wird sie bald nach Haus gelangen
Und auf gewohnte Weise ruhn.
Und neigt sie dann das artge Köpfchen,
Umwunden reich von Zopf und Zöpfcheu,
Nach einem kissenreichen Sitzchen,
So bietet freundlich ihr das Mützchen.
EIGENTUM
ICH weiß, daß mir nichts angehört
Als der Gedanke, der ungestört
Aus meiner Seele will fließen.
Und jeder günstige Augenblick,
Den mich ein liebendes Geschick
Von Grund aus läßt genießen.
i8i3 WEIMAR 643
[Von Goethe?]
HÖCHSTES hast du vollbracht, mein Volk, Schmach-
volles erduldet;
Stets dir selber nur gleich hast du das Schönste bewahrt.
Wirst du dereinst dich, deiner bewußt, ....
DIE JAHRE
DIE Jahre sind allerliebste Leut:
Sie brachten gestern, sie bringen heut,
Und so verbringen wir Jüngern eben
Das allerliebste Schlaraflfen- Leben.
Und dann fällts den Jahren auf einmal ein,
Nicht mehr, wie sonst, bequem zu sein;
Wollen nicht mehr schenken, wollen nicht mehr borgen,
Sie nehmen heute, sie nehmen morgen.
DAS ALTER
DAS Alter ist ein höflich Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißts, er sei ein grober Gesell.
NACHTRAG
[In das Stammbuch von Johann Christoph Claras]
[Zu Seite 12]
CES lignes, mon ami, que je vais Vous dcrire,
Vous marquent mon amour, quand Vous irez les lire.
Le seul de mes souhaits c'est: jusqu'ä mon trepas,
Ami, m'aimez toujours, et ne m'oubliez pas.
ce 18. Avril 1764. JWGoethe.
[In das Stammbuch von Georg Gröning]
[Zu Seite 68]
W''AS unterm Monde liegt, ist eitel!
Sprach Salorao und Phanias;
Und Goethe spricht heut abend eben das.
Leipzig, am Abend vor dem 28. August, dem Tage seiner
Abreise, 1768.
GUTE NACHT AN ANNETTEN,
DA SIE HEURATETE
[Zu Seite 82]
WENN man zwanzig Freier zählet
Keinen liebt und alle quälet,
Alle liebt und keinen wählet,
Das ist eine stolze Lust
Für so eines Mädchens Brust.
Wenn so zwanzig bettlend stehn,
O wie lebt sichs da so schön!
Ist wohl eine Wollust größer:
Doch im Ehstand sitzt man besser.
Zwar mit Freuden und mit Scherzen
In zwei kopulierten Herzen
Ists wie mit den Hochzeitkerzen.
Glänzend leuchten sie im Saal
Und verherrlichen das Mahl,
Aber so nach zehen Uhr
Bleiben kleine Stümpfchen nur;
Damit leuchte dir zu Bette!
Gute Nacht! Schlaf wohl, Annette!
648 LYRISCHE DICHTUNGEN
SALOMONS,KÖNIGSVONISRAELUNDJUDA,GÜLD-
NE WORTE VON DER ZEDER BIS ZUM YSOP
\Zu Seite 1^6]
I
ES stand eine herrliche Zeder auf Libanon in ihrer Kraft
vor dem Antlitz des Himmeis. Und daß sie so strack da-
stund, des ergrimmten die Dornsträuche umher und riefen:
Wehe dem Stolzen, er überhebt sich seines Wuchses! Und
wie die Winde die Macht seiner Äste bewegten, und Bal-
samgeruch das Land erfüllte, wandten sich die Dörner und
schrien: Wehe dem Übermütigen, sein Stolz braust auf wie
Wellen des Meers; verdirb ihn, Heiliger vom Himmel!
2
Eine Zeder wuchs auf zwischen Tannen, sie teilten mit ihr
Regen und Sonnenschein. Und sie wuchs, und wuchs über
ihre Häupter und schaute weit ins Tal umher. Da riefen die
Tannen: Ist das der Dank, daß du dich nun überhebest, dich,
die du so klein wärest, dich, die wir genährt haben! Und die
Zeder sprach: Rechtet mit dem, der mich wachsen hieß.
3
Und um die Zeder stunden Sträucher. Da nun die Männer
kamen vom Meer und die Axt ihr an die Wurzel legten,
da erhub sich ein Frohlocken: Also strafet der Herr die
Stolzen, also demütigt er die Gewaltigen!
4
Und sie stürzte und zerschmetterte die Frohlocker, die
verzettelt wurden unter dem Reisig.
5
Und sie stürzte und rief: Ich habe gestanden, und ich werde
stehen! Und die Männer richteten sie auf zum Mäste im
Schilfe des Königs, und die Segel wehten von ihm her,
und brachte die Schätze aus Ophir in des Königs Kammer.
6
Eine junge Zeder wuchs schlank auf und schnell und drohte
die andern zu überwachsen. Da beneideten sie alle. Und
ein Held kam und hieb sie nieder, und stutzte ihre Äste,
sich zur Lanze wider die Riesen. Da riefen ihre Brüder:
Schade! Schade!
NACHTRAG 649
7
Die Eiche sprach: Ich gleiche dir, Zeder! Tor! sagte die
Zeder, als wollt ich sagen, ich gleiche dir.
Zwei Birken stritten: wer der Zeder am nächsten käme,
Birken seid ihr! sagte die Zeder.
9
Uns ist wohl, sagte ein brüderlich gleicher Tannenwald
zur Zeder, wir sind so viel, und du stehst allein. Ich habe
auch Brüder, sagte die Zeder, wenngleich nicht auf die-
sem Berge.
10
Ein Wald ward ausgehauen, die Vögel vermißten ihre Woh-
nungen, flatterten umher und klagten: Was mag der Fürst
für Absichten haben! den Wald! den schönen Wald! Unsre
Nester! Da sprach einer, der aus der Residenz kam, ein
Papagei: Absicht, Brüder? Er weiß nichts drum.
Ein Mädchen brach Rosen vom Strauch und kränzte ihr
Haupt mit. Das verdroß die Zeder und sprach: Warum
nimmt sie nicht von meinen Zweigen? Stolzer, sagte der
Rosenstock, laß mir die meinen!
Ein Wandrer, der unter der Eiche Mittagsruh gehalten
hatte, erwachte, streckte sich, stand auf und wollte weiter.
Der Baum rief ihm zu: Undankbarer! Hab ich dir nicht
meinen Schatten ausgebreitet? und nun nicht einen Blick!
Du! mir! lächelte der Wandrer zurückschauend.
13
Das Gräslein, da der Wind drüber spielte, ergötzte sich
und rief: Bin ich doch auch da, bin ich doch auch gebildet,
klein, aber schön, und bin!— Gräslein in Gottes Namen,
sagte die Zeder.
650 LYRISCHE DICHTUNGEN
Ein Waldstrom stürzte die Tannen drunter und drüber ins
Tal herab und Sträucher und SprößUng' und Gräser und
Eichen. Ein Prophete rief zuschauend vom Fels: Alles ist
gleich vor dem Herrn.
Ha, sagte die Zeder, wer von meinen Zweigen brechen will,
muß hoch steigen! Ich, sagte die Rose, habe Dornen.
ALS AUF EINEM LANDGUT BEI KOPENHAGEN
DREI URNEN GEFUNDEN WURDEN
[Von Goethe? Zu Seite 16^]
TN Siegesfrieden ruhe
JlHeldengebein
Dreier Edlen, freier Vorzeit Söhne.
Fromme fanden dich, gaben dich wieder,
Mit Ehrfurcht segnend,
Dem kühlen Hügel, der auch ihrer harrt.
[In das Stammbuch von ?]
[Zu Seite 260]
ALLE gleichen wir uns, denn wir sind eines Geschlechtes;
„ Allen gleichen wir nicht, sagt einem jeden das Herz.
Weimar, den i.Jan. 1785. Goethe.
EDELKNABE UND WAHRSAGERIN
[Entwurf zu einer Elegie; zu Seite 281]
KENNT ihr die Dirne mit lauerndem Blick und raschen
Gebärden?
Die Schalkin, sie heißt Gelegenheit; lernt sie nur kennen!
Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt.
Gern betrügt sie den Unerfahrenen, den Blöden,
Schlummernde neckt sie stets, Wachende flieht sie eilends.
Und die Unschuld betört sie, der kömmt sie am leichtsten.
Einst erschien sie dem Knaben, ein bräunliches Mädchen,
die Arme,
Nacken und Busen und Leib nicht allzu sittig verhüllt.
NACHTRAG 651
Zukünftges deutend zeigte ihr Finger nach oben,
Bog ihren Hals sie nach vorn;
Ungeflochtnes Haar krauste vom Scheitel sich auf;
Lockend war ihre Miene, doch schaute der Bube nicht auf,
Wie sehr sie sich mühte, des Harmlosen Auge zu fangen,
Er hört' sie nur halb,
Dacht an sein Lied. Doch stille!— Die Dirne ist weg —
Degen und Schärpe verschwunden, die ihm die Liebste gab.
[Römische Elegien]
{Zu Seite 294]
MEHR als ich ahndete schön, das Glück, es ist mir ge-
worden,
Amor führte mich klug allen Palästen vorbei.
Ihm ist es lange bekannt, auch hab ich es selbst wohl erfahren.
Was ein goldnes Gemach hinter Tapeten verbirgt.
Nennet blind ihn und Knaben und ungezogen, ich kenne.
Kluger Amor, dich wohl, nimmer bestechlicher Gott!
Uns verführten sie nicht, die majestätschen Fassaden,
Nicht der galante Balkon, weder das ernste Kortil,
Eilig ging es vorbei, und niedre zierliche Pforte
Nahm den Führer zugleich, nahm den Verlangenden auf.
Alles verschafft er mir da, hilft alles und alles erhalten,
Streuet jeglichen Tag frischere Rosen mir auf.
Hab ich den Himmel nicht hier? — Was gibst du, schöne
Borghese,
Nipotina, was gibst deinem Geliebten du mehr?
Tafel, Gesellschaft und Kors' und Spiel und Oper und Bälle,
Amorn rauben sie nur oft die gelegenste Zeit.
Ekel bleibt mir Gezier und Putz und hebet am Ende
Sich ein brokatener Rock nicht wie ein wollener auf?
Oder will sie bequem den Freund im Busen verbergen.
Wünscht er von alle dem Schmuck nicht schon behend
sie befreit?
Müssen nichtjeneJuwelenundSpitzen,PolsterundFischbein
Alle zusammen herab, eh er die Liebliche fühlt?
Näher haben wir das! Schon fällt dein wollenes Kleidchen,
So wie der Freund es gelöst, faltig zum Boden hinab.
652 LYRISCHE DICHTUNGEN
Eilig trägt er das Kind, in leichter linnener Hülle,
Wie es der Amme geziemt, scherzend aufs Lager hinan.
Ohne das seidne Gehäng und ohne gestickte Matratzen,
Stehet es, zweien bequem, frei in dem weiten Gemach.
Nehme dann Jupiter mehr von seiner Juno, es lasse
Wohler sich, wenn er es kann, irgendein Sterblicher sein.
Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors
Und des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton.
ZWEI gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter
gescholten,
Grausend nennt sie die Welt Jahre die tausende schon,
Python, dich, und dich, Lernäischer Drache! Doch seid ihr
Durch die rüstige Hand tätiger Götter gefällt.
Ihr zerstöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer
Herde, Wiesen und Wald, goldene Saaten nicht mehr.
Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue
Ungeheure Geburt giftigen Schlammes gesandt?
Überall schleicht er sich ein, und in den lieblichsten Gärtchen
Lauert tückisch der Wurm, packt den Genießenden an.
Sei mir,hesperischer Drache , gegrüßt , du zeigtest dich mutig,
Du verteidigtest kühn goldener Äpfel Besitz!
Aber dieser verteidiget nichts — und wo er sich findet.
Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert.
Heimlich krümmet er sich im Busche, besudelt die Quellen,
Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau.
Ol wie glücklich warst du, Lukrez! du konntest der Liebe
Ganz entsagen und dich jeglichem Körper vertraun.
Selig warst du, Properz! dir holte der Sklave die Dirnen
Vom Aventinus herab, aus dem Tarpeischen Hain.
Und wenn Cynthia dich aus jenen Umarmungen schreckte.
Untreu fand sie dich zwar, aber sie fand dich gesund.
Jetzt wer hütet sich nicht, langweilige Treue zu brechen!
Wen die Liebe nicht hält, hält die Besorglichkeit auf.
Und auch da, wer weiß! gewagt ist jegliche Freude,
Nirgend legt man das Haupt ruhig dem Weib in den Schoß .
Sicher ist nicht das Ehbett mehr, nicht sicher der Ehbruch;
Gatte, Gattin und Freund, eins ist im andern verletzt.
NACHTRAG 653
O! der goldenen Zeit! da Jupiter noch, vom Olympus,
Sich zu Semele bald, bald zu Kalhsto begab.
Ihm lag selber daran, die Schwelle des heiligen Tempels
Rein zu finden, den er liebend und mächtig betrat.
O! wie hätte Juno getobt, wenn im Streite der Liebe
Gegen sie der Gemahl giftige Waffen gekehrt.
Doch wir sind nicht so ganz, wir alte Heiden, verlassen.
Immer schwebet ein Gott über der Erde noch hin,
Eilig und geschäftig, ihr kennt ihn alle, verehrt ihn!
Ihn, den Boten des Zeus, Hermes, den heilenden Gott.
Fielen des Vaters Tempel zu Grund, bezeichnen die
Säulen
Paarweis kaum noch den Platz alter verehrender Pracht,
Wird des Sohnes Tempel doch stehn, und ewige Zeiten
Wechselt der Bittende stets dort mit dem Dankenden ab.
Eins nur fleh ich im stillen, an euch, ihr Grazien, wend ich
Dieses heiße Gebet tief aus dem Busen herauf:
Schützet immer mein kleines, mein artiges Gärtchen, ent-
fernet
Jegliches Übel von mir; reichet mir Amor die Hand,
O! so gebet mir stets, sobald ich dem Schelmen vertraue.
Ohne Sorgen und Furcht, ohne Gefahr den Genuß.
HIER ist mein Garten bestellt, hier wart ich die Blumen
der Liebe,
Wie sie die Muse gewählt, weislich in Beete verteilt.
Früchte bringenden Zweig, die goldenen Früchte des
Lebens,
Glücklich pflanzt ich sie an, warte mit Freuden sie mm.
Stehe du hier an der Seite, Priap! ich habe von Dieben
Nichts zu befürchten, und frei pflück und genieße, wer
mag.
Nur bemerke die Heuchler, entnervte, verschämte Ver-
brecher;
Nahet sich einer und blinzt über den zierlichen Raum,
Ekelt an Früchten der reinen Natur, so straf ihn von hinten
Mit dem Pfahle, der dir rot von den Hüften entspringt.
654 LYRISCHE DICHTUNGEN
HINTEN im Winkel des Gartens, da stand ich, der letzte
der Götter,
Rohgebildet, und schlimm hatte die Zeit mich verletzt.
Kürbisranken schmiegten sich auf am veralteten Stamme
Und schon krachte das Glied unter den Lasten der Frucht.
Dürres Gereisig neben mir an, dem Winter gewidmet,
Den ich hasse, denn er schickt mir die Raben aufs Haupt,
Schändlich mich zu besudeln; der Sommer sendet die
Knechte,
Die, sich entladende, frech zeigen das rohe Gesäß.
Unflat oben und unten! ich mußte fürchten, ein Unflat
Selber zu werden, ein Schwamm, faules verlorenes Holz.
Nun, durch deine Bemühung, o! redlicher Künstler, ge-
winn ich
Unter Göttern den Platz, der mir und andern gebührt.
Wer hat Jupiters Thron, den schlechterworbnen, befestigt?
Färb und Elfenbein, Marmor und Erz und Gedicht.
Gern erblicken mich nun verständige Männer, und denken
Mag sich jeder so gern, wie es der Künstler gedacht.
Nicht das Mädchen entsetzt sich vor mir und nicht die
Matrone,
Häßlich bin ich nicht mehr, bin ungeheuer nur stark.
Dafür soll dir denn auch halbfußlang die prächtige Rute
Strotzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut,
Soll das Glied nicht ermüden, als bis ihr die Dutzend
Figuren
Durchgenossen, wie sie künstlich Philänis erfand.
[Venezianische Epigramme]
[Zu Seite J2Ö\
SAUBER hast du dein Volk erlöst durch Wunder und
Leiden,
Nazarener! Wohin soll es, dein Häufchen, wohin?
Leben sollen sie doch und Kinder zeugen doch christlich,
Leider dem früheren Reiz dienet die schädliche Hand.
Will der Jüngling dem Übel entgehn, sich selbst nicht
verderben,
Bringet Lais ihm nur brennende Qualen für Lust.
NACHTRAG 655
Komm noch einmal herab, du Gott der Schöpfung, und leide.
Komm, erlöse dein Volk von dem gedoppelten Weh!
Tu ein Wunder und reinge die Quellen der Freud und
des Lebens,
Paulus will ich dir sein, Stephanus, wie dus gebeutst.
HERAUS mit demTeile des Herrn! heraus mit dem Teile
des Gottes!
Rief ein unglücklich Geschöpfblind für hysterischer Wut,
Als, die heiligen Reste Gründonnerstag abends zu zeigen.
In Sankt Markus ein Schelm über der Bühne sich wies.
Armes Mädchen, was soll dir ein Teil des gekreuzigten
Gottes?
Rufe den heilsamem Teil jenes von Lampsacus her.
WUNDERN kann es mich nicht, daß unser Herr
Christus mit . . .
Gernund mit Sündern gelebt,gehts mir doch eben auch so.
WARUM willst du den Christen des Glaubens selige
Wonne
Grausam rauben?" Nicht ich, niemand vermag es zutun.
Steht doch deutlich geschrieben: die Heiden toben ver-
geblich.
Seht, ich erfülle die Schrift, lest und erbaut euch an mir.
KREBSE mit nacktem Hintern, die leere Muscheln sich
suchten,
Sie bewohnen und sie wähnen ihr eigenes Haus,
Sind mir seltne Geschöpfe, sie sind so klug als bedürftig;
Manches kam mir in Sinn, als ich am Ufer sie sah.
Christ und Mensch ist eins! sagt Lavater! Richtig! Die
Christen
Decken die nackende Scham weislich mit Menschen -
Vernunft.
IN ein Puppenspiel hatt ich mich Knabe verliebet,
Lange zog es mich an, bis ich es endlich zerschlug.
So griff Lavater jung nach der gekreuzigten Puppe.
Herz' er betrogen sie noch, wenn ihm der Atem entgeht!
656 LYRISCHE DICHTUNGEN
/^^C^T'jEiV schreibt er, das glaub ich, die Menschen müssen
^-^ wohl gut sein,
Die das alberne Zeug lesen und glauben an ihn.
Weisen denkt er zu schreiben, die Weisen mag ich nicht
kennen:
Ist das Weisheit, bei Gott, bin ich mit Freuden ein Tor.
DICH betrügt der Staatsmann, der Pfaffe, der Lehrer
der Sitten,
Und dies Kleeblatt, wie tief betest du, Pöbel, es an.
Leider läßt sich noch kaum was Rechtes denken und sagen.
Das nicht grimmig den Staat, Götter und Sitten verletzt.
WAS auch Helden getan, was Kluge gelehrt, es ver-
achtets
Wähnender christlicher Stolz neben den Wundern des
Herrn.
Und doch schmückt er sich selbst und seinennackten Erlöser
Mit dem Besten heraus, was uns der Heide verließ.
So versammelt der Pfaffe die edlen leuchtenden Kerzen
Um das gestempelte Brot, das er zum Gott sich geweiht.
VIELE folgten dir gläubig und haben des irdischen
Lebens
Rechte Wege verfehlt, wie es dir selber erging.
Folgen mag ich dir nicht; ich möchte dem Ende der Tage
Als ein vernünftiger Mann, als ein vergnügter mich nahn.
Heute gehorch ich dir doch und wähle den Pfad ins Gebirge,
Diesmal schwärmst du wohl nicht, König der Juden, leb
wohl.
OFFEN steht das Grab! Welch herrlich Wunder! Der
Herr ist
Auferstanden! — Wers glaubt! Schelmen, ihr trugt ihn
ja weg.
w
AS vom Christentum gilt, gilt von den Stoikern;
freien
Menschen geziemet es nicht, Christ oder Stoiker sein.
NACHTRAG 657
JUDEN und Heiden hinaus! so duldet der christliche
Schwärmer.
Christ und Heide verflucht! murmelt ein jüdischer Bart.
Mit den Christen an Spieß und mit den Juden ins Feuer!
Singet ein türkisches Kind Christen und Juden zum Spott.
Welcher ist der Klügste? Entscheide! Aber sind diese
Narren in deinem Palast, Gottheit, so geh ich vorbei.
HÖLLENGESPENSTER seid ihr und keine Christen,
ihr Schreier,
Die ihr den lieblichen Schlaf mir von den Augen ver-
scheucht.
Warum macht der Pfaffe so viele tausend Gebärden
Und verscheuchet euch nicht wieder zur Hölle zurück?
WENN ein verständiger Koch ein artig Gastmahl
bereitet.
Mischt er unter die Kost vieles und vieles zugleich.
So genießet auch ihr dies Büchlein, und kaum unterscheidet
Alles ihr, was ihr genießt. Nun, esbekomm euch nur wohl.
WAGST du deutsch zu schreiben unziemliche Sa-
chen!"—Mein Guter,
Deutsch dem kleinen Bezirk,leider, ist griechisch der Welt.
A^
US zu eklem Geschmack verbrannte Nauger Martialen.
Wirfst du das Silber hinweg, weil es nicht Gold ist?
Pedant!
M
EHR hat Horaz nicht gewollt; er fand es, weniger
wollen
Kann man mit größerm Verdienst, und man erhält auch
nicht das.
WIE der Mensch das Pfuschen so liebt! Fast glaub
ich dem Mythus,
Der mir erzählet, ich sei selbst ein verpfuschtes Geschöpf.
DAS Gemeine lockt jeden: siehst du in Kürze von vielen
Etwasgeschehen,sogleichdenke nur: dies ist gemein.
GOETHE XIV 42.
658 NACHTRAG
WÄREN der Welt die Augen zu öffnen! — Das könnte
geschehen!
Besser, du suchest dir selbst und du erfindest dein Teil.
HELDEN,herrlichzu sein, beschädigenTausende. Tadelt
Nicht den Dichter, der auch wie ein Eroberer denkt.
WENN du schelten willst, so wolle kein Heiliger
scheinen,
Denn, ein rechtlicher Mann schweigt und verzeihet uns
gern.
UNGLÜCKSELIGEFrösche,die ihr Venedig bewohnet!
Springt ihr zum Wasser heraus, springt ihr auf hartes
Gestein.
\ LLE Weiber sind Ware, mehr oder weniger kostet
-/v. Sie den begierigen Mann, der sich zum Handel ent-
schließt.
Glücklich ist die Beständige, die den Beständigen findet.
Einmal nur sich verkauft und auch niu: einmal gekauft
wird.
HAT dich Hymen geflohn? Hast du ihn gemieden? — Was
sag ich?
Hymen! köstlich ist er, aber zu ernsthaft für mich.
Aus dem Ehbett darf man nicht schwätzen, und Dichter
sind schwatzhaft.
Freie Liebe, sie läßt frei uns die Zunge, den Mut.
JUNGFER! ruf ich das Mädchen, ist, Jungfer, der Herr
nicht zu Hauser
Aber sie hört nicht, der Ruf schlägt ihr am Ohre nicht an.
VIER gefällige Kinder hast du zum Gaukeln erzogen,
Alter Gaukler, und schickst nun sie zum Sammlen
umher.
Meine Güter trag ich bei mir! so sagte der Weise;
Meine Güter, sagst du, hab ich mir selber gemacht.
NACHTRAG 659
li MERIKANERIN nennst du das Töchterchen, alter
J\. Phantaste;
Glücklicher! hast du sie nicht hier in Europa gemacht?
ICH empfehle mich euch! Seid wacker, sagst du und reichest
Mir das Tellerchen dar, lächelst und dankest gar schön.
Ach, empfohlen bist du genug, und wärst du nur älter.
Wacker wollten wir sein, wach bis zum Krähen des Hahns.
ZÜRNET nicht, ihr Frauen, daß wir das Mädchen be-
wundern:
Ihr genießet des Nachts, was sie am Abend erregt.
WAS ich am meisten besorge: Bettina wird immer
geschickter,
Immer beweglicher wird jegliches Gliedchen an ihr;
Endlich bringt sie das Züngelchen noch ins zierliche F , . .,
Spielt mit dem artigen Selbst, achtet die Männer nicht
viel,
AUSZUSPANNEN befiehlt der Vater die zierlichen
Schenkel,
Kindisch der liebliche Teil den Teppich herab.
Ach, wer einst zuerst dich liebet, er findet die Blüte
Schon verschwunden, sie nahm frühe das Handwerk hin-
weg.
KAFFEE wollen wir trinken, mein Fremder!— da meint
sie branlieren;
Hab ich doch, Freunde, mit Recht immer den Kafifee
gehaßt.
SEID ihr ein Fremder, mein Herr? bewohnt ihr Venedig?
so fragten
Zwei Lazerten, die mich in die Spelunke gelockt.
Ratet! — Ihr seid einFranzos! einNapolitaner! Sie schwatzten
Hin und wieder und schnell schlürften sie Kafi"ee hinein.
66o NACHTRAG
Tun wir etwas! sagte die Schönste; sie setzte die Tasse
Nieder, ich fühlte sogleich ihre geschäftige Hand.
Sacht ergriff ich und hielte sie fest; da streckte die zweite
Zierliche Fingerchen aus, und ich verwehrt es auch ihr.
Ach! es ist ein Fremder! so riefen sie beide; sie scherzten,
Baten Geschenke sich aus, die ich, doch sparsam, verlieh.
Drauf bezeichneten sie mir die entferntere Wohnung
Und zu dem wärmeren Spiel spätere Stunden der Nacht.
Kannten diese Geschöpfe sogleich den Fremden am Wei-
gern,
O so wißt ihr, warum blaß der Venetier schleicht.
GIB mir statt "Der Seh . . . ." ein ander Wort, oPriapus,
Denn ich Deutscher, ich bin übel als Dichter geplagt.
Griechisch nennt ich dich cpaXXog, das klänge doch präch-
tig den Ohren,
Und lateinisch ist auch mentula leidlich ein Wort.
Mentula käme von inens^ der Seh .... ist etwas von hinten,
Und nach hinten war mir niemals ein froher Genuß.
CAMPER der jüngere trug in Rom die Lehre des Vaters
Von den Tieren uns vor, wie die Natur sie erschuf,
Bäuche nahm und gab, dann Hälse, Pfoten und Schwänze.
Alles gebrochenes Deutsch, so wie geerbter Begriff.
Endlich sagt' er: "Vierfüßiges Tier, wir habens vollendet.
Und es bleibet uns nur. Freunde, das Vöglen zurück!"
Armer Camper, du hast ihn gebüßt, den Irrtum der Sprache,
Denn acht Tage darnach lagst du und schlucktest Merkur.
KNABEN liebt ich wohl auch, doch lieber sind mir die
Mädchen;
Hab ich als Mädchen sie satt, dient sie als Knabe mir
noch.
KÖSTLICHE Ringe besitz ich! Gegrabne fürtreffliche
Steine
Hoher Gedanken und Stils fasset ein lauteres Gold.
NACHTRAG 661
Teurer bezahlt man die Ringe, geschmückt mit feurigen
Steinen,
Blinken hast du sie oft über dem Spieltisch gesehn.
Aber ein Ringelchen kenn ich, das hat sich anders ge-
waschen,
Das Hans Carvel einmal traurig im Alter besaß.
Unklug schob er den kleinsten der zehen Finger ins Ring-
chen;
Nur der größte gehört, würdig, der eilfte, hinein.
ALLE sagen mir, Kind, daß du mich betriegest,
J\. O betriege mich nur immer und immer so fort.
WELCHE Hoffnung ich habe? Nur eine, die heut
mich beschäftigt:
Morgen mein Liebchen zu sehn, das ich acht Tage
nicht sah.
^LLES, was ihr wollt! ich bin euch wie immer gewärtig,
j\. Freunde, doch leider: allein schlafen, ich halt es
nicht aus.
NACKEND willst du nicht neben mir liegen, du süße
Geliebte,
Schamhaft hältst du dich noch mir im Gewände verhüllt.
Sag mir: begehr ich dein Kleid? begehr ich den lieblichen
Körper?
Nun, die Scham ist ein Kleid! zwischen Verliebten hin-
weg!
LANGE sucht ich ein Weib mir, ich suchte, da fand ich
— ' nur Dirnen,
Endlich erhascht ich dich mir, Dirnchen, da fand ich ein
Weib.
EINE Liebe wünscht ich und konnte sie niemals gewinnen.
Wünschen läßt sich noch wohl, aber verdienen nicht
gleich.
662 NACHTRAG
FÜRCHTE nicht, liebliches Mädchen, die Schlange, die
dir begegnet!
Eva kannte sie schon, frage den Pfarrer, mein Kind.
OB erfüllt sei, was Moses und was die Propheten ge-
sprochen,
An dem heiligen Christ, Freunde, das weiß ich nicht
recht.
Aber das weiß ich: erfüllt sind Wünsche, Sehnsucht und
Träume,
Wenn das liebliche Kind süß mir am Busen entschläft.
PTIFTEN die Christen mit Heil viel Unheil, so stiften die
iD Büchlein
Heidnisch durch Unheil viel Heil. Aber noch eile dich
nicht,
Laß mich erst noch hienieden! es kann die Barke passieren;
Nimmt sie mich diesmal schon mit, nun so leb wohl in
die Welt.
IMMER glaubt ich gut[mütig?], von anderen etwas zu
lernen;
Vierzig Jahr war ich alt, da mich der Irrtum verließ.
Töricht war ich immer, daß andre zu lehren ich glaubte;
Lehre jeden du selbst, Schicksal, wie er es bedarf.
IMMER hab ich dich, heilige Sonne, mit Freude verehret.
Wenn du aus trübem Gewölk oder nach Nebel mir kamst;
Niemals aber so fröhlich als im venetischen Pfuhle [.-],
Wenn du nach Regen erscheinst, freudig die Gondel dir
dampft.
[Entwürfe zur Zweiten Epistel]
[Zu Säte 338]
UND daß deine Söhne nur lesen, sofern es zum Sinne
Ihrer Bildung gehört, das brauch ich dir nicht zu sagen,
Denn das richtest du selber mit klugcrVorsicht und Plan ein .
Gut, so wären wir denn im Hause sicher, wir hätten
Unsrer Kinder Seelen gesegnet [.'], wofern sie das Beispiel,
NACHTRAG 663
Das lebendiger lehrt als tote Lettern, verschonet.
Aber sage mir nun, versetzest du zweiflend, was sollen
Von der Menge wir denken, die viele schädliche Schriften
Lesen [?], um eigne Bosheit an fremden Zeilen zu wetzen.
Auch darüber sag ich mein Wort. Ich kenne nur eine
Ganz verderbliche Schrift, die allen Menschen die Köpfe
Ganz und völlig verrückt, die allen mit heftigen Reden
UndGeschichten die Seelen zerstört, so daß man die klügsten
Nicht zu kennen vermag; denn eben weil sie in Worten
Mehr oder weniger sagt, und weil sie am Ende die Wahrheit
Sagen muß, so glaubt ihr ein jeder und höret das Falsche
Mit dem Wahren so gern, und höret im Falschen und
Wahren
Seine Meinung allein. Und diese Schrift, sie erscheinet
Selbst von Kaiser und Reich und allen Fürsten begünstigt.
Was verbietest du noch, wenn diese . . ., wenn diese
Verkündung.
Du verstehst mich, ich meine die Zeitung, und sage dir
redlich,
Sie ist die gefährlichste Schrift, indem sie die Tollheit,
DieVerruchtheit der Menschen, den Leichtsinn, die Dumm -
heit und
Was nur jeden Plan der Vern[unft] zerstört, so deutlich
darlegt.
Da ist keiner, er sei so toll und dumm, er findet noch
Schlimmere Werke da oder dort. Verworren verwirrt er,
Und der Kluge . . . allen, die wie seine Vorfahren.
Könnt ihr also die Menschen nicht hindern zu hören, was
täglich
Außer ihnen geschieht, so laßt sie auch ohne Bedenken,
Ohngehindert sie hören, was außer ihnen gemeint wird.
War ich ein Fürst, ich ließe sogleich aufrührische Schriften
Alle kaufen vmd teilte sie aus, damit sich ein jeder
Satt dran läse, damit nichts Tolles könne gesagt sein,
Was man nicht läse bei mir. Allein ich würde zugleich auch
Jeden Zweck der Tätigkeit ehren von dem, an der die Erde,
Sie zu befruchten, bewegt, bis zu den geistigen Denkern
Oder Künstlern; es sollte kein Mann der
664 NACHTRAG
Feiern, es lägen [?] gewiß die vielfach bunten Hefte,
Die wie Schale den Kern bedecken
UND was deine Söhne betrifft, so weiß ich, mit ihnen
Bist du nimmer verlegen. Denn früh die Blicke der
Knaben
Auf die lebendige Welt zu richten verstehst du und jedem
Das ihm eigne Organ zu künftiger Tat zu entwickeln.
Frisch erhältst du die Kraft des jungen Gemüts, behende
Faßt ein jegliches Wort ihr Gedächtnis, die trockenste
Sprache
Wird im heiteren Sinn und ihrer Schönheit lebendig.
Ehren lehrest du sie das Vergangne und schätzen vor allem
Jeglichen Tages Wert und in dem Neuen die Vorzeit.
Nur das Gute hat Sinn für sie
Denn unschuldig ist, wenn Menschen lesen.
Was sich vorzeiten begeben, was dieser und jener ge-
meint hat,
Oder was der Charakter beschloß, zur heftigen Tat gleich
Zaubert. Sie[h], das trifft und reget alle Gemüter
Eine gefährliche Schrift,
Und kannst du diese verbrennen,
So ist allen auf einmal, den großen und kleinen, geholfen,
Denn mit größrer Begierde wird keine gelesen.
Willst aber du die Meinung beherrschen, beherrsche durch
Tat sie,
Nicht durch Geheiß und Verbot; der wackere Mann, der
beständge,
Der den Seinen und sich zu nutzen versteht und dem Zufall
Klug sich beugt und groß dem Zufall wieder gebietet.
Der den Augenblick kennt, dem unverschleiert die Zukunft
In der stillen .... des hohen Denkens erscheint,
Der, wo alle wanken, noch steht,
Der beherrscht sein Volk und gebietet der Menge der
Menschen.
Einen solchen habt ihr gesehen vor kurzem hinaufwärts
Zu den Göttern getragen, woher er kam; ihm schauten
NACHTRAG 665
Alle Völker der Welt mit traurigem Blick nach,
Jeder schien
Wechselsweise bewahren Geschmack und Sitte einander.
Aber Kaiser und Reich privilegiert sie, der Papst wie der
Doge
Muß in jedem Kaffeehaus sie leiden, in jeglichem Gasthof.
Pater Mamachius, ach, was hast du nicht alles gestrichen!
Kein bedenkliches Wort der lustigen Oper entging dir.
Kein heroischer Vers des übermütigen Helden.
Ach, vermöchtest du doch die atheistischen Reden
Des verruchten Konvents dem römischen Volke verbergen.
Und die Knaben, versteht sich von selber, sie führet ein
wackrer,
Gradgesinnter Mann ins Heiligtum aller Erkenntnis,
Die uns die griechische Welt und die lateinische darbeut;
Und so wären die Kinder vor allem Unheil gesichert.
Keiner jammert mich mehr in diesen fließenden Zeiten
Als Mamachius du, o Dechant aller Zensoren,
Du des heiligen Palasts Magister, des Ketzergerichtes
Strenger Assessor; was mußt du, des hohen Dom[inicus]
Zögling,
Alles erleben! Nachdem du die vielen Jahre gelesen
Und gestrichen
[In das Stammbuch des Grafen Emerich Bethlen]
[Zu Seite 406]
B AUE, Jüngling, denGarten beizeiten; SO erntestduFrüchte
Schon, wenn viele sich erst ungewiß suchen den Platz.
Jena, den 13. März 96. Goethe.
[Zu Seite 482]
NACHTGESPENSTER ziehen nicht mehr, die gar-
stigen, langen;
Neumond kündest du an! Almanach, redest du wahr?
666 NACHTRAG
Leuchtet mir doch das Gemach von holdem mondlichem
Schimmer,
Wohl das Mondengesicht senkte vom Himmel sich her.
MIRABELLEN pflanz ich in meinem Garten in Reihen,
Daß nun die Wunderschöne wandelnd in Gesell-
schaft sei.
GOLDSTAUB wirf in das Wasser, er wird zum Grunde
sich senken;
Bärlappsamen, er deckt leicht wie ein Häutchen das Naß.
w
[Zu Seite S38]
AS uns gefällt und scheinet fein,
Muß erst mit Müh erworben sein.
w
AS der Mensch als Gott verehrt,
Ist sein eigenstes Innere herausgekehrt.
T
[An Pauline Gotter, spätere v. Schelling]
[Zu Seite ^ßi]
RAUN! ein schönes Geheimnis hast du durch dein
Wesen gelöset:
Wie mit weiblichem Sinn tieferes Wissen sich eint.
[Zu Seite 603]
IN Jena weiß man viele Sachen,
Nur nicht aus Essig Wein zu machen.
UND was bleibt denn an dem Leben,
Wenn es alles ging zu Funken,
Wenn die Ehre mit dem Streben
Alles ist im Quark versunken.
Und doch kann dich nichts vernichten,
Wenn, Vergänglichem zum Trotze,
Willst dein Sehnen ewig richten
Erst zur Flasche, dann zur . . .
NACHTRAG 667
[Zu Seite 604]
ES hat ein hübsches Maidel
Nur allzuviel zu tun,
Der Bursche trinkt manch Seidel
Und kann hernach nicht ruhn.
Und wenn sie dann sich trafen,
Wer kann dann was dafür?
Er hat den Rausch verschlafen,
Der Rausch, er schläft mit ihr.
ÜBER ****
JUNIUS AN DIE NACHKOMMEN
PROLOGUS
SOVIEL wir von ihm zu sagen wissen,
So hat er zuerst in die Windeln geschissen;
Als Kind hat er, zum Trotz uns allen,
Gar manche Löcher in Kopf gefallen;
Als Jüngling hat er sich branliert.
Und als Student auch renommiert;
Dabei hat er bei guten Sitten
Auch schrecklich an der Krätze gelitten.
Nachdem er von solchen Übeln frei.
Legt er sich ein hübsch Mädchen bei.
Die macht ihm gelegentlich bekannt
Das heilige Holz aus fremdem Land.
Dadurch ward er nun präpariert,
Daß Staaten würden durch ihn regiert.
Wie schlecht er getan, wie schlecht's ihm gegangen,
Wird reihenweise nun angefangen.
668 NACHTRAG
HEIDENRÖSLEIN
SJ/olkslied- Umdichtung]
SAH ein Knab ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sahs mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Knabe sprach: Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!
Röslein sprach: Ich steche dich,
Daß du ewig denkst an mich.
Und ich wiils nicht leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach
's Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach.
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Mußt es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
[Aus dem Singspiel "Lila"]
FEIGER Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten.
Nimmer sich beugen.
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei.
NACHTRAG 669
SCHWEIZERLIED
[ Volkslied- Umdichtung\
UFM Bergli
Bin i gesässe,
Ha de Vögle
Zugeschaut;
Hänt gesunge,
Hänt gesprunge,
Hänt 's Nestli
Gebaut.
In ä Garte
Bin i gestände,
Ha de Imbli
Zugeschaut;
Hänt gebrummet,
Hänt gesummet,
Hänt Zelli
Gebaut.
Uf d' Wiese
Bin i gange,
Lugt i Summer -
Vögle a;
Hänt gesoge,
Hänt gefloge,
Gar z' schön hänt s'
Getan.
Und da kummt nu
Der Hansel,
Und da zeig i
Em froh,
Wie sies mache,
Und mer lache
Und mache 's
Au so.
670 NACHTRAG
DER MÜLLERIN VERRAT
[Nachdichtung einer französischen Romanze]
WOHER der Freund so früh und schnelle,
Da kaum der Tag im Osten graut?
Hat er sich in der Waldkapelle,
So kalt und frisch es ist, erbaut?
Es starret ihm der Bach entgegen;
Mag er mit Willen barfuß gehn?
Was flucht er seinen Morgensegen
Durch die beschneiten wilden Höhn?
Ach, wohl! Er kommt vom warmen Bette,
Wo er sich andern Spaß versprach;
Und wenn er nicht den Mantel hätte,
Wie schrecklich wäre seine Schmach!
Es hat ihn jener Schalk betrogen
Und ihm den Bündel abgepackt;
Der arme Freund ist ausgezogen
Und fast, wie Adam, bloß und nackt.
Warum auch schlich er diese Wege
Nach einem solchen Äpfelpaar,
Das freilich schön im Mühlgehege,
So wie im Paradiese, war.
Er wird den Scherz nicht leicht erneuen;
Er drückte schnell sich aus dem Haus
Und bricht auf einmal nun, im Freien,
In bittre laute Klagen aus:
"Ich las in ihren Feuerblicken
Nicht eine Silbe von Verrat;
Sie schien mit mir sich zu entzücken
Und sann auf solche schwarze Tat!
Könnt ich in ihren Armen träumen,
Wie meuchlerisch der Busen schlug?
Sie hieß den holden Amor säumen,
Und günstig war es uns genug.
NACHTRAG 671
"Sich meiner Liebe zu erfreuen!
Der Nacht, die nie ein Ende nahm!
Und erst die Mutter anzuschreien,
Nun eben als der Morgen kam!
Da drang ein Dutzend Anverwandten
Herein, ein wahrer Menschenstrom;
Da kamen Vettern, guckten Tanten,
Es kam ein Bruder und ein Ohm.
"Das war ein Toben, war ein Wüten!
Ein jeder schien ein andres Tier.
Sie forderten des Mädchens Blüten
Mit schrecklichem Geschrei von mir. —
Was dringt ihr alle wie von Sinnen
Auf den unschuldgen Jüngling ein?
Denn solche Schätze zu gewinnen,
Da muß man viel behender sein.
"Weiß Amor seinem schönen Spiele
Doch immer zeitig nachzugehn.
Er läßt fürwahr nicht in der Mühle
Die Blumen sechzehn Jahre stehn. —
Sie raubten nun das Kleiderbündel,
Und wollten auch den Mantel noch.
Wie nur so viel verflucht Gesindel
Im engen Hause sich verkroch!
".Nun sprang ich auf und tobt und fluchte,
Gewiß, durch alle durchzugehn.
Ich sah noch einmal die Verruchte,
Und ach! sie war noch immer schön.
Sie alle wichen meinem Grimme;
Es flog noch manches wilde Wort;
Da macht ich mich, mit Donnerstimme,
Noch endlich aus der Höhle fort.
"Man soll euch Mädchen auf dem Lande,
Wie Mädchen aus den Städten, fliehn.
So lasset doch den Fraun von Stande
Die Lust, die Diener auszuziehn!
672 NACHTRAG
Doch seid ihr auch von den Geübten
Und kennt ihr keine zarte Pflicht,
So ändert immer die Geliebten,
Doch sie verraten müßt ihr nicht."
So singt er in der Winterstunde,
Wo nicht ein armes Hälmchen grünt.
Ich lache seiner tiefen Wunde;
Denn wirklich ist sie wohlverdient.
So geh es jedem, der am Tage
Sein edles Liebchen frech betriegt
Und na-chts, mit allzu kühner Wage,
Zu Amors falscher Mühle kriecht.
EPILOG ZU SCHILLERS GLOCKE
[Aufgeführt am lO. 8. 1805, erneut am 10. 5. l8lS\
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute!
UND so geschahs! Dem friedenreichen Klange
Bewegte sich das Land, und segenbar
Ein frisches Glück erschien: im Hochgesange
Begrüßten wir das junge Fürstenpaar;
Im Vollgewühl, in lebensregem Drange
Vermischte sich die tätge Völkerschar,
Und festlich ward an die geschmückten Stufen
Die Huldigung der Künste vorgerufen.
Da hör ich schreckhaft mitternächtges Läuten,
Das dumpf und schwer die Trauertöne schwellt.
Ists möglich? Soll es unsern Freund bedeuten,
An den sich jeder Wunsch geklammert hält?
Den Lebenswürdgen soll der Tod erbeuten?
Ach! wie verwirrt solch ein Verlust die Welt!
Ach! was zerstört ein solcher Riß den Seinen!
Nun weint die Welt, und sollten wir nicht weinen?
Denn er war unser! Wie bequem gesellig
Den hohen Mann der gute Tag gezeigt,
Wie bald sein Ernst, anschließend, wohlgefällig,
Zur Wechselrede heiter sich geneigt,
NACHTRAG 673
Bald raschgewandt, geistreich und sicherstellig
Der Lebensplane tiefen Sinn erzeugt
Und fruchtbar sich in Rat und Tat ergossen:
Das haben wir erfahren und genossen.
Denn er war unser! Mag das stolze Wort
Den lauten Schmerz gewaltig übertönen!
Er mochte sich bei uns, im sichern Port,
Nach wildem Sturm zum Dauernden gewöhnen.
Indessen schritt sein Geist gewaltig fort
Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen,
Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine,
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.
Nun schmückt' er sich die schöne Gartenzinne,
Von wannen er der Sterne Wort vernahm,
Das dem gleich ewgen, gleich lebendgen Sinne
Geheimnisvoll und klar entgegenkam.
Dort, sich und uns zu köstlichem Gewinne,
Verwechselt' er die Zeiten wundersam,
Begegnet' so, im Würdigsten beschäftigt.
Der Dämmerung, der Nacht, die uns entkräftigt.
Ihm schwollen der Geschichte Flut- auf Fluten,
Verspülend, was getadelt, was gelobt.
Der Erdbeherrscher wilde Heeresgluten,
Die in der Welt sich grimmig ausgetobt.
Im niedrig Schreckhchsten, im höchsten Guten
Nach ihrem Wesen deutlich durchgeprobt. —
Nun sank der Mond, und zu erneuter Wonne
Vom klaren Berg herüber stieg die Sonne.
Nun glühte seine Wange rot und röter
Von jener Jugend, die uns nie entfliegt.
Von jenem Mut, der, früher oder später.
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt.
Von jenem Glauben, der sich, stets erhöhter,
Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt,
Damit das Gute wirke, wachse, fromme.
Damit der Tag dem Edlen endlich komme.
674 NACHTRAG
Doch hat er, so geübt, so vollgehaltig,
Dies bretterne Gerüste nicht verschmäht;
Hier schildert er das Schicksal, das gewaltig
Von Tag zu Nacht die Erdenachse dreht,
Und manches tiefe Werk hat, reichgestaltig,
Den Wert der Kunst, des Künstlers Wert erhöht.
Er wendete die Blüte höchsten Strebens,
Das Leben selbst, an dieses Bild des Lebens.
Ihr kanntet ihn, wie er mit Riesenschritte
Den Kreis des Wollens, des Vollbringens maß.
Durch Zeit und Land, der Völker Sinn und Sitte,
Das dunkle Buch mit heiterm Blicke las;
Doch wie er atemlos in unsrer Mitte
In Leiden bangte, kümmerlich genas,
Das haben wir in traurig schönen Jahren,
Denn er war unser, leidend miterfahren.
Ihn, wenn er vom zerrüttenden Ge wühle
Des bittern Schmerzes wieder aufgeblickt,
Ihn haben wir dem lästigen Gefühle
Der Gegenwart, der stockenden, entrückt,
Mit guter Kunst und ausgesuchtem Spiele
Den neubelebten edlen Sinn erquickt
Und noch am Abend vor den letzten Sonnen
Ein holdes Lächeln glücklich abgewonnen.
Er hatte früh das strenge Wort gelesen.
Dem Leiden war er, war dem Tod vertraut.
So schied er nun, wie er so oft genesen;
Nun schreckt uns das, wofür uns längst gegraut.
Doch schon erblicket sein verklärtes Wesen
Sich hier verklärt, wenn es herniederschaut.
Was Mitwelt sonst an ihm beklagt, getadelt.
Es hats der Tod, es hats die Zeit geadelt.
Auch manche Geister, die mit ihm gerungen,
Sein groß Verdienst unwillig anerkannt,
Sie fühlen sich von seiner Kraft durchdrungen,
In seinem Kreise willig festgebaimt:
NACHTRAG 675
Zum Höchsten hat er sich emporgeschwungen,
Mit allem, was wir schätzen, eng verwandt.
So feiert Ihn! Denn was dem Mann das Leben
Nur halb erteilt, soll ganz die Nachwelt geben.
So bleibt er uns, der vor so manchen Jahren —
Schon zehne sinds! — von uns sich weggekehrt!
Wir haben alle segenreich erfahren.
Die Welt verdank ihm, was er sie gelehrt;
Schon längst verbreitet sichs in ganze Scharen,
Das Eigenste, was ihm allein gehört.
Er glänzt uns vor, wie ein Komet entschwindend,
Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend.
HERAUSGEBER
DIESES BANDES IST
HANS GERHARD GRÄ
DRUCK DES
27. BIS 29. TA U S E N D S
VON
EREITKOPF & HÄRTEL
IN LEIPZIG
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